Zum zweiten Mal neugeboren...

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Ganz langsam kam ich wieder zu mir, nur in meinem Unterbewusstsein blieb noch der seltsame Eindruck, als würde ich nach einem unendlos langen Traum wieder erwachen und in die Realität zurückfinden. Meine Augen hielt ich noch geschlossen und ich rührte mich nicht, sondern verharrte noch kurz in meiner Stellung um dieses eigenartige Gefühl noch ein wenig länger festzuhalten. Dann versuchte ich mich zu strecken, doch meine Glieder stießen gegen etwas Hartes, doch gleichzeitig sehr Filigranes. Ich versuchte es noch einmal, diesmal mit etwas mehr Kraft, woraufhin ich ein leises Knacken vernahm, gefolgt von einem weiteren, und auf meinen Druck hin bekam die Wand, die mich umgab, lauter kleiner Risse. Schließlich zersprang sie wie Porzellan und fiel auf die Erde herab, wo sie in winzige Splitter zerbarst. Immer noch waren meine Augen fest geschlossen und als ich sie zum ersten Mal öffnete, musste ich sie sofort wieder schließen, so sehr blendete mich das gleißende Licht, das mir in die Augen stach. Ich kniff sie vor Schmerz zusammen und es dauerte noch einen kurzen Moment, bevor ich mich traute, meine Augen erneut einen Spalt breit zu öffnen um auf das zu spähen, was vor mir lag; vorsichtig blinzelte ich unter meinen Augenlidern hervor und versuchte zu erkennen, wo ich war.
Alles, an was ich mich bisher erinnern konnte, war ein Ort, der mir jetzt so weit entfernt schien, dass ich mich fragte, ob ich jemals dort gewesen war, ob es ihn denn wirklich gab oder ob sich nicht alles nur in meiner Fantasie abgespielt hatte. In meiner Erinnerung war es ein ruhiger, friedlicher Ort gewesen, der völlig in reines Weiß getaucht war. Eine Melodie ertönte in meinem Kopf, eine Melodie, von der man dort ständig umgeben gewesen war und die einen wie eine sanfte Umarmung gewiegt hatte. Bei ihrem Klang hatte ich mich geborgen gefühlt, sicher und aufgehoben, und außer dieser Melodie und der Ruhe hatte es dort nichts gegeben; selbst wenn ich jetzt, wo auch immer ich mich nun befand, an diesen Ort dachte, erfüllte mich ein innerer Frieden, dessen Ursache mir aber nicht ganz klar war.
Die Landschaft, die sich mir nun zeigte, hatte jedoch nichts mit dem Ort in meiner Erinnerung gemein: Ein Meer aus Farben lag vor mir, Zirpgeräusche drangen an mein Ohr und ein süßlicher, wilder Duft, den ich noch nie zuvor wahrgenommen hatte, erfüllte die Luft. Ich blickte auf eine weite Graslandschaft, die in einem satten Grün erstrahlte und nur so durchsetzt war von bunten Tupfern. Prächtig schillernde Farben von zig Arten von Blumen; Löwenzahn, Maiglöckchen, Hänsel und Gretel, Veilchen, Glockenblumen, Goldsterne, wilde Krokusblüten, Margeriten, Hahnenfuß und unzählige mehr leuchteten mir entgegen. Der liebliche Duft der Blumen und der würzige, frische Geruch der Wiese ergaben ein einzigartiges Aroma, das ich gierig aufsog und von dem ich gar nicht genug bekommen konnte. Ich spürte förmlich, wie meine Sinne belebt wurden und sich alles in mir zu regen begann, meine Glieder wach wurden und mein Verstand immer mehr von meiner Umgebung registrierte. Ich spürte den Windhauch, der mich sanft streifte, hörte das Plätschern eines Bächleins ganz in meiner Nähe und das emsige Treiben unzähliger kleiner Wesen, die die Landschaft vor mir bevölkerten, sah, wie die Blüten und Grashalme sachte im Takt des Windes hin und her schwangen und Löwenzahnsamen, die von ihm in die Ferne fortgetragen wurden, hin zu einer Reise ins Unbekannte. Und alles leuchtete im hellen Licht der Sonne, an das sich meine Augen nunmehr gewöhnt hatten und deren wohliges Gefühl der Wärme mir ein Lächeln ins Gesicht zauberte.
Ich vergaß den ruhigen Ort, an dem ich mich eben noch zu befinden geglaubt hatte und der nicht Teil dieser sich vor mir auszubreitenden Welt zu sein schien und war mir nur mehr dieser einen Sache absolut gewiss: Ich war zuhause. Dann breitete ich meine Flügel, deren Schattierungen und Muster im Licht ein einzigartiges Farbspiel ergaben, aus und schwang mich hoch in die Lüfte, der Sonne entgegen.
 



 
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