Zwiesprache mit einem Engel

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Odilo Plank

Mitglied
Du sagst, du siehst den Glanz in den Augen des Sterbenden, du spürst seine Sehnsucht nach der anderen Welt.
Ich aber rieche seinen Angstschweiß, höre die Klagen über das zerfallende Leben, die Flüche.
Du nimmst wahr im Gestammel des Behinderten den Lobpreis des unbekannten Gottes.
Ich spüre nur den kalten Hauch ängstlicher Verachtung, der ihn anbläst.
Du lobst den weisen Ratschluss, den Lauf dieser Welt seiner Vollendung entgegenzuführen.
Ich sehe ihren Untergang in maßlosem Schrecken.

Du lächelst. Das soll wohl heißen, du weißt mehr als ich sehe.
Ach hättest du Recht – und ich wäre blind.

Du schaust etwas, was ich gern sehen möchte.
Du weißt etwas, was ich nicht glauben will.
Du hoffst etwas, was ich für Wahn erachte.

Du liebst die Welt?
Ich lieb sie auch.
Wer aber liebt, sieht richtig?
 

petrasmiles

Mitglied
Hallo Odilo,

sprachlich finde ich Deinen Text sehr schön und die Aussagen sind in sich stimmig.
Mir will nur nicht gefallen, dass Rede und Gegenrede so konstruiert sind aus Positionen heraus, die mir fremd sind.

Es entsteht bei mir nicht der Eindruck, ja, genauso reden Engel, sondern ich werde darüber informiert, dass Du Engel so siehst (in Deinem Text), oder dass Du zumindest eine Vorstellung von einem Engel hast.
Die habe ich nicht und ich würde auch keine Energie da hinein stecken wollen. Von daher mag es Leserreaktionen geben (werden), die da mit Dir auf einer Linie sind, und denen sich die von mir als Schwachpunkt empfundene Konstruiertheit nicht als solche darstellt.

Liebe Grüße
Petra
 

Odilo Plank

Mitglied
Hallo petrasmiles, hab Dank für Deine schnelle Antwort und Deine im Grunde positive Bewertung.
Du sagst,du siehst,... du spürst..
Du hast gespürt, der Engel ist die Schwachstelle. Wie könnte es anders sein. Mir sind sie auch nur in Menschengestalt begegnet. Sie bewegen sich in dieser Welt in einer Position der Schwäche.
Ausnahme: der lächelnde Engel von Reims: Du lächelst...
Herzliche Grüße! Odilo
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Odilo,

gefällt mir sehr gut.

Du nimmst wahr im Gestammel des Behinderten den Lobpreis des unbekannten Gottes.
Vielleicht: Du nimmst im Gestammel des Behinderten den Lobpreis des unbekannten Gottes wahr.

Der Engel - aus höherer Position - kann natürlich Optimist sein, aber der Mensch - aus gleicher Ebene - ist Realist.
Genau das finde ich gut an Deinem Text.
Der Endsatz: Wer aber liebt, sieht richtig? ist der I-Tupf. Ein göttlicher Spin...

LG, KaGeb
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo odilo,

mir erscheint der dialog gelungen, nicht gekünstelt. mein einziger kritikpunkt bezieht sich auf den letzten satz. muss das eine frage sein? und wenn, ist sie so am trefflichsten formuliert?

sieht richtig, wer liebt? sieht richtig, wer aber liebt? sieht aber richtig, wer liebt? aber sieht, wer liebt?

i woaß des net...

liebe grüße
nofrank
 

Odilo Plank

Mitglied
Lieber Nofrank,
vielen Dank für Dein Lesen!
Im Hinterkopf habe ich den alten Satz: Nur wer liebt, sieht richtig.
Nun folgt die unlösbare Schlussfolgerung:
Beide lieben. Beide sehen richtig.
Diesen Widerspruch möchte ich am Schluss in aller Holperigkeit lassen.
Is halt Metaphysik, ich wäß a net.
Herzliche Grüße! Odilo
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
odilo,

...passt scho.

was mensch beim schreiben im hinterkopf hat, kann mensch beim lesen ja nicht wissen. insofern ist die wendung die richtige, wenn sie es für dich ist.

grüße
nofrank
 

mustafa

Mitglied
Hi Odilo,

gefällt mir sehr gut.
Ja, ein jeder hat seine "eigene Wahrheit".
Aus jeder der beiden Blickrichtungen haben beide, für sich recht.

schön, gefällt mir
gruß aus Augsburg
mustafa
 



 
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