böser Bube

Jens

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Böser Bube

1. Die Nadel schwankte bei einhundertfünf. Innerorts einhundertfünf km/h. Stefan war begeistert. Übertrieben locker saß er hinter dem Lenkrad des Polizeiwagens und fühlte sich wie ein Rennfahrer. Das Quietschen der Reifen, wenn er um eine Kurve fuhr, ließ sein Lächeln noch ein bisschen breiter werden. Es machte ihm viel Spaß mit einer solchen Geschwindigkeit durch die Stadt zu rasen, mit Blaulicht und Martinshorn. Der Wagen, ein relativ neuer fünfer BMW der Zivilstreife, hatte damit kein Problem, aber sein neuer Kollege. Herr Schmidt fand dies gar nicht so lustig.
Er klammerte sich an alle Griffe die das Auto bot und mahnte Stefan immer wieder an, nicht so zu rasen. Auch wenn der Einsatz, zu dem sie gerufen wurden, etwas außergewöhnlich war, war dies kein Grund, Menschenleben zu riskieren.
Stefan ließ sich noch mal die Funkdurchsage durch den Kopf gehen, um sich die weitere Vorgehensweise zu überlegen. „An alle Einsatzkräfte. Eine Person niedergeschossen. In der Goethestraße Ecke Schwanheimer Weg. Täter ist noch vor Ort. Achtung, Täter ist bewaffnet… äh …. mit Pfeil und Bogen. Ich wiederhole …“ verlautete es vor 2 Minuten aus dem Funkgerät. Stefan war gespannt und freute sich auf die Action.
Herr Schmidt, ein Mitfünfziger, trug immer eine schusssichere Weste. Er sagte immer zu Stefan, er wolle die paar Jahre bis zur Pensionierung noch gut überstehen und er verstehe sowieso nicht, warum man ihn nicht in ein ruhiges Büro setze.
Stefan war dies irgendwie nicht so wichtig. Er war erst 33 und suchte den Adrenalinkick. Besonders seit er und Andrea Probleme hatten.
Noch eine Linkskurve und sie waren da. Am Einsatzort. Ein Wagen der Bereitschaftspolizei stand bereits quer auf der Goethestrasse und zwei Polizisten warteten mit gezogenen Waffen hinter den geöffneten Türen. Ein zweiter Polizeiwagen kam auf der gegenüberliegenden Kreuzungsseite zum stehen und es öffneten sich die Türen.
Ein nicht alltäglicher Anblick offenbarte sich ihnen.


2. Andrea saß an ihrem Schreibtisch und tippte auf der Tastatur Ihres Computers. Sie war nicht wie Stefan bei einer SOKO für Gewaltverbrechen, sondern spezialisierte sich auf Computerkriminalität. Datensicherheit, der gesamte Bereich Internet und weitere computertechnische Raffinessen sind Ihre Aufgabengebiete.
Stefan und Andrea sind jetzt seit fünf Jahren verheiratet, wovon die ersten vier Jahre wunderbar waren. Kennen gelernt haben sie sich während der Ausbildung für den Polizeidienst. Sein herzerfrischender Witz und ihre Spontaneität haben sie sofort zu einem perfekten Paar gemacht. Erst im beruflichen Sinne, dann auch privat. Wenn man sie zusammen sah, wusste jeder, diese beiden sind wie für einander geschaffen. Sie ergänzten sich auf eine wunderbare Art und wenn sie mal etwas kontrovers diskutierten, dann endete dies regelmäßig in schallendem Gelächter und einer innigen Umarmung. Niemand konnte sich vorstellen, dass dieses so lebensfrohe und lustige Paar mal Probleme haben könnte.
Aber seit fast einem Jahr haben sie eines. Ihre Beziehung; ihre Ehe; ihre gegenseitige Liebe konnte nicht fester sein und sie waren sich einig, dass es der richtige Moment sei, dies alles durch ein Kind zu besiegeln. Nach drei Monaten ohne Verhütungsmittel und zahlloser romantischer Abende, die im Bett, auf dem dicken, flauschigen Fell vor dem Fernseher oder auch schon mal auf dem Küchentisch endeten, tat sich leider nichts in Richtung einer Schwangerschaft.
Sie machten sich erst keine tiefer gehenden Gedanken darüber. Man schob es auf beruflichen Stress oder man beruhigte sich, mit dem Satz, es sei ja nicht eilig. Aber irgendwann kam in jedem die Frage auf, woran dies wohl liegen mag.
Als Andrea einen Termin bei Ihrer Frauenärztin hatte, sprach sie diese darauf an. Ihre Frauenärztin überrumpelte sie mit dem Vorschlag einen entsprechenden Test durchführen zu lassen. Dies sei schnell und schmerzfrei erledigt, sagte sie und in einer Woche wisse sie genaueres. Von dieser Situation überrascht sagte Andrea zu. Auf dem Heimweg überkam sie ein unangenehmes Gefühl, Stefan übergangen zu haben. Sie wollte nur die richtige Situation abwarten, bis sie ihm dies mitteilte.
Nach nur vier Tagen lag eine Durchschrift der Testergebnisse im Briefkasten und Stefan fragte sie, warum sie einen Brief von dem Labor bekäme. Die Situation konnte nicht ungünstiger sein, aber jetzt musste sie mit der Sprache rausrücken. Zu erst war Stefan nur etwas gekränkt, das Andrea den Test ohne vorherige Absprache mit ihm durchgeführt hat, konnte aber teilweise noch ihre damalige Situation verstehen.
Sie öffneten den Brief und lasen, dass Andrea körperlich voll dazu in der Lage sei, ein Kind zu bekommen. Andrea, offensichtlich überglücklich von dem Ergebnis, rutschte sofort der Satz heraus, jetzt müsse Stefan sich untersuchen lassen. Sie überdachte die Konsequenzen nicht. Aufgebracht von Andreas ursprünglicher Heimlichtuerei und der in seinen Augen logischen Konsequenz, wenn Andrea gesund sei, müsse das Problem bei ihm zu finden sein, lehnte er ab.
Es gab einen großen Knacks in ihrer Beziehung. Plötzlich war Misstrauen da.
Man versöhnte sich zwar wieder und einigte sich darauf, dass ein Kind ja noch ein wenig Zeit hätte, aber kurz darauf wechselte Stefan plötzlich zu der SOKO und Andrea ging anschließend zu den Computerspezialisten.


3. Stefan drückte das Bremspedal so fest er konnte und riss das Lenkrad rum. Mit quietschenden Reifen drehte sich der Wagen ein wenig und blieb dann stehen. Sein Kollege warf ihm noch einen unverständlichen, fast böswilligen Blick zu, obwohl er sich langsam an Stefans rabiate Fahrweise gewöhnte.
Sie stiegen aus und betrachteten sich die Szenerie aus der Deckung des Wagens heraus. Auf der Strasse lag röchelnd ein Mann. Er lag bäuchlings und mit einem ausgestreckten und einem angewinkelten Arm. Immer wenn er versuchte sich zu bewegen entglitt ihm ein Schmerzschrei, wobei man merkte, dass er immer schwächer zu werden schien. Er hatte tatsächlich einen Pfeil im Rücken, nur wenig unterhalb des rechten Schulterblattes. Bei jedem Bewegungsversuch wippte dieser Pfeil hin und her, als wolle er einem zu winken. Ein zweiter Pfeil steckte in seinem rechten Oberschenkel. Blut war nicht zu erkennen, aber es war offensichtlich, dass dieser Mann Atemprobleme und große Schmerzen hatte. Es schien, als wolle der Mann zu der anderen Straßenseite kriechen, kam aber nicht vorwärts. So makaber dieses Bild war, musste Stefan an einen Western im Fernsehen denken, den er vor ein paar Tagen sah.
Stefan zog seine Waffe und schaute umher. Herr Schmidt deutete Richtung Bürgersteig. Auf dem Bürgersteig rechts von ihnen sackte ein Mann an die Wand gelehnt in die Knie und ließ dabei einen Bogen fallen. Ein junger Mann, dachte sich Stefan und erkannte dann, völlig überrascht, dass es ein Junge war; höchstens 16 Jahre schätze er.
Es kam ihm alles wie in Zeitlupe vor. Er schaute einmal im Kreis und bemerkte nicht, wie überall sich Passanten duckten, in Eingänge verschiedener Geschäfte verschwanden und Personen in Polizeiuniform wild gestikulierten. Er schaute wieder zu dem Jungen und als er sah, dass der Bogen ein kleines Stück weggesprungen war, rannte er los.
Während er lief entsicherte er reflexartig seine Waffe, zielte auf den Jungen und erwartete, dass dieser nach dem Bogen greifen würde. Das tat er nicht. Kurz vor dem Jungen trat er gegen den Bogen, so dass dieser cirka 2 Meter weg schlidderte und blieb stehen. Überrascht von dem Gedanken, dass hier gar keine Pfeile mehr liegen, bleibt er wortlos stehen.
Die Kollegen von der Bereitschaftspolizei kamen ebenfalls mit gezogenen Waffen angerannt, zielten auf den Jungen und riefen ihm zu, er solle die Arme nach oben heben. Der Junge hingegen saß jetzt an die Wand gelehnt da, legte seine Arme auf die Knie und begann zu weinen. Stefan sah zu, wie zwei Polizisten den Jungen an den Armen nach vorne zogen und auf den Bauch warfen. Nachdem sich ein dritter Polizist auf dessen Rücken kniete und eine paar Handschellen zog, senkte Stefan seine Waffe und schaute sich nach dem Mann auf der Strasse um.


4. Andrea saß weiterhin an ihrem PC und kam einer unangenehmen Fleißarbeit nach. Sie musste ein eingescanntes Bild mit rund 850 Bildern aus der bestehenden Datenbank vergleichen. Diese Bilder waren in ihrer Auflösung nicht scharf genug, dass der PC dies hätte selber erledigen können und so war hier ein menschliches Auge gefragt. Nicht nur, dass diese Arbeit völlig stupide war, die Chance eines Treffers war im vorliegenden Fall auch sehr gering. Ihre Konzentration ließ nach mittlerweile eineinhalb Stunden nach und Ihre Gedanken schweiften ab. Sie dachte an Stefan.
Immer öfter stellte sie sich die Frage, ob es noch Sinn mache, mit ihm zusammen zu bleiben. Natürlich liebt sie ihn noch, aber dass es einfach nicht mit einem Kind klappt, ließ sie manchmal zweifeln. Ihre Gefühle wurden hin und her geworfen, bei dem Gedanken ihren Liebsten zu verlieren, aber offensichtlich auch kein gemeinsames Kind bekommen zu können. Einen Moment dachte sie sich, alles werde gut werden und beruhigte sich. Einen anderen Moment, verstand sie nicht, wie Stefan sich einer Untersuchung verweigern und ihre Beziehung aufs Spiel setzen konnte. Schon oft ist sie in Gedanken dieses Für und Wider durchgegangen, aber noch nie ist sie zu einem Ergebnis gekommen. Zu einem Ergebnis das ihr gefallen hätte. Lange würde sie dies nicht mehr verkraften.
Plötzlich ein unangenehm aufdringlicher Piepton. Andrea erschrak und schaute auf den Monitor. „Übereinstimmung 100 Prozent“ las sie. „Da schau her, es geht ja doch“ tuschelte sie vor sich hin. Sie nutzte den überraschend schnellen Abschluss ihrer Arbeit und nahm sich den Nachmittag frei.


