der spiegel gespiegelt

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HerbertH

Mitglied
vor dir das hinter dir
ein sprung im glas vor
aufgedampftem
metall reflektiert

lichteinfall von links
das geöffnete fenster
darinnen die aufgebrochene
bodenkrume feucht glitzernd
zylinder braun mit lichtreflexen
blätter noch bereift
auch darin spiegelt sich die sonne
helle fluren

von rechts der dunkle flur
die wohnhöhle voller
erinnerungen an lebensfrüchte
das licht von links wirft lange
schatten in das rechts
spuren der gestalt
die vor dem spiegel steht
sich nicht wahrnehmen mag

so verändert
[ 4]das licht den lauf der sonne
[ 4]die rückblenden
[ 4]matter werdende spiegel
im spiegel dahinter
eröffnen sich bespiegelte
unendlichkeiten
spiegelbilder des spiegels
voller spiegelbilder
 

Rhea_Gift

Mitglied
Das is mir zuviel spiegelnde spiegel die sich spiegeln... ;)

würds straffen:

lichteinfall von links
das geöffnete fenster
die aufgebrochene bodenkrume
glitzert feucht

von rechts der dunkle flur
die wohnhöhle voller
erinnerungen an lebensfrüchte

das licht wirft lange
schatten in das rechts
spuren der gestalt
die vor dem spiegel steht
sich nicht wahrnehmen mag

im spiegel dahinter
eröffnen sich bespiegelte
unendlichkeiten

Nur ne Idee...

LG, Rhea
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Rhea,

über eine Verdichtung der letzten Strophe hatte ich auch schon nachgedacht, mich aber dagegen entschieden.

Bei den anderen Strophen passen die Kürzungen nicht so recht mit den Bildern in meinem Kopf zusammen und der Stimmung, die ich transportieren möchte.

Ich denke noch mal nach darüber.

Danke für die Anregung

lG

Herbert
 
Lieber Herbert,
der Spiegel ist in Lyrik und Prosa eine vielbeschäftigte Metapher. Daher ist mir das Spiegeln des Spiegels auch ein wenig zu viel, es sei denn, du nimmst andere Metaphern zur Hilfe, die den unendlichen Raum dahinter beschreiben...
Übrigens eine Kleinigkeit: das zweite "vor" in der ersten Strophe ließ mich stolpern. Ich würde ein "in" daraus machen.
Mein Vorschlag insgesamt kürzen und ungewöhnlich Metaphern für jene Räume suchen...
Herzliche Grüße
Karl
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Karl,

das doppelte vor in Strophe 1 ist inhaltlich korrekt, ein "in" stimmt nicht.

Dass der Spiegel als Metapher häufig vorkommt, OK.

Vom Titel her und der letzten Strophe soll sich dem Leser die Kette von Bilder erschliessen, die man erhält, wenn man vor einem Spiegel steht und darin einen Spiegel erblickt, der sich hinter dem Betrachter befindet. Bitte mal ausprobieren, falls diese "unendliche Bildkette" sich im Spiegel spiegelnder Spiegelbilder unbekannt ist. Andere Metaphern wären dafür auch nicht klarer, denke ich. Am ehestens kämen noch die Puppen in der Puppe in Frage, aber da ist die Zahl der verschiedenen Ebenen eher zu klein.

Das Thema ist also Selbstbezüglichkeit und infiniter Regress.

In Strophe 1 ist dazu passend zusätzlich eine Bedeutungsebene als Einleitung, die den Blick des Lesers auf die Funktionsweise des Spiegels lenken soll, "Glas vor Metall". Das Spiegelgedicht bespiegelt den Spiegel als Spiegel ...

In Strophe 2 und 3 geht es um seitliche Blicke des vor dem Spiegel stehenden Betrachters, nach links in die umgebende Natur, nach rechts in die Wohnung. Dies "spiegelt" die Kreise, in denen der Betrachter lebt und empfindet, es sind also gleichsam Spiegelbilder seines Daseins.

Strophe 4 ist das inhaltliche Ziel.

