Zwei Männer im Mai

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wowa

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Zwei Männer im Mai


Ich erinnere mich noch genau an die Umstände unserer ersten Begegnung. Es war Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, Anfang Mai, sonnig, die Kapuzinerkresse stand in voller Blüte. Sie war früh dran in diesem Jahr.
Allein in meinem Garten, eine dieser großen Parzellen jenseits des Flusses, saß ich in der Sonne und fühlte mich eins mit den steigenden Säften ringsum. Gegen die Schmerzen hatte ich ein wenig Opium geraucht; das half und so konnte ich gelöst die Schönheit des Augenblicks genießen, seine Wärme, den Gesang der von weither heimgekehrten Vögel.
Da stand dieser Mann am Gartentor und rief mich an:
„Hey, Mr. Janukovich, Miller mein Name. Sie kennen mich nicht, ich würde gerne einen Moment mit Ihnen reden. Es wird nicht lange dauern.“
Ungewöhnlich, einen Fremden hier auf diesem Stück Land, meinem Rückzugsort, zu empfangen, ohne Anmeldung, allein. Das Leben hatte mich misstrauisch gemacht, andererseits war ich, wie gesagt, in einer bejahenden Stimmung, schob die Vorsicht beiseite und winkte ihn heran. Ich war neugierig.
Beim Näherkommen versuchte ich, ihn gegen die tiefstehende Sonne zu fixieren, doch seine Silhouette blieb zweidimensional, wirkte wie ausgestanzt, sein Gang schien mir unmusikalisch, eher plattfüßig und sein Lächeln unecht und angestrengt. Gewiss war meine Wahrnehmung dem Opium geschuldet, also überscharf, klar und distanzlos, egal, ich vertraue dem ersten Eindruck und der war negativ, eindeutig.
Er setzte sich mir gegenüber und nach einigen Sekunden des Schweigens sagte er:
„Entschuldigen Sie meinen Überfall, aber die in Frage stehende Angelegenheit verlangt ein unkonventionelles Vorgehen.
Vielleicht sollte ich vorausschicken, weshalb ich gerade Sie kontaktiere, warum gerade Sie mir prädestiniert erscheinen. Nun, Mr. Janukovich, Sie leben seit einigen Jahren völlig unauffällig in diesem unserm gesegneten Land, doch Sie kommen aus einer europäisch – asiatischen Schnittstelle, die bekannt ist für ihre politische Instabilität. Sie arbeiteten damals im Sinne der Zentralregierung, d. h., Sie haben Oppositionelle liquidiert, ohne Aufsehen, spurlos, professionell. Diese Fähigkeiten möchte ich in Anspruch nehmen. Es geht um meine Frau.“
Er schwieg. Ich nickte.
„Ihre Informationen sind korrekt. Lassen Sie uns über das Geschäftliche reden.“
Er lächelte. Dieses Mal schien es mir echt.
„Sie sind erfreulich unprätentiös. Nun, Mr. Janukovich, Ihre momentan angespannte Finanzlage ist mir bekannt, mein Angebot berücksichtigt diese Situation: Fünfzigtausend $ in kleinen Scheinen.“
Ich nickte.
„Zwanzigtausend sofort, der Rest, wenn der Job erledigt ist.“
Mr. Miller erhob sich.
„Selten in meiner geschäftlichen Laufbahn habe ich so harmonische, unkomplizierte Verhandlungen erlebt. Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen zusammenzuarbeiten.“
Ich nickte.
„Ganz meinerseits. Eins noch: Bei derartigen Vorhaben entscheiden die Details. Deshalb: Gibt es Mitwisser, dritte Personen? Lässt sich eine Verbindung zwischen Ihnen und mir nachvollziehen?“
Er schüttelte entschieden den Kopf.
„Schon im eigenen Interesse – nein!“
Ich nickte.
„In zwei Tagen, gleiche Zeit, gleicher Ort. Dann besprechen wir die Einzelheiten. Und vergessen Sie das Geld nicht.“
Er ging.
In den nächsten Tagen hatte ich viel zu tun, doch als Mr. Miller erschien, war alles vorbereitet. Wir begrüßten uns wie alte Bekannte.
Ich mixte zwei Drinks, wir stießen an, redeten kurz über das Wetter, eine ungewöhnlich warme Periode um diese Jahreszeit, dann sagte ich:
„Haben Sie das Geld?“
Er klopfte bejahend auf seine Tasche.
Ich sagte „Entschuldigen Sie mich,“ stand auf und ging in Richtung Toilette. Hinter ihm griff ich nach dem kurzen Spaten, der dort nicht zufällig lag und schlug mit aller Kraft auf seine Halswirbel. Die Knochen zerbrachen mit einem hellen, trockenen Ton und Mr. Miller kippte leise seufzend aus dem Stuhl auf den Rasen; wenig Blut, nur ein paar Tropfen.
Ich durchsuchte ihn, fand kein Handy und stopfte den Kadaver in einen Sack. Den band ich akribisch zu. Hinter dem Gartenhaus in einem stillen Winkel hatte ich eine tiefe Grube ausgehoben und hier fand Mr. Miller die letzte Ruhe.
Während ich sein Grab zuschaufelte, produzierte mein Gedächtnis unwillkürlich Erinnerungsfetzen unserer Gespräche und ich musste kurz und nachdenklich innehalten. Seine Informationen, die er so selbstgefällig vorgetragen hatte, waren keineswegs lückenlos, z. B. was meine angebliche Geldnot betraf. Es sei denn, man setzte Geld als allgemeinen Willen voraus (was für dieses unser gesegnetes Land zweifellos zutraf), dann war die Gier danach Teil der Persönlichkeit und völlig undenkbar, dass einer sich schon mit dem Vorschuss gut bedient fühlte.
Kopfschüttelnd schaufelte ich weiter.
Auch seine Recherche in meinem europäischen Vorleben enthielt kleine, aber doch wesentliche Ungenauigkeiten. So hatte ich in jenem Krieg damals stets vermieden, Frauen und Kinder zu töten. Die Massaker überließ ich anderen.
Später, als man die Suche nach ihm eingestellt hatte und allmählich Gras über die Sache wuchs, spielte ich mit dem Gedanken, seine Frau zu kontaktieren. Schließlich hatte ich ihr das Leben gerettet und Dankbarkeit lässt sich sehr gut in Dollars ausdrücken. Ich sah davon ab, zu riskant, möglicherweise liebte sie ihn immer noch und dann hätte ich ein Problem gehabt. Bei Frauen weiß man nie.
Bleibt die Frage, was mit dem Geld passiert ist, den zwanzigtausend. Nun, die hab ich ganz normal auf mein Sparbuch gepackt. In der Hinsicht bin ich konservativ. Da liegen sie heute noch.
 

ThomasQu

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Nicht schlecht, flott erzählt und eine überraschende Wendung in der Mitte.
Solche Texte gefallen mir.

Grüße, Th.
 

wowa

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Hi, ThomasQu,
freut mich, dass die story Dich überraschte, vielleicht sogar für einen Moment gefangen nahm.
Alles Gute
Wowa
 



 
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