Zugzwang

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JessB

Mitglied
Hallo zusammen,

ich hatte mit dieser Kurzgeschichte an einer Ausschreibung teilgenommen und bin leider abgelehnt worden.
Vielleicht habt ihr konstruktive Kritik, was ich ggf. falsch gemacht habe und was ich besser machen könnte, um Fehler bei weiteren Geschichten nicht zu widerholen. Danke!

Zugzwang von Jessica Bradley


Dröhnend rauschte der Güterzug durch das Gleis, so laut dass er alle anderen Geräusche herum verschluckte. Er kam immer zur gleichen Zeit, am gleichen Gleis. Die Erde unter meinen Füßen vibrierte, ein eiskalter Wind blies mir hart ins Gesicht und veranlasste mich, die Augen zu winzigen Schlitzen zu verschließen. Es wären nur ein paar Schritte gewesen, die mich von ihm trennten. Keine Menschenseele stand mit uns am Gleis. Es wäre so leicht gewesen. Keine Sekunde zu zögern, sondern von hinten an ihn heran zu treten und ihm einen leichten Stoß zu geben. Er hätte es nicht mal rechtzeitig gemerkt. Nuckelte gedankenverloren an seiner Zigarette und stand viel zu nah am Abgrund. Der Sog des durch brausenden Zuges zerrte an seiner Kleidung und riss ihm den Glimmstängel aus dem Mundwinkel. Warum nur nahm er ihn nicht mit? Im Ganzen und zermalmte ihn gewissenlos unter sich. Hätte er es gespürt, das Zerbersten seiner Knochen, das Platzen seines Schädels oder gar das Reißen seiner Sehnen und Muskeln? Ich wünschte, ich wüsste es, ich wünschte, ich hätte den Augenblick nicht verpasst. Nun war es deutlich zu spät. Der letzte Wagon donnerte an uns vorbei und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Still war es wieder, nur der kalte Lufthauch war noch zu spüren. Ich erzitterte. Doch war es die Kälte die mich frösteln ließ oder gar meine Gedanken, die sich so unerbittlich aufdrängten? Wäre ich denn wirklich dazu fähig?
Einem Menschen in einem einzigen Moment das Leben zu stehlen? Ihn aus Freundschaft, Liebe und Familie herauszureißen und hinunterzustoßen in den Tod, aus dem niemand zurückkehrte?
Blechern kündigte der Lautsprecher den nächsten Zug an. Dieser würde halten, keine Chance noch mal über die Situation nachzudenken, vielleicht sogar zu handeln. Widerwillig schlenderte ich zu den Gleisenden, wartend, dass der Zug halten würde. Quietschend bremste er ab. Die Türen glitten mit einem hohen Pfeifton auseinander, direkt vor ihm.
Geräuschvoll strömte mein Atem aus mir und ich kehrte die Schritte zurück. Zurück zu ihm. Ich betrat nach ihm das Abteil, dann drehte er sich plötzlich zu mir um. Ich versank in den sanften Augen. Diese traurigen, tiefblauen Augen, spiegelten die Seele wieder und ließen mich ertrinken. Ich spürte wie der Blick meine eigene Seele reinigte, er wusch einfach das Böse fort. Der Phantasie wurde keinen Raum, keine Gestalt mehr erlaubt. Ich fühlte mich wie ein Held, der den Gipfel erklommen und das Monster in mir getötet hatte. Wärme benetzte mein Herz und streichelte es sanft. Liebe.
Am nächsten Abend stehe ich wieder am Gleis, doch diesmal allein. Salzige Tränen fließen mein Gesicht herab, wie Rinnsale die Gosse. Einige tropfen mir auf die Jacke. Sie hinterlassen nasse Flecken, doch es bedeutet nichts. Meine verkrampfte Hand umklammert mit kalten Fingern eine zerknüllte Zeitung, schwer wie Blei liegt sie in der Hand. Mein Herz zerspringt in tausend Teile, die Narben darauf, tief wie Ackerfurchen, reißen wieder auf. Sie schreiben dass ein junger Mann in den Abendstunden des gestrigen Tages von einer Brücke gesprungen sei. Die blauen, traurigen Augen, auf dem beigesetzten Bild, brennen sich in mein Gehirn und bleiben dort für immer angehaftet.
Er kommt immer zur gleichen Zeit, am gleichen Gleis. Dann trete ich nach vorne.
Gleich kommt der Zug.
 
