Zur Fingerübung Nr. 7…

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Anonym

Gast
Ich weiß nicht, ob alles hätte auch anders sein können. Ob ich eine Chance hatte, es zu verhindern. Ob du eine Chance hattest, es zu verhindern. Ich sah, dass dich seine Ungerechtigkeit verletzte, dass er die Waffe Beleidigt-Sein gut gegen dich führte. Du musst ihn sehr geliebt haben, um das zu ertragen. Ich wollte dir diese Kraft nicht nehmen. Und schwieg.

Ich weiß nicht, ob alles anders wäre heute. Ob ich anders wäre. Ob du anders wärst. Ich sehe, dass du an ihn zurückdenkst als nicht wirklich einfachen Teil deines Lebens. Du musst ihn sehr geliebt haben, wenn du es trotzdem mit keinem Gedanken in Frage stellst. Ich will dir diese Sicherheit nicht nehmen und schweige.

Ich weiß nicht, ob du ihn wirklich geliebt hast. Ich hoffe es für dich. Ich hoffe es um meinetwillen.

Also frage ich dich, so viele Jahre danach frage ich dich: „Hast du ihn geliebt, Mutti?“

Und du sagst: „Es war eher eine liebevolle Freundschaft.“

Ich weiß nicht mehr, ob du dabei gelächelt hast oder nicht, ob das Radio lief oder was sonst rundum war. Ich weiß nur noch, dass er es in diesem Moment endgültig geschafft hatte, meine Kindheit zu töten. Lange nach meiner Kindheit und lange nach seinem eigenen Tod. Und nichts wird daran je etwas ändern.
 



 
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