aus meinen memoiren: besuche

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Old Icke macht Besuche

Als ich das 1. Schuljahr absolvierte, erreichte einer unserer Lehrer das Rentenalter. Er verabschiedete sich von uns mit den Worten: "Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr mich mal besuchen würdet, ich wohne in der Tasso-Straße." Diese Straße kannte ich, da waren wir kürzlich vorbeigekommen, als Ida ein Amt in der Parkstraße aufzusuchen hatte.
An einem herrlichen Feriensommersonntag faßte ich den Entschluß, bei dem strahlenden Sonnen-schein nicht in die dustere Kirche zu gehen, sondern einen Spaziergang zum Weißen See zu machen (das war die Grundsteinlegung zu meinen späteren Wanderungen). Am Weißen See gab es mehrere Wiesen, auf denen viele verwilderte Gartenblumen blühten. Ich pflückte hier eine und dort zwei, und immer so weiter, bis ich einen großen Strauß zusammen hatte, der mir sehr gut gefiel. Ich stellte mir vor, wie ich ihn der Ida überreichte und hörte sie sagen: "Wat soll ick denn mit det Unkraut, du dummet Polk?" Ich war schon im Begriff, den Strauß am Wegesrand abzulegen in der Hoffnung, daß er einem Vorübergehenden gefallen würde, da fiel mir die Einladung des Lehrers ein. Die Tasso-Straße war ja hier ganz in der Nähe, und vielleicht gefiel dem netten alten Herrn der Strauß! Gedacht, getan. Sein mit Säulen reich verziertes Wohn-haus erschien mir wie ein Schloß. Zögernd drückte ich den Klingelknopf. Das Herz schlug mir bis in den Hals hinauf. Ich war schon drauf und dran, hasenfüßig davonzulaufen, als die Tür aufging und eine freund-liche Dame von unbestimmbarem Alter mich anlächelte und fragte: "Na, du Kleine, was führt dich zu uns?"
Sie hatte ein unauffälliges Make-up und eine tadellose Frisur und sie trug ein geradegeschnittenes helles Leinenkleid mit dezenter Folklorestickerei. Ich hatte nie zuvor eine so elegante Erscheinung gesehen. Endlich fand ich die Sprache wieder und sagte hastig: "Ick wollte den Leera besuchen, er hat ja unse janze Klasse injeladn, aba ick jloobe, die annan wern nich komm." Ihr Lächeln wurde noch freundlicher: "In welche Schule gehst du denn?" - "Ick jeh in der siehmten Schule, un da in der erstn Klasse, det heeßt, ick komm in der zweeten, wenn die Schule wieda losfängt." - "Na, dann komm mal rein, meine Kleine. Mein Mann ist zwar nicht zu Hause, aber du wirst sicher gern ein paar Kekse essen wollen." Diese Aussicht entzückte mich. Kekse gab es bei uns bestenfalls zu Weihnachten. Ich rief: "Au ja! Au jaa! Keekse eß ick für mein Lehm jern!" Ich begann unwillkürlich zu gestikulieren, wobei mir endlich auch der Grund meines Besuches in die Augen fiel. "Ick ha ooch Bluhm mitjebracht. Is ja man allet bloß Unkraut, aba hübsch, nich?" - "Oh ja, das ist ein wundervoller Sommerstrauß. Wo hast du den denn gekauft?" - "Ach nee! Nee, nee, Mensch, für koofn ha ick doch keen Jeld nich. So ne Bluhm wachsn am Weißn See uffe Wiese, da ha k se her." - "Ach, wie lieb! Ein selbstgepflückter Strauß! Und so hübsch zusammengestellt!" - "Nee, nee, ick ha bloß een Stiel zun annern jeleecht." Sie blickte mich irritiert an, sah aber sofort, daß da keine Bosheit, sondern nur kindlicher Unverstand sprach. Sie führte mich in ihre kleine Küche, die ich als hübsch und reinlich empfand, tat die Blumen in eine passende Vase (die Art, wie sie mit dem Strauß umging, verschaffte mir ein wahres Glücksgefühl - hier wurde etwas geachtet, das ich nach meinem Geschmack geschaffen hatte!) und gab mir ein duftendes Stück Seife, damit ich mir vor dem Essen die Hände waschen konnte, denn ich hatte