brief an mein ich

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Venus

Mitglied
brief an mein ich


und die zeit übermalt und besprenkelt
so wie du
krieglkroglkratzwirdschonnoch
wenn du den pinsel wieder und wieder
abtupfst und erwürgst zwischen den fingern
mit fetzenleben im wasserbecher ersäufst welches
schon aus prinzip nicht gegen neues
außer es passiert was auch schon mal vorkommt
wenn dich die kunst verdiktatuiert
besagtes wasser mit der kaffeetasse
deren inhalt genauso vom vorletzten atemzug und im
geruch ja ähnlich weil eben kunst
dich ausmacht oder nicht weil du es ja bist
wie du sagst die kunst
du ringsherum gehimmeltes immerdu
dann seh ich dich wieder zögern und zaudern im
wissen verhagelkornt und im geist durchleuchet mit
durchgebrannten drähten herausfunkeln aus dem glas
in dem du verschwimmst weil dir die
eingeschlafenen beine ins hirn gewachsen
und jeder gedanke den nächsten schon zigmal verließ
und die antwort grinsend seit vor fünf jahren
darauf lauert dass du endlich nachkommst ins
morgen wo du viel zu lange schon wartest
und viel zu viel rauchst und die nächte verjüngst
spitz zu laufend wie die resultate aus solchen
überlegungen die du dann glücklich wie frisch
gewaschene alte socken auf der leine zum
verwindeln präsentierst
dich kein bisschen darüber wunderst wenn durch
die wolken deiner moorgrauen gitterstäbe kein mensch mehr
hindurchversteht
obwohl du doch schon morgen
ernsthaft neu gelocht und abgeheftet
darüber nachgedacht haben willst
dass es wiedermal an der zeit gewesen war
den teppich aufzusaugen auf dem du stehst und hoffst

dass er fliegen lernt


© Venus
 

gareth

Mitglied
Liebe Venus,

ja, herrschaftszeiten, wie soll denn ein Mensch da was versteng, herst :eek:)
Was ich aus dem Brief herausspüre ist, dass da jemand malt (Du, nehm ich mal an) und sich um den Pinsel doch auch Gedanken macht aber auch über sich selbst und zu viel raucht und zu wenig schläft und schon von daher damit rechnet, dass sie von anderen eher nicht ohne weiteres verstanden wird und dass es vor 5 Jahren irgend ein wesentliches Erlebnis gab und dass sie ein bißchen träumt von zauberischen Sachen und aber doch am nächsten Tag wieder abgeheftet wird nachdem sie vorher ernsthaft neu gelocht wurde. Sag, dass ich das falsch verstanden habe.
Liebe Grüße gareth
 
L

Lotte Werther

Gast
Liebe Venus,

Nach den vielen guten Texten, die ich von dir las, sei dir dieser hier verziehen. Schon nach den ersten 5 Zeilen nervte er mich und ich zwang mich, durchzuhalten bis zum Ende.

Zuviel des Guten an Verballhornung meint

Lotte Werther
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ein sehr metaphernreicher Text. In jeder Zeile tut sich eine neue Welt auf, ein neuer Mosaikstein, ein neuer Pinselstrich, ein neues Erleben.
Mir hat es gut gefallen.
 

Venus

Mitglied
Lieber Gareth,
psscht!
Nicht ärgern, auch nicht fluchen ;o)

Aber jetzt mußte ich selbst nochmal nachsehen, ob ich den Text vielleicht doch unter „Biografisches“ eingestellt hatte... ;o)

Neinnein... Er steht ganz brav unter „Experimentelles“ und da wollte er auch sein.
...ein kleiner Versuch mit surrealistischer Bildsprache und alogischen grotesk-absurden Elementen.

Anders gesagt: unsere gewöhnliche Dualistische Logik trennt. Das Denken kann nur trennen, denn dies ist die einzige Fähigkeit, die das Gehirn hat oder die ihm gegeben ist. Die Tatsache aber, dass das Denken an sich nur trennen kann, bedeutet keineswegs, dass dasselbe bezüglich der Existenz als Totalität betrachtet der Fall wäre, dass sie also auch so sein müsste.

Also lieber Gareth, lass dich einfach los. Hör auf zu denken, was gedacht sein wollte.
Doch du wirst sehen, dass das sehr schwer sein wird ;o)
Es ist beinahe unmöglich, sich vom eigenen Denken zu entfernen, denn das hat niemand gelernt.

Danke dennoch, für deine Gedanken ;o)
Liebe Grüße,
Venus
 

Venus

Mitglied
Liebe Lotte Werther,

dein Besuch freut mich wie immer sehr!
Herzlichen Dank.

Nein, verballhornen wollte ich hier niemanden.
Ganz und garnicht!

Es ist ein Versuch mit einer weiteren Lyrikform, die mir außerordentlich gefällt.

Und irgendwo ist es wirklich ein Brief, an einen sehr, sehr guten Freund. Ein Mensch, der nur noch in und mit Kunst lebt, um überleben zu können. Jedes „gerade“ Wort, hätte ihn niemals mehr erreicht.

Gerade deshalb, noch einmal recht herzlichen Dank fürs „Durchhalten“ beim Lesen.

Liebe Grüße,
Venus
 

Venus

Mitglied
Lieber Bernd,

ich glaube, es ist das erste Mal, seit ich in der LL veröffentliche, dass „meine eperimentelle Poesie“ auf Verständnis trifft.

