Auszug aus "Zuckerstückchen"
[..]
Der Anblick des panierten Schnitzels erinnerte meinen Mitbewohner irgendwie an Sex. Alles erinnerte ihn an Sex. Immer.
Ein Gummibaum, ein Wollknäuel, ein weißer Strand, ein Hochhaus. Ganz klar: Das war Sex.
Als ich ihn darauf hinwies, dass nicht jeder Gegenstand dieses Planeten zwingend etwas mit Sex zutun haben musste verteidigte er sich: „Jeder Mann denkt so!“ Und ich sei weltfremd und hysterisch.
Ich versuchte, den Sex in Gummibäumen und Fahrrädern zu erkennen. Ich suchte die Erotik an Computertastaturen und Kugelschreibern. Meine Kartoffeln schälte ich aufmerksam und sinnlich. Ich konnte den Sex nicht entdecken.
Mit der Zeit wurde mir klar, warum ich nie einen Mann finden würde. Aber mein Mitbewohner beruhigte mich und meinte, es sei ja eine Ausnahme, dass Männer so offen gegenüber Frauen seien. Sicherlich würde mir kein Mann jemals so direkt sagen, was ihn alles an Sex erinnere. Und ich solle mich nicht so anstellen, dann würde ich sicher bald den passenden finden.
Die dritte Kontaktanzeige brachte eine nette Zuschrift. Wir verabredeten uns für Donnerstag.
Der Typ saß mir gegenüber und nippte an seiner Cola. „Hallo“, sagte ich. „Hallo“ sagte er. Er hatte einen Motorradhelm neben sich liegen. Ich fragte mich, ob sein riesiger Kopf überhaupt Platz in diesem Helm haben könnte. Aber sein Kopf wirkte wahrscheinlich nur so riesig weil der Rest seines Körpers so mickrig war wie eine junge Tomatenpflanze, die jemand vergessen hatte zu gießen.
„Ja, da wären wir nun.“ sagte ich. Und ich hasste mich dafür, dass ich schon wieder ein bescheuertes Blind-Date angenommen hatte.
„Ich bin positiv überrascht“, sagte der Typ und schob seinen großen Kopf nach vorne. Er hatte die Arme verschränkt und stützte sich auf dem Tisch ab. Seine Schultern staken rechts und links aus seinem Rücken heraus bis fast zu den abstehenden Ohren hoch. Er lächelte und ich fühlte, dass er mich bereits vollständig abgescannt hatte. Kopf, Busen, Bauch, Hintern, Beine.
Was sagt man, wenn jemand sagt, er sei positiv überrascht nachdem man genau ein Wort gewechselt hat. „Danke.“
Er grinste. „Und, was machst du so?“ fragte er und lehnte sich entspannt zurück. Wie ich solche Fragen hasste. Aber über irgendetwas muss man ja reden.
„Ich arbeite viel. Hab wenig Zeit für Hobbys und so.“
„Was machst du denn?!“
„Ich schreibe. Zeitung und so. Und du?“
Er überhörte meine Gegenfrage.
„Zeitung? Klingt spannend. Ist sicher interessant der Job.“
Jeder findet es interessant, wenn man sagt, dass man für die Zeitung schreibt. Ich hätte mir eine Notlüge ausdenken sollen.
„Ja, man trifft viele interessante Leute“, nickte ich.
Der Typ legte den Kopf schräg und lächelte hingerissen.
„Dann bist du sicher viel unterwegs. Kommst viel rum, hm?“
Er tat mir fast ein bisschen leid als ich ihn da so strahlend sitzen sah. Ich tat mir aber noch viel mehr leid. Mit einer verkümmerten Tomatenpflanze den Donnerstagabend in einer verrauchten Hinterwäldlerkneipe verbringen war nicht meine Vorstellung von einem ergiebigen Tagesausklang. Ich hielt mich an meinem Bier fest und versuchte, ein nettes Gesicht zu machen.
Normalerweise frage ich gerne nach – Berufskrankheit. Aber in diesem Fall interessierte es mich nicht im Geringsten, was dieser arme Tropf wohl beruflich machte. Er vertauschte mit Wonne die Rollen. Fragte alles erdenkliche, was man an einem Donnerstagabend fragen kann. Dann gingen ihm die Fragen aus. Ich riss mich zusammen.
„Erzähl doch mal von Dir“, lächelte ich. Das war mein gröbster Fehler.
„Ich bin arbeitslos“, sagte er.
Na wunderbar! Eine arbeitslose Tomatenpflanze, die mir gleich erzählen wird, wie böse die Welt ist!
„Ich war selbständig. Aber ich bekomme keine Aufträge mehr“, fuhr er fort. „Findest du das schlimm?“ Er zog unsicher die Augenbrauen hoch.
„Nein, das passiert eben“, tröstete ich und winkte locker ab.