ja während des Blumenpflückens auf der Prärie mit Bären und Wölfen gerungen, mit Indianern Blutsbrüderschaft geschlossen und Büffel gejagt, war durch tiefe Wälder und Sümpfe gezogen und sah nun auch ganz danach aus. Als ich sauber war, war auch der Kakao warm (Kakao, noch so etwas, das ich sonst nur zu Weihnachten bekam!) und die Kekse wurden in die Stube getragen, wo wir uns an einen kleinen runden Lacktisch setzten, der mit reicher Intarsienarbeit verziert war. Der Tisch war so schön, daß ich es kaum fassen konnte, daß Teller und Tassen darauf gestellt wurden! Während die Lehrersfrau den Kakao eingoß, gab ich meiner Verwunderung Ausdruck: "Ick dürf inne Schtube? Bei Oma kommt der Besuch nur inne Küche." - "Ja, warum das denn?" - "Weil wir inne Schtube bloß een Stuhl ham, un da leje ick imma ahms meine Sachen ruff, wenn ick im Bett jehe." Sie verkniff sich mühselig das Lachen und fragte: "Ja, wird denn der Stuhl dadurch unbenutzbar?" Ich merkte, daß ich mich falsch ausgedrückt hatte und zählte nun das gesamte Mobiliar nebst Standort auf. Sie bremste mich bald: "Ist ja gut, Kleine, das brauchst du mir doch gar nicht alles zu erzählen." Hastig fiel ich ein: "Nee, nee, ick will ja man bloß, det Sie mir richtich vaschteehn." Sie seufzte: "Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, Dich zu verstehen. Du sagtest vorhin, Du gehst in der siebenten Schule und in der ersten Klasse; aber es ist doch nicht so, daß Du da den ganzen Tag hin- und herläufst. Du gehst in DIE Schule und in DIE Klasse. Ebenso verhält es sich mit Deinem Bett. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Deine Oma Dir erlaubt, im Bett herumzulaufen. Es muß also heißen: Ich gehe ins Bett, nicht im." Stark beeindruckt, sagte ich nun: "Det wer ick ma merkn. Det is ja doll, ej, det so n pa Buchschtahm jleich n janz annern Sinn jehm!" (Genaugenommen weckte diese Frau meinen Intellekt und pflanzte eine innige Liebe zur deutschen Sprache in mich, die später durch die Freundin meiner Mutter weiter entwickelt wurde. Ich lernte an jenem Tag mehr als in einer Schulwoche.)
In der Zwischenzeit hatte ich mit gutem Appetit die köstlichen Kekse restlos verzehrt. Die Lehrersfrau ging in die Küche, um Nachschub zu holen. Währenddessen blickte ich mich im Zimmer um. Nie zuvor hatte ich soviel fremdartigen Zierrat gesehen wie hier. Als die Frau wieder hereinkam, sagte ich (ganz Ida): "Na, Sie ham aba ne Menge Schtaubfänga." Erschrocken fragte sie: "Wo siehst du Staub, Kind?" - "Nee, nee, det is schon allet prima sauba hier, aber hier stehn übaall ne Menge Schtaubfänga." - "Ja, was ist denn das? Zeig mir doch mal einen!" - "Na, ditte da!" sagte ich überlegen und wies auf die Figuren und ausgestopften Tiere auf dem Schrank, auf die afrikanischen Schilde und die japanischen Schwerter an der Wand, das aus Elfenbein geschnitzte indische Schachspiel auf dem Nebentisch und die chinesische Deckelvase in der Zimmerecke. Während ich genüßlich Kekse knabberte, erklärte sie mir Herkunft und Bedeutung jedes Gegenstandes. Sie erklärte so viel, daß ich am Ende nur begriff, daß es sich bei all den Gegenständen um Reiseandenken von ihr und ihrem Mann handelte, und ich erzählte ihr von der Brockenhexe, die Gerda kürzlich der Ida von einer Harzreise mitgebracht hatte (dieser Staubfänger wanderte in der folgenden Heiz-periode in den Ofen). Ich wollte zum Schluß noch etwas Nettes sagen: "Det is ja janz irre schnafte, det Sie so ville schöne Kinkerlitzchen hahm!" Sie erwiderte ernst: "Ich wundere mich immer wieder, wie du mit unserer schönen deutschen Sprache umgehst. Sie