der Morgen danach

Klatschmohn

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Am Morgen wacht Caroline mit einem dicken Brummschädel auf. Am Abend, nachdem ihr Mann und sie nach Hause gekommen sind, hatte sie eine Flasche Rotwein getrunken. Allein. Im Arbeitszimmer. Während er bereits in sein Bett verschwunden war. Sie schwelgte in Gedanken, in romantischen Fantasien und beendete sie mit dem strikten Resumé, nun Abstand von ihr zu nehmen. Sie kramte im Schreibtisch nach den paar Bildern, die sie zusammen geschossen hatten, als sie mit den Kindern auf dem Spielplatz waren. Ein fröhliches Bild von Laura, wie sie auf einer Schaukel sitzt und schaukelt. Beine nach vor und zurück, bis sie richtig Tempo bekam und ihre Haare wehten. Und dieses Lachen, dieses herzliche Lachen. „Ab damit in den Schuhkarton“, zwang sie sich und legte den kleinen Stapel an Briefen, die sie einst an sie schrieb und in Kopie behielt, obendrauf. „Basta!“ Caroline setzte dem Karton den Deckel auf. Nahm einen großen Schluck vom Wein und meinte zufrieden zu sich selbst: „Und jetzt wird nach vorn geschaut!“
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Es war schon spät, wer sollte das sein? In ihrer Weinlaune nahm sie den Hörer ab, lehnte sich auf ihrem Bürostuhl zurück und meldete sich mit: „Hans. Caroline Hans!“
„Hallo Caro, hier ist Manu!“
Manuela. Ihre beste Freundin seit frühsten Kindertagen.
„Manu“, rief Caroline erfreut in das Telefon. Lehnte sich nach vorn auf dem Schreitisch und schob mit dem Ellenbogen den Schuhkarton bei Seite. Ihr Blick fiel dabei auf eine Fotografie, die direkt neben dem PC steht. Ein Familienbild. Ihr Mann Michael, sie und die beiden Knirpse. Die Kleine grinst eine große Zahnlücke ins Bild.
„Wie geht es dir?“ fragten sie sich synchron. Und kicherten darüber, dass sie beide zur gleichen Zeit das Selbe sagten. Ach Manuela. Sie hatte ihr irgendwann mal erzählt, dass sie auf Frauen steht. Irgendwann und so ganz im Vertrauen. Ganz positiv hatte sie reagiert und gemeint, sie könnten doch mal wieder zusammen fortgehen. Nach Sekt und Wein und zwei Gläsern Wodka pur war es dann soweit. Die beiden landeten gemeinsam im Bett. Ohne große Leidenschaft, eher mit Neugier und mit dem Vertrautheit, die nur zwischen zwei engen Freundinnen herrscht. Caroline glaubte daraufhin, sich in ihre Freundin verliebt zu haben. Für diese war das aber nur ein Experiment, das ihr später eher unangenehm als lieb war. Zerstört hat es zwischen den beiden nichts.
„Erst du“, gab Caroline ihrer besten Freundin den Vortritt. Sie erzählte von ihrer zickigen Ex-Schwiegermutter, ihrem störrischen Chef und von ihrer ach so wehleidigen Nachbarin, die ihr momentan jeden Abend den Nerv raubt. Also, nichts Weltbewegendes.
„Und bei dir?“
Die Frage holte sofort die erst frisch abgeschlossene Erinnerung zurück in ihr Hirn. Verdammt noch mal, dabei hatte sie doch wirklich einen Schlussstrich ziehen wollen. Jetzt und hier. Bei der Flasche Wein, von der sie einen großen Schluck nahm, bevor sie antwortete.

„Ich habe mich verliebt!“
„Nee?“
„Doch“. Und noch ein Schluck Wein. Im Bauch begann es sofort wieder zu kribbeln. Und das Telefonat zwischen Caroline und ihrer besten Freundin auch.
„In wen?“ bohrte diese sofort nach.
„Eine Frau!“
Schweigen. Dann ein leises Stöhnen. Dann wieder Schweigen.
„Sie ist eine Bekannte, kenne ich von dem Elternbeirat her. Von meinen Kindern. Grundschule!“.
„Aha“, reagierte Manuela nun wortkarg. Wieder Schweigen.
Dieses Schweigen ertrug Caroline nicht. Es kribbelte in ihr, der Wein hatte sie gesprächig gemacht. Und passt es nicht zu einem Abschied, nochmals alles vor seinem eigenen, geistigen Auge ablaufen zu lassen?
Sie erzählte. Erzählte von Anfang bis Ende die ganze Geschichte. Erzählte von ihren Schmetterlingen im Bauch, den gemeinsamen Begegnungen auf dem Spielplatz und beim Kaffeetrinken im Cafe an der Berliner Allee. Sie erzählte von ihren Briefen. Und wie Laura diese wohl in den völlig falschen Hals bekommen hat. Sie als Stalker betitelte. Und schlimmer noch: sogar den Anwalt einschaltete.
Manuela hörte zu und fragte dann nur, im traurigen Ton: „Warum hast du mir das nicht erzählt?“
„Ich weiß nicht, ich wollt es mit mir selbst ausmachen. Außerdem, ich wollte Laura nicht verraten. Sie wohnt nicht weit. Ich wollte nicht …!“ Caroline erzählt und merkt sofort, dass sie mit ihrem Schweigen der letzten Monate jetzt im Nachhinein ihre beste Freundin verletzt hat.
„Sorry, das war nicht böse gemeint“, rang sie sofort nach einer Entschuldigung.
„Ist schon gut“, kam leise zurück. „Aber sag, wie geht es dir jetzt!“
„Ich hab das ganze gerade eben versucht, abzuschließen. Bilder und Briefe in einen Karton. Und nun überlege ich, ob ich ihn verbrennen soll.“
„Tue das nicht!“
„Wie?“
„Räume ihn einfach nur in eine Ecke, wo du – und vor allen Dingen weder dein Mann, noch deine Kinder – hinkommen. Und dann, wenn das Ganze vorbei ist, dann wirst du es anschauen. Und SIE vielleicht irgendwie verstehen!“. Und dann noch der gut gemeinte Ratschlag, über den sie nun, direkt nach dem Aufwachen nachdenken muss: „Es gibt EINE Frau, die dich mehr verdient hat!“
Wie hat sie das gemeint? Hat sie eine in Visier? Erinnert sie sich gar an ihre One-Night-Stand-Romanze von damals, die ihr damals fast peinlich, aber heute vielleicht …?

Caroline steht auf. Michael, ihr Mann, liegt neben ihr. Er schnarcht leise. Sie zieht sich den Morgenmantel über und geht in das Badezimmer. Hier liegen die dunkle Jeans und der schwarze Pullover, den sie am Vorabend getragen hat, auf dem Wäschekorb. Sie öffnet die Spiegelschrank. Kramt zwischen Zahnpastatube und Deoroller eine Packung mit Aspirin hervor. Löst eine aus der Packung und nimmt diese, mit einem Schluck Leitungswasser, zu sich. Ein Blick in den Spiegel lässt sie kurz zurückschrecken. Müde sieht sie aus. Tiefe Augenringe. Blasses Gesicht. Na ja, ein oder zwei starke Kaffee, dann hat sich das auch wieder – denkt sie sich. Schenkt sich ein Lächeln und meint zu sich selbst: „Zurück ins Leben!
 



 
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