5. Auf der Straße lag immer noch keuchend der angeschossene Mann. Als er sich erheben wollte, konnte man sehen, wie sich eine Blutlache unter seinem Oberkörper bildete. Stefan sicherte seine Waffe wieder, steckte sie in das Halfter und ging schnellen Schrittes zu ihm. Er wollte dem herbeigeeilten Polizisten bei der ersten Hilfe unterstützen, stand dann aber nur, schockiert über den selbst für ihn außergewöhnlichen Anblick, einer mit Pfeilen niedergestreckten Person, daneben. Als er den Rettungswagen hörte, war er erleichtert und blickte in Richtung des Martinshornes.
Der Wagen hielt neben dem Angeschossenen und zwei Sanitäter stiegen vorne aus. Stefan öffnete spontan eine der hinteren Türen und hielt diese fest, als wenn sie sonst zufallen könnte. Eine Seitentüre öffnete sich und eine Frau, anscheinend die Notärztin, mit einem großen orangefarbenen Koffer, stieg aus.
Sie ging direkt zu dem Opfer und stellte den Koffer hin. Während sie mit dem Polizisten ein paar Worte wechselte öffnete sie den Koffer und holte irgendwelche Geräte aus diesem.
Die zwei Sanitäter kamen zu den Hintertüren. Während ein Sanitäter die zweite Türe öffnete bemerkte der andere zu Stefan. „So etwas sieht man auch nicht alle Tage, oder?“ und lächelte ihn dabei an. Zu zweit zogen die Sanitäter eine Bare aus dem Wagen. Die Rollfüße klappten nach unten aus und sie schoben diese zu ihrer Kollegin. Stefan ließ die Türe los und ging in Richtung seines Autos.
Sein Partner, Herr Schmidt, kam ebenfalls in diesem Moment zurück und teilte ihm mit, dass der Schütze tatsächlich ein kleiner Junge sei. Er werde gleich noch von einem Arzt durchgecheckt und dann vermutlich erst mal auf die Wache gebracht.
Stefan und Herr Schmidt schauten aus dem Wagen noch eine Weile dem Trubel zu. Wie dem Angeschossenen Verbände und Kompressionsbinden um die Einschussstellen gelegt werden und dieser dann mit dem Bauch auf die Bare gelegt und in den Rettungswagen geschoben wird. Wie die Ärztin zu dem Jungen geht und sich mit diesem und einem Polizisten unterhält. Und wie die Ärztin nickend einem Abtransport des Jungen zuzustimmen scheint. Nach ein paar Minuten schauen sich Stefan und Herr Schmidt kurz an und fahren dann zur Wache.
Wie immer geben sie dort als erstes ihre Waffen in der Waffenkammer ab, da sie nicht zu den Polizisten gehören, die auch privat mit einer Waffe rumlaufen wollen. Anschließend meint Stefan den Jungen gleich sehen zu wollen und begibt sich Richtung Verhörzimmer. Herr Schmidt sagte nur kurz, er wolle sich schon mal an den Bericht machen und schwenkte Richtung Kantine ab.
Ein Polizeiarzt, eine Psychologin und Stefans Vorgesetzter, Herr Feldmann, waren bereits bei dem Jungen und als Stefan das Zimmer betrat kam sein Vorgesetzter auf ihn zu.
Mit leiser und ruhiger Stimme sagt er „Der Junge heißt Klaus und ist erst 13 Jahre alt. Er scheint nicht unter Drogen zu stehen und macht einen relativ gefassten Eindruck; nicht verwirrt oder so. Er kommt aus dem Kinderheim oben vom Waldrand. Er antwortet zwar zurückhaltend höfflich und scheint geistig nicht neben der Spur zu laufen, aber warum er das tat, will er uns nicht verraten.“
Dann kam die Psychologin zu ihnen und sagte, dass der Junge zwar laut dem Arzt körperlich absolut in Ordnung sei, man aber dennoch eventuelle Folgen psychologischer Natur nicht absehen kann. Von plötzlichen Nervenzusammenbrüchen bis zu extremen Wutanfällen könne alles noch passieren. Es dauert sicherlich einige Tage, wenn nicht noch länger, bis man von einer psychologischen Stabilisation sprechen kann. Man habe bereits die Heimleitung informiert und erwarte eigentlich jede Minuten jemanden von dort.
Von einem ausgiebigen Verhör sei abzuraten, um keine gesundheitlichen Probleme zu provozieren. Außerdem stellt sich auch hierbei das Alter als ein Problem dar. Man werde den Jungen jetzt zu einer besseren Bewachung in ein Krankenhaus bringen, wo er vermutlich ein oder zwei Tage zur Beobachtung bleibt.
Stefan verließ den Raum und begab sich kurz darauf auf den Heimweg.
Zu Hause angekommen hatte Andrea schon den Esstisch gedeckt. Beide mochten abends lieber leichte Kost und so gab es einen Salat mit frisch gebackenen Minibrötchen. Stefan machte sich im Bad frisch und kam dann zum Essen.
Während er sich ein Brötchen nahm erzählte er Andrea von seinem ausgefallenen Tag. Andrea hörte Stefan zwar zu, wie er von dem Erlebnis mit dem Jungen und der superschnellen Fahrt zum Einsatzort erzählte, fragte sich aber immer nur, ob er sich auch mal Gedanken über ihre gemeinsame Zukunft macht.
Sie wollte ihm diesbezüglich schon eine Frage stellen, verwarf dies aber sofort wieder. Sie hatte ihn solche Fragen schon dutzendfach gestellt und hat nie eine vernünftige Antwort erhalten. Stattdessen bekam sie immer nur vorgehalten, dass sie es ja war, die heimlich den Test hat machen lassen und dass es deshalb ihr Problem sei, wenn es jetzt halt noch nicht klappe.
Sie aß, in Gedanken versunken, auf und warf Stefan ab und zu ein gekünsteltes Lächeln zu. Als sie mit essen fertig war, sagte sie nur, sie sei müde und werde zu Bett gehen.
Ein letztes, extrabreites Lächeln und sie nahm ihren Teller und ging in die Küche.


6. Dann wollen wir Robin Hood mal dingfest machen, dachte sich Stefan, als Herr Feldmann ins Zimmer kam. Es war ihm einfach nicht verständlich, wieso ein Junge auf offener Straße mit Pfeil und Bogen um sich schießen konnte. Wie so ein Knabe an solch eine Waffe kommt und warum diese so erschreckend gut funktionierte. „In was für einer bekloppten Zeit leben wir eigentlich“ murmelte er vor sich hin.
Herr Feldmann schaute ihn amüsiert an und sagte ihm dann, dass sie jetzt in das Kinderheim fahren werden. Dort werde Herr Schmidt auf sie warten. Sie wollen sich dann mal das Zimmer des Jungen anschauen und mit dem Heimleiter, einem Herrn Kalwass, sprechen.
Sie verließen die Wache und Stefan ging zu seinem Dienstwagen. Herr Feldmann rief ihm zu, dass er lieber fahren werde und sie nahmen seinen Kombi. Vor dem Heim angekommen erwartete Herr Schmidt sie bereits und sie fuhren auf einen der zahlreichen Parkplätze. Als sie den Wagen verließen, öffnete sich bereits die Eingangstür des Heimes.
Ihnen kam ein Mann mittleren Alters entgegen und stellte sich als Herr Kalwass vor. Er war sehr freundlich und erschien ihnen sofort als ein ausgesprochen netter Heimleiter.
Man wechselte ein paar Worte des Unverständnisses über diese Tat, bis Herr Kalwass die Herren ins Haus bat. Herr Feldmann teilt Herrn Kalwass mit, dass sie keinen Durchsuchungsbefehl eines Richters hätten und schaute dabei fragend Herr Kalwass an. Dieser winkte ab, mit dem Hinweis, dass dies wohl kein Problem darstellt. Man könne aber bei Bedarf einen entsprechenden sofort besorgen, ergänzte Herr Feldmann noch, als sie durch die Flure gingen.
Auf dem Weg zu Klaus` Zimmer erklärte Herr Kalwass, dass er seit sieben Jahren in diesem Heim arbeite und seit nunmehr zwei Jahren der Heimleiter sei, aber so etwas hätte er noch nie erlebt. Natürlich gebe es immer wieder Problemkinder. Insbesondere, da dies eigentlich ein Waisenhaus sei und die Kinder dementsprechend eine wirklich schlimme Vergangenheit haben. Aber in der Regel würden solche Problemkinder eher dazu neigen, sich zurück zu ziehen. Bei manchen käme es auch zu Gewaltausbrüchen, aber noch nie gab es einen Vorfall mit Waffen; geschweige denn, dass Personen außerhalb des Heimes involviert wären. Sie blieben vor einem Zimmer stehen und Herr Kalwass öffnete die Tür.
Klaus hatte ein Einzellzimmer, was aber lediglich daran lag, dass es das letzte Zimmer auf dem Flur und besonders klein sei. Die drei Beamten betraten das Zimmer sehr vorsichtig, um nicht eventuelle Spuren zu verwischen Es machte einen überraschend geordneten und aufgeräumten Eindruck. Nicht wie man sich ein Zimmer eines dreizehnjährigen allgemein vorstellen würde. Es hingen keine Poster an der Wand oder lag Spielzeug in der Gegend rum. Lediglich ein alter Computer stand auf bzw. neben dem Schreibtisch. Im Regal standen Bücher, von einem Micky Maus Buch, über mehrere alte „Was ist was“ und Schulbücher bis zu „Der menschliche Körper“ und „Leben mit Leukämie“.
Sie sahen sich leicht überrascht an. Dann fragte Herr Schmidt Herrn Kalwass, ob alle Heimkinder solch eine umfangreiche Büchersammlung, insbesondere über Krankheiten und Behinderungen haben. Der Tonfall von Herrn Schmidt zeigte eindeutig, dass diese Frage nur in der Richtung gemeint, warum grade dieses Kind den so viel zu wissen suchte. Klaus machte keinen Eindruck als sei er schwer Erkrankt.
„Oh, auf dem PC finden sie bestimmt noch einiges mehr darüber“ antwortete Herr Kalwass und wies gleich darauf hin, dass er dies von anderen Heimkindern gehört habe.
Außerdem soll der PC gesichert sein, meinte Herr Kalwass, da sich andere Heimkinder auch hierüber schon lustig gemacht haben sollen. „Wissen Sie“ meinte Herr Kalwass „Klaus ist noch relativ neu bei uns. Er kam erst vor 2 Monaten von einem Waisenhaus, was mit ihm größere Probleme hatte. Seid er vor fünf Jahren seine Eltern durch einen Autounfall verlor, sind wir bereits das dritte Heim, das sich um ihn kümmert. Das erste Heim nahm ihn nur Übergangsweise auf, da er eigentlich schon zu alt war, aber das zweite deutete an, dass er zu Aggressionsausbrüchen neige. Da kam es denen nur recht, dass wir eine sogenannte Unterbesetzung meldeten. Aber herrje, hätten wir so etwas auch nur erahnen können, hätten wir uns diese Aufnahme noch mal überlegt. Bisher aber machte er eigentlich immer einen sehr, sehr zurückgezogenen Eindruck. Seine schulischen Leistungen sind durchgehend gut aber er ist immer alleine. Dadurch hat er auch keine Freunde, glaube ich.“
Die drei Beamten durchsuchten jeden Winkel des Zimmers nach irgendwelchen Besonderheiten, fanden aber rein gar nichts. Ein gemachtes Bett, ein ordentlicher Kleiderschrank und selbst der Boden war gereinigt. „Tja, die Spurensuche brauchen wir hier bestimmt nicht“ meinte Herr Feldmann. „Wäre es ein Problem für Sie, Herr Kalwass, wenn wir den Computer mitnehmen und von unseren Spezialisten durchforsten lassen“ fragte er.
Wie zu erwarten war, stellte dies kein Problem da und so begaben sich die Herren auf den Weg zur Wache. Nach nicht ein mal zwei Stunden waren sie bereits in ihren Büros zurück und verabredeten sich eine weitere Stunde später auf ein Meeting.


