Zwiegespräche mit einem Schneemann

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Zwiegespräche mit einem Schneemann

Sie hatten ihm eine rote Nase gegeben.
Ich vermute, es waren die Kinder aus der Nachbarschaft oder vielleicht auch nur kindische Alte.

Eine Möhre als Nase, einen Blumentopf (Ob dies die hier nun die übliche Kopfbedeckung ist, weiß der Autor nicht.) als Hut, so stand er da und konnte nicht anders, der Schneemann auf der verschneiten Grünfläche zwischen den Hochhäusern.
Auf diese Weise trotze er allen Widrigkeiten des Wetters.

Wenn ich vorüber kam, sprach er mich immer an, sonst blieb er stumm.
„Guten Abend“, sagte er meist, wenn er mich sah. Da war es dann schon dunkel, denn der Abend brach früh herein auf meinem Nachhauseweg in diesem Winter.
Er fühlte sich wohl bei dieser Kälte und begann zu dichten:
„Ob es schneit , ob es eist, ich bin nicht verreist.“
Worauf ich entgegnete: „Lieber zu anderen Orten als diese Kälte im Norden.“

Es gab viele Frosttage und sehr viel Schnee in jenen Tagen, so dass er zunahm.
Aber bald wurden die Nächte kürzer.
So war es noch hell, wenn ich ihm begegnete. Wir sprachen über das Wetter.
Es wurde wärmer. Es taute und er traute sich mir an, dass er Auswanderungswünsche hegen würde.
Er wolle in den Norden. Dort sollen eisige Schönheiten leben, wusste er.
Doch wie so viele, die solche Pläne haben, realisierte er sie nicht. Er gehörte zu den Zurückgebliebenen.

Er nahm unmerklich ab, wurde zusehends dünner und schwächer.
Seine Stimme war kaum noch zu hören, während die Vögel wieder sangen.
Der Schnee um ihn herum war bereits weggeschmolzen, als er sich von mir mit den Worten, dass es mit ihm zu Ende ginge, verabschiedete.

Später war er verschwunden. Nur die Rasenfläche zwischen den Wolkenkratzern blieb übrig.
Ich glaube, er ist doch noch ausgewandert.
 



 
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