hat es nicht verdient, so verschandelt zu werden." Ich spürte, es wäre ihr lieb gewesen, wenn ich nun bald den Heimweg antreten würde, aber ich konnte mich nicht trennen von dieser Frau, die so grundverschieden von allen mir bekannten war. Ich wollte ihre ruhige, angenehme Stimme noch mehr vornehme und gebildete Worte sagen hören. Ich genoß es außerordentlich, einmal als Mensch behandelt zu werden und nicht als "dummet Polk". So stellte ich mich dumm und fragte mit schiefgelegtem Kopf: "Die deutsche Schprache is schön? Ja, jibts denn noch andre?" - "Aber gewiß doch, Kind, es gibt noch sehr viele andere Sprachen. Du hast mir doch vorhin erzählt, daß du einen Film gesehen hast, der in Afrika spielte ("Der 15 jährige Kapitän" nach Jules Verne)." Schnell fiel ich ihr in die Rede: "Ja, aba da ham ooch die Neejas deutsch jeschprochn!" - "Oh nein, der Film wurde synchronisiert, d.h. es wurde alles ins Deutsche übersetzt, damit du es verstehst." - "Aha. Un wie schprechn nu die Neejas?" Nachdem sie mir einiges über Negerstämme und ihre Dialekte (unter Hinweis darauf, daß ich einen fürchterlichen berliner Dialekt sprach) sowie über Kolonialismus erzählt hatte, kam der Lehrer nach Hause. Er begrüßte mich höflich, freute sich über den Strauß (oder tat zumindest so) und fragte: "Wie lange darfst du denn bleiben?" Ich spürte, daß seine Einladung, ihn zu besuchen, nur eine Floskel gewesen war und daß seine Heimkunft für seine Frau die Erlösung von mir bedeutete. Ich antwortete übertrieben munter: "Wenn die Jlockn bimmeln, muß ick zu Hause." Er berichtigte gewohnheitsmäßig: "Nach Hause." Dann sah er auf seine Armbanduhr und konstatierte: "Die Glocken werden in einer halben Stunde läuten. Da du einen weiten Weg hast, schlage ich vor, daß du dich jetzt verabschiedest. Weil wir uns aber kaum miteinander unterhalten konnten, schenke ich dir etwas, woran du hoffentlich viel Freude hast." Er holte aus der untersten Schublade eines Rokkokoschrankes ein kleines Segelschiff hervor, einen Dreimaster. Ich hätte vor Freude am liebsten einen hohen Luftsprung gemacht, aber ich wußte, daß ich mich in dieser Wohnung schon oft genug für einen Tag danebenbenommen hatte. So lächelte ich mein allergrößtes Dankeschön: "Oh, det dürf ick behalten?" - "Ja, das darfst du behalten, und wenn du magst, dann besuch uns bald wieder." Diese Einladung schmeichelte mir, und ich jubelte: "Det mach ick!" Gleichzeitig war ich mir gewiß, daß ich meinen Fuß nie wieder auf ihre Schwelle setzen würde, denn die heimlichen Blicke, die sie miteinander tauschten, offenbarten mir, daß ich für sie ebenso exotisch war wie ihre Andenken aus aller Welt.
Der Heimweg führte mich am Weißen See vorbei, wo ich auf die Idee kam, sehen zu wollen, wie das Schiff schwimmt. Ich setzte es aufs Wasser. Es schwamm leicht krängend ein Stück am Ufer entlang, bis eine Welle es aus meiner Reichweite führte. Ich versuchte, es mit einem Stock zu mir zu ziehen, aber der Stock war zu kurz. Mit großer Trauer sah ich zu, wie das Schiff mehr und mehr zur Seemitte hintrieb. Ich gab es verloren und trottete heim.
Erst nach 20 Uhr war ich zu Hause. Ich erzählte zu meiner Entschuldigung wahrheitsgemäß, wo ich war und was ich erlebt hatte. Ida sagte: "Na jut, sattjejessn biste also, da kann ick mir det Ahmdbrot sparn." Dann fragte sie: "Warum haste denn det Schiff nicht einfach erstma mit nach Hause jebracht, du dummet Polk?" - "Weil so n Seejelschiff Jungsschpielzeuch is un du det beschtimmt wieda an irrjend een Jung vakooft oda vaschenkt hättst!" - "Richtich," konstatierte sie, "un nu ab int Bette."

