blaustrumpf
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Zur Mitte, zur Titte...
Oder: Neulich im Prater
Am Nebentisch geht es hoch her. Morgen ist Feiertag und der Kellner hat gerade die neue Runde gebracht. Wohlsein, Kameraden, der neue Tag soll uns nicht nüchtern sehen. Einen Tisch weiter besiegt die Frau um die Fünfzig gerade einen Jüngling beim Armdrücken. Er ist peinlich berührt. Unter den rund zwanzig Gästen um die Holzplatte sitzen drei kichernde Japanerinnen, die das Geschehen mit ihren Digitalkameras einfangen wollen. Ein Mädchen mit Armverband kreischt schrill auf. Hat ihr jemand an den Gips gefasst oder gar sonst wohin? Ihr spitzer Schrei durchschneidet das Stimmengeflecht in der Gaststube.
Noch einen Tisch weiter sitzen schneidige Burschen, mit Durchschnittsgesichtern. Auch ihnen schmeckt das Budweiser Bier. Und nach alter Väter Sitte bedarf es eines Trinkspruchs, wenn die neue Runde kommt. Also, Burschen. Zur Mitte. Zur Titte. Zum Sack. Zack. Den Kellnern ist es egal, wenn das Bier überschwappt. Aber nun haben sie sich entdeckt, die Trinksprüchler und die Kameraden. Der Wettbewerb, wer lauter und länger kann, ist eröffnet.
Mutig wirft sich einer der Jungmänner in den Kampf.
„OOOOOOOOOOOOÖööööööööööö, un aans, zwoa, draaaaaaaaa, jööööö, PUDERN!“
Sein überforderter Kehlkopf lässt für Sekundenbruchteile Spuren des Jahre zurückliegenden Stimmbruchs ahnen. Die Kameraden lächeln nachsichtig und prosten sich zu. Auch die Burschenschafter widmen sich wieder dem Bier. Der Lärmpegel sinkt um entscheidende Dezibel.
Leselupentreffen Wien. Stresa bleibt verschollen und auch tsunami taucht nicht auf. Aber sekers wartete schon auf uns, als kaffeehausintellektuelle und ich an dem für „Rilke“ reservierten Tisch eintrafen. Violetta hatte es kurz nach neun auch geschafft. Irgendwann wurde es uns draußen zu kalt. Eilfertig besorgte der Kellner einen freien Tisch in einer der Gaststuben, zum Missvergnügen des Kollegen, in dessen Revier gewildert wurde. Nun sitzen wir hier, umtost von Juchzen und Grölen, könnten volkskundliche Studien treiben, zum Thema „Jungmänner bei der ritualisierten Alkoholaufnahme“.
Aber uns interessiert anderes. Und die Stimmung ist auch bei uns hoch. Übermütig wetten wir darauf, wie viel Eismarillenknödel der Kellner nun bringen wird. Violetta gewinnt. Mit einem Lächeln kassiert sie. Und schon wieder gewinnt sie. Oder hat sie den Münzentscheid, wer den Lesereigen eröffnen wird, vielleicht doch verloren?
Das Gejohle an den Nachbartischen macht diese Lesung zu einem Erlebnis besonderer Art. Aber schon sind wir nicht mehr im Schweizerhaus, abends beim Bier oder Radler. Wir sitzen in einer Küche, morgens, vor acht, der Kaffee reicht auch für uns vier. Eine Geschichte von Liebe und Betrug hat Violetta mitgebracht, mit einem Schluss, der die Erzählung beendet und ihren Ausgang weit offen lässt. Lea, das Opfer. Lea, die Kämpferin. Lea, die uns zu denken gibt. Da können die Jungmänner noch so schreien.
Wer sich nicht produziert, ist der Mann in unserer Runde. Sekers zieht keinen eigenen Text aus dem Jackett. Wir sind geneigt, sein Angebot anzunehmen, stattdessen aus dem „Faust“ vorzulesen. Warum haben wir dann eigentlich doch darauf verzichtet. Nicht nur die Stimme am Nebentisch zeigt starke Schwächen. Faust verschwindet wieder in der Tasche.
