dem unbekannten deserteur

V

vagabund

Gast
Ein Märtyrer?

Hallo Bernd!

Ja, ein Deserteur ist ein Held. Er widersetzt sich mutig dem Töten des Kriegs.
Aber was ist der Lohn seiner Heldentat?
Ist es wert in den Tod zu gehen, für seine Werte, ohne etwas zu bewirken? Gibt es überhaupt Möglichkeiten, die Maschinerie und den Massenwahn des Kriegs aufzuhalten? Lädt der tötende Befehlsempfänger Schuld auf sich? Ich weiß es nicht.

Deshalb würde ich dir in deinem Gedicht voll zustimmen, ja er ist ein Held, einer dem man kein Denkmal baut, der aber mehr als viele andere eines verdient hätte.
Nur: Die letzen beiden Sätze würde ich mit einem Fragezeichen versehen.
In den meisten Fällen wohl hat seine Heldetat eine sehr geringe oder gar keine Wirkung, die er mit der maximalen Strafe bezahlen muß: Sein Körper liegt regungslos mit einer Kugel im Kopf oder einer Schlinge um den Hals im Dreck - nicht zu retten. Den "Geretteten" nehmen sich andere Vollstrecker an, skrupellose - nicht zu retten.

Immerhin aber hat er sich selbst gerettet, davor, sich nicht mehr in die Augen sehen zu können, vor einem gewissensbelastetem Leben.
Und ein Denkmal - wie das Gedicht - würde seine "Ehre" vor der Nichtbeachtung retten...


Vagabund
 

Chrissie

Mitglied
Lieber Bernd,

es geschieht selten - aber dieses Gedicht hat mich persönlich berührt.
Mein Vater ist mit zwei Kumpels desertiert in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs, nicht ganz 16 Jahre alt noch an die Front geschickt. Das einzige, was die Jungs an Ausrüstung behalten haben, war eine Handgranate pro Kopf - um sich mit den Häschern in die Luft zu sprengen, falls sie erwischt würden. (Man stelle sich vor, sie waren noch Kinder...) Und das Denkmal, das er sich setzte? Er hat überlebt - und als meine Mutter sich einen Sohn wünschte, sagte er, sie würde von ihm nur Töchter bekommen, weil er kein Kanonenfutter zeugen wolle. (Nach drei Töchtern sah's dann auch meine Mutter ein.) Ein Held ist er für mich als Tochter, mein Vorbild an pazifistischer Zivilcourage, Mut und Menschlichkeit. (Nie hat er einem Menschen auch nur eine Ohrfeige gegeben, immer alles vernünftig gelöst, so schwer sein Leben auch manchmal dadurch war.) Als ich Teenager war, ging er mit mir mit auf Friedensmärsche gegen die Aufrüstung, gegen die Unkenrufe meines faschistisch geprägten Großvaters, seines Schwiegervaters. Nun ist er Rentner und ich gönne ihm jedes friedliche Jahr, das er noch hat auf dieser Welt.

(Zu meiner momentanen Stimmung passt das Chanson 'Le deserteur' von Boris Vian, Text kann ich gerne liefern.)

Chrissie
 

TheRealCure

Mitglied
hallo bernd,

ich kenne ja nun einige deiner texte, aber dieser gehört wirklich zu der elite deines werkes! wirklich gelungene bilder aus worten, die bilder entstehen lassen. der sinn entsteht beim zweiten lesen.

gruss nach dresden!
 

maskeso

Mitglied
Märtyrer sterben. Sind solche Helden dumm oder einfach zu tapfer für dieses Leben? Fliehen Deserteure aus Moral oder aus Angst? Und ist beides im Grunde nicht das Gleiche? Würden sie desertieren, wenn sie wüssten, dass sie dann SICHER sterben? Wer will dann schon Märtyrer sein?
zu viele Fragen..
 

dazone

Mitglied
Perfekt!

Hallo Bernd!

Auch meine Hochachtung hast Du zu diesem Gedicht. Etwas derartiges liest man selten hier in der Leselupe. Es hat eine schöne Sprache, eine durchdachte Form und außerdem einen eindrucksvollen und (leider) zeitlosen Inhalt.
Also - wenn ich mal diese legendären Punkte vergeben sollte - 10 von 10.

Viele Grüße
David
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Danke für die vielen Antworten. Ich habe mich wirklich gefreut.

Märtyrer ohne Sinn? -- Es geht auch um die anderen.

Während des Vietnamkrieges habe ich noch wirklich geglaubt, man müsse sich wehren.

Wir sahen, wie schnell Seiten gewechselt werden.

Gestern gut, heute schlecht.
Vier Beine gut, zwei Beine schlecht.
Was Beine sind, bestimme ich...

ICH HABE GELERNT

Grüße von Bernd
 



 
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