Zwillingsflug

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Vera-Lena

Mitglied
Zwillingsflug

Ein Mann sitzt spät auf einem Turm,
betrachtet tief in seinem Innern,
wie sich gelegt des Alltags Sturm.
Farbströme sieht er leuchtend flimmern.
Sein Atem geht in weitem Schwung,
umarmt dort drunten Meer und Hänge.
Des Himmels feurig’ Abendtrunk
und auch des frühen Sterns Gepränge
lässt er in tiefer Dankbarkeit
sich fügen in sein Bild vom Frieden.

Die Möwe fliegt zur selben Zeit
um diesen Turm, erspäht hinnieden
den Mann und schwebt sacht zu ihm hin,
fühlt dessen Strömen, weites Gleiten,
spürt, Gleiches haben wir im Sinn,
sieht ihn und sich die Schwingen breiten.
 
I

inken

Gast
Oh liebe Vera-Lena,

da will man doch nur hoffen, daß sich der Mann nicht tatsächlich mit der Möwe verwechselt und die Schwingen ausbreitet, es könnte eine ernüchternde Landung für ihn werden. Oder sollte man es ihm doch anraten ...schmunzel???

Ein schönes, sehr tiefsinnigens Gedicht. Es erinnert mich an "Piktors Verwandlung" von Hesse, darin kommt auch ein Zwillingsfluß vor :)

Schönes Wochenende und liebe Grüße inken
 

Vera-Lena

Mitglied
lustig

Liebe inken,

danke für Deine liebe Antwort und den Lesetip! Ich kenne fast alles von Hesse aber diese Erzählung nicht. Ich vermute, dass es eine Erzählung ist.
Um die Assoziation noch lustiger zu machen, könnte man an "Batman" denken.

Aber der Mann auf dem Turm, denke ich, rettet auf seine Weise auch die Welt, denn Frieden zu finden bedeutet auch, ein Körchen Frieden auszustreuen.

Manchmal haben Tiere eine Art siebenten Sinn für manche Menschen und können Allerlei an ihnen wahrnehmen.

Dir ein fröhliches und friedliches Wochenende!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 
K

Klopfstock

Gast
Liebe Vera-Lena,
auch mir gefällt Dein Gedicht. Auf Türmen, Bergen,
oder sonstigen Erhöhungen empfindet der Mensch oft eine
Leichtigkeit - die Alltagsdinge scheinen einem von oben
betrachtet so unwichtig und eine Leichtigkeit beschleicht
die Seele, daß man glaubt, es genüge die Arme auszubreiten
um fort zu fliegen :)
Du schreibst, Tiere hätten manchmal eine Art siebenten Sinn -hier kann ich Dir nur voll zustimmen. Als ich vor Jahren, auf Grund eines familären Todesfalls sehr traurig im Bett lag, kam mein damaliges, junges Kätzchen zu mir und blickte mir tief in die Augen (was es sonst nie tat, weil es Augenkontakte scheute) - danach leckte es ganz sanft meine Augenlider. Ich war echt sprachlos und kam mir so wortlos verstanden und getröstet vor. Deswegen habe ich auch keinerlei Zweifel daran, daß Deine Möwe
das "Strömen" des Mannes spürte.

Dir ein schönes und freidliches
Wochenende und ganz liebe Grüße
Irene :)
 

Vera-Lena

Mitglied
von oben

Liebe Irene,

ja, das wird wohl so sein, wenn man die Dinge von oben betrachtet, verlieren sie an Gewicht. Daran hatte ich diesmal nicht bewusst gedacht, aber es ist wirklich so.

Katzen sind tatsächlich Tröster, sebst männliche Tiere, ich habe auch ähnliches mit meinem Kater erlebt. Ich denke, da wird es viele solche Geschichten geben, und das bestärkt mich in meiner Meinung über das Mitempfinden/Miterleben/Mitahnen dieses Vogels.