7. Andrea saß in ihrem Büro, als ihr Vorgesetzter rein kam und einen PC unter dem Arm trug.
\"Hallo Bill\", sagte sie zu ihm. So nannte ihn das ganze Team, seit er vor 4 Monaten auf einer Betriebsfeier Bill Gates, den Chef der Firma Microsoft, nachahmte. Als ihm dabei sein Notebook-Betriebssystem abstürzte, erkannten alle den Zusammenhang zur letzten Microsoft Veranstaltung und mussten fürchterlich lachen.
„Hallo Schnecke“, so nannte er sie immer, „ich habe hier mal einen Eilauftrag. In der Kiste sollen sich ein paar tolle Geheimnisse verbergen. Immerhin gehört diese Killermaschine dem Bogenschützen von gestern aus der Goethestraße.“ Andrea erschrak. „Vermutlich wieder so ein Teil, was mit Ballerspielen und Gewaltvideos voll ist“ meinte Bill „gepaart mit ein bissel Pornoscheiße oder so. Das Kidi hat vermutlich einen passwortgeschützten Account eingerichtet. Ich weiß nicht, ob unter VISTA, XP oder ein altes Betriebssystem. Naja, ist ja auch egal. Das hast Du sowieso in 10 Minuten geknackt, oder?“
„Natürlich Bill“, antwortete Andrea, in dem Wissen, das Bill einfach nur zu faul war, dies selber zu erledigen. Die Datensichtung und Datensicherung sichergestellter Rechner war zwar ihr Tagesgeschäft, aber dennoch war sie über den Inhalt dieses Rechners etwas überrascht.
Wie „Bill“ bereits erwähnte, vermutete auch sie zumindest einige Spiele auf dem Rechner. Mit dieser Vermutung lag sie voll daneben. Auf dem Rechner befanden sich hauptsächlich eBooks und Anleitungen über mittelalterliche und neuzeitige Wurf- und Spießwaffen. Der Bau und Gebrauch solcher, sowie derer Wirkungen.
Andreas erster Gedanke war, er mag halt Rittergeschichten, aber ebensolche waren nicht zu finden. Ein paar vereinzelte Bericht über die neuesten Erkenntnisse in Bezug auf Krankheiten, wie Leukämie, aber ansonsten hauptsächlich Texte über Waffen. Den Gedanken, Klaus könne auch einfach nur ein Waffennarr sein, verwarf sie auch wieder. Es waren keine Dateien über Feuerwaffen, Raketen oder ähnliches vorhanden.
Anhand der Dateien auf diesem Rechner konnte man sich umfangreich über den Bau, Gebrauch und Wirkungsgrad unkonventioneller Waffen informieren. Alles deutete darauf hin, dass der Junge sich auf die durchgeführte Tat bestens vorbereitet hatte.
Andrea schaute, was für Programme Klaus auf dem Rechner installiert hatte. Als sie sah, dass auch ein Mailprogramm auf dem Rechner war, öffnete sie dieses. Der Junge schien einen POP3-Account bei einem Mailprovider zu haben. Mit diesem Account, das heißt dieser Zugriffsberechtigung, muss man nicht im Internet auf die Seite des Mailanbieters gehen, sondern kann Mails auf den eigenen Rechner runterladen bzw. vom eigenen Rechner aus direkt verschicken.
Sie sah, dass er viele Mails mit dem Namen eines Auktionshauses im Betreff hatte und öffnete die vor zwei Wochen zu letzt empfangene Mail. „Herzlichen Glückwunsch Klaus Branscheid. Sie haben folgenden Artikel ersteigert. Zwei Präzisionspfeile der Marke `Tomkill 33`…. zum Erlegen von Großwild geeignet“.
Andrea durchstöberte noch alle 34 anderen Mails im Posteingang und auch die gelöschten bzw. die versandten Mails. Sie fand keine weiteren Kaufbestätigungen. Die meisten Mails waren anscheinend schon älteren Datums und an irgendwelche anderen Privatpersonen, vermutlich frühere Freunde, gerichtet.
Dass Klaus, ein minderjähriger Junge, einen Account, auf ein Internetauktionshaus hat, verwunderte Andrea im Grunde nicht all zu sehr. Die Kontrolle, das minderjährige Kinder auf eine bestimmte Internetseite nicht zu greifen dürfen, ist eigentlich nicht all zu schwer zu umgehen.
Es gibt Überwachungsprogramme, bei denen der User z.B. seine Personalausweisnummer eingeben muss, anhand der exakt festgestellt werden kann, ob dieser wirklich volljährig ist. Auch kann ein Seitenanbieter verlangen, dass sich der User mit seiner vollständigen Anschrift anmeldet. Der Seitenbetreiber schickt diesem dann einen sogenannten Freischaltcode mit der Post. So hat er die Gewähr, dass zumindest die Anschrift richtig ist und der User hat erst dann Zugriff auf die Seite, wenn er diesen Freischaltcode eingibt.
Natürlich haben diese Sicherungssysteme auch ihre Schwachstellen und lassen sich umgehen oder austricksen. Aber die Tatsache, dass hier eine Auktion von Waffen statt gefunden hat, verärgerte Andrea.
Moment mal, dachte sich Andrea, es sind ja gar keine Waffen, sondern lediglich …..Pfeile …..außerdem sind diese im Ausland ersteigert worden. Ah ja, da steht in der Mail auch noch, es handelt sich um „Ausstellungsstücke“. „Na toll, man kann aber auch alles irgendwie umgehen“, gab sie resignierend von sich.
Andrea fragte sich, ob dies die zwei Pfeile waren, die Klaus gestern verschoss.
Und wie sollte Sie das Passwort für dieses Auktionshaus raus finden? Sie könnte einfach über die Suchenfunktion des Betriebssystems nach Dateien mit dem Namensinhalt „Passwort“ oder ähnlichem suchen. Sie ließ sich die Größe der Festplatte anzeigen und war etwas erleichtert, dass dies ein alter PC mit kleinem Speicher ist. Dann aber fiel ihr ein noch einfacherer Weg ein.
Da Klaus den Rechner selber schon passwortgesichert hatte, hat er vielleicht auf der Internetseite des Auktionshauses einen kleinen Flüchtigkeitsfehler begangen. Sie öffnete sofort den Internetexplorer und ging auf die entsprechende Seite. Bei dem Eingabefeld für den Benutzernamen gab sie ein „q“ ein. Es passierte nichts. Sie löschte den Buchstaben und gab ein „w“ ein. Wieder nichts. Dann löschte Sie diesen Buchstaben und fuhr mit dem nächsten Buchstaben auf der Tastatur, dem „e“, fort.
Sie probierte jeden Buchstaben durch, bis Sie zum „k“ kam. Dort setzte sein Rechner plötzlich ein „Klaus4444“ ein. Sie probierte noch alle anderen Buchstaben, aber bei denen tat sich auch nichts mehr.
Klaus war sich also sicher, dass der Passwortschutz des Rechners ausreicht und hatte die „Ergänzungsfunktion“ des Betriebssystems eingeschaltet. „Tja, Kläuschen“ murmelte Andrea lächelnd, „schlau genug um einen falschen Account ein zu richten, aber da hast Du wohl geschlampt.“
Ein noch größerer Fehler war, dass er auch das dazugehörige Passwort abgespeichert hatte, welches gleichzeitig in das weiter unten angezeigte Feld eingetragen wurde. Andrea hatte jetzt Zugriff auf seinen Auktionsaccount und konnte sich als Klaus anmelden.


8. Stefan ging in den Konferenzraum. Herr Feldmann und Herr Schmidt schienen ebenfalls gerade erst gekommen zu sein und sortierten Ihre Unterlagen. Er zog die Stirn in Falten und fragte nach dem Stand der Dinge.
„Nun“, sprach Herr Schmidt bedächtig langsam, „wir haben einen eigentlich schüchternen Jungen Namens Klaus Branscheid, der an einem“, er hielt für den Bruchteil einer Sekunde inne, bevor er weitersprach, „normalen Nachmittag auf offener Straße willkürlich einen Mann erschießen wollte. Der Mann heißt übrigens Peter Freiherr von Stein. Bis wir den Vernehmen können wird einige Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern. Ich habe eben das Krankenhaus angerufen und es geht ihm den Umständen entsprechend. Der eine Pfeil hat seine Lunge durchbohrt, als sei sie aus Butter.“ Stefan war überrascht über den folgenden sarkastischen Satz, „der zweite Pfeil war sozusagen voll für`n Arsch. Die Pfeile waren absolute Spitzenqualität. Unsere Waffenexperten sind noch am analysieren, aber meinten, dass diese Pfeile wirklich zum töten geeignet sind. Der Bogen, der beim Jungen gefunden wurde ist nicht so gut. Wohl eher eine Art Eigenbau, aber dennoch effektiv.“ Herr Feldmann schaute auf seinen Notizblock und fuhr fort; „dieser `Freiherr von` ist nur ein gekaufter Namenszusatz und hat nichts Adliges an sich. Im Gegenteil der ist schon mal vorbestraft, wegen Urkundenfälschung; vor 3 Jahren. Als Beruf übt der irgendwas Internetmäßiges aus, ich weiß aber noch nicht genau was.“
Das Telefon in der Mitte des Tisches klingelte. Herr Feldmann schaute auf und nahm dann den Hörer ab. „Ah ja, das haben uns die Waffenspezies auch schon mitgeteilt“, sagte er. „Er hat die Pfeile aus Österreich gekauft? Über ein Internetauktionshaus?“
In diesem Moment fiel Stefan bei dem Wort Internet etwas ein. Andrea sagte ihm mal, dass alle Internetseiten irgendwo registriert sind. Aber wo war das noch mal? Er deutete Herrn Feldmann, dass er gerne mal mit dem Computerspezialisten sprechen wolle. Herr Feldmann sagte seinem Gesprächspartner, dass jemand anderes was zu fragen hat und schaltete verschmitzt lächelnd auf Freisprechanlage. „Hier Hartung, hallo, sagen Sie mal, sind nicht alle Internetseiten irgendwo registriert“, fragte Stefan. „Hallo Schatz, sagte Andrea, ja auf DENIC, wieso?“ „Ähh“, Stefan schien überrascht. „Schau doch mal, ob ein Herr“, Stefan blickte seine Kollegen etwas fragend an, „ein Herr Peter Freiherr von Stein, eine Internetseite hat.“ Stefans Kollegen nickten dem Namen zustimmend. Über die Freisprechanlage hörte man das Quietschen eines Bürostuhles. Andrea drehte sich um 180 Grad an den zweiten Schreibtisch, der genau hinter ihr stand. Dort befand sich ein weiterer PC und sie klickte auf ein Icon das mit „Internetverbindung aufbauen“ beschriftet war. Anschließend klickte Sie auf den Link zu dieser Seite, die sie schon häufig benutzt hatte. „DENIC.com“. „Wie kommt Ihr voran“, fragte sie, während sich die Seite auf dem Monitor aufbaute. „Geht schon“, antwortete Stefan kurz. Andrea zuckte zusammen, bei der Kälte, die er ihr entgegen warf. Da war schon die Auskunft. „Oh man“, sagte Andrea, „der hat aber einige Seiten. Eine Astrologieseite, eine Seite hat was mit Kochrezepten zu tun, eine weitere mit Autoreparaturen, eine was mit Lebensberatung, eine mit Lottotips, hui, der hat über 20 Seiten. Alle mit so komischen Sachen. Wieso willst Du das Wissen, dann kann ich genauer suchen.“
„Danke“, sagte Stefan harsch und legte prompt auf.
Stefans Kollegen schauten sich kurz an und kullerten mit den Augen. Es war Ihnen schon länger aufgefallen, dass bei Stefan und Andrea etwas nicht stimmte, aber das fanden sie wirklich schon übertrieben abweisend.
Die drei Männer schauten sich gegenseitig an und es kam für ein paar Sekunden zu einer unangenehmen Pause.
Dann sagte Herr Feldmann, dass er sich um einen Durchsuchungsbefehl für die Wohnung des Angeschossenen bemühen werde. Die Männer standen auf und verließen den Raum.


