Zwei Wochen

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Micha

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Es ist Freitag der 13. und ich denke mir, ich bin nicht abergläubisch, zumindestens behaupte ich das von mir.
Eigentlich ist es ein Tag wie jeder andere. Draußen ist es kalt, aber klar, normalerweise liebe ich so ein Wetter, allerdings nur, wenn ich im Warmen sitze. Doch heute sollte kein normaler Tag werden.

Es sind keine zwei Wochen mehr bis Weihnachten, dem Fest der Liebe und des Glückes. Keine zwei Wochen mehr, dann folgen die Tage, die man eigentlich fröhlich im Kreise der Familie verbringen sollte. Zwei Wochen, in denen Menschen durch die Stadt laufen, immer in Gedanken an ihre Lieben.

Ich bin einiges gewohnt, mache meinen Job schon länger, beinahe siebeneinhalb Jahre. Ich habe schon so ziemlich alles gesehen... Kranke, Sterbende und auch tote Menschen. Ich hatte nie Probleme mit meiner Arbeit, besteht sie doch hauptsächlich aus dem Transport von zumeist älteren Menschen, die allerdings noch mit mir reden.

Doch heute dachte ich, das kann es doch nicht sein. Ich muß gestehen, mir gehen menschliche Schicksale nicht so nahe, wie anderen Leuten. Ich mache meine Arbeit und schließe zum Feierabend damit ab. Nur selten bringe ich Ereignisse, Erlebnisse mit nach Hause. Ich habe auch noch nie von meiner Arbeit geträumt...

Zwei Wochen noch, dann hätte ich auch das nächste Weihnachten ohne größere Komplikationen überstanden. Ich hatte in den letzten beiden Jahren in den Tagen vor Weihnachten schon genug Leid mitansehen müssen, deshalb dachte ich mir, dieses Mal kann es nur besser werden.

Es kam schlimmer...

Was sagt man einem jungen Mann, dessen Vater vor weniger als fünf Minuten gestorben war? Keine acht Stunden nach seinem Geburtstag, drei Tage vor dem Geburtstag des Sohnes, ein halbes Jahr nach dem Tod der Ehefrau, zwei Wochen vor Weihnachten? Man sagt gar nichts und schaut nur zu, wie der Sohn weinend Abschied nimmt. Und man macht weiter, als wäre nichts geschehen...

Es nimmt einen schon mit, wenn man schaut, wie sich der Sohn weinend an seinem Telefon festklammert, mit der Frau telefoniert. Mir wurde kalt... nicht nur, weil ich draußen stand. Ich dachte an meine Eltern. Wie würde ich reagieren? Schnell weg mit diesem Gedanken!

Menschen sind neugierig. Das ist etwas, was ich durchaus verstehen kann. Doch leider sind Menschen meist im falschen Moment neugierig. Sie stehen in Grüppchen um uns herum, versuchen hartnäckig, einen Blick auf den Toten zu werfen. Zur Not tut es aber auch der trauernde Sohn. Denken diese Leute nicht nach? Der Vater ist tot, aber der Sohn versteht die dummen Sprüche um so besser. Manchmal hasse ich Menschen...

In zwei Wochen ist Weihnachten, doch diese neugierige Brut befriedigt sich am Leid anderer Menschen. Das ist aber schon etwas, da kann man der Familie beim Abendbrot eine faszinierende Geschichte erzählen. Die erschreckenden Stellen lassen wir aber aus, oder?

Manchmal möchte ich mehr von den Menschen erfahren. Was denken die Angehörigen, wie kommen sie weiter klar? Was machen sie als nächstes, doch mein Job läßt dies meist nicht zu. Zu schnell verliert man sich aus den Augen, meist möchten sie mit uns nichts mehr zu tun haben. Ich habe mich auch schon beschimpfen lassen, obwohl ich mein bestes gab. Aber ich verstehe die Angehörigen.

Ich würde wahrscheinlich genauso reagieren. Immerhin liebe ich meine Eltern. Ich möchte auf keinen Fall zwei Wochen vor Weihnachten Abschied nehmen müssen. Ich möchte eigentlich gar nicht Abschied nehmen müssen. Das Fest der Liebe verbringt man mit seinen Lieben, nicht mit Trauern...

Keine zwei Wochen, dann ist Weihnachten... hoffentlich gehen sie schnell vorbei!
 

Micha

Mitglied
Richtig... Genau wie meine Gedanken an diesem Tage. Aber vielen Dank für den Kommentar, man kann nur besser werden.
 



 
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