am ufer der seine

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vergraben, tief im gestern, saß
sie still am kindbett eines tages,
angelehnt an einen baum. vergaß
den ruf des glockenschlages
und alles was an zeit
sich um sie rankte -

dankte

ihm - der in weiter ferne
an sie dachte. für seine worte,
den duft von bergamotte,
die heiterkeit in seinen zeilen

sprach leise vor sich hin wie gerne
sie heimzusuchen wünscht die orte,
an denen sie so glücklich war
mit sich, mit ihm

der pinienwald, das meer, die grotte,
der erste kuss, die morgenfrische,
das alles lag in seinem brief -

und auch etwas wie liebe
 

whitepaper

Mitglied
Auch, wenn es als Kommentar nicht wirklich viel bieten kann, muss es raus:

Gefällt! Von oben nach unten, von links nach rechts und alles umgekehrt. Es wirkt auf mich perfekt. Danke Dir!

P.S.:
Ebenfalls stimmig wie neu für mich liest sich die Zeile Deiner Signatur.
Ein Zitat oder eigenes Werk?
 
T

Trainee

Gast
Hallo A.D.,

ja, das liest sich klangvoll. :)

Ein Vers wirkt auf mich jedoch nicht stimmig:

sie heimzusuchen wünscht die orte,
Eine Heimsuchung ist etwas anderes als sein Heim zu suchen, nämlich etwas Negatives. Beispielsweise: Schreckliche Erinnerungen an seinen Vater suchten ihn heim.
Hier würde ich also zu einer anderen Formulierung raten.

Im letzten Vers könntest du gut und gern auf drei Füllwörter verzichten:

und [strike]auch etwas wie[/strike] liebe
Recht eigentlich gibt es "etwas wie Liebe" nicht, weil dieser Begriff uneingeschränkt gemeint ist oder von Lyrikern genauer benannt werden könnte und sollte (Kinderliebe, Liebe eines Greises etc.)
Ansonsten ein wirklich gut gelungenes Gedicht voller Fluss und Poesie. :)

Trainee
 
Hallo whitepaper (auch ein Song von Elemt of Crime, den ich sehr mag)

ebenfalls von links nach rechts und von unten bis oben meinen herzlichen Dank!

Ja, die Signatur ist von mir.

Viele Grüße, A.D.


Hallo Trainee,

deine Fragen, deine Einwände sind berechtig - nicht nur weil sie auch an anderen Orten kamen. Deshalb erlaube mir bitte, dass ich gleiche Antwort gebe:

"heimsuchen" ist von seiner ursprünglichen Bedeutung ein neutraler Begriff (zu Hause aufsuchen...)....wird aber...das ist richtig...in der Regel negativ besetzt (von einer schweren Krankheit heimgesucht...)...kann aber auch positiv besetzt werden...z.B. "von Liebe heimgesucht"...was so viel bedeutet wie "von der Liebe übermannt, überfallen, überwältigt, ergriffen...) - der eigentlich negative Aspekt dabei ist also der, dass es den/die/das Heimgesuchte/n unvorbereitet, überraschend trifft...ohne jede Einladung.

Es kommt also darauf an welche Geschichte man um meinen Text spinnt - nach der eigentlichen...nach meiner Intention...macht heimsuchen Sinn..denn - und nun komme ich zu den anderen Begriffen:

"vergraben"...wann vergräbt man sich (selbst)?...eine Möglichkeit wäre z.B. bei einer schweren Krankheit. Sie vergisst für einen Moment die Stunde, die ihr schlägt (vergaß den Ruf des Glockenschlages - und alles was an Zeit sich um sie rankte) - "rankte" (schlängeln)...das Ende ihrer Zeit schlängelt um sie herum.
Sie vergräbt sich und flüchtet in den Brief (den sie vielleicht nicht zum ersten Mal liest).

Kindbett eines Tages - könnte dafür stehen, dass sie jeden neuen Tag als Geschenk betrachtet...jungfräulich...unvoreingenommen...naiv...kindlich.
Sie lehnt sich an einen Baum an - der Baum steht für das Leben. Sie lehnt sich also am Leben an - versunken in seinen Zeilen...gibt es ihr Halt.

...dafür spricht: Die Heiterkeit in seinen Zeilen. Es ist ein aufmunternder Brief...einer...der an die schönen Dinge...an eine alte Liebe erinnert - ohne jedoch für eine Fortsetzung dieser Liebe zu werben...deshalb auch "nur etwas wie Liebe. Es ist ist eben die Kunst des Ly-D Hoffnung zu schenken...ohne falsche Hoffnungen zu machen.

