Zufallsbekanntschaft

M

mod

Gast
Immer wenn sie nachts in die Straßenbahn steigt huschen unsere Blicke für Sekunden fast zufällig ineinander. Aus dunklen Augen lächelt sie lieb und gleichzeitig provokant. Fast ist es wie eine liebe Gewohnheit und dennoch voll soviel Resignation. Täglich wirkt ihr Blick ein wenig gehetzter ein bisschen weniger hoffnungsvoll.

Heute wirft sie ihre lange, gelockte, rostrote Mähne mit einer energischen Kopfbewegung schwungvoll über die linke Schulter und fläzt sich dann lässig in die Sitzreihe vor mir.

Wir hängen beide mehr quer als längs, mehr lustlos als wach in unseren ungemütlich harten drachengrünen Plastiksitzen. Die ganze Fahrt über schauen wir uns nicht wieder an, versuchen aber hier und da das alte Spiel Augen-die-sich-in-Glastüren- spiegeln.

Draußen rinnt ein heftiger Regenschauer gemütlich prasselnd in ellenlangen Fäden vom Himmel und kullert weiter, in dicken Tropfen die Fensterscheiben hinunter auf den nassglänzend schwimmenden Asphalt. Am Chlodwigplatz öffnen sich die Türen. ein Schwall frischer neblig kalter Novemberluft flutet mir entgegen.

Plötzlich springt mich die Lust auf einen Nachtspaziergang an. Ich steige aus. Staunend stelle ich fest, dass sie mir nachkommt. Stundenlang schlendert sie zehn oder zwölf Schritt hinter mir durch die herbstliche Kölner Regennacht. Ich werde nervös. Ich will Klarheit, warum ich verfolgt werde. Überraschend und ruckartig drehe ich mich um und frage, doch auch sie bleibt stehen, nähert sich nicht.

Ich geh nun schneller als zuvor. - Sie folgt mir schneller. - Demonstrativ verlangsame ich meinen Schritt wieder. - Sie bleibt in bedeutsam bequemer Entfernung.

Als ich an der Haustür ankomme und aufschließe kommt sie endlich näher. Ihr warmer Schatten schmiegt sich an meinen Körper. Sie lässt die glitschnassen Strähnen meines Haares zärtlich durch ihre langen schlanken Finger gleiten, streichelt mir den Nacken und bittet mehr als sie fragt: "Nimmst du mich noch mit zu Dir? Bitte!"

"Nach dir", lächle ich, erleichtert, dass es nur das ist und stoße die Haustür sperrangelweit auf. Bei einer Flasche Weißwein geraten wir ins Plaudern. Sie erzählt viel, doch nichts von sich. Ständig weicht sie aus, sagt nicht mal wie sei heißt. Sie redet über FreundInnen, Männer und Bekannte. Und obwohl ich glaube, dass sie mich nicht kennen kann, spricht sie viel von denen die mir lieb sind. Ich wage nicht zu fragen woher sie weiß...

Später setzt sie sich vielleicht ein wenig zu cool, zu lässig auf meinen Schoß. Wir küssen uns zunächst vorsichtig und zärtlich, sind aber schon betrunken genug, um schnell die nötige Nähe und Vertrautheit zu finden. Später bemerkt sie beiläufig, dass sie müde sei.

Nur Minuten aber tausend Küsse später steht sie auf und sagt energisch "Also ich geh´ jetzt ins Bett". Sie zieht sich aus, blickt mir, wie zur Bekräftigung unserer Vertrautheit nochmals tief in die Augen. Dabei steht sie in rosa getupfter weißer Spitzenwäsche mitten in der Küche, die auch das Wohnzimmer meiner Zweizimmerbude ist und wirkt ein wenig verloren, ja sogar ein bisschen hilflos.

Doch dann blitzt ein selbstsicheres, liebes Funkeln in ihren Augenwinkeln und sie entlarvt bewusst ihre Provokation. Ich mag jetzt noch nicht bei ihr, mit ihr im Bett liegen. Nicht weil ich irgendwelchen pietistischen Moralvorstellungen anhinge, nicht auf Frauen "stünde" oder mir als Mann-für-eine-Nacht zu schade sei. Doch diese Nacht verbringe ich, einem eher unbestimmten Gefühl folgend lieber zusammengekauert im Sessel.

Als ich spät am Morgen erwache, suche ich sie vergebens. Das Bett gähnt mir leer seine Kälte entgegen. Sie ist schon lange fort. Auf dem Schreibtisch mit dem Jugendstilmuster liegt ein kleiner grauer Schmierzettel, in lila mit meinem Lieblingsfüller geschrieben:

"Guten Morgen du Langweiler!" steht da und noch: "ich liebe dich.

Ciao und bis bald Deine Einsamkeit".
 



 
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