9. Stefan ging in sein Büro, setzte sich in seinen Bürostuhl und lehnte sich nach hinten. Er schaute mit leerem Blick an die Decke und wurde Nachdenklich.
Wieso nur hat Andrea die Untersuchungen heimlich gemacht? Wollte Sie erst mal klären, dass sie selber gesundheitlich dazu in der Lage ist ein Kind zu bekommen? Damit sie mir dann, aus der Gewissheit heraus, selber nicht Schuld zu sein, Vorwürfe machen kann? Was wäre denn gewesen, wenn sie unfruchtbar wäre? Hätte sie mir das dann gesagt oder hätte sie so gemacht, als wolle sie kein Kind?
Stefan stellte sich diese und ähnliche Fragen fast täglich, aber er kam zu keinem Ergebnis. Dass Andrea gesund war, ließ ja nur den einen Schluss zu und den wollte er einfach nicht wahr haben; geschweige denn, von einem Arzt bestätigt bekommen. Er saß schon fast eine Stunde in Gedanken versunken da, als er durch das Knurren seines Magens darauf aufmerksam wurde, dass er Hunger hat.


10. Andrea verstand Stefan nicht mehr. Sie konnte nicht verstehen, warum der Mann, den sie so liebt, sich immer mehr von ihr abwendet.
Vor vier Monaten wechselte er in eine andere Abteilung, die zum Glück aber noch im gleichen Haus ist. Vor zwei Wochen hatte er sich auf eine nochmals andere Stelle beworben, die sogar am anderen Ende der Stadt wäre. Sie hat nur durch Zufall davon erfahren, da eine Freundin von ihr dort arbeitete. Die Stelle erhielt aber bereits jemand anderes. Nicht weil dieser andere Bewerber besser gewesen wäre, Stefan hatte wesentlich mehr Erfahrung, aber in seiner letzten Beurteilung wurde angedeutet, dass er neuerdings zu aggressiverem Verhalten neige.
Hatte das alles nur damit zu tun, dass er kein Kind zeugen kann?


11. Stefan wollte grade in die Kantine gehen.
Auf dem Flur kam ihm Herr Feldmann, mit dem Durchsuchungsbefehl in der Hand winkend, entgegen und lächelte. Sie gingen zum Büro von Herrn Schmidt und öffneten die Tür ohne vorher anzuklopfen. Sie sahen Herr Schmidt, wie dieser genüsslich in ein Brötchen biss und beim Anblick der beiden Kollegen zusammenfuhr. Stefan lächelte und sagte mit kräftigen Ton „Auf geht’s, wir haben den Durchsuchungsbefehl“.
Sie fuhren zu der Wohnung des Feiherrn von Stein. Diese lag am Stadtrand in einem Wohnkomplex von 12 Eigentumswohnungen und wurde von einem Sicherheitsdienst bewacht. Im Eingangsbereich saß ein junger Mann hinter einer Art Rezeption und fragte die Herren freundlich nach ihrem Anliegen.
Herr Feldmann stellte sich vor und alle drei zeigten ihre Polizeimarken. Er übergab dem vermeintlichen Portier den Durchsuchungsbefehl und schaute, wie dieser das Papier durchlass. Nachdem dem Portier ein langgezogenes „uuiiii“ über die Lippen kam, öffnete dieser einen kleinen Schlüsselschrank hinter sich und nahm einen solchen heraus. Er stellte ein „Bin in 5 Minuten zurück. Bitte warten Sie! “-Schild auf die Rezeption und fragte Herr Feldmann, ob er den Durchsuchungsbefehl behalten dürfe, um einen entsprechenden Nachweis zu haben.
Nachdem Herr Feldmann kurz mit „Natürlich“ antwortete, meinte der Portier etwas zögerlich „Na, dann wollen wir mal. Bitte folgen Sie mir“. Er drückte einen Knopf und eine kleine Durchgangsschranke öffnete sich.
„Lediglich ein Zimmer, Küche und Bad, aber fette 103 Quadratmeter“, meinte der Portier, während er die Wohnung aufschloss und die Tür öffnete. Die Männer standen alle da und starten in den Raum. Ein großer, fast leerer Raum, in dessen Mitte ein Schreibtisch mit einem Computer drauf stand..
Sie betraten die Räumlichkeiten und schauten sich um. In der ebenfalls großen Küche lagen nur dutzende leere Pizzakartons rum. Im Schlafzimmer standen nur eine Liege und ein Tischchen, mit einem Päckchen Kopfschmerztabletten darauf. Das Bad sah immerhin so aus, als würde auch die Dusche benutzt werden.
Nach wenigen Minuten stand für alle fest; hier wohnt Herr Freiherr von Stein nicht wirklich. Die ganze Zeit blieb der Portier neben der Einganstür stehen und schien langsam unruhig zu werden. Herr Schmidt ging zu ihm und teilte ihm mit, dass man den Computer konfiszieren werde. Die rechtliche Grundlage dafür sei in dem Durchsuchungsbefehl genauer erklärt. Außerdem könnte es sein, dass auch noch ein Team der Spurensicherung kommen werde und dass in der Zwischenzeit niemand die Wohnung betreten dürfe.
Der Portier begann einen Satz mit „Aber wenn Herr Freiherr von Stein kommt, was …“ „Der wird nicht kommen“, meinte Stefan. „Peter Freiherr von Stein liegt angeschossen im Krankenhaus. Lesen Sie sich in Ruhe den Durchsuchungsbefehl noch mal durch und wenn Sie Fragen haben, dann rufen sie die dort angegebene Telefonnummer an. Da bekommen Sie gerne weitere Auskünfte.“ Der Portier schien beruhigt.
In der Zwischenzeit zogen Herr Feldmann und Herr Schmidt alle Stecker aus dem Computer. Herr Schmidt nahm den Rechner unter den Arm und Herr Feldmann nahm die einzelne Box mit Disketten und die zwei Aktenordner an sich. Die Herren verabschiedeten sich und gingen zu ihrem Auto.
Auf dem Weg zurück ins Büro funkte Herr Schmidt an die Zentrale, man möchte mal eine Meldeauskunft von Herrn Freiherr von Stein einholen. Nach wenigen Sekunden erfuhren sie, dass dieser aber nur diese Anschrift als Hauptwohnsitz und keinen Nebenwohnsitz habe.
Im Präsidium angekommen brachte Herr Feldmann den Computer wieder in die Computerabteilung und gab diesen bei „Bill“ ab. Stefan und Herrn Schmidt bat er, sich mit der Psychologin zu treffen und mal nach dem Jungen zu schauen.


12. Mit etwas gemischten Gefühlen nahm Andrea auch diesen PC entgegen und machte sich sogleich daran, die Geheimnisse dieses Rechners zu lüften.
In den Rechner an für sich einzudringen war auch hier kein größeres Problem. Das Bundeskriminalamt kaufte für jedes Betriebssystem das Microsoft heraus gab eine Software, die es ermöglichte das entsprechende Betriebssystem zu knacken. Für einen nicht unerheblich minderen Betrag durfte diese Software auch an das Landeskriminalamt und ein paar weitere Verfolgungsbehörden weitergegeben werden.
Das Microsoft für sich selber auch noch ein paar Hintertürchen einbaut kann mit ziemlicher Gewissheit vermutet werden. Nicht jeder als `Buck` bezeichnete Fehler in einem neuen Betriebssystem ist auf einen Fehler der Programmierer zurückzuführen, sondern so extra gewollt. So manche angebliche Fehler legen auch den Verdacht nahe, dass sich hierdurch die Firma Microsoft Zugriff auf Rechner mit dem eigenen Betriebssystem erlauben will. Die Firma Microsoft ist im Grunde eine reine Softwarefirma und wenn sich die Kundschaft einfach das Produkt kopiert, ist dies ein enormer Verlust.
Andrea erwartete eigentlich einen PC, auf dem zum Beispiel viele HTML Dokumente oder Webtemplates vorhanden sind. HTML ist die grundlegende Programmiersprache für Internetseiten und Webtemplates sind bereits vorprogrammierte Seiten. Aber sie täuschte sich gewaltig.
Nachdem sie stundenlang die Dateien sichtete und sich ein Gesamtbild des Rechnerinhaltes machte, zeigte sich etwas ganz anderes.
Sie fand hunderte von alphanumerisch sortierten Tabellen, mit tausenden von Mailadressen und IP Nummern. In einem Mailprogramm auf diesem Rechner sah sie ebenso tausende von Mails, die teilweise an nur einem Tag verschickt wurden.
Dieses Mailprogramm hatte auch Funktionen eines sogenannten Massenmailers beziehungsweise Spammerprogrammes. Dies würde erklären, wie so horrende Stückzahlen von Mails verschickt werden konnten, für die man sonst vermutlich Tage bräuchte.
Sie zuckte kurz, als sie bemerkte, dass alle Mails als Absender einen Rechtsanwalt Freiherr von Stein angaben. Ein gekaufter Adelstitel und dann Rechtsanwalt, grübelte Andrea und machte sich eine Notiz, dies mal zu überprüfen.
Aber dann sah sie welcher Text in fast allen Mails stand und ihr wurde schlagartig klar, wo der Zusammenhang zwischen den ausgefallenen Internetseiten und der gewaltigen Anzahl an Mailadressen und IP Nummern war.