Statt immer nur einen Aspekt zu bringen in jeder Strophe habe ich versucht, das jeweilige Bild mit einigen wenigen Pinselstrichen zu malen.

Dass die Metapher des Spiegels hier "ausgelutscht" ist, will sich mir nicht erschliessen. Die Konnotationen sind inhaltlich ja möglicherweise noch gar nicht allen Lesern klar, weshalb ich hier das gemacht habe, was ich eigentlich nicht so gern mache: den eigenen Text für den Leser interpretieren. (Denn die Gefahr besteht, die interessanten Interpretationen des Lesers damit auszubremsen.)

Kurz gesagt: es mag sein, dass meine Intentionen noch nicht beim Leser so ankommem, wie ich es gerne hätte.

Normalerweise bin auch ich ein Freund sehr weitgehender Verdichtung. Diesmal allerdings widerstrebt mir das, weil ich
sehr klare Bilder mit mir wichtigen Details vor Augen habe, die ich ungern dem Verdichten opfern möchte.

Ich werde nochmal nachdenken, wie ich die Bilder noch klarer und schärfer fassen kann. Das wird aber wahrscheinlich nicht auf eine Kürzung hinauslaufen.

Trotzdem vielen Dank für das Feedback. Ich weiss offene Worte zu schätzen.

lG

Herbert
 
Lieber Herbert,
die Absicht deines Textes ist mir schon klar, ja, sie ist überklar. Und das ist m.E. nicht notwendig.
Ich liebe Gedichte, die ein Rätsel in sich tragen, damit ich damit auch ein wenig geistige Arbeit habe...
Herzliche Grüße
Karl
 

HerbertH

Mitglied
vor dir das hinter dir
ein sprung im glas vor
aufgedampftem
metall reflektiert

lichteinfall von links
das geöffnete fenster
darinnen die aufgebrochene
bodenkrume feucht glitzernd
zylinder braun mit lichtreflexen
blätter noch bereift
auch darin spiegelt sich die sonne
helle fluren

von rechts der dunkle flur
die wohnhöhle voller
erinnerungen an lebensfrüchte
das licht von links wirft lange
schatten in das rechts
spuren der gestalt
die vor dem spiegel steht
sich nicht wahrnehmen mag

im spiegel dahinter
bespiegeln sich spiegelbilder
langsam in der ferne verblassend
 
Lieber Herbert,
die letzte Zeile "langsam in der ferne verblassend" ist m.E. auch nicht mehr nötig...
Es reicht doch, wenn Spiegel Spiegel bespiegeln... Dass die fernen Bilder verschwimmen, weiß doch jeder.
Herzliche Grüße
Karl
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Karl,

die letzte Zeile in der neuen Version ist der Überrest der im Prinzip unendlichen Zahl von Bildern....

Ich denke noch mal darüber nach :)

lG

Herbert
 

Rhea_Gift

Mitglied
Auch ich meine, du erklärst zuviel - wird auch bei Straffung noch deutlich genug - die Spiegelmatapher ist so "vertraut", da brauchts nicht so viele Hinweise ;)

LG, Rhea
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Rhea,

sicher könnte man weiter verdichten, aber ob es dem Gedicht gut täte, noch weiter zu kürzen, ist für mich noch eine offene Frage.

lG

Herbert
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Herbert,

Ich finde Dein Gedicht sehr interessant. Was es auch sei, alles wird irgendwann gespiegelt, denn alles gelangt an die Grenze des Universums (Grenze ist vielleicht nicht das richtige Wort, aber Du weißt schon, was ich meine)und wird wieder zurücktransportiert, beispielsweise Gedanken, die vor Urzeiten gedacht wurden...

In Deinem Text scheint der Sprung im Spiegel eine Rolle zu spielen und er korrespondiert damit, dass sich dass Lyri nicht betrachten mag.

Am einleuchtendsten ist für mich die zweite Strophe. Auch ich nehme Reflexe immer wahr und habe keine Ruhe, bis ich deren Quelle herausgefunden habe.

