die fünf Sinne

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Ich kann nicht sehen, wenn die Sonne aufgeht. Aber ich kann es spüren.
Ich kann nicht sehen, welcher Vogel das Morgenlied singt. Aber ich kann ihn hören.
Ich kann nicht sehen, wann Winter ist. Aber ich kann ihn riechen.
Ich kann nicht sehen, wie der Löwenzahn aussieht. Aber ich kann ihn schmecken.


Und ich weiß, wie es war, alles sehen zu können.
Ich weiß, wie strahlend die Sonne ist, wie klein der Vogel, wie weiß der Schnee und wie leuchtend gelb der Löwenzahn.
Doch all das zählt nicht mehr. Denn es ist vergangen. Hätte ich wählen können zwischen dem Tod und dem Verlust des Augenlichtes, ich hätte den Tod gewählt. Warum ich so spreche? Weil ich soviel vermisse. Ich vermisse die Zeilen eines guten Buches, die bewegenden Momente eines Filmes, die Augen meiner kleinen Schwester, wenn sie erzählt von ihren Erlebnissen im Kindergarten.
All das ist dahin, das einzige was ich mit meinen Augen noch tun kann, ist weinen. Und das passiert ständig. Ich kann es nicht kontrollieren, sie tun es von allein. Aber ich kann natürlich auch nicht vergessen, das mir das Augenlicht genommen wurde, da ich es die ganze Zeit..... sehe.....!

An dem Tag, an dem mein Leben eine dramatische Wendung nahm, habe ich entschieden, niemals jemandem davon zu erzählen, was ich fühle. Klar haben viele gefragt, doch was nützen ihnen Antworten, wenn sie mich doch nicht verstehen? Kann jemand das Leid eines anderen nachfühlen, wenn er es nicht selbst erlebt hat? Man mag mir unterstellen, das ich im Selbstmitleid zerfließe, doch ich habe meine Gründe. Und niemand kann sie mir nachfühlen.

Ich sehe noch vor mir, wie ich an diesem Tag fröhlich aufwachte. Wie immer weckte mich das süße Gold der Sonne, das zu meinem Fenster hineinstrahlte.
Ich streckte mich, um meinen Körper endlich bewegen zu können. Ich öffnete das Fenster, um die Luft einzuatmen, die mir kühl ins Gesicht blies und meine Augen zum tränen brachte. Das waren noch gute Tränen...
Ich hatte soviel vor an diesem Tag. Das kehlige Lachen meiner kleinen Schwester drang aus dem Korridor zu mir. Worüber sie sich wohl heute freute?
Ich beschloss, sie später zu fragen.
Nach der täglich Morgenprozedur rief ich sie zu mir , wir stiegen ins Auto und machten uns auf den Weg. Keine zwei Kilometer weiter hielt ich an ihrem Kindergarten, brachte sie hinein und sie verabschiedete sich von mir mit einem Kuss auf die Wange. Ich wünschte ihr einen schönen Tag. Doch genau so sollte er nicht werden.

An der Kreuzung schaltete die Ampel auf grün, mein Zeichen also, fahren zu dürfen. Ich trat das Pedal mit Gefühl durch und fuhr an.
Und dann, plötzlich... Dieser Knall. Ein Krachen, quietschen und das Geräusch zersplitternden Glases.
Alles färbte sich rot. Ich spürte diesen furchtbar brennenden Schmerz in meinen Augen, wie er immer tiefer hinein kroch in meinen inneren Augapfel.
Dann... Dunkelheit. Tiefschwarz und unerbittlich, ohne eine Andeutung auf den Lichtstrahl, der doch eigentlich immer auf Dunkelheit folgte.

Was war geschehen? Es roch nach Qualm, jemand zog mich an meinen Armen aus meinem Wagen. Aber warum? Ich hatte Beine, ich konnte doch selbst laufen! Ich schrie, so laut ich konnte.
Doch die einzige Reaktion darauf waren Floskeln von fremden Stimmen.
\"Alles wird gut, keine Sorge!\"
\"Ganz ruhig, es sieht schlimmer aus, als es ist!\"
Achja, sah es das? Ich kann es nicht sagen, da ich nichts sehen konnte.

Ich roch Desinfektion. Scharf brannte sie in meiner Nase.
Wo war ich?
Im Krankenhaus. Natürlich. Wo wohl fast jeder landet, der einen Unfall hat. Hatte ich einen? Ja, sagte mir eine Frau, welcher sich als meine Ärztin vorstellte.
Man nahm mir die Vorfahrt an der Ampel, sagte sie. Ich hatte grün. ER hatte rot. Und er fuhr trotzdem... Warum? Weil er es eilig hatte, er wollte das Spiel nicht verpassen.
Das Spiel, das nur fünf Minuten entfernt im Stadion ausgetragen wurde.
Die Gründe sind mir letztenendes auch egal.
Was zählt ist, das ich die Augen öffnete, nachdem mir der Verband abgenommen wurde. Und das sie nicht vorhatten, das mir vertraute Licht einzulassen.
Es blieb dunkel. Schwarz.