Ein paar Monate später:

Eine Klassenkameradin namens Helga hatte mich nach Schulschluß zu sich eingeladen, damit wir zusammen spielen könnten. Es war meine erste Einladung, so hüpfte ich munter ne-ben ihr her. Sie sagte: "Bei mir zu Hause darfste aber nich so springen!" - "Nee, nee", tröstete ich sie, "ick weeß schon, det man inne Wohnung schtille is!" Wir spielten in ihrem Zimmer Karten und "Mensch ärgere dich nicht". Sie lehrte mich Halma und Mühle. Dann kam ihre Mutter nach Hause und es gab Kaffee und Kuchen. Mitten in der Woche! Ich ließ es mir schmecken und versprühte meine Originalität in der ständigen Wiederholung erstaunter Ausrufe: "Ach, du jrüne Neune! Ach, du jrünet Ei! Ach, du jrüne Tinte! Ach, du jrüner Himmel!" Ich ignorierte ganz einfach, daß ich allen auf die Nerven ging. Es gefiel mir hier. Hier wurde weder geschimpft, noch über Abwesende hergezogen, hier wurde ich nicht bevormundet. Wir spielten, bis die Mutter fragte, wann ich nach Hause muß. Ich wollte den Fehler nicht wiederholen, zu sagen, daß ich beim Glockenläuten erwartet wurde. Ich sagte: "Ne Weile kann ick schon noch bleim, uff mir wartet keena." Dann gab es Abendbrot mit Wurst- und Käsesorten, die mir unbekannt waren. Aber es stand auch Schmalz auf dem Tisch. Das schmeckte gut! Ich aß vier Stullen und ignorierte die Bemerkung der Mutter über meinen undamenhaften Appetit. Nach dem Abendbrot fragte sie: "Wird sich denn deine Oma auch keine Sorgen machen, wenn du so lange wegbleibst?" Die Sorgen gönnte ich ihr, denn sie hatte mir am Vortag wegen einer Nichtigkeit eine saftige Maulschelle verpaßt. Ich sagte also: "Nee, um mir macht sich keena Sorjen." Helga machte mich nun darauf aufmerksam, daß es Zeit zum Schlafengehen war. Ich hätte gern bei ihr übernachtet, ja, ich wäre am liebsten überhaupt nicht mehr nach Hause gegangen. Aber ihre Mutter sagte, daß sie an einem Kind mehr als genug hat. So trat ich den Heimweg an. Natürlich hatte Ida sich Sorgen gemacht. Im ersten Moment war diese Erkenntnis sehr wohltuend für mich, aber die dazugehö-renden Beschimpfungen und Schläge lehrten mich, nie wieder derartige Sorgen zu verursachen.
Am anderen Tag sagte Helga zu mir, daß ihr verboten wurde, mit mir zu spielen. Ich bellte: „Ick darf mit dir ooch nich mehr spielen.“ drehte mich um und lief weg.