13. Im Krankenhaus bei Klaus angekommen stellten sich die drei Herren dem Jungen vor und um erst mal ein Vertrauensverhältnis aufzubauen Fragte der Polizeipsychologe, wie es Klaus den ginge. Klaus saß auf seinem Bett und machte einen schüchternen, zurückhaltenden Eindruck. Klaus sah auf und fragte leise, wie lange er noch hier bleiben müsse und wie es dem Herrn Freiherr von Stein geht.
In diesem Moment kam der Stationsarzt in das Zimmer und ging direkt zu Klaus. Er stellte sich als Doktor Weber vor, lächelte freundlich und sagte laut, dass es aus seiner Sicht kein Problem gäbe, Klaus zu entlassen.
Stefan meinte, dass man im Anschluss an das Gespräch den Heimleiter benachrichtigen werde und Klaus zurück könne. Vorher müsse man Klaus aber ein paar Fragen stellen.
Stefan schaute Klaus mit ernster Miene an und fragte ihn: Klaus. Was Du gestern gemacht hast war nicht richtig. Ist Dir das klar?
Klaus nickte und schaute dabei nach unten.
Wieso hast Du das gemacht?
Keine Reaktion.
Klaus, wieso?
Er schüttelte den Kopf.
Die Polizeipsychologin bemerkt, wie Stefan innerlich unruhig wurde und legte seine Hand auf dessen Schulter.
Herr Schmidt räusperte sich und sagte in ruhigem Ton zu Klaus: Du hast mit Bogen und Pfeil auf einen fremden Mann geschossen. Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da fiel jedem anwesend auf, dass Klaus vorhin seinen Namen nannte.
Um die Überraschung über diese Erkenntnis zu überspielen, fragte Stefan schnell, wo er diese Waffe her habe. Klaus antwortete, dass er den Bogen selber gebaut und die Pfeile übers Internet bestellt habe. „Holz für einen guten Bogen bekommt man bei jedem Schreiner und diesen zu spannen ist auch kein Problem. Aber die Pfeile sind voll schwer zu bauen und fliegen nicht richtig“, fügte er noch kleinlaut hinterher.
Um Klaus eine Falle zu stellen, fragte Stefan, wie er sich den diesen Mann ausgesucht habe und schaute ihm dabei fest in die Augen. Klaus blickte kurz zu ihm, schaute dann aber sofort wieder nach unten und schwieg.
Es stand also fest, dass Herr Freiherr von Stein kein Zufallsopfer war.
Die Psychologin versuchte jetzt ihr Glück und stellte eine Doppelfrage: Hast Du schon mal auf jemand anderes geschossen und wieso hast Du das jetzt gemacht?
Ein gewinseltes „Nein“ kam von Klaus, dann kullerte ihm eine Träne übers Gesicht.
Der Stationsarzt schaute die Männer mit einem Blick an, dass allen klar war, sie sollten besser aufhören.
Nach ein paar Sekunden des Schweigens sagte Stefan zu Klaus, dass er jetzt den Heimleiter rufen werde und er könne dann zurück ins Heim. Vorerst müsse er mit Hausarrest rechnen. Sie werden sich mit ihm noch mal ausführlich unterhalten müssen und sein Ausgang werde natürlich gesperrt. Ist ok., meinte Klaus, Moni ist ja auch nicht da.


14. Dieses Miststück, dachte sich Andrea, als sie sich eine der Internetseiten von Herrn Freiherr von Stein ansah. Sie schaute auf eine Seite, auf der die verschiedenen Sternzeichen und dazugehörige Tageshoroskope angezeigt wurden. Außerdem konnte man sich ein ausführliches, sogenanntes Ganzheitshoroskop, ein Liebeshoroskop und sogar ein Berufshoroskop erstellen und per Mail zu schicken lassen.
Routinemäßig klickte sie auch auf das Impressum und die Nutzungsbedingungen dieser Internetseite und ihr viel auf, dass die Nutzungsbedingungen auffallend lang und schwer verständlich formuliert waren. Immer wieder wurde erwähnt, dass das Aufrufen dieser Seite kostenfrei sei, aber zum Ende des ganzen Pamphlets wurde kurz und unscheinbar erwähnt, dass jedes „persönliche Horoskop“ jedoch 89,- Euro koste.
Bei der Eingabe der eigenen Mailadresse musste man noch ein Häkchen setzen, welches Horoskop man haben wolle, das man keine weitere Werbemails haben will und natürlich dass die Nutzungsbedingungen anerkannt werden. Wenn man in dieses Feld keinen Haken setzte konnte man das Feld „Weiter“ nicht anklicken.
Wirklich raffiniert. Fast betrügerisch raffiniert, aber halt nur fast, sagte sich Andrea. Jeder der sich für eines oder auch mehrere dieser Horoskope interessierte, füllte natürlich seine echte Mailadresse, unter der er die Mailantwort auch bekäme, aus. Und wer schon mehrere Häkchen für ein oder mehrere Horoskope und gegen weitere Werbemails gesetzt hat, macht sich auch keine Gedanken mehr, ein Häkchen bei den Nutzungsbedingungen zu setzen. Und so kam der werte Herr Freiherr von Stein an die Mailadressen.
Das der Server, auf dem diese Seite gespeichert war, auch die IP Nummern der Besucher speicherte ist unkompliziert und sogar etwas ziemlich normales. Das machen sehr viele Internetseiten.
Eine IP Nummer bekommt jeder Computer, in dem Moment wo er online geht, automatisch zugeordnet. Nur so weiß ein Server, der vielleicht hunderte von Anfragen pro Minute erhält wo er entsprechende Antworten, das heißt die angefragte Internetseite, eigentlich hin schicken soll.
Andrea überlegte sich, dass man ja nicht bei jedem Mailprovider eine Echtadresse angeben muss. Bei manchem Anbieter von Mailadressen kann man sogar ziemlich leicht eine falsche Anschrift eingeben, ohne dass dies überprüft wird. Herr Freiherr von Stein erhält zwar so viele Mailadressen, hat dadurch aber nur ziemlich selten auch einen echten Namen und die echte Anschrift einer Person.
Die IP Nummern sind auch nicht viel ergiebiger. Da man nicht direkt ins Internet gehen kann, muss man sich immer über einem Provider einwählen. Hier gibt es zwar mehrere verschiedene Verfahren, aber letztendlich lassen sich fast alle zurück verfolgen. Anhand der IP lassen sich die Provider ermitteln und diese führen sekundengenaue Listen, welche Person hinter welcher IP Nummer steht. Eine Ausnahme wäre, wenn der im Internet surfende sich über einen sogenannten Proxiserver einwählt bzw. weiterleiten lässt. Diese Proxiserver stehen in der Regel in Ländern, mit denen es keine Rechtsabkommen gibt und wo man dem Aufsteller solcher Server rechtlich nichts anhaben kann, wenn sie keine Auskunft erteilen, wer wann wo war. Aber auch einheimische Provider geben natürlich diese hochsensiblen Daten nicht einfach weiter, sondern nur wenn eine entsprechende Strafverfolgungsbehörde in einem entsprechend wichtigen Verfahren auf die Herausgabe besteht und ein Richter dies abzeichnet.
Für eine offene Rechnung, im drei- oder vierstelligen Euro Bereich passiert da gar nichts. Wieso macht der Her Freiherr von Stein das dann, fragte sich Andrea. Wo liegt der Sinn in dem Angebot von, zugegeben sehr fragwürdigen, Diensten, wenn man den vermeintlichen Kunden gar nicht genau kennt und seine Forderungen im Grunde auch nicht durchsetzen kann? Andrea schaute auf die Liste der Namen der vielen Fadenscheinigen Internetseiten. Dann kam ihr die Antwort einfach über die Lippen:
Die Masse macht’s und der entsprechende Druck, den man auf die Leute ausübt.“


15. Bevor Herr Kalwass in das Zimmer von Klaus ging, sprachen Stefan und seine Kollegen mit ihm. Sie teilten ihm mit, dass der Stationsarzt keine Bedenken gegen eine Heimkehr hätte, aber aus Ihrer Sicht sei fraglich, ob dies vernünftig ist.
Herr Kalwass versicherte, dass sich um Klaus entsprechend gekümmert wird. Man habe mit dem Personal einen Plan erstellt, durch den Klaus Tag und Nacht unter unauffälliger Kontrolle sei. Ein Verlassen des Heimes ist unmöglich und sein Zimmer sei noch mal auf Waffen oder ähnliches durchsucht worden.
Stefan viel plötzlich der Name Moni ein, den Klaus erwähnt hatte und fragte danach.
„Oh je, die arme Monika“, sagte Herr Kalwass. „Unser Sorgenkind. Sie leidet an Leukämie und liegt seit vorgestern in der Universitäts-Klinik. Eine letzten Monat abgebrochene Chemo-Therapie wurde wieder aufgenommen und ihr geht es nur mittelmäßig. Wie gesagt, vor zwei Wochen wurde eine Chemo- begonnen, aber die hatte ihr so zugesetzt, dass man sie am dritten Tag bereits beenden musste. Sonst wäre sie vermutlich schon nicht mehr unter uns. Vorgestern hatte sie einen Schwächeanfall, bei dem man nicht wusste, was man machen sollte. Man behielt sie über Nacht da und da es ihr gestern erstaunlich gut ging, hat man die Chemo- wieder begonnen. Die muss jetzt durchgezogen werden, sonst würde es ihr Ende bedeuten. Es geht bei ihr wirklich um alles. Ach ja, jetzt wo sie den Namen erwähnen, mit Ihr hatte Klaus Kontakt.“
„Nun gut“, meinte Stefan, „wir werden morgen zu Ihnen kommen und müssen dann nochmals mit Klaus sprechen.“


16. Andrea bekam das Puzzle zusammen und sie verstand, auf welch gemeine Art und Weise hier Herr Freiherr von Stein sein Geld macht.
Er hat verschiedene Internetseiten, die alle irgendwelche Dienste, sei es „persönliche Horoskope“, „persönliche Kochrezepte“ oder das Ermitteln der angeblich „gewinnoptimierten, persönlichen Lottozahlen“, anbieten. Alle Seiten scheinen auf den ersten Blick kostenfrei zu sein. Wenn man dann aber einen dieser „persönlichen Dienste“ in Anspruch nimmt gerät man in die Psychofalle.
Man erhält in kürzester Zeit den angeblich „persönlichen“ Dienst zugemailt und dürfte vermutlich enttäuscht sein, über das doch so unpersönliche Liebeshoroskop oder die wahllos erscheinend zusammen geschmissenen Gewinnlottozahlen. Im Anhang aber befindet sich die Rechnung. Sicherlich mag hier noch ein Großteil der Mailempfänger an einen bösen Scherz glauben, aber binnen einer Woche erhält man eine perfekt durchformulierte Mahnung. Der Absender weißt darauf hin, dass man einen kostenpflichtigen Dienst, auf einer ansonsten kostenfreien Seite, beansprucht hat und hierfür natürlich bezahlen muss.
Jetzt wird bereits ein etwas größerer Teil der Mailempfänger verängstigt und der ein oder andere wird die Rechnung begleichen.
Wer hart bleibt, erhält wiederum ca. eine Woche später eine 2. Mahnung inklusive Mahngebühren, mit dem Hinweis, dass bei weiterer Zahlungsverweigerung ein Anwalt eingeschaltet werden müsse.
Erneut werden ein paar „Zahlungsunwillige“ umgestimmt.
Jetzt aber geht der Mailterror eigentlich erst los. Eine weitere Woche später bekommt man bereits mehrere Mails. Eine angebliche Mitteilung der Rechnungsstelle, dass ein Anwalt eingeschaltet worden sei und ein zweites Schreiben des vermeintlichen Anwaltes. Dieser Anwalt weißt einen darauf hin, dass man anhand der Mailadresse den Schuldner ermitteln werde, wenn dieser nicht binnen eines sehr kurzen Zeitraumes die Rechnung, die Mahngebühren und die Kosten des Anwaltes in dreistelliger Höhe, begleicht.
Andrea war von den Formulierungen des Freiherrn von Stein überwältigt. Sie konnte sich gut vorstellen, wie sich jemand, der diese Drohbriefe bzw. Mails erhielt, fühlen muss.
Scheinbar wurde der Druck auf die angeblich säumigen Schuldner noch verstärkt, in dem man diesen nur einen Tag später eine weitere Mail zukommen ließ. Da man eine rechtsmäßige Forderung gegen den Schuldner habe, hätte man die IP Nummer des Rechners erhalten und werde jetzt gerichtliche Schritte einleiten. Dies sei nur durch die Begleichung aller bisherigen Kosten sowie der Aufwendungen für die angebliche Ermittlung der Nummer abzuwenden.
Selbstverständlich wird die tatsächlich ermittelte IP Nummer mit aufgeführt um einen seriösen Eindruck vorzutäuschen. Dass das Ermitteln der IP Nummer ein „programmiertechnischer Klacks“ ist, wird natürlich nicht erwähnt und es wird so dargestellt, als sei bereits irgendeine Behörde hinter einem her.
„Ja, so werden sicherlich einige Leute schwach“, murmelte Andrea. Rechnung, Mahnung, Anwalt und eine angeblich erfolgreiche IP Nummern Ermittlung. Manche Mails werden gleich doppelt oder dreifach versandt, damit jeder ahnungslose Besucher einer dieser Internetseiten auch wirklich Angst bekommt. Wenn da auch nur jeder tausendste angeblicher Schuldner schwach wird, dann; Andrea schaute auf die extrem langen Listen der Mailempfänger und schüttelte nur noch mit dem Kopf.


