der duft

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elocin

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Heute habe ich ihn getroffen. Er stand vor mir und beugte sich im nächsten Augenblick über mich. Ich konnte ihn riechen. Ein Duft, der mir niemals zuvor begegnete.
Er roch wie eine Mischung aus Mandarinen, die gerade frisch geschält wurden, wie der Strauß Rosen, den ich vor ewigen Zeiten zum Geburtstag bekommen hatte und wie der bittere Hustensaft, den mir meine Mutter früher immer auf dem goldenen Löffel mit Zucker servierte.
Ich erschrak nur kurz, im nächsten Moment fühlte es sich gut an. Was sag ich, es war fantastisch, einmalig, unbeschreiblich. Das ist es wohl, was sie *Liebe auf den ersten Blick* nennen. Er nahm mich in seine Arme, liebkoste mein Ohr mit seinem Atem. Es war um mich geschehen. Ich vergaß alles um mich herum. Ich sah nicht sein Gesicht oder seine Statur. Ich konnte mich auch nicht erinnern, dass mich jemals ein Mensch mit seinen Händen, so berührte, wie er es tat.
Die Frau, die eben noch neben mir gelaufen war, sah mich komisch an. Ein „Warum sind sie denn plötzlich stehengeblieben“-Blick. Ich konnte sie nur anlächeln und das verwirrte sie wohl nur noch mehr. Sie ging weg. Und entschied sich dann nach circa 100 Metern wieder zurückzukehren. Sie fragte, ob alles in Ordnung sei.
Und am liebsten hätte ich ihr all meine positiven Gedanken und Gefühle ins Gesicht geschrieen. Aber ich hielt dies dann doch für etwas unpassend und sagte nur: „Vielen Dank, mir geht‘s gut!“
Wer weiß, vielleicht hat sie ihre wahre Liebe ja noch nicht gefunden oder ihr Mann hat sie verlassen, oder er ist gestorben. In solchen Fällen wäre das sehr taktlos von mir gewesen. Und sie ging dann, viel entschlossen als vorher. Ich konnte ihren Schatten noch von Weitem erkennen. Als er verschwunden war, konzentrierte ich mich nur auf ihn. Dinge, wie: Vielleicht, frage ich ihn, ob wir mal zusammen essen gehen oder spazieren oder ins Kino, gingen mir durch den Kopf. Halt die Sachen, die man so macht, wenn man verliebt ist. Und er ist es ganz sicher, denn sonst hätte er mich ja nicht berührt. Und es schien, als sei er mit allem einverstanden. Wenn ich gesagt hätte: „Komm lass uns nach Timbuktu reisen!“ , dann hätte er sofort die Tickets besorgt. Ich kam mir in seinen Armen nicht dumm oder klein oder ängstlich vor. Alles negative war verschwunden, ausgelöscht. Eine warme Decke umhüllte meinen Körper. Er war diese warme Decke. Ein Stück heile Welt. Ich fragte mich nur, wann ich aus diesem wunderbaren Traum wieder aufwachen würde, denn dies war unmöglich die Realität. Ich befinde mich nicht auf dem Weg zur Arbeit, sondern bin versunken, in meine Bettdecke eingewickelt. Der Wecker wird gleich klingeln. Ich werde mich hochraffen und den ganzen Tag schlechte Laune haben, weil er (der Wecker) es schon wieder geschafft hat, meine Träume zu zerstören. Und ich werde mich am nächsten Abend noch dunkel an meine letzte Nacht erinnern. Werde mich wälzen und es nicht schaffen, mir diese Gedanken wieder zu holen. Einschlafen unter Tränen. So läuft es immer ab.
Aber da stand er doch vor mir, wahrhaftig und schön. Das war kein Traum.
Ich schloss meine Augen, um mich ihm hinzugeben. Dann zwang mich etwas, es zog und ich musste die Augen unter Protest wieder öffnen.
Die Frau beugte sich über mich, ich erkannte das Straßenschild, an dem ich jeden Morgen vorbeigehe. Die Frau blickte sorgenvoll.
Jetzt weiß ich, warum ich mich nicht dumm, klein und ängstlich fühlte, warum ich gar nichts außer Liebe spürte.
Heute verschonte er mich nochmal...
 



 
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