U

USch

Gast
Hallo Jessica,
eine sehr düstere Geschichte, da muss ich erst mal durchatmen.
Zunächt mal ein paar formale Unstimmigkeiten und kleinere Formulierungs[blue]vorschläge[/blue], wenn du magst:

Dröhnend rauschte der Güterzug [strike]durch [/strike][blue]über [/blue]das Gleis, so laut[blue], Komma![/blue] dass er alle anderen Geräusche herum verschluckte. Er kam immer zur gleichen Zeit, [strike][strike]am gleichen[/strike] [/strike] [blue]auf dem selben[/blue] Gleis. Die Erde unter meinen Füßen vibrierte, ein eiskalter Wind blies mir hart ins Gesicht und veranlasste mich, die Augen zu winzigen Schlitzen zu verschließen. Es wären nur ein paar Schritte gewesen, die mich von ihm trennten. Keine Menschenseele stand mit uns am Gleis. Es wäre so leicht gewesen. Keine Sekunde zu zögern, sondern von hinten an ihn heran zu treten und ihm einen leichten Stoß zu geben. Er hätte es nicht mal rechtzeitig gemerkt. Nuckelte gedankenverloren an seiner Zigarette und stand viel zu nah am Abgrund. Der Sog des [blue]durchbrausenden [/blue]Zuges zerrte an seiner Kleidung und riss ihm den Glimmstängel aus dem Mundwinkel. Warum nur nahm er ihn nicht mit[strike]? Im Ganzen[/strike] und zermalmte ihn gewissenlos unter sich[blue]? [/blue]Hätte er es gespürt, das Zerbersten seiner Knochen, das Platzen seines Schädels oder gar das Reißen seiner Sehnen und Muskeln? Ich wünschte, ich wüsste es[strike], ich wünschte, ich hätte den Augenblick nicht verpasst[/strike]. Nun war es deutlich zu spät. Der letzte Wagon donnerte an uns vorbei und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Still war es wieder, nur der kalte Lufthauch war noch zu spüren. Ich [strike]er[/strike]zitterte. Doch war es die Kälte die mich frösteln ließ oder gar meine Gedanken, die sich so unerbittlich aufdrängten? Wäre ich denn wirklich dazu fähig?
Einem Menschen in einem einzigen Moment das Leben zu stehlen? Ihn aus Freundschaft, Liebe und Familie herauszureißen und hinunterzustoßen in den Tod, aus dem niemand zurückkehrte?
[blue]Hier würde ich einen Absatz machen.[/blue]

