als der mond verloren ging

pattowa

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eins

eins

"Ein schöner Morgen", sagt Gabi, als sie meine Hand nimmt. "Ein schönes Land", sage ich und wir gehen den Hügel hinab.
Es ist auch jetzt, am frühen Vormittag, sehr heiß - schwüler Dunst liegt über dem sanften Hügelland und läßt die Blicke nicht weit kommen. Die Sonne schiebt sich langsam über eine höhere Bergkette im Osten, verhängt von einer Dunstglocke, und das dünne Gras ist kaum von Tau bedeckt. Viele dieser Hügel sind von Wald bedeckt, durchzogen von schmalen Straßen die zu entlegenen Häusern führen. Die Menschen hier müssen sich nach Einsamkeit sehnen. Die ersten Traktore dröhnen irgendwo, ungesehen von uns, aber wir wissen, daß sich Staubwolken hinter den Geräten herziehen. Die Erde ist ausgetrocknet, dürstend nach Wasser. Tief waren die Risse der Trockenheit.
Gabi ist übermütig, lacht und singt, vollführt Luftsprünge neben mir. Ich bin müde, denke nur an eine weiche Matratze und Ruhe. Wir haben die letzte Nacht im Freien verbracht und die Vögel weckten uns schon sehr früh. So ohne Kaffee, mit knurrendem Magen schmeckt der neue Tag angefault, ein flauer Geschmack zwischen den Zähnen.
Die Sonne steigt höher und es wird schwüler. Schweißtropfen rinnen über meine Stirn und ich kann nicht begreifen, wie die Menschen hier tagsüber arbeiten können. Meine Tage verbringe ich in kühlen Räumen oder im Wasser. Wenigstens tat ich das, bis ich Gabi kennenlernte.
Sie ist jung, voller Kraft und Energie, mit langen blonden Haaren und einem unglaublichen Temperament. Neben ihr fühle ich mich steinalt. Es ist nicht leicht, mit einem Energiebündel mitzuhalten.
In einer lauen Sommernacht, wie alle Nächte hier, sind wir uns begegnet.. Ich konnte nicht schlafen - die Luft geschwängert von Dunst - und ging durch die schwüle Finsternis. Auf einer Brücke gegen das Geländer gelehnt, schaute ich mir die Sterne an. Nach einiger Zeit löste sich aus dem Schwarz des Waldes ein heller Schatten und kam näher - Gabi. Es war kein Kennenlernen, es war wie ein Wiederfinden.

*

Das Holz der Decke und Wände schien zu pulsieren, im Rhythmus der Kerzenflammen, im Rhythmus der gerade verebbten Leidenschaft. Ich war schweißgebadet, erschöpft, lag ausgestreckt auf dem Bett, einem altmodischen Holzbett, mit hohem Kopf und Fußteil. Langsam wurde das Pochen in meinen Schläfen leiser und ich begann die Musik aus dem Radio zu hören, pathetisch, aufgedonnert und verlogen, und schön in diesem Augenblick. `Sie war irgendwo hingegangen, ich sah und hörte sie nicht. Ich schloß meine Augen, genoß meine Erschöpfung, den Duft nach Frau und Sex, die schnulzige Musik, und ich träumte. Von dir."

"Aber damals kanntest du mich nicht."
Gabis Augen - groß, weit, unergründlich tief.
"Man kann doch an etwas Unbekanntes denken, an etwas Erträumtes."
Minuten verstreichen. Der Kaffee ist inzwischen kalt geworden.
"Wie ist es weitergegangen ?"
"Das war's, ich hab sie nicht wieder gesehen. Nach einer Weile stand ich auf, schrieb einen Brief und ging."
"Ich liebe dich"
Gabi schiebt mir ein belegtes Brötchen zu.
"Etwas Blöderes fällt dir nicht mehr ein ?"
"Nein, heute nicht mehr."
Sie schaut mich an, lange und tief, öffnet ihren Morgenrock und kommt auf mich zu.
"Ich bin zu müde."
"Aber Geilheit vertreibt die Müdigkeit", sie haucht es in mein Ohr, fährt mit ihrer Zunge an meinem Ohr entlang, und ich erliege.
Der Plattenspieler knackst und Gabi dreht die Platte um. Ich habe meine Augen geschlossen, im Mund den Geschmack des belegten Brötchens und um Mich weite, weise Musik, sanft, nein, unschuldig vielleicht. Ich sehe eine grüne Wiese und einen blauen Himmel und über das Gras läuft mit leichten Schritten ein Mädchen , oder eine Frau in einem Weißen Kleid mit seidenem Umhang, ein Schleier vielleicht, und einem weißen, breitkrempigen Hut, einem großen Hut. Nichts als grün, blau und weiß, ein unschuldiges Weiß, vielleicht, nur das Wissen, daß dieses Weiß eine Frau, ein weibliches Universum umhüllt und verbirgt.

