aus meinen memoiren: mama

flammarion

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Mama

Meine Mutter begegnete mir zunächst nur in Gesprächen über sie, wobei ich fast nur negatives registrieren durfte. Sie taugte u.a. schon deshalb nichts, weil sie 25 Jahre jünger war als mein Vater. Eine Frau, die einen derartigen Altersunterschied in Kauf nahm, konnte nur ein verworfenes Subjekt sein. Und dann stammte sie auch noch aus Bayern! Weil sie nicht zum evangelischen Glauben kon-vertierte, konnte die Ehe nur standesamtlich geschlossen werden, somit existierte sie laut Ida nicht. Eine Ehe ohne Kirchensegen war keine Ehe in ihren Augen.
Mir wurde häufig vorgeworfen, ein Trampel wie meine Mutter zu sein. Ich bemitleidete sie sehr, denn ich war damals tatsächlich so ungeschickt, wie kleine Kinder eben sind. Die arme Frau, so un-geschickt! Ich hätte sie gerne kennengelernt, vielleicht hätten wir uns gegenseitig aus dem Dilemma helfen können. Aber leider wohnte sie in einer anderen Straße - ich ahnte nicht, wie nahe!
1949 unterhielten sich Ida und Grete L. darüber, wie meine Eltern verhaftet wurden. Da für Bunt-metall in den westlichen Annahmestellen besser bezahlt wurde als bei der DDR-Aufkaufzentrale, schafften meine Eltern einmal den gesammelten Schrott über die Grenze. Mama hatte nur eine Hand-tasche voll und wurde nicht kontrolliert, Papa hatte das Buntmetall auf seinem Handwagen unter Lumpen gut verborgen. Er wurde kontrolliert. Als Mama sah, daß Papa verhaftet wurde, bekannte sie sich zu ihm. "Saublöd", befand Grete L., "se hätte machn solln, det se wechkommt!" Meine Mutter wußte nicht, wie sie den Broterwerb allein weiterführen könnte. Sie hatte bisher nur Hilfsdienste ge-leistet und nicht viel Ahnung vom Produktenhandel. Sie erhoffte Menschlichkeit in den Behörden und ergab sich ihnen. Meine Eltern wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Mein Vater wurde aus Alters- und Gesundheitsgründen wegen Haftunfähigkeit vorzeitig entlassen, meine Mutter wegen gu-ter Führung. "Wie kann man sich int Jefängnis jut füan? " überlegte Grete L.. "Na, wahscheinlich hat se ihre Mitjefangn bei die Uffseha anjeschwärzt!" argumentierte sie. Daß Arbeitswille, Folgsamkeit und Demut - was bei meiner Mutter in unendlichem Maße vorhanden war - letztendlich strafmildernd wirkten, wäre ihr nie in den Sinn gekommen.
Meine Mutter schrieb aus dem Gefängnis einen Brief, in welchem sie um ein gewisses grünes Kleid bat. Ida und Grete L. befanden: "Die brauch int Jefängnis keen Kleid!" und so bekam sie es nicht. Sie hatte es herrichten wollen, da sie in der Nähstube arbeitete und es am Entlassungstag tragen wollte.
Ich durfte meine Mutter "Tante Elly" nennen, "Tante", wie jede x-beliebige Frau. Ich sagte brav "Tante Elly" zu ihr, wenn wir einander begegneten. Jahre später habe ich meine Tochter ob meiner Schichttätigkeit in einer Wochenkrippe untergebracht. Eines Tages beglückte sie mich nach dem Auf-wachen mit der Bezeichnung "Tante" und ich korrigierte: "Mama, ich bin deinen Mama!" und erfuhr am eigenen Leibe, wie das ist, wenn man von der geliebten Tochter "Tante" genannt wird.
Nachdem meiner Mutter der Umgang mit mir untersagt war, begegneten wir einander oft auf der Straße. Wenn sie von der Frühschicht kam, ging sie durch die Friesicke-Str. zu ihrer Freundin und ich nahm diese Straße als Heimweg von der Schule. Da sie mir bei unserer ersten Begegnung 50 Pfennig gegeben hatte, bettelte ich sie zukünftig ständig um diese Summe an. Dafür konnte ich mir ein sehr großes Stück Melone kaufen oder mir zwei Kinderfilmvorstellungen ansehen oder mir zwei Eiswaf-feln kaufen. Eines Tages sagte sie: "Willst du nur Geld? Komm mich doch mal besuchen!" Sie nannte mir ihre Hausnummer, doch meist traf ich dort nur meinen Bruder Manfred an, den ich allerdings sehr gerne sah.