Dass die Spiegelwelten nur allmählich verblassen gehört unbedingt in dieen Text, denn das Lyri, will sich zwar nicht betrachten, aber die Lebenseindrücke kann es auch nicht so mir nichts Dir nichts verschwinden lassen und je mehr es die Augen vor der äußeren Spiegelwelt zu verschließen trachtet, umso schärfer malen sich die Bilder im Inneren, bis sie endlich doch verblassen.

So lese ich Deinen Text.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

HerbertH

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

wie schon so oft hast Du auch diesmal weitere Interpretationsmöglichkeiten aufgezeigt.
Interessant finde ich vor allem die Idee, die beiden Spiegel als innere und äußere Spiegelwelt aufzufassen. In dem Gedicht ist das schon angelegt, mit dem links und rechts. Aber das davor und dahinter mit dem zweiten Spiegel wäre auch als eine zeitliche Spiegelung von Jetzt (oder Zukunft) mit der Vergangenheit interpretierbar.

Schön, dass Du Deine Interpretation eingebracht hast. Mir gibt sie weitere Denkanstöße.

lG

Herbert
 
G

gitano

Gast
Lieber Herbert!
Ich möchte Dir folgenden Vorschlag unterbreiten:D
(ein Kompromissvorschlag-ich würde weiter kürzen/komprimieren-vor allem in S2)

vor dir das hinter dir
ein sprung im glas vor
aufgedampftem
metall reflektiert.

lichteinfall, von links
das geöffnete fenster,
darinnen die aufgebrochene
bodenkrume, feucht glitzernd
zylinder, braun mit lichtreflexen
blätter noch bereift,
auch darin spiegelt sich die sonne,
helle fluren.

von rechts der dunkle flur,
die wohnhöhle voller
erinnerungen an lebensfrüchte,
das licht von links wirft lange
schatten in das rechts.
spuren einer gestalt

langsam verblassend.
Wegen des teilweise doch recht "kryptischen" Sprachstils/Bilder(keine negativbewertung -sondern nur bezeichnend)
ist meiner Meinung nach in S2 Interpunktion unerläßlich nötig. mein Vorschlag zielt darauf ab, die Dreh- und Angelpunkte so weit als möglich zu erhalten.

S3: ich bin ähnlicher Meinung wie Karl, dass S3 wirklich auf die kernaussagen gekürzt werden kann. Selbst der nachsatz müßte nicht unbedingt sein.
für Z6 schlage ich: "spuren einer gestalt" vor.
das persönlich was sich in der ferne der spiegelungen langsam verliert wird in dieser Formulierung gebündelt.

ich freue mich, daß es bei diesem anafngs auch für mich schweirigen Unterfangen, vorwärst geht.

Liebe Grüße
gitano
 

HerbertH

Mitglied
Hallo gitano,

angesichts von Vera-Lenas sehr schöner Interpretation von S3 möchte ich diese nicht missen.

Interpunktion muss m.E. auch nicht sein, weil dadurch gewollte Möglichkeiten zu mehrfachen Bezügen entfallen würden.

Sei mir also nicht böse, wenn ich diesmal auf Deine Vorschläge so gar nicht eingehe.

Auf jeden Fall tausend Dank für Deine Beschäftigung mit diesem Vieles spiegelnden Gedicht!

lG

Herbert
 

meradis

Mitglied
Hallo Herbert,
ich find´s inspirierend:


Vor mir steht das
Hinter mir.
Hinter mir,
der Sprung im Glas

Von rechts Dein Zimmer, Erinnerung
Dunkler Schatten
Gespiegelter Schatten
Vergangenheit gespiegelt mit Sprung.

Von links einfallend durch´s Fensterglas
Sonnenlichtreflex auf Leben
Natürliches dem Licht zustreben
Zukunft zersprungen gespiegelt im Glas

Das Licht von links läßt meinen Schatten
Fließen in deine Erinnerungs-Schatten

Ich schaue in den Spiegel, er
spiegelt den Spiegel hinter mir.
Sich bespiegelnde Spiegelbilder,
langsam in der Ferne verblassend
Spiegelt sich der Sprung.


L.G.
Conny
 



 
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