Im darauffolgenden Sommer:

Da ich von meinen Klassenkameraden für meinen sonntäglichen Kirchgang gehänselt wurde, beschloß ich, nicht mehr in die Kirche zu gehen. Ich ging nun an den Sonntagen spa-zieren. Möglichst dort, wo es grün war, also durch die Gärten. So kommt man - ob man will oder nicht - von Weißensee über Heinersdorf nach Pankow. Kaum festgestellt, war ich auch schon auf dem Weg zu Gerdas Haus. Ich freute mich darauf, sie außer der Reihe zu sehen.
Vor der Haustür kontrollierte ich, ob meine Hände sauber waren. Diesmal waren sie es - ich konnte sie unbesorgt der Tante zur Begrüßung reichen. Rasch strich ich noch das Kleid und die Haare zurecht, dann zog ich die Klingel. Es dauerte einen Moment, ehe die Tür geöffnet wurde. Ich wurde vor Freude schon zapplig - was wird Tante Gerda zu dieser Überraschung sagen? Sie wird sich freuen, ganz bestimmt wird sie sich freuen, denn ich bin doch wohl ein lieber Besuch! Sie wird mir eine Tasse Milch warm machen oder vielleicht hat sie sogar rote oder gelbe Brause (Limonade) da? Ich strahlte über das ganze Gesicht, als sie endlich die Tür öffnete. Mich erkennend, erbleichte sie. Sie fragte angstvoll: "Is wat passiert mit Oma?" Ich schüttelte den Kopf und wunderte mich, daß sie meine Grußhand übersah. "Ja, warum kommst de denn her? Is wat mit Irma?" Ich verneinte und sagte: "Ick wollte Euch besuchn komm, nur mal so, weil ick jrade in de Nähe wa." - "Wieso waast du hier jrade inne Nähe? Wat suchst du in Panko?" Ich sagte, daß ich sonntags immer spazieren gehe. "Soso, schpatziern jehn un Besuche machn. For sowat biste doch noch ville zu kleene, Mensch!" Sie zog ihre Kittelschürze aus, schlüpfte in Kleid und Schuhe, setzte ihr Hütchen auf, schrieb ihrem Mann, der auf dem Fußballplatz war, einen Zettel, nahm mich bei der Hand und fuhr mit mir nach Hause zu Ida, wo sie mich wie ein Fundstück abgab. So war ich gründlich und für alle Zeiten davor gewarnt, irgendwo unangemeldet als Besuch zu erscheinen.
Etliche Jahre später - ich war gerade Mutter geworden - faßte ich dann doch noch einmal den Entschluß, Gerda unangemeldet zu besuchen. Ich wollte das nach Idas Tod zwischen uns zerrissene Band neu knüpfen, meine Tochter der Familie vorstellen und nach Möglichkeit Gerda zur Oma meiner Tochter deklarieren. Wieder stand ich erwartungsfroh vor ihrer Tür, fest davon überzeugt, daß das kleine Bündel Mensch in meinem Arm längst verklungene Saiten wieder zum Klingen bringen würde. Es war wie damals. Ich wunderte mich nicht darüber, daß es eine Weile dauerte, ehe die Tür geöffnet wurde, das kannte ich ja noch. Alfred öffnete. Oh Wunder, er war nicht auf dem Fußballplatz! Er blickte mich giftig an und sage: "DU??? Wat willst du denn hier uff n Sonntachnachmittach?" Er drehte sich um und ließ die Tür offen. Ich war von diesem Empfang durchaus nicht entmutigt. Ich trat ein und fragte: "Is Tante Gerda zu Hause?" Da hörte ich schon ihre Stimme: "Wer isset denn, Pappa?" Er brummte irgendetwas, ließ sich in den Sessel fallen und steckte sich eine Zigarette an. Gerda war im Nachthemd. Ich hatte nicht im geringsten geahnt, daß ich das alte Ehepaar beim Mittagsschlaf stören könnte. Sie kicherte: "Ach, du bist