17. Beim Abendbrot waren Andrea und Stefan ganz ruhig. Sie hatten sich nichts zu erzählen. Sie aßen Ihre gelieferte Pizza und Pasta vom nahegelegenen Italiener, schauten in irgendwelche Zeitungen und schwiegen.
Als beide fast fertig waren, wagte Andrea den Versuch ein Gespräch zu beginnen und erzählte Stefan, was sie auf den Rechnern alles fand. Stefan verstand nur die Hälfte, hatte aber keine Lust sich alles erklären zu lassen. Er wollte schnell ins Bett und seine Ruhe haben. Als Andrea erwähnte, dass alle im Heim angeschlossenen Rechner vermutlich über eine einzige Leitung ins Internet gingen, stockte Stefan.
„Wie soll dass denn funktionieren“, platzte es aus ihm heraus. „Ein Router“, meinte Andrea. „Nur ein Rechner, vermutlich der des Heimleiters, ist ans Internet angeschlossen. Alle anderen Rechner die ins Internet wollen, verbinden sich mit diesem PC. Da dieser Rechner also immer kontrolliert, welcher PC welche Internetseite aufruft und die hereinkommenden Daten an den jeweiligen PC zurück gibt, ist dieser ein sogenannter Router. So kann zum Beispiel auch kontrolliert werden, welche Seiten abgerufen werden dürfen und welche nicht“. Andrea freute sich, dass sie mit Stefan ein Gespräch zu führen schien, aber Stefan hatte genug gehört, stand auf und ging wortlos ins Bad.


18. Am nächsten Tag holten Andrea und Stefan auf der Wache Herrn Schmidt ab und fuhren zusammen ins Heim. Auch wenn es Stefan offensichtlich unangenehm war, fand er es sinnvoll, wenn Andrea mit kam. Sie könnte sich mal den Rechner von Herrn Kalwass anschauen und versuchen heraus zu finden, ob Klaus auf einer der Seiten von Herrn Freiherr von Stein war.
Herr Kalwass empfing sie an der Eingangstür und Andrea stellte sich vor. „Guten Tag Herr Kalwass“, sagte Andrea. „Mein Name ist Hartung. Ebenso wie der Name von Herrn Hartung, was daran liegt, dass wir verheiratet sind“. Ein allgemeines, kurzes Gelächter trat ein und Andrea dachte zu sich „wie dumm war denn das jetzt“. „Meine Frau ist hier die Computerspezialistin“, brach Stefan dazwischen, „und hätte da einige Fragen bezüglich der Rechnerinstallationen in diesem Haus“.
„Nun, ähm, dann gehen wir wohl erst mal in mein Büro“, meinte Herr Kalwass. „Ich verstehe aber nicht, was das alles jetzt mit Computern zu tun haben soll.“
Andrea antwortete, dass dies irgendwie die Verbindung zwischen Klaus und dem Angeschossenen sei, man aber auch noch keine genaueren Erkenntnisse darüber habe. Klaus verweigerte bisher noch jede Aussage über das Motiv und man müsse jetzt jeder Möglichkeit nachgehen. Herr Kalwass schien irritiert.
Als sie das Büro von Herrn Kalwass betraten fragte Andrea, ob denn viele Kinder einen Computer und einen Internetzugang hätten.
„Elf Kinder genau“, antwortete Herr Kalwass. „Das sind zum Glück nicht besonders viele, aber den Internetzugang zu regeln ist trotzdem nicht einfach“. Er, Herr Kalwass, habe zwar ein bisschen Ahnung von Computern und hatte sogar mal eine eintägige Fortbildung für Netzwerke, aber ein Fachmann, wie Frau Hartung, sei er deshalb noch lange nicht. „Ich habe den Kindern ein Netzwerk eingerichtet, mit dem sie täglich von 18.30 Uhr bis 20.00 Uhr ins Internet können. Genau genommen, schalte ich in dieser Zeit meinen Rechner frei, so dass die Kinder darauf zugreifen und online gehen können. Das war die einzige Lösung, wie wir auch das Internetverhalten etwas regeln können. Wir wollen hier keine totale Überwachung, aber Sicherheit muss schon sein, meinte Herr Kalwass.
„Dann haben Sie also ein Überwachungsprogramm laufen“, fragte Andrea.
„Ja“, sagte Herr Kalwass, „mit der Netzwerkfreigabe startet auch automatisch ein Programm, das zum Beispiel das Aufrufen Gewaltverherrlichender oder Pornografischer Seiten verhindert“.
„Und führen Sie auch Protokoll darüber, welches Kind wann und welche Seite aufgerufen hat“, hackte Andrea nach.
„Eigentlich nicht“, meinte Herr Kalwass.
In diesem Moment dachte sich Andrea, dass diese Aussage nicht richtig sein kann, denn so etwas wird automatisch immer protokolliert. Oder doch nicht? Andrea war sich unsicher. Aber dann fiel ihr ein, dass dies nicht von Bedeutung sei, denn jede aufgerufene Seit wird auf dem entsprechenden Rechner im sogenannten temporären Verzeichnis und auch im sogenannten Verlauf gespeichert.
Da Klaus die Ergänzungsfunktion des Rechners und sogar sein Passwort nicht ausgeschaltet bzw. gelöscht hatte, war sie sich sicher, dass er auch den temporären Bereich und den Verlauf nicht gelöscht hatte. Sie beließ es dabei und fragte Herr Kalwass, ob Sie den Rechner mal starten und online gehen dürfte.
„Also“, Herr Kalwass begann etwas zu stottern, “nur wenn es wirklich sein muss“. Er merkte, dass dies auffiel und ergänzte noch schnell, „da sind geschützte Daten von den Kindern drauf“.
Herr Schmidt wies darauf hin, dass man mit diesen Daten natürlich entsprechend sicher umgehen werde und schaute zu Andrea. Diese nickte zustimmend und ergänzte, dass Sie sich nur mal die Interneteinstellungen und das Überwachungsprogramm anschauen wolle.
Als Herr Kalwass einen Satz begann mit „Ich kann aber nicht zulassen, dass Sie ..“ fuhr ihm Stefan energisch ins Wort und sagte „wir können die Kiste auch konfiszieren lassen!“.
Herr Kalwass verstummte.
Herr Schmidt, Andrea und Stefan schauten sich kurz erschrocken an, bis sich Andrea wieder dem PC zudrehte.


19. Herr Feldmann wollte ursprünglich auch mitkommen, blieb aber dann doch auf dem Revier. Er erkundigte sich telefonisch im Krankenhaus nach dem Befinden von Freiherr von Stein und ob dieser Vernehmungsfähig sei.
Der behandelnde Arzt informierte ihn, dass der Pfeil im Rücken entfernt werden konnte und die Wunden ziemlich gut verheilten. Es sah schlimmer aus, als es letztendlich war und über den Schuss ins Gesäß könne man nur lachen. Von einer Vernehmung müsse man aber trotzdem noch 1 bis zwei Tage absehen, da noch einiges an Schmerzmitteln verabreicht werden musste und man kein Risiko eingehen will.
Darauf hin wollte Herr Feldmann einiges an Papierkram erledigen, drehte sich aber seinem PC zu und tippte ohne Grund und aus einer gewissen Langeweile heraus den Namen Peter Freiherr von Stein in das Registerprogramm ein. Er sah den Eintrag, dass dieser schon mal vorbestraft war und einen Vermerk neueren Datums, nach dem eine Staatsanwältin wegen dutzender Anzeige gegen diese Person ermittle.
Noch während er dies las wählte er die angegebene Telefonnummer der Staatsanwältin. „Kirchhofer“, hört er eine erstaunlich dunkel und verraucht klingende Frauenstimme.
Herr Feldmann stellte sich vor und erklärte, warum er im Register nach Peter Freiherr von Stein suchte, den Eintrag der Staatsanwältin sah und diese jetzt anruft.
„Oh“, sagte Frau Kirchhofer, „ich befürchte da kann ich Ihnen keine interessanten Neuigkeiten bieten. Gegen diesen Freiherr von Stein liegen bereits dutzende Anzeigen vor, nach denen er wohl in größerem Stil versucht Besucher seiner Internetseiten abzuzocken. Ich habe das System noch nicht vollends durchschaut und befürchte da wird auch nicht viel bei rauskommen. Manche Anzeigen gehen auch in Richtung Erpressung oder einfach Betrugsversuch, aber auch wenn täglich weitere Anzeigen von allen möglichen Polizeidienststellen Deutschlands eingehen, sehe ich da bisher keine Handhabe. Das scheint charakterlich ein absolutes Schwein zu sein, aber rein rechtlich betrachtet kann man dem nicht viel anhaben; leider“.
„Wirklich schade“, meinte Herr Feldmann, „aber wenn sich irgendwelche Zusammenhänge ersehen lassen bitten wir doch um Rückruf. Selbstverständlich gilt das für uns natürlich auch“.
Frau Kirchhofer teilte noch mit, dass sie sich diesen Anruf vermerken werde und legte „vielen Dank“ sagend auf.
Bevor Herr Feldmann leicht frustriert in die Kantine ging, gab er noch den vollständigen Namen von Herrn Kalwass ein, drückte „Enter“ und verließ sein Büro.