„Ich wusste gleich, dass Du anders bist!“ freute er sich, und das in einer Lautstärke, dass die Kellnerin sich umdrehte und mich mit einem mitleidigen Blick bedachte, so als wolle sie sagen „Herzchen, den wirst Du so schnell nicht mehr los“.
Er erzählte von seiner Ein-Mann-Firma, wie er für seinen Hausarzt den Computer repariert hatte, dass alle anderen Mediziner Arschlöcher seien, weil sie dächten, sie seien was besseres, aber dieser Arzt sei ein wahres Wunder, schon, weil er seine Mutter damals so toll gepflegt hatte, nachdem sie an Krebs erkrankt war, und als sie starb hatte er seinen Vater wunderbar getröstet. Seine Schwester lebte in Scheidung, er hatte keinen Kontakt mehr zu ihr, weil der Ex-Ehemann einen Keil zwischen sie getrieben hatte. Das Kind seiner Schwester war sehr früh verstorben, weil die Nieren nicht richtig funktioniert hatten. Seine letzte Beziehung dauerte sechs Wochen. Das war irgendwie nichts, und die Frau sei ziemlich neurotisch gewesen. Seine Schlafstörungen bekomme er inzwischen in den Griff, aber normalerweise verbrachte er ganze Nächte damit, an die Decke zu starren und über alles nachzudenken. „Ich bin nämlich nicht oberflächlich! Das hasse ich!“, betonte er.
Dann war seine Lebensgeschichte zuende. Und ich hatte das schreckliche Gefühl, dass er beschlossen haben könnte, mit mir ein neues Kapitel in seinem traurigen Leben aufzuschlagen.
„Du kannst so toll zuhören“, seufzte er. Ich hatte während der letzten zwei ein halb Stunden eine komplette Packung Zigaretten geraucht. „Darf ich Dich anrufen?“
„Sicher“, sagte ich.
„Fein“. Er strahlte. „Ich würde Dich gerne einladen, aber...“
„Lass gut sein.“ Ich winkte ab und kramte nach meiner Geldbörse. Das fehlte noch, dass mich eine arbeitslose Tomatenpflanze mit einer grausamen Lebensgeschichte zum Bier einlud.
„Ich melde mich nächste Woche!“
Er hockte auf seinem Mofa und rührte sich nicht, bis ich auf die Hauptstraße abgebogen war.
Das war der Tag an dem ich beschloss, die Suche nach dem passenden Gegenstück einzustellen. Ich würde einfach nur noch warten. Und wenn keiner kam, dann kam eben keiner.
[..]
[..]
Der Anblick des panierten Schnitzels erinnerte meinen Mitbewohner irgendwie an Sex. Alles erinnerte ihn an Sex. Immer.
Ein Gummibaum, ein Wollknäuel, ein weißer Strand, ein Hochhaus. Ganz klar: Das war Sex.
Als ich ihn darauf hinwies, dass nicht jeder Gegenstand dieses Planeten zwingend etwas mit Sex zutun haben musste verteidigte er sich: „Jeder Mann denkt so!“ Und ich sei weltfremd und hysterisch.
Ich versuchte, den Sex in Gummibäumen und Fahrrädern zu erkennen. Ich suchte die Erotik an Computertastaturen und Kugelschreibern. Meine Kartoffeln schälte ich aufmerksam und sinnlich. Ich konnte den Sex nicht entdecken.
Mit der Zeit wurde mir klar, warum ich nie einen Mann finden würde. Aber mein Mitbewohner beruhigte mich und meinte, es sei ja eine Ausnahme, dass Männer so offen gegenüber Frauen seien. Sicherlich würde mir kein Mann jemals so direkt sagen, was ihn alles an Sex erinnere. Und ich solle mich nicht so anstellen, dann würde ich sicher bald den passenden finden.
Die dritte Kontaktanzeige brachte eine nette Zuschrift. Wir verabredeten uns für Donnerstag.
Der Typ saß mir gegenüber und nippte an seiner Cola. „Hallo“, sagte ich. „Hallo“ sagte er. Er hatte einen Motorradhelm neben sich liegen. Ich fragte mich, ob sein riesiger Kopf überhaupt Platz in diesem Helm haben könnte. Aber sein Kopf wirkte wahrscheinlich nur so riesig weil der Rest seines Körpers so mickrig war wie eine junge Tomatenpflanze, die jemand vergessen hatte zu gießen.
„Ja, da wären wir nun.“ sagte ich. Und ich hasste mich dafür, dass ich schon wieder ein bescheuertes Blind-Date angenommen hatte.
„Ich bin positiv überrascht“, sagte der Typ und schob seinen großen Kopf nach vorne. Er hatte die Arme verschränkt und stützte sich auf dem Tisch ab. Seine Schultern staken rechts und links aus seinem Rücken heraus bis fast zu den abstehenden Ohren hoch. Er lächelte und ich fühlte, dass er mich bereits vollständig abgescannt hatte. Kopf, Busen, Bauch, Hintern, Beine.
