Zum Weinen
„Hör mal, Schatz“, legte Renate Broser die Zeitung beiseite, „hier steht, dass einer Umfrage nach mehr als sechzig Prozent aller erwachsenen Fernsehzuschauer vor dem Gerät weinen, hättest du das gedacht?“
Ihr Ehemann Horst schaltete den Fernseher aus und nahm ein Taschentuch zur Hand, um seine Brille zu putzen.
„Was sagst du da, Renate? Das ich nicht lache! Sechzig Prozent! Wo die das nur wieder herhaben, diese Zeitungsschmierer. Na, ja, ich gehöre jedenfalls nicht dazu, wie du siehst, habe ich nicht vor dem Gerät geweint.“
„Darum geht es ja gar nicht, Horst, so ist das doch nicht gemeint. Die Zeitung will damit ja nur sagen, dass einer statistischen Umfrage zufolge sechzig Prozent aller erwachsenen Personen ab und an vor dem Fernseher weinen, nicht ständig.“
„Na gut, ab und an ist das Programm ja wirklich zum Heulen, vielleicht meinen die das damit. Ich jedenfalls, für meinen Teil, gehöre, wie gesagt, nicht dazu, ich weine äußerst selten, wie du weißt, ich habe nicht einmal beim Tod meiner Mutter geweint.“
„Das weiß ich noch sehr gut, mein Lieber, und bei dem meiner Mutter auch nicht“, seufzte die Frau, „du roher Mensch würdest nicht einmal weinen, wenn ich tot bin.“
„Aber Renate, was soll das denn? Noch lebst du ja schließlich, und wenn du wirklich…na, ja, dann entscheide ich immer noch selbst, ob ich weine oder nicht, außerdem würdest du es ja dann doch nicht mehr erleben.“
„Du Scheusal“, schluchzte Renate, griff nun ihrerseits zum Taschentuch und ließ ihren Tränen freien Lauf, „was habe ich bloß für einen Mann geheiratet, der nicht einmal bei meiner Beerdigung weint.“
„Aber Renate, verdammt noch mal, was soll das denn“, entgegnete Horst verärgert, „was hat das denn damit zu tun? Ich habe nur gesagt, dass ich nicht vor dem Fernseher weine, mehr nicht. Ich darf doch schließlich vor dem Fernseher machen, was ich will.“
Ein mittlerer Ehekrach bahnte sich da seinen Weg, als die halbwüchsige Tochter das Zimmer betrat.
„Mama, warum weinst du denn?“
„Ich weine“, stieß die Mutter unter Tränen hervor, „weil dein Vater mir soeben mitgeteilt hat, dass er bei meiner Beerdigung nicht weinen wird.“
„Was?“
„Ja, Kind ich bin genau so entsetzt wie du. Da ist man nun mehr als zwanzig Jahre verheiratet und weiß immer noch nicht, wen man da zum Mann hat.“
„Was für’n Quatsch, Mama, wie kommst du denn darauf? Wie kommt ihr denn auf so ein Thema, was ist denn in euch gefahren? Papa, sag du doch auch mal was.“
„Was soll ich da sagen, Yvonne“, entgegnete der Vater achselzuckend, „deine Mutter ist einfach verrückt geworden, just in diesem Moment.“
„Mann, Papa, nun sag doch mal, was passiert ist. Wieso sprecht ihr von Mamas Beerdigung?“
„Ich will ja gar nicht davon sprechen“, erwiderte der Vater wütend, „es ist deine Mutter, die davon angefangen hat. So ein Quatsch, mitten im blühenden Leben, ich sag ja, sie ist verrückt geworden.“
Renate Broser schluchzte laut auf. Ungläubig blickte die Tochter von der weinenden Mutter zum zornigen Vater, dann besann sie sich eines anderen. Fürsorglich nahm sie ihre Mutter in den Arm.
„Komm, Mama, wir wollten uns doch im Fernsehen die Hochzeit der Prinzessin von Hohenlohe ansehen, in meinem Zimmer. Deshalb bin ich eigentlich gekommen:“
„Ach, ja, die Märchenhochzeit“, seufzte Renate und trocknete ihre Tränen. Am Arm ihrer Tochter verließ sie das Zimmer; beim Hinausgehen warf sie ihrem Mann einen bitterbösen Blick zu. Ungerührt nahm dieser die Fernbedienung zur Hand und schaltete den Fernseher an. Das Fußballspiel hatte gerade begonnen. Die beiden Damen waren noch nicht im Zimmer der Tochter angekommen, als sie einen lauten Schrei vernahmen.
„Toor! Toor!“
„So ein Rohling“, sagte Renate mit finsterer Miene, „Sport, das ist das Einzige, was ihn interessiert.“
„Komm, Mama, beruhige dich, wir schauen uns jetzt die Hochzeit an, dann kommst du garantiert auf andere Gedanken.“
Einige Minuten später erhob sich Horst Broser und eilte in die Küche, um sich ein Bier zu holen. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, schloss er behutsam die Tür. Sodann schaltete er den Fernseher um, auf einen anderen Kanal.
Schon bei den ersten Bildern, die von der Märchenhochzeit übertragen wurden, begann der hartgesottene Mann hemmungslos zu weinen.