Der kaffeehausintellektuelle Beitrag entführt in eine Buchhandlung. Auch hier erwartet uns eine dunkle Schlusspointe: Hat er, hat er nicht? „Alles inklusive“ ist Etikettenschwindel: So viel bleibt angedeutet oder gar ungesagt. Unsere Fantasie macht Überstunden. Wir vergleichen, bedenken, und freuen uns, dass dieses Mal keine anonymen Wertungen das Gesamtbild verzerren können.
Mein Auftritt. Aber der Kellner stiehlt mir die Show.
„Sperrstunde, Herrschaften!“
Fünf Minuten noch. Das reicht für einen Text ohne Küche, ohne Bücher, ohne Dialog. Mein Name ist Nobody. Aber er ist ohnehin egal. Du wirst ihn nicht nennen. Was soll man dazu noch sagen? Vielleicht fiele uns manches ein, aber die Kellner wollen heim. Wir nicht. Noch nicht.
Wenige Schritte nur. Schon sitzen wir in der nächsten Beiz. Kurze Zeit später treffen auch die Kameraden vom Nebentisch ein, mit ein paar Burschenschaftern im Schlepptau. Aber ihre Stimmen haben gelitten, sie sind leiser geworden. Ich nicht. Ich habe Bühnenluft geschnuppert. Und ich lese. Violetta, sekers, kaffeehausintellektuelle, sie wehren mir nicht, sind mit konstruktiver Kritik, mit Anerkennung und ihrem Lächeln bei mir.
Im März loggte ich durch Zufall in der Leselupe ein. Jetzt ist es Juni, gegen eins, frühmorgens, am 19. Wir halten uns nicht auf mit albernen Trinksprüchen. Texte können lustig sein, ohne albern zu wirken. Und beim nächsten Treffen liest sekers den Faust vor. Oder eigenes. Endlich.
Oder: Neulich im Prater
Am Nebentisch geht es hoch her. Morgen ist Feiertag und der Kellner hat gerade die neue Runde gebracht. Wohlsein, Kameraden, der neue Tag soll uns nicht nüchtern sehen. Einen Tisch weiter besiegt die Frau um die Fünfzig gerade einen Jüngling beim Armdrücken. Er ist peinlich berührt. Unter den rund zwanzig Gästen um die Holzplatte sitzen drei kichernde Japanerinnen, die das Geschehen mit ihren Digitalkameras einfangen wollen. Ein Mädchen mit Armverband kreischt schrill auf. Hat ihr jemand an den Gips gefasst oder gar sonst wohin? Ihr spitzer Schrei durchschneidet das Stimmengeflecht in der Gaststube.
Noch einen Tisch weiter sitzen schneidige Burschen, mit Durchschnittsgesichtern. Auch ihnen schmeckt das Budweiser Bier. Und nach alter Väter Sitte bedarf es eines Trinkspruchs, wenn die neue Runde kommt. Also, Burschen. Zur Mitte. Zur Titte. Zum Sack. Zack. Den Kellnern ist es egal, wenn das Bier überschwappt. Aber nun haben sie sich entdeckt, die Trinksprüchler und die Kameraden. Der Wettbewerb, wer lauter und länger kann, ist eröffnet.
Mutig wirft sich einer der Jungmänner in den Kampf.
„OOOOOOOOOOOOÖööööööööööö, un aans, zwoa, draaaaaaaaa, jööööö, PUDERN!“
Sein überforderter Kehlkopf lässt für Sekundenbruchteile Spuren des Jahre zurückliegenden Stimmbruchs ahnen. Die Kameraden lächeln nachsichtig und prosten sich zu. Auch die Burschenschafter widmen sich wieder dem Bier. Der Lärmpegel sinkt um entscheidende Dezibel.
