die Rose

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Tula

Mitglied
die Rose


Ein Morgen trübt sich ein. Er hält den Blick gesenkt;
dabei ist ihm der Weg nur allzu gut vertraut.
An jeder Hauswand klebt ein Fetzen Grau, umsonst
gräbt er nach einem Traum der letzten Nacht, doch dann ...

der Dichter sieht -
die Rose blüht ...

ein Stummer schweigt
ein Blinder eilt


Im ersten Augenblick betört ihn nur der Tau
auf ihrem Mund, im zweiten ist es wohl der Duft
nach Orient, Kytheras Strand und rotem Schaum.
Den dritten braucht es nicht, er ist ihr längst verfallen.

der Dichter ruft -
die Rose blüht!

der Stumme lacht
der Blinde weint


Behutsam kleidet er die Blüte in ein Wort
und streichelt sie mit einem weiteren, dann hüllt
ein Schleier sanfter Traurigkeit die Blume ein;
im Kummer ist die Anmut ganz besonders schön.

der Dichter singt -
die Rose weint...

der Stumme flucht
der Blinde ahnt


Bald gleicht sein Lied der Wolke, spendet tröstend Regen,
um gleich darauf als Sonnenlicht nach ihr zu greifen.

Ein Wind zieht auf, im Nu verweht sind Tau und Schleier,
zupft kühn an jedem Blatt und raunt 'jetzt bist du mein...'

die Rose lacht

der Blinde staunt
der Stumme jauchzt

der Dichter weint
 
G

Gelöschtes Mitglied 16867

Gast
Traumschön

Du schreibst so gefühlvoll und lyrisch, lieber Tula - ich wünschte, ich könnte das auch.
 
S

shoshin

Gast
Lieber Tula,

Ich sitze jetzt schon lange Zeit vor deinem Gedicht, weil ich gerne ausführlicher dazu schreiben schreiben wollte, aber irgendetwas in mir sträubt sich dagegen, diese schöne Gedicht zu zerreden.

Es scheint mir aus einem Guß, irgendwie unantastbar - auch wenn ich allenfalls ein zwei Dinge hinterfragen könnte -, es ist einfach wirkliche Poesie
!
Es war eine Freude das zu lesen und ich werde das sicher noch öfter tun! Danke!

LG
shoshin
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
GrüßDich, Tula -

warum die überzüchtete "Rose"?

Ich würde ein anderes Gewächs nehmen. So, wie man auch sonst überteuerte Begriffe meidet, es sei denn, man braucht das durch übergroße Nachfrage Abgegriffene als solches.

Schon "Tulpe" wäre billiger. Oder "Krokus". Oder "Grashalm". Oder "Morchel". Oder "Schleimpilz". Klar, es muß schon ein Trochäus sein.

grusz, hansz
 

Tula

Mitglied
Liebe shoshin und lieber Aron
Vielen Dank, habe mich über beide Kommentare und natürlich die Bewertung sehr gefreut.
LG
Tula
 
T

Trainee

Gast
Lieber Tula,

mir geht es ähnlich wie Shoshin, deshalb möchte ich nur kurz auf Mondneins Einwand eingehen.
Die Rose zeigt hohen Symbolwert und galt schon der höfischen Minne als Zeichen des Ewig-Weiblichen oder der Liebe selbst. Mag diese nun leidenschaftlich oder vergeistigt sein.
Im christlich-orthodoxen Mythos galt sie als Symbol des Märtyrertums. Und - je nach Betrachtungsweise - kann ein Dichter all dies in ihr sehen.
Insofern ist sie für mich die perfekte Wahl.

Herzliche Grüße
Trainee
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
und, beisewei, was ist denn an Weinenderosengedichten "experimentell"?
Oder ist Sentimentalität derartig verpönt, daß jetzt alle Kitschschwestern sich und ihre Rührungen unter der Demopappe "Experimentell!" versammeln? Um es guitarrenbegleitet per Flüstertüte vorzusingen?

Nun ja, ist auch ein Blickwinkel, mit Träne im Auge (des nordpolaren Windes wegen),

grusz, hansz
 

Tula

Mitglied
Hallo Mondnein

Die Rose weint doch gar nicht :)

Über den experimentellen Charakter läßt sich streiten. Jedenfalls soll das Gesicht etwas mehr sein als ein 'Hach die schöne Blume Gedicht', insofern bin ich ein wenig betrübt, dass du dieses als zu gewöhnlich oder gar flach empfindest.

Der gefühlsbetonte Stil entspricht voll und ganz der Absicht des Gedichts. Doch liebt der Dichter die Rose wirklich? Oder am Ende nur sich selbst, wobei er sich dichterisch gesehen auf die Blume abbildet? Ist es ein "ich liebe dich" oder eher sein "ich will geliebt werden", welches ihn dazu veranlasst, die Rose zu besingen?

Und warum bringt das Gedicht die anderen 'Darsteller' mit ein?