Als ich mich nach Idas Tod entschloß, bei meiner Mutter zu leben, kam sie zu einem vereinbarten Termin in die Pistoriusstr., um mit Gerda und Irma alles Weitere zu besprechen (diese Besprechung fand aus Pietätsgründen in Irmas Stube statt; da Ida die Elly niemals zu sehen wünschte, sollte ihr der Zugang zu ihrer Stube verschlossen bleiben). Nachdem meine Mutter meine Papiere in Händen hielt, fragte sie nach dem Kindergeld, das war das mindeste, was man ihr - da es ja erst Anfang des Monats war und sie nicht die Reichste - geben sollte, damit sie mich ernähren kann. Alle waren baff. Das hatte ihr niemand zugetraut. Gerda öffnete widerwillig ihr Portemonnaie und überreich-te die geforderte Summe (übrigens hatte Gerda meine geringen Ersparnisse vom Konto abgehoben, angeblich, um Idas Begräbnis zu bezahlen. Sie versprach, mir das Geld spä-ter zurückzuzahlen. Darauf warte ich heute noch!)
Meine Mutter war ganz anders als Ida. Sie kommandierte nicht, sie hörte sich meine Mei-nung an, sie unterstützte mich, wo sie konnte, und sie lobte mich sogar! Ich hatte z.B. einmal einen Scherenschnitt aus transparentem Papier angefertigt, der tanzende Mädchen darstellte. Für mich war es nur eine Spielerei, sie aber fand mein Produkt zau-berhaft. Das machte mich sehr glücklich.
Am schönsten war es, daß sie mit mir sang. Die meisten Lieder, die ich kannte, kannte sie auch, und manchmal sangen wir sogar zweistimmig, wobei sie die zweite Stimme übernahm. Ich lernte viele neue Lieder von ihr, den sie sang gewöhnlich bei der Küchenarbeit. Einmal war sie gerade beim Wäschewaschen und hatte dabei etliches Wasser auf dem Boden verplanscht. Nichtsdestotrotz sang sie ein Küchenlied. Als sie gerade bei der Zeile: "Das glaubt das Herze . . ." angelangt war, kam ich zur Tür herein. Sie unterbrach das Lied und sagte zu mir: "Hier muß jewischt werden." und sang unbe-irrt weiter: "und an diesem Glauben bricht es." Sie konnte mein Lachen zunächst nicht einordnen, aber dann lachten wir beide über die unfreiwillige Komik.
Einer der Lieblingswitze meiner Mutter war folgender: An der deutsch-französi-schen Grenze patrouillierten in vorgeschriebenem Abstand zwei Spldaten, der eine ein Bayer, der andere ein Franzose. Dem Franzosen wurde langweilig, er beschloß den Deutschen zu ärgern und ruft hinüber: "Filou! Filou!" Der Bayer schaut auf die Uhr und gibt Auskunft: "Halber vieri!", denn er hatte das Schimpfwort als eine Frage nach der Uhrzeit verstanden.
Anfangs vergaß ich manchmal, meinen Wohnungsschlüssel mitzunehmen, ich war es nicht gewöhnt, einen Schlüssel zu besitzen. So stand ich vor unserer Wohnungstür und wartete auf die Heimkunft eines Familienmitgliedes. Die Hausbesitzerin, welche schräg über uns wohnte, erlebte einmal, daß ich vergeblich klingelte und fragte: "Na, kommste nich rin?" Ich erwiderte bedrückt: "Meine Mutter scheint nicht zu Hause zu sein." Sie grinste: "Wo die sich bloß rumtreibt?" Ich war nicht mehr gewillt, abfällige Bemerkun-gen über meine Mutter hinzunehmen und verkannte den Annäherungsversuch. Ich er-widerte scharf: "Meine Mutter treibt sich nich rum, det könn Se sich eenforallemal mer-ken!"
