Zwischenspiel

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Von dem Klettergerüst und der Rutsche fielen noch einzelne Tropfen in den Sand, aber die Wolken waren schon wieder verschwunden – so schnell, wie sie gekommen waren, an diesem schwülen Spätsommertag. Das Gewitter war kurz, aber kräftig gewesen. Jetzt blitzte alles in satten Farben in dieser grauen Stadt; die Natur hatte Hausputz gehalten.
Die ersten Kinder waren zu sehen, die es in den stickigen kleinen Wohnungen nicht länger hielt, die hinaus wollten, um das Spiel wieder aufzunehmen, das sie wegen des Wolkenbruchs hatten unterbrechen müssen.
Der kleine, dicke Junge trat zaghaft durch die Pforte des Spielplatzes, machte zwei Schritte nach rechts und lehnte sich an den Zaun. Dort würde er nun wieder stehen und warten, bis eine mitfühlende Mutter ihn zum Mitspielen auffordern, ein Kind sich ihm mangels anderer Spielkameraden für kurze Zeit widmen, oder ihn eine Gruppe Gleichaltriger oder Älterer hänseln, schubsen oder auslachen würde, bis die Dämmerung ihm sagte, dass er nun in die Wohnung zurückkehren müsse oder dürfe.
Andere Kinder betraten nach und nach den Spielplatz, dann eine junge Mutter, bewaffnet mit Eimer, Schaufel, Trinkflasche, Nuckel und dem dazugehörigen Zweijährigen. Sie setzte ihr Kleinkind in sicherer Entfernung zu den herumtobenden und unbeaufsichtigten älteren Kindern in die äußerste Ecke des Sandkastens und steckte ihm die Schaufel in die Hand und den Nuckel in den Mund. Letzteres verhinderte vielleicht kurzfristig, dass das Kind den matschigen Sand in seinen Mund steckte. Dann zündete sie sich eine Zigarette an, schritt zweimal die gummiartigen Wegeplatten ab, die um das kleine Spielareal führten, warf die Kippe gedankenlos vor sich auf den Boden und trat sie mit ihrem nächsten Schritt aus. Dann zögerte sie, hob das Filterstück wieder auf und warf es in den nächsten Papierkorb.
Der kleine, dicke Junge hatte sie beobachtet und nun sah sie, wie er seinerseits begann, das Areal zu umwandern, sich immer wieder bückte und Zigarettenkippen aufsammelte, dann eine Coladose, eine zertretene Zigarettenschachtel. Er bewegte sich immer schneller, entschiedener, gewichtig. Sie wollte sich eben nach einer leeren Weinflasche bücken, die sie im Gebüsch entdeckt hatte, doch traf sie in diesem Moment der Blick des Jungen, ein missbilligender und flehender Blick. Sie ging weiter. Nach einer Weile erreichte der Junge auf seiner Runde die Stelle, hob die Flasche auf, trug sie stolz zum Abfalleimer und ließ sie langsam, ja feierlich hineingleiten.
Sie nutzte seine Unaufmerksamkeit, um ein Kondom, das sie neben einer Bank entdeckt hatte, mit einer schnellen Fußbewegung ins Gebüsch zu kicken.
Als seine Augen nichts mehr entdeckten, was er hätte aufsammeln können, steckte der kleine, dicke Junge die Hände in die Hosentaschen, schlenderte zum Ausgang, sah sich noch einmal mit einem prüfenden Blick um, lächelte zu ihr herüber, und verschwand in den dampfenden Straßenschluchten der Stadt.
 
P

Prosaiker

Gast
Zunächst: Willkommen in der Leselupe!

Zum Text: ein sprachlich recht steifes und teilweise wenig zielgerichtetes Zwischenspiel, das zum Ende hin besser wird. Die Einführung scheint mir der schwächste Part.

Von dem Klettergerüst und der Rutsche fielen noch einzelne Tropfen in den Sand, aber die Wolken waren schon wieder verschwunden – so schnell, wie sie gekommen waren, an diesem schwülen Spätsommertag. Das Gewitter war kurz, aber kräftig gewesen. Jetzt blitzte alles in satten Farben in dieser grauen Stadt; die Natur hatte Hausputz gehalten.
Sind Tropfen nicht immer einzeln? Ein Tropfen, zwei Tropfen, drei Tropfen, allesamt je Einheiten für sich. Den Zusatz braucht es also nicht, er beengt das Bild. Die Rutsche interessiert mich als Leser auch nicht weiter - unnötige Details fallen in kurzen Texten auf. Weiter gehts mit Wolken und einem schwülen Spätsommertag, die du beide begrifflich noch vor dem Gewitter servierst. In zwei aufeinanderfolgenden Sätzen wird betont, dass die Natur sich einen kräftigen und ebenso kurzen Hustenanfall geleistet hat. Das ist überflüssig. Und wie aus dem Nichts taucht diese graue Stadt auf - sie tritt zwar am Ende wieder in Erscheinung, aber kann sich nicht als Rahmen der Story behaupten, da du sie erst nach dem Spielplatz erwähnst. Ein unmotivierter Schauplatzwechsel mit anschließendem sprachlichem Fauxpas: die Natur hatte Hausputz gehalten. Reiner Beschreibung folgt also eine nach meinem Empfinden ziemlich bemühte Metapher. Hm. Wahrscheinlich lässt sich der ganze Absatz komplett streichen, er ist nicht von Belang für deinen Plot. Der nächste Satz scheint mir ein ungleich gelungenerer Einstieg:

Die ersten Kinder waren zu sehen, die es in den stickigen kleinen Wohnungen nicht länger hielt, die hinaus wollten, um das Spiel wieder aufzunehmen, das sie wegen des Wolkenbruchs hatten unterbrechen müssen.
Damit wäre auch die Stadt involviert (kleine stickige Wohnungen assoziiert man wohl eher mit Städten) ohne sie explizit zu erwähnen.

Ein Problem sehe ich in der Abfolge der Figuren. Zunächst die ersten Kinder, dann der dicke Junge, dann andere Kinder und eine Mutter. Das lässt sich konsequenter gestalten. Vielleicht erscheint der Junge - der dem Leser als zaghafter Außenseiter beschrieben wird - erst nachdem der Spielplatz sich wieder gefüllt hat. Eine Abgrenzung zu den Etablierten würde so deutlicher.

Nun wird der Text entspannter. Die Szene mit Mutter und Zweijährigem ist wegen des lockeren Tons und der Unaufgeregtheit gut lesbar.

Inhaltlich hab ich auch noch eine Schwierigkeit: Die Drastik des Wandels vom dicken Hänselobjekt zum lächelnden Jungen mit prüfendem Blick empfinde ich als wenig glaubwürdig. Vielleicht sollten sparsamere Adjektive benutzt werden. Immerhin steht und fällt der Plot mit dieser Figur.


Grüße,
Prosa.
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo karin,

gleichfalls willkommen.

wenn ich wüsste, dass es einer liest, würde ich auch was dazu schreiben...

grüße
nofrank
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo karin,

schön, aber so sollte das ganze im idealfall nicht funktionieren. wäre schonmal nett, wenn der kommentator eine rückmeldung bekommt. ein einfaches hab ich gesehen, danke oder auch nicht reicht. im wesentlichen geht es hier ja um konstruktive kritik, d.h. der autor darf sich dann auch gerne in die diskussion einbringen.

wie auch immer, anfang der woche habe ich mehr zeit. bis dahin.

grüße und schönes wochenende
nofrank
 
Nun gut, werde ich mich also dazu äußern, obwohl es mir nicht leicht fällt. Ich hatte eigentlich weitere Kommentare erwartet, Reaktionen vielleicht auf den ersten. Dann wäre es leichter zu diskutieren. Und Kritik zu kritisieren, das erweckt ja nun mal den Verdacht fehlenden Kritikfähigkeit.

Inhaltlich:

zu 1: Alles "Überflüssige", ich nenne es lieber Details, in einer Kruzgeschichte zu streichen, das erscheint mir dann doch etwas zu kurz gegriffen. Die Atmosphäre einer Ausgangssituation zu transportieren, das gehört für mich unbedingt dazu. Das Bild einzeln herabfallender Tropfen ist vielleicht nicht so banal, wie es prosaiker darstellt. Denn wenn man sich schon einmal die Ruhe genommen hat, solche zu beobachten, dann weiß man, dass es eine Lust sein kann, darauf zu wetten, ob der nächste überhaupt noch fällt - oder zwei oder drei.

zu 2: Wäre es inhaltlich korrekter gewesen, erst das Gewitter und dann den schwülen Tag und die Wolken zu erwähnen? Meinen Erfahrungen mit dem Wetter würde das nicht so recht entsprechen. Und auch das einfach weglassen? Warum?

zu 3: Ja, ja, der Hausputz! Eine Freude für jeden Grau-Städter, wenn der Regen den Staub von den Dächern, Autos, Schildern, ... gespült hat. Muss man vielleicht Grau-Städter sein, um daran Geschmack zu finden. Ich finde den äußerlichen Hausputz durchaus treffend, assoziiert man mit einem solchen doch eher einen einsamen und arbeitsintensiven hinter verschlossenen Türen.

zu 4: Warum sollte der dicke Junge erst erscheinen, wenn sich der Spielplatz gefüllt hat? Wieso ist er nicht das 4. oder 5. Kind? Wieso gibt es nicht die ersten Kinder, dann ihn und dann weitere? Leuchtet mir nicht ein.

und schließlich: Würde sich ein "etabliertes", ein nicht dickes, gehänseltes Kind mit dem Aufsammeln von Abfall beschäftigen, der Frau das Vorrecht "abbetteln", ihm dies Aufgabe zu überlassen? Und wäre es stolz? Würde es sich wichtig und gebraucht fühlen, seine Leistung prüfen und sich über sie freuen?

