Anonym
Gast
Die Dose mit der vergilbten Aufschrift “Hühnersuppe, jetzt mit extra viel frischem Gemüse“ öffnet sich unter lautem zischen. Mindesthaltbarkeitsdatum: Siehe Boden. 12.3.2005. Unsere Mutter hatte sich schon immer darüber aufgeregt, wenn das Verfallsdatum um mehr als eine Woche überschritten war. Diese Dose sollte seit ca. 7 Jahren ungenießbar sein, aber wenn die Menschen damals gewusst hätten, wie lange das Zeug wirklich haltbar ist, so hätten sie vermutlich erst gar kein Verfallsdatum drucken brauchen. Natürlich, das Essen hatte inzwischen einen leichten Beigeschmack von Metall bekommen, aber wir wurden satt. Wir. Meine Schwester und ich. Wir hatten als einzige überlebt. Es ist seltsam, wie sich die Welt innerhalb eines Tages verändern kann. Zu Anfang rannte ich noch aus dem Kaufhaus hinaus, wenn ich uns Sachen besorgt hatte, aus angst, es könnte doch jemand überlebt haben. Manchmal habe ich in den Straßen gestanden und geschrieen. Ab und zu habe ich Autos in die Luft gejagt um die Aufmerksamkeit eventuell verbliebener auf mich zu ziehen. Ja, anfangs hatten wir noch Hoffnung. Damals waren wir noch 8 Jahre jünger gewesen. Sie 6, ich 10 Jahre alt. Unsere Eltern haben immer angst gehabt uns alleine zuhause zu lassen, weil wir ja verhungern könnten, oder etwas Dummes anstellen würden. Auch unsere Eltern leben nicht mehr. Es hat etwas Faszinierendes den Leichen bei der Verwesung zu zuschauen. Wie sich die Körper der Wasserleichen aufblähen. Wie Bäuche platzen und Köpfe von Maden zerfressen werden. Ja, auch die Maden haben überlebt. Und mit ihnen die Fliegen. Nicht die Ratten überlebten mit den Küchenschaben, wie es immer gesagt wurde, nein. Zwei Kinder und Milliarden über Milliarden Fliegen, die den Himmel verdunkeln und die Ohren taub werden lassen. Aber auch die Fliegen und die Maden konnte man essen. Gut schmeckten sie lebend, noch zappelnd von dem noch warmen Körper eines verwesenden Menschen gepflückt. Doch solche Köstlichkeiten gibt es jetzt nicht mehr, jetzt, wo nur noch Knochenhaufen von den Individuen erzählen, die sie einst waren. Auch an warmen Betten mangelt es uns nicht. Lediglich alles leben wurde ausgelöscht von der Bombe. Ich habe mir das Autofahren beigebracht und das Kurzschließen von Zündungen. Benzin war in rauen Mengen in den Autos vertreten und da es in der Nacht passierte, wo die meisten Menschen in ihren Betten gelegen haben, sind 80% der Autos heile. Es muss ein nettes Feuerwerk gegeben haben, als auf den Autobahnen die Fahrer zusammenstießen. Auch der Innenstadt hat dieser Nebeneffekt sehr geschadet. Wir verloren das größte Einkaufszentrum und einzelne Lebensmittelgeschäfte. Manchmal wünsche ich mir eine Made zu sein und mit Millionen von anderen zu leben. mich von dem Tod eines anderen ernähren, mich zu verwandeln in eine Fliege um dann zum Himmel aufzusteigen. Ich hoffe die Arme meiner kleinen Schwester wachsen noch etwas. Noch können sie nicht meinen Schwanz erreichen. Sie hatte die Nacht in meinem Bett geschlafen als es geschah und wir lagen Rücken an Rücken. So sind wir nun verschmolzen. Wir sind eins. Die Krone der Schöpfung. Wie Adam und Eva im Paradies. Wir sind ich.