det?! Nach so ville Jahre! Wat haste denn da uff n Arm, Mensch? Ach, is der süß! Is doch n Junge, wa? Biste vaheirat? Na, nu setz dir ma hin, ick koch uns n Kaffe." Ich folgte ihr in die Küche. Erstens wollte ich nicht mit Alfred alleine sein und meine kleine Tochter seinem Zigarettenqualm aussetzen, zweitens kam mir Gerda ein bißchen wacklig auf den Beinen vor und drittens wollte ich ihr beim Tischdecken helfen. Ich erzählte ihr rasch alles Wissenswerte. Sie kicherte immer wieder. So kannte ich sie gar nicht! Erst am Kaffeetisch beruhigte sie sich langsam. Alfred hatte inzwischen den Fernseher eingeschaltet. Damals hatten noch nicht viele Leute einen Fehsehapparat. Ich fand es toll, ein Kino in der Wohnung zu haben, wo man sich gleich an Ort und Stelle mitten im Film über das Geschehen unterhalten konnte. Ich wunderte mich, daß man mir nicht antwortete. Plötzlich sagte Alfred zornig: "Wenn de nich gleich de Klappe hältst, fliechste! Is sowieso ne Unvascheemtheit, hier ufft Wochende unanjemeldt uffzukreuzn, unvaheirat mit m Jör!" Für einen Moment blieb mir die Luft weg. Dann sagte ich schnoddrig: "Du hast damals die Zeit nich jenutzt, um mir Moral beizubring. Nu isset zu schpeet." Gerda schüttelte den Kopf: "Ihr werdt euch doch jetz hier nich zankn! Wat vorbei is, is vorbei, laßt ma die Vajangheit ruhn!" Ohne es zu wollen, hatte sie mir mit diesen Worten klargemacht, daß sie absolut nicht meinen Vorstellungen von der Oma meiner Tochter entsprach. Ich stand auf, um mich zu verabschieden. Sie brachte mich zur Tür und sagte: "Ick hab mir sehr jefreut, det du dir ma hast blickn lassn. Komm ruhich ma wieder mit det Kleene, wenn Pappa nich da ist." Ich nickte und war mir dessen sicher, daß ich sie nicht besuchen werde. Es widerte mich an, daß sie einen Mann, der als Vater völlig ungeeignet war und auch keine Kinder hatte, "Papa" nannte.
Dreißig Jahre später fiel mir ihr sonderbares Verhalten wieder ein. So reagiert man nicht, wenn man aus dem Schlaf gerissen wurde! Dieses Taumeln, dieses Kichern! Sie im Hemd und er komplett bekleidet! Bleibt nur die Vermutung, daß er ihr etwas eingegeben hatte, damit sie sein süßes, kleines Mädchen ist! Na, immer noch besser, als wenn er die kleinen Mädchen auf der Straße ansprechen würde!
 
C

Cuchulainn

Gast
Hallo Flammarion,

Als allererstes will ich dir sagen, das mir deine Geschichte gut gefallen hat. Und das deshalb, weil ich, obwohl ich die anderen Teile aus dieser Reihe noch nicht kenne, keine Probleme hatte mich in diesen Text einzufinden.
Nur eines fiel mir auf…

Ich pflückte hier eine und dort zwei, und immer so weiter, bis ich einen großen Strauß zusammen hatte, der mir sehr gut gefiel…
Hier würde ich das >und immer so weiter< streichen, da sich daraus das du später einen großen Strauß hast ja erschließt das du weiterpflücktest. :eek:)
Das ist zwar nichts Wildes, aber ich finde, das es auch ein klein wenig den Lesefluss unterbricht.

Beste Grüße
Chulainn
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
oh,

vielen dank fürs lesen und für den hinweis. ja, in der kürze liegt die würze. werde ich gleich ändern. ganz lieb grüßt
 



 
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