Leselupentreffen Wien. Stresa bleibt verschollen und auch tsunami taucht nicht auf. Aber sekers wartete schon auf uns, als kaffeehausintellektuelle und ich an dem für „Rilke“ reservierten Tisch eintrafen. Violetta hatte es kurz nach neun auch geschafft. Irgendwann wurde es uns draußen zu kalt. Eilfertig besorgte der Kellner einen freien Tisch in einer der Gaststuben, zum Missvergnügen des Kollegen, in dessen Revier gewildert wurde. Nun sitzen wir hier, umtost von Juchzen und Grölen, könnten volkskundliche Studien treiben, zum Thema „Jungmänner bei der ritualisierten Alkoholaufnahme“.
Aber uns interessiert anderes. Und die Stimmung ist auch bei uns hoch. Übermütig wetten wir darauf, wie viel Eismarillenknödel der Kellner nun bringen wird. Violetta gewinnt. Mit einem Lächeln kassiert sie. Und schon wieder gewinnt sie. Oder hat sie den Münzentscheid, wer den Lesereigen eröffnen wird, vielleicht doch verloren?
Das Gejohle an den Nachbartischen macht diese Lesung zu einem Erlebnis besonderer Art. Aber schon sind wir nicht mehr im Schweizerhaus, abends beim Bier oder Radler. Wir sitzen in einer Küche, morgens, vor acht, der Kaffee reicht auch für uns vier. Eine Geschichte von Liebe und Betrug hat Violetta mitgebracht, mit einem Schluss, der die Erzählung beendet und ihren Ausgang weit offen lässt. Lea, das Opfer. Lea, die Kämpferin. Lea, die uns zu denken gibt. Da können die Jungmänner noch so schreien.
Wer sich nicht produziert, ist der Mann in unserer Runde. Sekers zieht keinen eigenen Text aus dem Jackett. Wir sind geneigt, sein Angebot anzunehmen, stattdessen aus dem „Faust“ vorzulesen. Warum haben wir dann eigentlich doch darauf verzichtet. Nicht nur die Stimme am Nebentisch zeigt starke Schwächen. Faust verschwindet wieder in der Tasche.
Der kaffeehausintellektuelle Beitrag entführt in eine Buchhandlung. Auch hier erwartet uns eine dunkle Schlusspointe: Hat er, hat er nicht? „Alles inklusive“ ist Etikettenschwindel: So viel bleibt angedeutet oder gar ungesagt. Unsere Fantasie macht Überstunden. Wir vergleichen, bedenken, und freuen uns, dass dieses Mal keine anonymen Wertungen das Gesamtbild verzerren können.
Mein Auftritt. Aber der Kellner stiehlt mir die Show.
„Sperrstunde, Herrschaften!“
Fünf Minuten noch. Das reicht für einen Text ohne Küche, ohne Bücher, ohne Dialog. Mein Name ist Nobody. Aber er ist ohnehin egal. Du wirst ihn nicht nennen. Was soll man dazu noch sagen? Vielleicht fiele uns manches ein, aber die Kellner wollen heim. Wir nicht. Noch nicht.
Wenige Schritte nur. Schon sitzen wir in der nächsten Beiz. Kurze Zeit später treffen auch die Kameraden vom Nebentisch ein, mit ein paar Burschenschaftern im Schlepptau. Aber ihre Stimmen haben gelitten, sie sind leiser geworden. Ich nicht. Ich habe Bühnenluft geschnuppert. Und ich lese. Violetta, sekers, kaffeehausintellektuelle, sie wehren mir nicht, sind mit konstruktiver Kritik, mit Anerkennung und ihrem Lächeln bei mir.
Im März loggte ich durch Zufall in der Leselupe ein. Jetzt ist es Juni, gegen eins, frühmorgens, am 19. Wir halten uns nicht auf mit albernen Trinksprüchen. Texte können lustig sein, ohne albern zu wirken. Und beim nächsten Treffen liest sekers den Faust vor. Oder eigenes. Endlich.