20. Andrea startete den Internetexplorer, wodurch auch das Überwachungsprogramm aktiviert wurde. Sie klickte mit der rechten Maustaste auf das Symbol des Überwachungsprogrammes in der Taskleiste und ging dann dort auf „Einstellungen/Negativ“. Sie erhielt eine Liste mit kompletten Internet-Seiten Namen die gesperrt sind und eine Liste mit Wörtern, die, wenn sie in einem Seitennamen vorhanden sind, diese Seite entsprechend sperren.
Andrea sagte, dass dies eine sogenannte Negativ Liste sei.
Auf einer Negativliste wird beschrieben, welche Seiten gesperrt werden und auf einer sogenannten Positivliste werden Seiten beschrieben, die sozusagen erlaubt sind. Üblicherweise entscheidet man sich für eine Art dieser Listen, aber es gibt auch entsprechende Kombinationen, erklärte sie ihren Kollegen.
Jetzt klickte Sie auf das Feld „Verlauf“ des Internetexplorers und erhielt die angezeigten Seiten der letzten Wochen, sortiert nach „Heute/letzte Woche/älter“ aufgelistet.
Sie öffnete den Mund, dreht sich zu Herrn Kalwass und schüttelte den Kopf.
Alle schauten sie und Herrn Kalwass abwechselnd an, bis Herr Schmidt endlich fragte, „was ist?“.
Andrea starrte Herrn Kalwass an, aber bekam kein Wort raus.
Herr Kalwass wiederum stotterte, „da, da, das ist nur aus dienstlichen Gründen“.
Andrea drehte sich wieder zu dem Computer, klickte bei dem Überwachungsprogramm auf „Einstellungen/Positiv“.
„Das glaube ich ja nicht, Herr Kalwass“, sagte sie in einem erregten, aggressiven Ton.


21. Nach knapp zehn Minuten kam Herr Feldmann in sein Büro zurück und ging zu seinem Schreibtisch. Noch bevor er sich setzte las er den Text auf dem Monitor und ließ den Becher Kaffee fallen.
Ungläubig starte er auf die Worte „Suchanfrage Markus Kalwass, geboren am 18.05.1961, gefundene Einträge 1, Markus Kalwass geborener Lutgers, geboren am 18.05.1961 in Hamburg, verurteilt wegen Kindesmissbrauch 1994 …..“.
„Das ist doch wohl ein Scherz oder was“ murmelte Herr Feldmann ungläubig.
Nach dem er diesen Eintrag bestätigte erhielt er weitere Informationen.
Herr Kalwass ist gelernter Sozialpädagoge und war von 1985 bis 1994 Leiter einer Kindertagesstätte in Hamburg. Damals hieß er noch Lutgers. 1994 wurde er wegen Kindesmissbrauch in fünf nachgewiesenen Fällen zu zweieinhalb Jahren Gefängnis und anschließender psychotherapeutischer Behandlung verurteilt. Nachdem er seine damalige Therapeutin im Jahre 1998 heiratete nahm er derer Namen an und heißt seit dem Kalwass. Wieso diese Person es schaffte einen Platz als Heimleiter zu bekommen, stand nicht da und war jetzt auch erst mal nicht wichtig.
Herr Feldmann nahm den Telefonhörer und rief über die Schnellwahlfunktion die Handynummer von Stefan Hartung an.


22. „Hallo Herr Feldmann, einen Augenblick bitte, hier stimmt irgendwas nicht“, begann Stefan zu sagen, erschrak aber als Herr Feldmann ins Telefon rief, „der Kalwass ist ein verurteilter Kinderschänder“.
Jeder in Herrn Kalwass` Büro hörte dies und Herr Kalwass ließ sich in einen nahestehenden Stuhl sacken. Nach langen Sekunden der Stille, sagte Stefan in das Telefon, „wir melden uns wieder“ und legte auf.
Andrea fragte Herrn Kalwass, was für eine Internetseite das sei und dieser antwortete nur „na was denn schon“. Wieder war es still. Andrea drehte sich zu dem Rechner und begann wild in den Verzeichnissen und Ordnern hin- und her zu klicken.
Stefan und Herr Schmidt schauten nur entgeistert auf Herrn Kalwass, schüttelten mal leicht mit dem Kopf, blieben aber ansonsten ganz starr stehen.
Andrea klickte auf „Eigene Dateien/Eigene Bilder“ und erstarrte ebenfalls.
Auf dem auf „Miniaturansicht“ eingestellten Rechner erschienen hunderte Fotos nackter Kinder.
Wie in Trance scrollte Andrea weiter runter und legte dabei Ihre Stirn in Falten.
„Das … das … das sind doch alles Heimkinder, die sind doch hier aufgenommen worden. Da, unter der Dusche. Und da, in einem Umziehraum. Ihnen gehört der Kopf abgeschlagen …. , nein, erst der Schwanz, dann der Schädel“, kam es wutentbrannt aus ihrem Munde.
Keiner der Männer zeigte irgendeine Reaktion.
„Aber wo hast Du widerliches Schwein die Bilder von der Internetseite. Man, mir wird schlecht.“, brüllte sie und stand auf.
Sie drehte sich zu Herrn Kalwass und hätte am liebsten wild auf ihn eingeprügelt.
Sie schaute zu Stefan und ihr liefen erste Tränen über das Gesicht. Ein kurzer Blick zu Herrn Schmidt und sie rannte weinend aus dem Zimmer.
Auf dem Flur kamen ihr der herbeigeeilte Herr Feldmann und vier Einsatzpolizisten entgegen. Sie setzte sich auf eine Holzbank.
Herr Feldmann fragte nur ganz kurz, ob sie noch drinnen sind. Sie nickte. Mit dem Atemzug, wo Herr Feldmann zu der Tür ging, sagte er nur noch „ den machen wir fertig.“
Zwei der Polizisten blieben auf dem Flur stehen und schauten mit gesenktem Haupt in Richtung von Andrea weg.
Die anderen zwei Polizisten gingen wortlos in das Büro zu Herrn Kalwass, legten diesem Handschellen an und erklärten ihm seine Rechte. Herr Feldmann blickte mit todernster Miene zu Herrn Kalwass und ging dann zu Herrn Schmidt und Stefan.
Herr Schmidt meinte, dass er das mit der Internetseite sehen muss. Er setzte sich an den Schreibtisch, öffnete den Internetexplorer, ging auf „Verlauf“ und klickt dort auf den vielfach vorkommenden Eintrag der ominösen Seite.
Der Bildschirm wurde schwarz und es erschien ein Text in einer Sprache, mit der offensichtlich keiner etwas anzufangen wusste.
Es gab ein großes Feld, auf das man klicken konnte. Herr Schmidt schaute die anderen kurz an, drehte seinen Kopf wieder zu dem Monitor und klickte dann darauf.
Es ging eine neue Seite auf und man sah vier Bilder, nackter Kinder. Zu erst reagierte niemand. Alle starrten auf den Bildschirm. Es herrschte totale Ruhe.
Nach langen Sekunden der Stille, drehte Stefan seinen Kopf zu den anderen und wollte offensichtlich etwas sagen, ohne dass er wusste, wie er beginnen sollte. „Äh,. das … das sind doch Bilder hier aus dem Heim, oder? Was machen die denn im Internet?“.
Wieder trat Stille der Verständnislosigkeit ein.
Plötzlich hörten sie aus Richtung der Einganstür Andrea sagen „Vergleicht mal welche Datengröße die Bilder auf dem Rechner haben und welche Datengröße die Bilder im Internet haben. Garantiert sind die auf dem Rechner hier größer. Das würde beweisen, das dieses Schwein die Bilder hier im Heim aufgenommen und anschließend mit einem Bildbearbeitungsprogramm komprimiert hat.“
Sie stand im Türrahmen mit einem verweinten und hochroten Gesicht. Sie schien innerlich zu rasen und kochte vor Wut.
Dann ging Sie wieder zu dem Schreibtisch, lehnte sich nach vorne und nahm die Maus. Sie klickte mit der rechten Maustaste auf ein Onlinebild und ließ sich die Eigenschaften des Bildes anzeigen. Das Bild hat eine Datengröße von 108 KB. Sie fühlte bereits, dass sie Recht hatte und atmete schwerer. Dann ging sie erneut in den Ordner „Eigene Dateien/Eigene Bilder“ und ließ sich dort von demselben Bild die Datengröße anzeigen. 1,03 MB; fast zehn Mal so groß.
„Ja, man“, schrie hinter Ihnen Herr Kalwass.
Die Polizisten verstärkten Ihren Haltegriff, in der Erwartung er wolle sich diesem entziehen.
Aber er schrie nur lauthals „Hey, diese kleinen Scheißer bemerken es doch gar nicht, wenn ich ein paar heimliche Fotos mache. Und bei den Peanuts, die man hier verdient, macht es doch gar nichts, wenn ich die Bilder im Ausland verkaufe. Was wollt ihr eigentlich. Die Bilder werden nur im Ausland über eine ausländische Seite vertickert und in ein paar Jahren würden die Schreihälse sich selber nicht mehr erkennen. Die haben keine Eltern oder Verwandte und die ganze Drecksarbeit bleibt an mir hier hängen. Da habe ich das nur verdient, das ….“.
Es machte einen Schlag, als wenn man zwei Baseballschläger gegen einander schlage und einer dabei zerbarst.
Die Polizisten erschraken und ließen Herr Kalwass los.
Dieser sackte zu Boden.
Alle starten auf Stefan, wie der langsam wieder seine Faust löste und zu Boden starrte.
Andrea ging wortlos zu ihm und legte ihrem Arm um ihn.
Nach ein paar Sekunden deutete Herr Feldmann den Polizisten, dass sie sich um den langsam wieder wach werdenden Herrn Kalwass kümmern und diesen aus dem Zimmer bringen sollen. Herr Schmidt ließ den Rechner runter fahren und begann diesen abzubauen. Minutenlang herrschte schweigen in dem Raum. Im Hintergrund hörte man einige Kinder eine Etage tiefer spielen, bis plötzlich eine Jungenstimme fragte, „wird Moni jetzt verhaftet?“.
Alle zuckten zusammen und schauten überrascht zur Tür.
„Wieso Monika“, fragte Stefan?
„Na, weil ….“ dann schwieg Klaus wieder. Er bemerkte, dass hier etwas anderes, ihm unerklärliches, passiert war. „Ich will Moni sehen“, sagte Klaus und fügte ein „sofort“ energisch hinzu.
Herr Feldmann sagte Herrn Schmidt, dass dieser den PC auf das Revier bringen und mal nach Herrn Kalwass schauen solle. Dann schaute er Andrea, Stefan und Klaus nacheinander an und sagte zu Klaus. „Wir bringen Dich zu Monika Hausmann, aber dann musst Du uns alles erklären“.
Klaus nickte.
Auf dem Flur kam ihnen Frau Enders, die stellvertretende Heimleiterin entgegen, welche aber sofort von Herrn Schmidt abgefangen wurde, mit den Worten „Wir haben einiges zu besprechen. …..“.