Wie gesagt, klingt nach Unfähigkeit, Kritik anzunehmen.
Soll aber eher mein Unverständnis ausdrücken. Und deshalb würde ich mich durchaus über weitere Einschätzungen freuen.

Gruß, Karin
 

kostho3

Mitglied
Hallo Karin!

Auch von mir ein Willkommen im grünen Leselupenland!

Mich haben die Regentropfen beim Lesen nicht gestört. Ich las die Geschichte rein empathisch. Du scheinst gern Menschen zu beobachten. Für mich war dieser stumme Dialog zwischen dem Jungen und der Mutter glaubwürdig. Kinder und nicht nur diese sind dankbar für ein Lächeln oder etwas Aufmerksamkeit. Auch wenn es in Deiner Geschichte nicht extra erwähnt wurde, ich sah sie am Schluss der Episode ebenfalls lächeln.

Mfg

kostho der Dritte
 
Hallo, ja, vielleicht lächelt sie, vielleicht wehmütig. Vielleicht erschrickt sie auch, vor dem Jungen, vor sich selbst, vor dieser Stadt. Aber ganz sicher war es ein Zwischen-Spiel, für sie, für den Jungen, für die Stadt, falls es die interessiert.

Danke für deinen Beitrag
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo karin,

jetzt habe ich auch ein wenig mehr ruhe. zuerstmal zu meinem kommentar, ob's jemand liest. das war nicht so gemeint, dass du dich gleich in aller ausführlichkeit dranmachen solltest. eher ging's mir darum, abzuchecken, ob hinter der story eine ernsthafte person steht, oder jemand, der einfach nur sein zeug in den äther entlassen will. das hat hier gerade in letzter zeit ein wenig zugenommen, und ich habe einfach keine lust, für den papierkorb zu kommentieren.

so, jetzt aber zum text.

für eine kurzgeschichte ist es mir
a)ein wenig zu kurz, wäre vielleicht besser in der kurzprosa aufgehoben, und
b) vom erzählstil und spannungsbogen her zu erzählungsartig (ausgehend vom klasischen kurzgeschichtenaufbau), aber das ist ja großteils ansichtssache.
nur mal so als tipp für spätere texte: in der kurzprosa gibt es in der regel mehr (nicht notwendigerweise kompetenteres) feedback.

generell fand ich die story gut lesbar und auch fein konstruiert. sehr gut beobachtet und akkurat wiedergegeben. ein wenig habe ich den eindruck, du schreibst noch mit sicherheitsleine (ist nicht bös gemeint), hauptsache korrekt ausgedrückt. die erzählzeit führt zu sehr großer lesedistanz, das ist warscheinlich absicht, macht den text aber nicht gerade interessanter. es geht nicht um den aufbau von spannung, sondern einfach darum, näher an geschehen zu sein.

im gegensatz zu prosa fand ich den ersten absatz nicht überflüssig. vielleicht wäre vereinzelte tropfen treffender um den regenrest zu beschreiben?

allerdings bin ich auch über den hausputz der natur gestolpert. du erläuterst das ja auch noch, trotzdem fällt das bild irgendwie aus dem rahmen wegen der immanenten widerspruche: stadt ist nicht natur, selbstreinigung ist kein hausputz. was du ausdrücken willst kommt aber rüber.

desgleichen am ende, der punkt ist klar und die moral(?) der story auch, aber die wandlung des jungen ist etwas abrupt wie prosa das auch empfunden hat. entweder subtiler auf den abgang eingehen oder noch karger, beschreibender bleiben.

die mutter mit zeugs und kind ist sehr gelungen. auch der wortlose dialog hat mich überzeugt.

alles in allem schon ganz gut, aber noch verbesserungswürdig :), sofern ich mir das erlauben darf. schließlich habe ich die weisheit ja auch nicht gepachtet. für einen erstling allemal beachtlich. so ohne referenz ist ja schwer zu beurteilen, was deinen stil so ausmacht.

hoffentlich ist's hilfreich.

liebe grüße
nofrank
 
Hallo nofrank,

irgendwie scheint es tatsächlich nicht rüberzukommen, wie das mit dem Hausputz gemeint ist. Die Natur, also der Regen, putzt die Nichtnatur, also die grauen Häuser der Stadt - von außen; so wie die Natur, also der Mensch, die Nichtnatur, also das Haus - von innen. Aber so tiefsinnig erscheint es weit weniger spaßig, nicht wahr?

Für mich ist die "Wandlung" des Jungen keine, aber dazu hab ich ja schon etwas gesagt. Nur er, ein solcher Junge, kann so reagieren. Jedenfalls ist das meine Erfahrung.


Gruß, Karin
 



 
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