Das Ende ist offen genug, um wenigstens zwei Interpretationen zu erlauben, den sich selbst auferlegten Liebesschmerz (der Wind gehört zum Lied des Dichters) oder eben das abrupte Ende einer Hoffnung, es ist in beiden Fällen nicht die Rose, die der Dichter erreicht.

Oder ist der Dichter nur der altbekannte Täuscher, der es nicht auf die Rose abgesehen hat, sondern auf seine Leser? Ist es nicht die Magie der Poesie, die den Blinden sehen und den Stummen vor Freude jauchzen läßt?

Die Ballade auf den Schleimpilz ist übrigens schon in Arbeit :)

LG
Tula
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ich bin ja durchaus, lieber Tula,

ironisch-zwiespältig: Es ist ja ein ziemlich gutes Gedicht, und dann ist es auch erfreulich, daß keiner auf Dir rumhackt mit der Brecht-Ohrfeige "Glotzt nicht so romantisch!". Immerhin sind die Lektoren der Verlage und die Juroren der Preisausschreiben noch so altachtundsechzig trocken, daß sie jedem, der sowas einsendet, das Gedicht nicht einmal um die Ohren hauen würden, so grimmig und verächtlich würden sies in den Papierkorb pfeffern. Die Antwortlosigkeit ist ja die vorherrschende Haltung der Nichtmalpreisausschreiber. Zusammen mit ihrer emotionalen Kälte und ihrer Antiästhetik. Manche unter den Unreimen schreiben ja dem entsprechend.

Andererseits kann man in Jan Wagners "Der verschlossene Raum", (das ist das Buch der letzten Monate, von dem ich mich geistig und poetisch ernähren konnte), einen Vergleich von Benn und Brecht finden, der das Heraufdämmern anderer Zeiten ahnen läßt.
Und folgendes:
Ich zitiere (S. 45) ein Pablo-Neruda-Zitat:
[blue]Vergessen wir niemals die Melancholie, die verschlissene Sentimentalität, Früchte wunderbarer, vergessener Kräfte des Menschen, unrein, vollkommen, weggeworfen vom Wahn der Literaten: das Licht des Mondes, der Schwan in der Dämmerung, >Herz mein Herz<: das ist ohne Zweifel elementare und unausweichliche Poesie. Wer sich vor dem Geschmacklosen fürchtet, den holt der Frost.[/blue]
Ich habe natürlich auch die "Rosen" in der Schublade, z.B. ein Ding, Trainee kennts (habs mal vor wenigen Jahren hier dargeboten https://www.leselupe.de/lw/titel-Pralinenschachtel--aus-dem-Rosenmontagszug-geworfen--116786.htm), ist jetzt an die vierzig Jahre her:
Pralinenschachtel Rosen altes Rot
verblättern meine Komplimente tot
lebendig falten die Gebärden sich
ein welkes Spiel mit leeren Händen ich
oder das gestern von mir hier eingebrachte Escher-Mandala (nur ein Jahr alt), wo immerhin die Kartoffelrosen (= Chinarosen) unserer städtischen Parkanlagen evoziert werden.

grusz, hansz
 
S

shoshin

Gast
Mondnein, mir war sofort klar, dass du im Innersten ein [strike]wahrer[/strike] ehemaliger Romantiker bist ***breitESTgrins***
LG herzshin
 

Tula

Mitglied
Hallo Mondnein

Danke für deinen eingehenden Kommentar. Das Zitat von Pablo Neruda trifft es mMn ziemlich gut, d.h. ich kann mir Lyrik ganz ohne ihre melancholische und stimmungsgeladene Seite nicht vorstellen, immerhin soll sie (unter anderem) Gefühle vermitteln, von der Ästhetik des Hässlichen mal abgesehen.

Bleibt aber eine andere Frage. Warum sollte jemand zielbewusst für die Preisausschreiber schreiben? (ich meine stilistisch). Schon der Gedanke daran klingt mir nach “Verrat” des Dichters an seiner eigenen Seele und Verlust seiner Originalität. Wobei wir sicherlich alle irgendwo nachahmen, d.h. wenn jemand z.B. Rilke über alles liebt, wird er irgendwann versuchen so wie er zu schreiben, oder eben halbwegs. Kann ich auch nicht verdenken, warum sollte jemand nicht so schreiben wie er/sie glaubt sich vermitteln zu können?
Wir müssen ja auch nicht berühmt werden, jedes Gedicht wird hier öfter gelesen als sich eine Gedichte-Sammlung des Autors im Laden oder auf Amazon verkaufen würde.

Und so erfreue ich mich der kurzlebigen Schönheit alles Schönen, einschließlich der Blume, die der Dichter nach Minuten aus den Augen verloren hat :)

Dein Rosengedicht gefällt mir übrigens sehr gut :)

LG Tula
 

Label

Mitglied
Hallo Tula

Pure Poesie

die mir ein Gefühl vermittelt, das sich nicht einfangen lässt und sich gegen beschreibende Worte sperrt
so bleibt nur das derbe - wunderschön

Label
 



 
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