Ich hab’ mich eben zurückgelehnt und tiiief Luft geholt.
Herzlichen Dank!!

Experimentelle oder Konkrete Poesie ist bestrebt, sozusagen ins innere der Sprache einzudringen, sie aufzubrechen und in ihren verborgensten Zusammenhängen zu befragen - analog etwa der abstrakten Malerei.

Bestimmt möchte und kann sie nicht jeden erreichen.

Danke. Fürs Lesen und wertvolle Kommentieren!

Liebe Grüße,
Venus
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Liebe Venus,

mir liegt diese Art Kunst, allerdings gefällt sie nur wenigen. Dabei sind es der Zusammenklang von Worten, Klängen, Erlebnissen, rationalem und emotionalem, die wirken. Es entfällt die Frage: Was wollte mir der Dichter damit sagen? - die immer bei Erklärungen dahinter steht.

Es wird gedankliche Dichte erreicht, die Denkmuster aufbricht und mischt, die den Leser weiterführt, die Wege offenlässt.

Viele Grüße von Bernd
 

Venus

Mitglied
Lieber Bernd,

deine Zeilen haben mir einen aufrechten Schubs ins Gut gegeben.
Ein bisschen Rückgewinnung und Glaube an die eigene Wertschätzung. Dafür bin ich dir dankbar.

Man will Sprache etwas aussagen lassen, aber nicht mehr etwas mit der Sprache aussagen.

Eugen Gromringer meint, dass durch die materielle ("konkrete") Anwesenheit von Wörtern im selben Raum etwas entsteht, was dem Leser erlaubt, in der vom Dichter bestimmten Struktur verschiedene Sinndeutungen anzunehmen und auszuprobieren. So wird der Leser geradezu zum Mitautor, den bedeutungsstiftenden Kontext selbst herzustellen.

Ich weiß ob meiner Kinderschuhe!
Doch nun trau ich den Füßen wieder etwas mehr zu. Herauszuwachsen vielleicht -

Danke!

Herzlichen Gruß,
Venus
 
Liebe Venus

für mich ist das Prosa.
Ein gelungener Text, sicher, aber prosaisch. Mit Lyrik hat der Text (meiner Meinung nach) nichts zu tun. Besser: lyrische Bilder mischen sich in erzählerischer Form.
Wie dieser Text jedoch unter experimentell anzusiedeln ist? Keine Ahnung!
Es ist zwar keine Punktuation vorhanden, jedoch bleibt der Text permanent in einer Subjekt-Prädikat-Objekt-Beziehung "stehen".
Weiter: ein Gebot der konkreten und/oder experimentellen Lyrik ist die Reduktion. Dies trifft weder auf die Sprache (die ja eher das lange Gedicht verfolgt) geschweige denn auf die Aussagem also den Gehalt, das Gemeinte zu!?
Das Wort, Deine Wörter werden nicht freigesetzt, auch nicht durch die fehlende Punktuation.
Experementelle Lyrik verfolgt das Wort, den Buchstaben, den Laut, die Form des Buchstaben, also das audio, das visuelle, das audio-visuelle, die Wort-Konstellation, etc.
Ich denke: das trifft auf Deinen (gelungen erzählerischen) Text nicht zu.

Jo.....
das war mal wieder was von Manni
;-) Lieben Gruß
 
E

Enza ost

Gast
Liebe Venus!

Ein interessantes und gelungenes Experiment! Ich fand es richtig wohltuend, weil nicht kitschig, nicht mystisch und überhaupt....

Alles Liebe von Enza ost
 

Venus

Mitglied
Lieber Manni,

erst einmal danke, dass du dich erneut bei mir eingefunden hast. Dein Besuch und die mir verbrachte Zeit ehrt mich!

Ich denke schon, dass dieses „Werk“ in die Sparte soll, wo es ist. Ganz bestimmt hätte ich in einem anderen Forum auf wesentlich mehr Unverständnis getroffen.

Ob nun ausdrücklich als sog. langes Gedicht oder ausschließlich konkret oder experimentell...
Gerade deshalb, so wie ich meine, ist es hier richtig.

Diese Form von Lyrik (in der konkreten Poesie) lässt sich kaum interpretieren, höchstens kommentieren. Das typische Gebot der Reduktion konzentriert sich nicht nur auf die Sprache, sondern auf den Gehalt. Damit magst du recht haben, dass es sich hier nicht um typisch konkrete Poesie handelt.

Es war nur ein Versuch, lieber Manni, mit Elementen dieser Poesie zu arbeiten.
Deshalb ist es auch hier, unter „Experimentelles“ angesiedelt. Und es war wirklich ein Brief (ich erwähnte es bereits), der anders niemals angekommen wäre.

Aber ich hab deinen Schlusssatz wohlwollend in meinen Ohren klingeln und die Mundwinkel, die begleitend die letzten Fizzelchen beider stupsen, bleiben gern noch eine Zeitlang in dieser Position...

Danke!
Fürs aufmerksame Dasein,

Gabi
 

Venus

Mitglied
Hallo Enza ;o)

hast vollkommen recht.
weder mystisch, noch sonst was.

Robert Schindel hat das in einem seiner Gedichte recht trefflich ausgedrückt

"...ich mach mich selbst zur Nurnatur
Lass mich vom Wörterbrei bewegen
Die Stille mag sich auf den Kehlkopf legen"

Danke, dass du wieder einmal da warst
und es mich wissen hast lassen, dass es gut für dich war

Ganz liebe Grüße,
Venus
 



 
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