Blechern kündigte der Lautsprecher den nächsten Zug an. Dieser würde halten, keine Chance noch mal über die Situation nachzudenken, vielleicht sogar zu handeln. Widerwillig schlenderte ich zu den Gleisenden, [strike]wartend, dass der Zug halten würde[/strike] [blue]um den nächsten Zug abzuwarten. [/blue]Quietschend bremste er ab. Die Türen glitten mit einem hohen Pfeifton auseinander, direkt vor ihm.
Geräuschvoll strömte mein Atem aus mir und ich kehrte die Schritte zurück[strike]. Zurück[/strike] zu ihm[strike]. Ich[/strike] und betrat [strike]nach ihm [/strike]dasselbe Abteil[blue]. D[/blue]ann drehte er sich plötzlich zu mir um. [blue]Ich versank in seinen sanften, tiefblauen Augen, die seine Seele spiegelten. [/blue]Ich spürte wie der Blick meine eigene Seele reinigte, er wusch einfach das Böse fort. Der Phantasie wurde keinen Raum, keine Gestalt mehr erlaubt. Ich fühlte mich wie ein Held, der den Gipfel erklommen und das Monster in mir getötet hatte. Wärme benetzte mein Herz und streichelte es sanft. Liebe.
Am nächsten Abend stehe ich wieder am Gleis, doch diesmal allein. Salzige Tränen fließen mein Gesicht herab, wie Rinnsale die Gosse. Einige tropfen mir auf die Jacke. Sie hinterlassen nasse Flecken, doch es bedeutet nichts. Meine verkrampfte Hand umklammert mit kalten Fingern eine zerknüllte Zeitung, schwer wie Blei liegt sie in der Hand. Mein Herz zerspringt in tausend Teile, die Narben darauf, tief wie Ackerfurchen, reißen wieder auf. Sie schreiben dass ein junger Mann in den Abendstunden des gestrigen Tages von einer Brücke gesprungen sei. Die blauen, traurigen Augen[red][strike], [/strike][/red]auf dem beigesetzten Bild[red][strike],[/strike][/red]brennen sich in mein Gehirn und bleiben dort für immer [strike]ange[/strike][blue]ver[/blue]haftet.
Er kommt immer zur gleichen Zeit, am gleichen Gleis. Dann trete ich nach vorne.
Gleich kommt der Zug.

LG USch
 

JessB

Mitglied
Hallo Usch,

danke für deine schnelle Resonanz.
Deine Vorschläge sind super und haben an vielen Stellen bei mir einen aha - Effekt ausgelöst, danke dafür :)
Ich hatte zwischendurch das Gefühl, das meine Sätze zu abgehakt sind.

Mit dem Absatz hatte ich zuerst auch gehadert, dachte dann aber, da die Geschichte so kurz ist, das ich darauf verzichten kann.
Ich muss dir allerdings Recht geben, es sieht doch besser aus. ;)

Lediglich mit einer Sache komm ich nicht ganz klar:
...bleiben dort für immer [strike]ange[/strike]verhaftet.
Verhaftet, verstehe ich eher als Verbrecher verhaften. Das stört mich etwas im Lesefluss. Ich denke dem kann man ausweichen, indem ich einfach das Wort "eingebrannt" benutze.
Wie ich finde ein guter Kompromis?!
 

Vagant

Mitglied
Hallo Jessica,ich sag's am besten mal gleich: mir hat die Geschichte ganz gut gefallen. Schreiben kannst du, daran kann es nicht gelegen haben. Vielleicht hat den Juroren ja die Geschichte drum herum gefehlt. Es ist immer schwierig wenn ein Ich-Erzähler die ganze Zeit nur von sich und seiner Innenwelt berichtet. Der Ich-Erzähler hat seinen stärksten Momente ja meist dann, wenn er von anderen erzählt. Vielleicht das Thema noch einmal anfassen, die Perspektive wechseln und eine kleine Geschichte dazu erzählen. Das Zeug dazu hast du allemal.
LG Vagant.
 

JessB

Mitglied
Die haben mir mit einer persönlichen Email abgesagt. Mit der Begründung (so habe ich es verstanden) das bereits zu viele Autoren, den gleichen Inhalt behandelt haben.
Aber sie haben mir geraten, doch an der nächsten Ausschreibung nochmal teilzunehmen.
Danke für das Kompliment. Ich habe auch die letzten 1-2 Jahre hart an mir gearbeitet. (siehe alte Geschichte hier)

Aber deine Idee greife ich gerne auf. Und werde die Geschichte nochmal aus einer anderen Perspektive schreiben...träume deinen Traum nochmal...
 

herziblatti

Mitglied
Hallo JessB, der Ich-Erzähler, der überlegt, ob er einen Menschen vor den Zug stoßen soll - was ist mit dem los? Ist es Wut oder reine Langeweile? Ist der Protagonist männlich oder weiblich, alt oder jung? Ein guter Text beantwortet zumindest diese Fragen bzw. wirft sie nicht auf -
LG - herziblatti
 



 
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