Jetzt zum eigentlichen Punkt, den Ort, die Orte heimsuchen: In ihrer Situation kann sie die Orte nicht auf geordnetem Wege aufsuchen/besuchen...im Sinne von einer Einladung folgend...oder einer Reise planend - sie kann aber gedanklich dort einfallen...über alle Grenzen hinweg. Es ist auch nicht per se das Zuhause eines anderen, oder ihres - erst in Verbindung mit alten Geschichten werden diese Orte zum gemeinsamen Heim vom Ly-I und dem LY-D

Ich hoffe, dass ich das Knäuel ein wenig entwirren konnte. Vielleicht noch ganz allgemein: Wenn ich im ungebundenen Vers schreibe, dann ist mir die Bedeutung jedes einzelnen Wortes umso wichtiger. Nicht immer gelingt es mir meine Gedanken auch so zu transportieren...dass sie 1:1 ankommen, aber das muss auch gar nicht sein. Schön ist...wenn irgendwelche Bilder ankommen...ganz gleich welche Geschichte daraus entsteht.

Viele Grüße, A.D
 

whitepaper

Mitglied
So unterschiedlich können Leseeindrücke sein.
Ohne ein "auch etwas wie" wäre für mich nahezu zur Gänze im Ende eingerissen, was davor aufgebaut; bishin zu 'platt und weggetütet'.
Ich lese (so etwas wie) 'Liebe' in Spuren, im Verweilen, in der Frage vor der Zeit.
So dass ich mich gar immer dabei erwische, den Titel "am ufer der seine" (Fluss Seine, klar) als "am ufer die seine" lesen zu können. Sie scheint, trotz aller Tiefe der Verbindung, für mich nur noch am Ufer und ihrer Rückschau "die Seine" zu sein, wobei die Tiefe der Verbindung sich dort der Frage stellt, was darin bleibt. ... Was/Ob Liebe war, was/ob sie (noch) ist, was/ob sie in sich als etwas besteht und nicht ganz endend doch zu überdauern vermag. Und dann als was.
(Aber ich merke bei den Kommentarmöglichkeiten hier - ich bin noch neu, Entschuldigung -, dass es ganz gefährlich sein kann, für sich einfach Stimmiges und Wirkendes und Stehendes in einem Werk durch seine eigenen Assoziationen nur sehr überflüssig zu umrandeln bishin sogar verschändeln. Das möcht ich gerade hier nun nicht!
Es bleibt ein 'ohne "auch etwas wie" wäre es für mich: kaputt'.)
 
F

Frodomir

Gast
Hallo Andere Dimension,

ich bin hin- und hergerissen von deinem Gedicht, weil es mir einerseits trotz der Reime etwas sperrig vorkommt, andererseits aber durchaus gefällt. Dabei muss ich gestehen, dass ich um Begründungen verlegen bin, aber natürlich will ich es trotzdem versuchen.

Sperrig erscheint mir dein Text wahrscheinlich wegen der Platzierung einzelner Wörter. In der ersten Strophe könnte man die Versendstellungen des Reimpaares saß und vergaß als dem Reim geschuldet deuten, ebenso könnte man sich bei manchen Enjambements auf den Inhalt bezogen fragen, weshalb du die Zeile gerade an dieser Stelle springen lässt, z.B. hier:

und alles was an zeit
sich um sie rankte
Weiterhin ist auch für meinen Geschmack ein Wort wie heimsuchen ziemlich aufgeladen, wenngleich heim- und Orte in der Gesamtkomposition schön zu Heimatorten verschmelzen können. Womit wir bei dem wären, was mir gut ge- und wo mir eine Begründung sogar noch schwerer fällt. Ich glaube ehrlichgesagt, dass mir in diesem Gedicht weniger das Sprachliche zusagt, dafür aber viel mehr die Stimmung. Diese ist analytisch kaum zu fassen, emotional dafür umso wirkungsvoller. Und tatsächlich ist es der letzte Vers, mit dem dein Gedicht mich ein bisschen verzaubern konnte, weil für mich gerade das Wörtchen etwas der Liebe noch eine größere Bedeutung verleiht, als wenn du nur geschrieben hättest:

das alles lag in seinem brief -

und liebe
Viele Grüße
Frodomir (irgendwie völlig aus der Übung^^)

Edit: Ich habe gerade noch whitepapers Kommentar gelesen und möchte mein Gefallen für die Assoziation "am ufer die seine" zum Ausdruck bringen. Vielleicht hatte der Autor dies sogar beabsichtigt?
 



 
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