Was sagt man, wenn jemand sagt, er sei positiv überrascht nachdem man genau ein Wort gewechselt hat. „Danke.“
Er grinste. „Und, was machst du so?“ fragte er und lehnte sich entspannt zurück. Wie ich solche Fragen hasste. Aber über irgendetwas muss man ja reden.
„Ich arbeite viel. Hab wenig Zeit für Hobbys und so.“
„Was machst du denn?!“
„Ich schreibe. Zeitung und so. Und du?“
Er überhörte meine Gegenfrage.
„Zeitung? Klingt spannend. Ist sicher interessant der Job.“
Jeder findet es interessant, wenn man sagt, dass man für die Zeitung schreibt. Ich hätte mir eine Notlüge ausdenken sollen.
„Ja, man trifft viele interessante Leute“, nickte ich.
Der Typ legte den Kopf schräg und lächelte hingerissen.
„Dann bist du sicher viel unterwegs. Kommst viel rum, hm?“
Er tat mir fast ein bisschen leid als ich ihn da so strahlend sitzen sah. Ich tat mir aber noch viel mehr leid. Mit einer verkümmerten Tomatenpflanze den Donnerstagabend in einer verrauchten Hinterwäldlerkneipe verbringen war nicht meine Vorstellung von einem ergiebigen Tagesausklang. Ich hielt mich an meinem Bier fest und versuchte, ein nettes Gesicht zu machen.
Normalerweise frage ich gerne nach – Berufskrankheit. Aber in diesem Fall interessierte es mich nicht im Geringsten, was dieser arme Tropf wohl beruflich machte. Er vertauschte mit Wonne die Rollen. Fragte alles erdenkliche, was man an einem Donnerstagabend fragen kann. Dann gingen ihm die Fragen aus. Ich riss mich zusammen.
„Erzähl doch mal von Dir“, lächelte ich. Das war mein gröbster Fehler.
„Ich bin arbeitslos“, sagte er.
Na wunderbar! Eine arbeitslose Tomatenpflanze, die mir gleich erzählen wird, wie böse die Welt ist!
„Ich war selbständig. Aber ich bekomme keine Aufträge mehr“, fuhr er fort. „Findest du das schlimm?“ Er zog unsicher die Augenbrauen hoch.
„Nein, das passiert eben“, tröstete ich und winkte locker ab.
„Ich wusste gleich, dass Du anders bist!“ freute er sich, und das in einer Lautstärke, dass die Kellnerin sich umdrehte und mich mit einem mitleidigen Blick bedachte, so als wolle sie sagen „Herzchen, den wirst Du so schnell nicht mehr los“.
Er erzählte von seiner Ein-Mann-Firma, wie er für seinen Hausarzt den Computer repariert hatte, dass alle anderen Mediziner Arschlöcher seien, weil sie dächten, sie seien was besseres, aber dieser Arzt sei ein wahres Wunder, schon, weil er seine Mutter damals so toll gepflegt hatte, nachdem sie an Krebs erkrankt war, und als sie starb hatte er seinen Vater wunderbar getröstet. Seine Schwester lebte in Scheidung, er hatte keinen Kontakt mehr zu ihr, weil der Ex-Ehemann einen Keil zwischen sie getrieben hatte. Das Kind seiner Schwester war sehr früh verstorben, weil die Nieren nicht richtig funktioniert hatten. Seine letzte Beziehung dauerte sechs Wochen. Das war irgendwie nichts, und die Frau sei ziemlich neurotisch gewesen. Seine Schlafstörungen bekomme er inzwischen in den Griff, aber normalerweise verbrachte er ganze Nächte damit, an die Decke zu starren und über alles nachzudenken. „Ich bin nämlich nicht oberflächlich! Das hasse ich!“, betonte er.
Dann war seine Lebensgeschichte zuende. Und ich hatte das schreckliche Gefühl, dass er beschlossen haben könnte, mit mir ein neues Kapitel in seinem traurigen Leben aufzuschlagen.
„Du kannst so toll zuhören“, seufzte er. Ich hatte während der letzten zwei ein halb Stunden eine komplette Packung Zigaretten geraucht. „Darf ich Dich anrufen?“
„Sicher“, sagte ich.
„Fein“. Er strahlte. „Ich würde Dich gerne einladen, aber...“
„Lass gut sein.“ Ich winkte ab und kramte nach meiner Geldbörse. Das fehlte noch, dass mich eine arbeitslose Tomatenpflanze mit einer grausamen Lebensgeschichte zum Bier einlud.
„Ich melde mich nächste Woche!“
Er hockte auf seinem Mofa und rührte sich nicht, bis ich auf die Hauptstraße abgebogen war.
Das war der Tag an dem ich beschloss, die Suche nach dem passenden Gegenstück einzustellen. Ich würde einfach nur noch warten. Und wenn keiner kam, dann kam eben keiner.
[..]