Ganz herzlichen Dank für Deinen Kommentar!:)
Auch Dir ein wunderschönes Wochenende!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 
I

inken

Gast
Liebe Vera-Lena

"Piktors Verwandlung" ist ein Märchen mit selbst illustrierten wunderschönen Bilder, sie hängen im Original in Calw, im Hermann Hesse-Museum, aber es gibt auch ein kleines Bändchen davon. Du solltest es unbedingt lesen und vor allem auch sehen. Es ist wunderschön.

Liebe Grüße - inken
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Vera-Lena,

ich bin etwas unzufrieden ;) mit der zweiten Strophe.
Sie erscheint mir zu untergewichtig.
Warum gibst Du der Möwe nich den gleichen Versraum, wie dem Mann? So kommt ihre Einsicht etwas schnell, wirkt es auf mich aufgesetzt.


cu
lap
 

Vera-Lena

Mitglied
Gewicht

Lieber lapsi,

das ist eine Überlegung wert. Ich weiß zwar, dass ich für solch Änderungen mindestens ein Jahr brauche, weil mein Unterbewusstsein das erst eimal durchwalken muss, aber ich könnte mir vorstellen, dass man diesen Text noch perfekter machen kann.

Danke für Deinen Hinweis! Alles, was gut ist, kann besser werden.

Dir ein schönes Wochenende!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 
H

Harald

Gast
Liebe Vera-Lena!

Ich wiederum musste sogleich an das Türmerlied aus Goethes "Faust II" denken. So benutzen wir eben alle unsere eigenen Assoziationen. Dein „Ein Mann sitzt spät auf einem Turm, betrachtet tief in seinem Innern ...“ erinnert mich an Lynceus: „Zum Sehen geboren, zum Schauen bestellt ...“

Und wenn Deine Möwe in „dessen Strömen weites Gleiten spürt“, klingt mir des Türmers Erkenntnis wie der Scharfblick eines Blinden, der nicht mehr die Dinge sieht sondern ihr Wesen:

„Ihr glücklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle,
Es war doch so schön!“

Ein schönes Wochenende und ganz liebe Grüße
Harald
 

Vera-Lena

Mitglied
Danke, lieber Harald, für Deine Assoziationen! Ja, das habe ich der Möwe unterstellt, dass sie etwas Wesentliches wahrnehmen kann, auf welche Weise auch immer.

Einen schönen Sonntagabend noch!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Pictors Vewandlung

Liebe inken,

inzwischen habe ich Pictors Verwandlung gelesen. Es stimmt schon, da gibt es eine Verwandtschaft zwischen diesem schönen Märchen und meinem Text, jedenfalls in Anklängen. Ich war ganz erstaunt.

Danke noch einmal für Deinen Tip!:)

Einen schönen Maientag wünscht Dir Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Zwillingsflug

Ein Mann sitzt spät auf einem Turm,
betrachtet tief in seinem Innern,
wie sich gelegt des Alltags Sturm.
Farbströme sieht er leuchtend flimmern.
Sein Atem geht in weitem Schwung,
umarmt dort drunten Meer und Hänge.
Des Himmels feurig’ Abendtrunk
und auch des frühen Sterns Gepränge
lässt er in tiefer Dankbarkeit
sich fügen in sein Bild vom Frieden.

Die Möwe fliegt zur selben Zeit
um diesen Turm, erspäht hinnieden
den Mann und schwebt sacht zu ihm hin,
fühlt dessen Strömen, weites Gleiten,
spürt, Gleiches haben wir im Sinn,
sieht ihn und sich die Schwingen breiten,
nimmt dieses Bild in ihr Gefieder,
hebt in den Abend sich empor.
Der Mann folgt ihrem auf und nieder
und träumt sich durch ein Wolkentor.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber lapsi,

nun habe ich sogar 4 Jahre gebraucht bis mir die letzten vier Zeilen eingefallen sind.
Aber nun gefällt es mir auch besser, weil jetzt der Titel noch eher gerechtfertigt ist.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 



 
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