"Woran denkst du ?"
Ich spüre Gabis Nähe, ihre Gefühle, strecke meine Hand aus und spreize die Finger.
"Es ist wunderbar ! Nimm meine Hand, du mußt es dann auch wissen."
Und als sie meine Hand berührt, spaltet sich der Himmel und blendendes, feuriges Purpur überflutet die weiße Frau, entzieht sie meinen Blicken. Ich öffne die Augen und schaue in die von Gabi. Tief schaue ich in sie und ich bemerke eine Träne, die über Ihre Wangen rinnt.
"Du bist so...", ich lege meinen Finger auf ihren Mund und küsse sie.
"Und du bist schön."
Sie lächelte, IHR Lächeln.

*

Heute Abend ist mir etwas seltsames passiert. Genau in dem Augenblick, da ich um die Türschnalle griff, legte ich meinen Kopf zurück und schaute in den Nachthimmel. Ein Sternschnuppe fiel und irgendwo in meinem Kopf explodierten einige Gedanken, Erinnerungen und mehr als nur ein Leben zogen an mir vorbei. Lange schon hatte ich keine Sternschnuppe mehr gesehen, eine Ewigkeit dauerte dieser Augenblick des Schnuppens.
Ich ging dann in mein Zimmer und füllte den Kofferraum meines Spielzeugautos mit allen Glasperlen, die ich fand. Zwischen zwei Bänden des Lexikons fand ich eine alte, vergilbte Ansichtskarte. Ich wollte wissen, was unter Sternschnuppe steht, fand aber nur einen freundlichen Hinweis auf Meteore. Doch ich weiß jetzt, daß Edith Piaf mit bürgerlichem Namen Edith Giovanna Gassion hieß, aber genau so schön war, und daß sie nach siebenundvierzig Jahren, neun Monaten und dreiundzwanzig Tagen gestorben ist, ein Jahr, neun Monate und fünfzehn Tage nach meiner Geburt, bei der mein Vater achtundzwanzig Jahre und vier Monate alt war. Meine Mutter war vierundzwanzig Jahre, sieben Monate und vier Tage alt, als sie meine Schwester gebar."

"Weshalb hast du das alles ausgerechnet ?"
"Weiß ich nicht, so zum Spaß vielleicht. Vor einem Jahr, als ich also das letzte Mal eine Sternschnuppe sah, war ich viel aktiver. Aber vielleicht sieht das nur die Erinnerung so, sie merkt sich nur die Zeiten, in denen etwas geschieht, die lange Zeit dazwischen geht verloren."
Gabi nippt an ihrem Glas, hockt auf dem Sessel und schaut verträumt zur Decke.
"Was tust du ?"
"Ich trinke meinen Kaffe und schaue dich an."
"Nein, was arbeitest du, wovon lebst du ?"
"ich schreibe."
"Bücher ?"
"...die keiner will."
"Woher kommt dann dein Geld ?"
"Ein kleiner Zeitungsverlag gibt es mir, für kleine unwichtige Geschichten."
Wir sitzen in einem kleinen Café, wo über versteckte Lautsprecher Bachs Brandenburgische Konzerte zu hören sind. Wir sind die einzigen Gäste hier. Um diese Tageszeit haben die Bewohner der Umgebung viel zu tun. Sie wirbeln mit ihren Traktoren und Baggern Staub auf, arbeiten an defekten Maschinen, wischen sich den Schweiß von der Stirn und transportierten mit großen Lastwägen Erde und Schotter irgendwohin. Hier im Café ist die Luft lauer als draußen und in jedem Raum hängt ein großer Ventilator an der Decke, der sich leise surrend dreht.
"Bücher schreibst du auch"
"Ja."
"Wirst du auch über mich schreiben ?"
"Ja."
"Und was ?"
"Das weiß ich noch nicht."
Gabi spielt mit ihrer Halskette, sie läßt die Steinsplitter durch ihrer Finger gleiten, als zähle sie sie.
"Wo warst du letzte Nacht ?"
"Ich bin mit dem Auto herumgefahren."
"Erzähl !"
"Es war noch nicht ganz finster, als ich weg fuhr. Im Norden und im Westen lagen helle Streifen über dem Horizont. der Himmel war hellblau, doch langsam überzogen ihn dunkle Schatten, er wurde grauer. Jetzt sah man bereits einige Sterne. Ich fuhr langsam nach Norden. Über eine kurvenreiche Bergstraße kam ich aus einem engen Tal. Die Nacht war so klar, als ob es geregnet hätte, aus den bewaldeten Tälern hoben sich langsam Schwaden, Dunst, dünne zarte Streifen, die mit grauer Helle vor der schwarzen Silhouette der Landschaft lagen. Ich fuhr über eine kaum befestigte Straße in einen Wald, die Äste der Bäume berührten sich ober mir. Ich hatte ständig das Gefühl, jemand sitze auf dem Beifahrersitz, eine Frau, ein Mädchen, du vielleicht. ich verschmolz mit den Auto, wurde zum Ganglienzentrum eines großen Organismus, meine Hände, meine Beine wurden zu Nervensträngen, ich wurde Fahrzeug, das Auto wurde ich. Und in all dem gab es einen Fremdkörper, einen geduldeten Frauenkörper. Nach einiger zeit bemühte ich mich wieder aufzuwachen und hierher zu fahren."
"Ich habe dich gehört, du hast eine Hand über mich gleiten lassen und gleich danach hast du geschlafen."

*
 



 
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