23. Die anderen nahmen sich den Mannschaftswagen; Herr Feldmann fuhr und Andrea, Stefan und Klaus setzten sich hinten hinein. Nach ein paar Minuten Autofahrt begann Klaus mit gesenktem Kopf zu erzählen.
„Meine Eltern starben vor fünf Jahren. Bei einem Autounfall. Irgend so ein Besoffener ist ihnen ins Auto gerast, hat die Polizei damals gesagt. Seit dem werde ich nur hin und her geschoben. Kein Mensch mag mich, keiner will mich. Außer Monika. Sie hatte mich gesehen und sofort gelächelt. Sie ist toll. Als sie bemerkte, dass ich sie anschaue, hat sie mir mitten im Unterricht die Zunge rausgestreckt. Sie ist der einzige Mensch, den ich mag und man darf sie mir nicht wegnehmen“.
Klaus atmete tief durch und erzählt weiter, „als sie einmal an meinem PC saß, hat sie im Internet ein Liebesgedicht für mich gesucht“. Er holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier. „Am nächsten Tag bekam sie dann Mails, sie müsse dafür 54,- Euro bezahlen. Wir hatten zusammen aber nur 23,- Euro. Da kamen ständig weitere Mails mit Rechnungen und Mahnungen und dann hat ihr sogar ein Anwalt geschrieben und mit rechtlichen Schritten gedroht. Aber niemand darf mir Monika wegnehmen“. Mit zittriger Stimme fährt Klaus fohrt, „dann wollte ich mir Pfeil und Bogen übers Internet kaufen, weil da ja niemand sieht, dass ich noch nicht erwachsen bin, aber das ist voll teuer. Also habe ich mir die Anleitungen runtergezogen. Den Bogen konnte ich mir selber basteln, die Pfeile aber nicht. Nachdem ich über DENIC raus bekam, wer Monika die Mails schreibt und so, habe ich den ein paar Tage immer verfolgt. Als dann Monika vorgestern ins Krankenhaus kam, wusste ich, dass dieser Mann ernst machte und sie mir wegnehmen wollte. Aber das darf doch niemand. Sie, sie ist die einzige Freundin, die ich habe. Da bin ich in die Stadt gelaufen und wollte sie beschützen.“
Andrea und Stefan schauten sich an und jeder nahm eine Hand von Klaus und hielt diese fest.
Wenige Minuten später waren sie am Krankenhaus angekommen.


24. Im Krankenhaus zeigte man seine Dienstausweise und wurde direkt zu dem Zimmer von Monika Hausmann gebracht. Als erstes betrat nur Herr Feldmann das Zimmer und ging auf die an mehreren Schläuchen und Kanülen angeschlossene, schwächlich aussehende aber wache Monika Hausmann zu.
Er stellte sich vor und erzählte ihr, dass Klaus Branscheid darauf bestand, sie unbedingt zu sehen. Ihr kam ein herzerfrischendes, wenn auch schwaches, Lächeln ins Gesicht. Er war von diesem Anblick so angetan, dass er ihr mehr noch nicht erzählte und die anderen ins Zimmer ließ.
Klaus stürzte sich fast auf Monika, hielt dann aber doch noch inne.
Er sagte ihr ohne Luft zu holen „Moni, ich habe auf den Erpresser geschossen und dann wurde Herr Kalwass verhaftet. Sie dürfen uns nicht trennen.“
„Mooooment ein mal“ fuhr ihm Andrea dazwischen und zog ihm an der Schulter leicht zurück.
„Also, Monika, wir sind von der Polizei, aber Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen“, begann Andrea. „Vor zwei Tagen hat Dein Freund Klaus auf einen Herrn Freiherrn von Stein geschossen. Ich glaube, Du kennst diesen Namen, nicht wahr. Klaus hat ihn mit Pfeil und Bogen ganz schön gefährlich verletzt, aber das wird wieder. Bei unseren Untersuchungen hat sich etwas über Euren Heimleiter heraus gestellt, was aber damit gar nichts zu tun hat. Wir wollen erfahren, wie sich die Geschichte aus Deiner Sicht anhört. Wir hoffen, dass Du uns dabei helfen kannst, aber“, sie wurde ruhiger, „wenn dies Deine Gesundheit nicht zulässt, dann sag das bitte. Das wichtigste ist erst mal, dass Du wieder gesund wirst.“
Monika machte erst den Anschein, als würde sie nichts verstehe.
Nach wenigen Sekunden drehte sie ihren Kopf zu Klaus und streckte ihre linke Hand ein wenig in seine Richtung.
Die offensichtliche Geste ließ Andrea Klaus loslassen und dieser nahm vorsichtig ihre Hand.
„Klaus“, begann sie leise zu sprechen, „was sollte das denn. Bitte sag es mir.“ Sie schwieg und lächelte Klaus an.
Dieser stotterte ebenso leise zurück „aber, aber, das ist doch der, der Dich erpressen wollte und weshalb Du hier bist.“
Im lief eine Träne über das Gesicht.
„Aber nein“ sagte Monika, „ich habe zwar ein paar Mails von dem erhalten, weil ich das Liebesgedicht für Dich habe erstellen lassen, aber meine Lehrerin, Frau Blatzek, meinte, ich solle mir darüber keine Sorgen machen“.
„Du hast mit jemanden darüber gesprochen“, fragte Klaus überrascht.
„Ja, aber …“sie wurde leiser, „als ich am Sonntag mit Herrn Kalwass darüber sprechen wollte, war die Vorzimmertür auf. Ich ging hinein“, ihre Lippen begannen zu zittern, „und sah, wie er vor seinem PC saß. Auf seinem PC waren viele Bilder von meiner Mädchenturngruppe ….. unter der Dusche“, ihr ganzer Körper fing an zu zittern, „ …. Er ….er…. er war nackt u.. und …“
Sie brach in ein fürchterliches Gewinsel aus. Sie verkrampfte sich und eines der angeschlossenen Geräte begann offensichtlich einen Warnton von sich zu geben.
Die Tür öffnete sich und eine Schwester kam schnellen Schrittes rein. „Raus, sofort alle raus, rief sie“. Nur einen Augenblick später kam ein Arzt und lief an das Krankenbett.


25. Andrea und Stefan gingen langsam den Waldweg in Richtung des Heimes und hielten gegenseitig Hand. „Mir läuft es immer wieder kalt den Rücken runter“, sagt Andrea leise. „Wenn ich an die Geschichte vor fünf Monaten denke. Ein Junge hat seine erste große Liebe gefunden. Diese schreibt ihm ein Liebesgedicht übers Internet und bekommt dafür eine saftige Rechnung. Als das Mädchen dann zusammenbricht denkt der Junge er müsse sie beschützen und schießt auf den vermeintlich Bösen. Dieser, wie hieß er noch mal“?
„Freiherr von Stein“, sagt Stefan und lächelte.
„Ja genau“, fuhr Andrea fort, „Freiherr von Stein. Eine ganz schön miese Masche, die er da drauf hatte. Zum Glück konnten wir ihn etwas sein Handwerk legen, da er sich fälschlicherweise als Rechtsanwalt ausgab und hierfür eine Bewährungsstrafe bekam. Naja, so wird er sich vorerst wohl erst mal zurück halten, aber es gibt immer noch genügend Leute, die das Internet für ihre halb legalen und halb illegalen Geschäfte ausnutzen.“
Andrea ging für einen Augenblick in sich und begann den Kopf zu schütteln. „Aber der Heimleiter war wirklich das krasseste“. Andrea ballt ihre freie Hand zu einer Faust. „Da wird jemand wegen Kindesmissbrauch verurteilt, macht sich an seine Therapeutin ran, dass diese ihm hilft wieder frei zu kommen, heiratet die um einen anderen Namen zu erhalten und kann so die ganze Scheiße von vorne beginnen“.
Andrea begann sich selbst 5 Monate nach dem Vorfall noch immer darüber aufzuregen. Stefan blieb stehen, zog Andrea an sich heran und gab ihr einen langen, innigen Kuss.
„Huu“, sagt Andrea und lächelte, wie sie es schon lange nicht mehr gemacht hatte.
Sie konnte noch sagen, „ein Glück, dass Monika und Klaus zusammen diese wirklich netten und verständnisvollen Pflegeeltern gefunden haben und wir ihnen gleich die Nachricht überbringen dürfen. Also“.
Stefan legte ihr sanft seine Hand auf den Mund.
„Ein Glück, das den beiden rechtlich nicht mehr passiert ist“, flüsterte Stefan ihr ins Ohr, „und dass wir beide wieder in einem gemeinsamen Team arbeiten“.
Er lächelte und streichelte vorsichtig ihren etwas dickeren Bauch.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Willkommen in/auf/unter der Leselupe!

Eine nette Geschichte hast du uns da für den Anfang aufgetischt ;) – gut konstruiert (Detailprobleme inklusive, aber das passiert) und mit an sich stimmigen Personen. Wenn du es nun noch schaffst, den Figuren etwas mehr Leben einzuhauchen, wird das gut werden.

Im Moment orientierst du dich bei der Figurenführung noch sehr stark am Plot, lässt dich ein bisschen von ihm jagen, und teilst vieles, was für die Emotionen relevant ist, nur berichtsmäßig mit oder nennst die Gefühle (nur manchmal sieht man sie den Figuren an - und dann sind es oft nur kurze Infos über sehr markante Gesten/Mimiken/Reaktione).

Beispiel:

Die Nadel schwankte bei einhundertfünf. Innerorts einhundertfünf km/h. Stefan war begeistert. Übertrieben locker saß er hinter dem Lenkrad des Polizeiwagens und fühlte sich wie ein Rennfahrer. Das Quietschen der Reifen, wenn er um eine Kurve fuhr, ließ sein Lächeln noch ein bisschen breiter werden. Es machte ihm viel Spaß mit einer solchen Geschwindigkeit durch die Stadt zu rasen, …
Bis „breiter werden“ ist es ok, dann kommt aber die matte, fast beliebige Ansage „Es machte ihm viel Spaß“ – und das, obwohl du eben noch sehr schön gezeigt hast, was er empfindet.


Zweites Grundproblem: Die Rechtschreibung/Zeichensetzung wird im Verlauf zunehmend schlechter. Das kann mit einer gründlichen Nachkontrolle behoben werden - nimm dir Zeit dafür! Auch der Ausdruck/Stil wird (und zwar recht schnell) "platter" (du lässt dich von Plot jagen) – nimm dir Zeit beim Schreiben! Achte darauf, nicht schnell die Handlung mitzuteilen, sondern tauche tief in die Szene ein und (schau)spiele sie!

Drittes großes Problem: Du springst beider grammtikalischen Zeit oft in die Gegenwart – das ist falsch. Auch sowas bitte bei der Nachkontrolle beheben, also bevor du Texte hier einstellst. Es ist schlichtweg uneffektiv, wenn dir die Mit-Lupinen diese Sachen, die du selbst beheben kannst, rauspulen und dann weder Nerven noch Zeit haben, wirklich über das Schreibhandwerk (Figuren, Spannungsbögen, Stil …) zu reden.


Viertes Problem: Figuren haben Namen – Vor- und Nachnamen. Alle. Es mag Gründe geben, warum man (wichtig dafür: Point of View) von dieser oder jener Figur den Namen nicht (vollständig) kennt, hier gibt es keine einzige Stelle, wo das zutreffen kann. Du musst beim Erzählen nicht immer den ganzen Namen benutzten, im Gegenteil, aber die Benutzung muss nach gleichen Prinzipien erfolgen („Herr Kalwass" z. B. ist hier - im Nicht-Rede–Teil völlig fehl am Platz und die Polizei weiß z. B. auch, dass der Junge Klaus XY heißt und nicht nur Klaus).



Das soll es fürs erste von mir gewesen sein; eine Überarbeitung seh ich mir gern auch noch detaillierter an.
 



 
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