bittere kälte

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HerbertH

Mitglied
I.

unter dem nordlicht

durchwärmt von induktion
sitzen alle nebeneinander

schwatzen sich plusternd
unter lautem schreien

verfehlt ein herabfallender eiszapfen
den vierten von links

fahren sie erschreckt auf
und verstreuen sich und ihre wärme

birst unter lautem knall
die vormals besetzte leitung

II.

das licht geht aus
sich heraus

in die innere emigration
will nicht jeder

im dunkeln


III.

am morgen

finden sich neben schwarzen
federn

eines kinderwagens und
neben weißen

auf torf der muff der
toten


IV.

der eiszapfen

hinterlässt ein loch
in der stirn

bildet eine pfütze neben
den augenhöhlen

tränkt einen schwarzen
besetzer



V.

in der amerikanischen zone

fleddern auch die weißen
federn wegen der kälte

besorgen sich die schwarzen
nebelkrähen

fleischrationen tief
im kinderwagen


VI.

in dunklen zimmern

wärmen kerzen blaue
augen und krause

hört man stille nächte
lustvoll beißend

vermisst den kinderwagen
niemand
 

wirena

Mitglied
mehr als bitter, mehr als kalt....

Hallo HerberH

....fleischrationen im kinderwagen!.....mehr als bitter, mehr als kalt - dies mein Empfinden –

„II.“,
diese 15 Worte, die mit dem (witzigen) Titel „stromlose einung“
neu veröffentlicht sind, fassen meines Erachtens, all das unter „I.“ bis „VI“ mit vielen Worten Beschriebene und noch nicht Beschriebene auf erträgliche Weise zusammen; inklusive dem, was wohltuend nur zu erleben ist –

im Gegensatz dazu, ist „ bittere kälte“ einfach grässlich .... wenn ich dies so schreiben darf – wird allerdings der Biene absolut gerecht :) mit zwiespältigen Gefühlen grüssend

wirena
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Wirena,

dass der witzig betitelte Auszug von Strophe II alles zusammenfasst, kann ich so nicht nachvollziehen.

Letztlich ist das Gedicht eine zugegebenermaßen schreckliche Moritat. Der Titel ist auch hier bewußt doppeldeutig. Einerseits ist es bitter kalt, andererseits kann man die bittere Kälte auch menschlich deuten, insbesondere aufgrund der letzten Strophe.

Schade, dass dieses Gedicht Dir weniger gut gefallen hat als der Auszug "stromlose einung".

lG

Herbert
 

wirena

Mitglied
Lieber Herbert

Was mir nicht gefällt, muss ja nicht „nicht gut“ oder gar schlecht sein :)

Dass Du mein Erleben nicht nachvollziehen kannst, finde ich ebenfalls schade, vor allem, da ja Deine Worte dieses mir ermöglichten. So wage ich einen Erklärungsversuch:

Strophe II vermittelt mir „symbolisch/zwischen den Zeilen“ Bilder und Geschichten, die nicht beschrieben sind - allumfassend. Ich lese, empfinde/verstehe Vieldeutigkeiten – z.B.

- das Licht ganz profan als Licht – auch als Elektrizität
(mit Titel „stromlose einung“: ohne Elektrizität und wenn mit, mit ausgezogenem Stecker :)

- das Licht auch als Symbol - Leben/Tot

- und das Wort „emigration“ führt mich zudem noch auf die allzumenschliche/politische Ebene, mit allem drum und dran (inkl. der kulturellen Integrationsfragen) – Licht hier u.a. Eigenleben/Eigene Überzeugung, Verständnis/Unverständnis etc.

- und nicht zuletzt das Licht als Symbol für das „ich“, das aus sich heraus in die innere emigration, zu sich selbst geht. Doch auch hier – nicht jeder will dies, wie auch die „innere emigration“ nicht jeden Versuch, zu sich zu gelangen „annimmt/akzeptiert“


lg
wirena
 

HerbertH

Mitglied
Liebe wirena,

mit einem hast Du sicherlich Recht: Die Strophe hat eine Sonderstellung in dem Gedicht. Sie geht über die Moritat in gewisser Weise hinaus und reflektiert sie.

Auch Deine Interpretation dieser Strophe finde ich schlüssig.

lG

Herbert
 



 
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