„Hör mal, Schatz“, legte Renate Broser die Zeitung beiseite, „hier steht, dass einer Umfrage nach mehr als sechzig Prozent aller erwachsenen Fernsehzuschauer vor dem Gerät weinen, hättest du das gedacht?“
Ihr Ehemann Horst schaltete den Fernseher aus und nahm ein Taschentuch zur Hand, um seine Brille zu putzen.
„Was sagst du da, Renate? Das ich nicht lache! Sechzig Prozent! Wo die das nur wieder herhaben, diese Zeitungsschmierer. Na, ja, ich gehöre jedenfalls nicht dazu, wie du siehst, habe ich nicht vor dem Gerät geweint.“
„Darum geht es ja gar nicht, Horst, so ist das doch nicht gemeint. Die Zeitung will damit ja nur sagen, dass einer statistischen Umfrage zufolge sechzig Prozent aller erwachsenen Personen ab und an vor dem Fernseher weinen, nicht ständig.“
„Na gut, ab und an ist das Programm ja wirklich zum Heulen, vielleicht meinen die das damit. Ich jedenfalls, für meinen Teil, gehöre, wie gesagt, nicht dazu, ich weine äußerst selten, wie du weißt, ich habe nicht einmal beim Tod meiner Mutter geweint.“
„Das weiß ich noch sehr gut, mein Lieber, und bei dem meiner Mutter auch nicht“, seufzte die Frau, „du roher Mensch würdest nicht einmal weinen, wenn ich tot bin.“
„Aber Renate, was soll das denn? Noch lebst du ja schließlich, und wenn du wirklich…na, ja, dann entscheide ich immer noch selbst, ob ich weine oder nicht, außerdem würdest du es ja dann doch nicht mehr erleben.“
„Du Scheusal“, schluchzte Renate, griff nun ihrerseits zum Taschentuch und ließ ihren Tränen freien Lauf, „was habe ich bloß für einen Mann geheiratet, der nicht einmal bei meiner Beerdigung weint.“
„Aber Renate, verdammt noch mal, was soll das denn“, entgegnete Horst verärgert, „was hat das denn damit zu tun? Ich habe nur gesagt, dass ich nicht vor dem Fernseher weine, mehr nicht. Ich darf doch schließlich vor dem Fernseher machen, was ich will.“
Ein mittlerer Ehekrach bahnte sich da seinen Weg, als die halbwüchsige Tochter das Zimmer betrat.
„Mama, warum weinst du denn?“
„Ich weine“, stieß die Mutter unter Tränen hervor, „weil dein Vater mir soeben mitgeteilt hat, dass er bei meiner Beerdigung nicht weinen wird.“
„Was?“
„Ja, Kind ich bin genau so entsetzt wie du. Da ist man nun mehr als zwanzig Jahre verheiratet und weiß immer noch nicht, wen man da zum Mann hat.“
„Was für’n Quatsch, Mama, wie kommst du denn darauf? Wie kommt ihr denn auf so ein Thema, was ist denn in euch gefahren? Papa, sag du doch auch mal was.“
„Was soll ich da sagen, Yvonne“, entgegnete der Vater achselzuckend, „deine Mutter ist einfach verrückt geworden, just in diesem Moment.“
„Mann, Papa, nun sag doch mal, was passiert ist. Wieso sprecht ihr von Mamas Beerdigung?“
„Ich will ja gar nicht davon sprechen“, erwiderte der Vater wütend, „es ist deine Mutter, die davon angefangen hat. So ein Quatsch, mitten im blühenden Leben, ich sag ja, sie ist verrückt geworden.“
Renate Broser schluchzte laut auf. Ungläubig blickte die Tochter von der weinenden Mutter zum zornigen Vater, dann besann sie sich eines anderen. Fürsorglich nahm sie ihre Mutter in den Arm.
„Komm, Mama, wir wollten uns doch im Fernsehen die Hochzeit der Prinzessin von Hohenlohe ansehen, in meinem Zimmer. Deshalb bin ich eigentlich gekommen:“
„Ach, ja, die Märchenhochzeit“, seufzte Renate und trocknete ihre Tränen. Am Arm ihrer Tochter verließ sie das Zimmer; beim Hinausgehen warf sie ihrem Mann einen bitterbösen Blick zu. Ungerührt nahm dieser die Fernbedienung zur Hand und schaltete den Fernseher an. Das Fußballspiel hatte gerade begonnen. Die beiden Damen waren noch nicht im Zimmer der Tochter angekommen, als sie einen lauten Schrei vernahmen.
„Toor! Toor!“
„So ein Rohling“, sagte Renate mit finsterer Miene, „Sport, das ist das Einzige, was ihn interessiert.“
„Komm, Mama, beruhige dich, wir schauen uns jetzt die Hochzeit an, dann kommst du garantiert auf andere Gedanken.“
Einige Minuten später erhob sich Horst Broser und eilte in die Küche, um sich ein Bier zu holen. Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, schloss er behutsam die Tür. Sodann schaltete er den Fernseher um, auf einen anderen Kanal.
Schon bei den ersten Bildern, die von der Märchenhochzeit übertragen wurden, begann der hartgesottene Mann hemmungslos zu weinen.