Zum Liebsten

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Lakritze

Mitglied
Als ich ankam, war es spät. Das Tor gab dem Rütteln nicht nach, nirgends brannte Licht; die Straße lag in winterlicher Dunkelheit. Ich sollte weiterfahren, ins Helle, Warme, nächstes Mal wiederkommen. Bei Tag. Wenn hier Menschen ein- und ausgehen.

Stattdessen nahm ich die Rose aus dem Papier und suchte mir ein Stück Stiel ohne Dornen, wo ich sie gut festhalten konnte. Dann ging ich bis ans Ende der Straße und weiter, den schmalen Weg an der Mauer entlang. Ich dachte an die vielen, vielen Male, die ich ihn besucht hatte — an das Herzklopfen jedes Mal, wenn ich klingelte. Wenn er mir die Tür öffnete. Wenn wir uns in die Arme nahmen.

Heute mußte ich mir selber helfen. Lehm beschwerte meine Schuhe, als ich die hintere Pforte fand: auch sie verschlossen, weit und breit kein Mensch zu sehen.

Die Rose parkte ich auf der Mauer und nahm Maß. Mit etwas Anlauf und zusammengebissenen Zähnen schwang ich mich auf das Tor, die schmerzhaften Zacken vermeidend; kurz hing ich mit dem Mantel fest. Als ich auf der anderen Seite auf dem Kiesweg landete, atmete ich schneller.

Ich ging mit meiner Rose durch die Nacht. Den Weg fand ich wie im Schlaf, ein Stück geradeaus bis zu der kleinen Eberesche, dann links; der vorletzte Stein in dieser Reihe.

Mein Liebster, dachte ich. Spürst du mein Herz klopfen? Das, und nur das ist die richtige Art, dich zu besuchen.

Ich legte die Rose auf die Erde und machte mich auf den Weg zurück.
 

Eva

Mitglied
Guten Morgen Lakritze,
mein Herz klopft noch ein bißchen schneller von deiner Geschichte. Sie hat mich berührt. Voller Neugier las ich unbeschwert bis zu dem Wort "Stein"- an dieser Stelle kam eine dunkle Ahnung. Trotz aller Traurigkeit hat sie mich gefesselt.
Liebe Grüße, Eva.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo lakritze,
dieser text gefaellt mir gut. straff erzaehlt, begleite ich den prot bis zum ende des weges. fuehrst mich gekonnt an der nase herum bei dieser speziellen, tragischen liebesgeschichte.
natuerlich ahnt der leser sozusagen das ende des weges und damit auch des stueckes.
aber da du zuegig voranschreitest gelingt der plot und seine ueberaschung.

hier ein paar vorschlaege von mir:

du beginnst mit einem nebensatz. das stellte ich um.
z.b.
es war spaet. nirgends brannte licht.
die strasse lag in winterlicher dunkelheit.
'fahr weiter, komm wieder wenn es hell ist ' sagte ich leise zu mir selbst...

zum ende:
ueberlege dir doch einmal,ob es nicht ratsam waere die geschichte einen halben satz frueher zu beenden.
findet der leser nicht selbst den weg zurueck?

dir einen lieben gruss
ralf
 

Lakritze

Mitglied
Es war spät, als ich ankam. Das Tor gab dem Rütteln nicht nach, nirgends brannte Licht; die Straße lag in winterlicher Dunkelheit. Alles sagte: Fahr weiter, ins Helle, Warme, komm nächstes Mal wieder. Bei Tag. Wenn hier Menschen ein- und ausgehen.

Stattdessen nahm ich die Rose aus dem Papier und suchte mir ein Stück Stiel ohne Dornen, wo ich sie gut festhalten konnte. Dann ging ich bis ans Ende der Straße und weiter, den schmalen Weg an der Mauer entlang. Ich dachte an die vielen, vielen Male, die ich ihn besucht hatte — an das Herzklopfen jedes Mal, wenn ich klingelte. Wenn er mir die Tür öffnete. Wenn wir uns in die Arme nahmen.

Heute mußte ich mir selber helfen. Lehm beschwerte meine Schuhe, als ich die hintere Pforte fand: auch sie verschlossen, weit und breit kein Mensch zu sehen.

Die Rose parkte ich auf der Mauer und nahm Maß. Mit etwas Anlauf und zusammengebissenen Zähnen schwang ich mich auf das Tor, die schmerzhaften Zacken vermeidend; kurz hing ich mit dem Mantel fest. Als ich auf der anderen Seite auf dem Kiesweg landete, atmete ich schneller.

Ich ging mit meiner Rose durch die Nacht. Den Weg fand ich wie im Schlaf: ein Stück geradeaus bis zu der kleinen Eberesche, dann links; der vorletzte Stein in dieser Reihe.

Mein Liebster, dachte ich. Spürst du mein Herz klopfen? Das, und nur das, ist die richtige Art, dich zu besuchen.

Ich legte die Rose auf die Erde.
 

Lakritze

Mitglied
Eva, dann hat es funktioniert. Danke für die Rückmeldung.

Ralf, ich hab mal den Beginn umgestellt -- Hauptsatz an den Anfang, aber die Blickrichtung Tor, Lichter, ganze Straße beibehalten. Das Ende reicht halbiert tatsächlich aus (auch wenn es mich jetzt in den Fingern juckt, noch etwas hinzuschreiben. Ich werde es bleiben lassen).
Danke für den frischen Blick.
 



 
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