Während man bei Ida "vom Fußboden essen" konnte, war es bei meiner Mutter nicht ganz so reinlich. Ich machte mich in meiner Freizeit daran, aufzuräumen und zu säubern. Ich begann mit der Wäsche. Mama hatte die Schmutzwäsche in eine Küche-necke gesteckt, wo sie nicht trocken lag. In einigen Stücken waren Löcher, hervorgeru-fen durch Fäulnis. Die Wäscheleine durfte ich von unserem Fensterkreuz bis zum Zaun des Hausgartens spannen. Als ich eines Tages glücklich mehrere Töpfe Kochwäsche aufgehangen hatte, spielte auf dem Hof ein etwa siebenjähriger Junge. Er bewarf meine Wäsche, die noch feucht war, mit Sand. Ich sprang aus dem Fenster und gab ihm eine saftige Maulschelle unter dem Hinweis, daß er die Wäsche schmutzig gemacht hat und ich alles noch mal waschen muß. Er zog heulend und uneinsichtig ab. Am anderen Tag lag ein riesiger Kothaufen unter unserem Fenster. Ich brachte das in Zusammenhang, aber es war nicht beweisbar, so ließ ich es auf sich beruhen. Den Jungen sah ich nie wieder und konnte mich nicht mit ihm aussöhnen.
Als nächstes scheuerte ich den Küchenfußboden. Er war ungestrichen und längst schwarz getreten. Ich freute mich, das hellgelbe Holz zu sehen. Danach hatte ich noch Zeit, den Küchenschrank abzuseifen. Da wurde aus braun hellgelb, lindgrün und rosa. Als Mama nach Hause kam, sagte sie: "Jut, daß du da bist. Ick dachte schon, ich bin in einer fremden Wohnung!"
Am nächsten Wochenende räumte ich den Kleider- und den Wäscheschrank aus. Bei jedem Stück fragte ich Mama: "Trägst du das noch?" und sie antwortete oft mit "Nein". So kamen vier dicke Lumpensäcke zusammen. Mama hatte auch ein paar Anzüge von Papa aufbewahrt in dem Glauben, daß Manfred oder Paul sie einmal tragen würden. Ich hatte inzwischen einiges über Mode gelernt und tönte: "Eh die da rinjewacksen sind, sind die sowat von unmodern, det Manne oder Paule die Dinger janz beschtimmt nich anziehn!" Die Anzüge waren bestimmt einmal sehr teuer, jedenfalls aus gutem Stoff. Als ich Jahre später mit meinen Brüdern über diese Anzüge sprach, wurde mir Gewißheit, daß sie die Anzüge ihres Vaters um keinen Preis getragen hätten.
Ich war so heftig beim Entrümpeln, daß ich auch Papas Bücher zum Altsoffhandel brachte. Es waren ein paar Landserromane und drei "Arztbücher", die wir uns als Kinder sehr oft heimlich angesehen hatten. Es gab darin nämlich Aufklapp-Bilder, die nackte Körper zeigten. Wenn man sie aufklappte, wurden die inneren Organe sichtbar. Die Frau konnte noch ein weiteresmal aufgeklappt werden, damit man das Baby sah. Manfred rügte mich später dafür, daß ich diese Bücher weggebracht hatte, weil ich sie für völlig überholt hielt. Es kam mir nicht in den Sinn, daß sie historisch wertvoll sein könnten. Ich war von Ida erzogen: Staubfänger müssen weg!
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
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Schön,

jetzt habe ich wieder einen Mosaikstein mehr. Langsam wird tatsächlich ein Bild daraus.
Übrigens, die Mail wird kommen. Kann nur etwas dauern, weil ich immer viel zu viel schreibe.

Gruß Ralph
 

Rainer Heiß

Mitglied
Herrlich, wie die persönlichen Erfahrungen und allgemeinen Zeitzeugnisse sich abwechseln. Wichtig beim Schreiben sind meiner Meinung nach zwei Punkte: genaue Schilderung der Umstände und wie der Mensch in diesen Situationen handelt. Und das ist hier gelungen. Auch wenn du wenig gelesen wirst - mir gefällt`s!
Grüße, Rainer
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank, lieber rainer! das macht mir mut, auch die restlichen kapitel zu posten. wenn ich nur nicht so feige wär, sie einem verlag anzubieten . . . lg
 



 
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