Die Folgen?

Man nahm mir meine Schwester.
Ich kann mich ja nicht einmal um mich selbst kümmern, wurde mir gesagt.
Ich solle zuerst lernen, zurecht zu kommen, so, wie ich bin.
Aha, wie bin ich denn? Blind. Das wusste ich bereits. Und allein.
Zuerst nahm man mir mein Augenlicht, dann meine Schwester.
Und das alles nur wegen eines Spieles, das ER nicht verpassen durfte.
Genau, das ist gerecht?

Alles, was bleibt, ist die Erkenntnis, das ich mit meinen anderen Sinnen ausgleichen muss, was mir früher das Augenlicht gegeben hat.

Ich kann nicht sehen, wenn die Sonne aufgeht. Aber ich kann es spüren.
Ich kann nicht sehen, welcher Vogel das Morgenlied singt. Aber ich kann ihn hören.
Ich kann nicht sehen, wann Winter ist. Aber ich kann es riechen.
Ich kann nicht sehen, wie der Löwenzahn aussieht. Aber ich kann ihn schmecken.
Und vielleicht kommt irgendwann doch ein kleiner Lichtstrahl zurück...
Meine Schwester...?
 
Ich kann nicht sehen, wenn die Sonne aufgeht. Aber ich kann es spüren.
Ich kann nicht sehen, welcher Vogel das Morgenlied singt. Aber ich kann ihn hören.
Ich kann nicht sehen, wann Winter ist. Aber ich kann ihn riechen.
Ich kann nicht sehen, wie der Löwenzahn aussieht. Aber ich kann ihn schmecken.


Und ich weiß, wie es war, alles sehen zu können.
Ich weiß, wie strahlend die Sonne ist, wie klein der Vogel, wie weiß der Schnee und wie leuchtend gelb der Löwenzahn.
Doch all das zählt nicht mehr. Denn es ist vergangen. Hätte ich wählen können zwischen dem Tod und dem Verlust des Augenlichtes, ich hätte den Tod gewählt. Warum ich so spreche? Weil ich soviel vermisse. Ich vermisse die Zeilen eines guten Buches, die bewegenden Momente eines Filmes, die Augen meiner kleinen Schwester, wenn sie erzählt von ihren Erlebnissen im Kindergarten.
All das ist dahin, das einzige was ich mit meinen Augen noch tun kann, ist weinen. Und das passiert ständig. Ich kann es nicht kontrollieren, sie tun es von allein. Aber ich kann natürlich auch nicht vergessen, das mir das Augenlicht genommen wurde, da ich es die ganze Zeit..... sehe.....!

An dem Tag, an dem mein Leben eine dramatische Wendung nahm, habe ich entschieden, niemals jemandem davon zu erzählen, was ich fühle. Klar haben viele gefragt, doch was nützen ihnen Antworten, wenn sie mich doch nicht verstehen? Kann jemand das Leid eines anderen nachfühlen, wenn er es nicht selbst erlebt hat? Man mag mir unterstellen, das ich im Selbstmitleid zerfließe, doch ich habe meine Gründe. Und niemand kann sie mir nachfühlen.

Ich sehe noch vor mir, wie ich an diesem Tag fröhlich aufwachte. Wie immer weckte mich das süße Gold der Sonne, das zu meinem Fenster hineinstrahlte.
Ich streckte mich, um meinen Körper endlich bewegen zu können. Ich öffnete das Fenster, um die Luft einzuatmen, die mir kühl ins Gesicht blies und meine Augen zum tränen brachte. Das waren noch gute Tränen...
Ich hatte soviel vor an diesem Tag. Das kehlige Lachen meiner kleinen Schwester drang aus dem Korridor zu mir. Worüber sie sich wohl heute freute?
Ich beschloss, sie später zu fragen.
Nach der täglich Morgenprozedur rief ich sie zu mir , wir stiegen ins Auto und machten uns auf den Weg. Keine zwei Kilometer weiter hielt ich an ihrem Kindergarten, brachte sie hinein und sie verabschiedete sich von mir mit einem Kuss auf die Wange. Ich wünschte ihr einen schönen Tag. Doch genau so sollte er nicht werden.

An der Kreuzung schaltete die Ampel auf grün, mein Zeichen also, fahren zu dürfen. Ich trat das Pedal mit Gefühl durch und fuhr an.
Und dann, plötzlich... Dieser Knall. Ein Krachen, quietschen und das Geräusch zersplitternden Glases.
Alles färbte sich rot. Ich spürte diesen furchtbar brennenden Schmerz in meinen Augen, wie er immer tiefer hinein kroch in meinen inneren Augapfel.
Dann... Dunkelheit. Tiefschwarz und unerbittlich, ohne eine Andeutung auf den Lichtstrahl, der doch eigentlich immer auf Dunkelheit folgte.

Was war geschehen? Es roch nach Qualm, jemand zog mich an meinen Armen aus meinem Wagen. Aber warum? Ich hatte Beine, ich konnte doch selbst laufen! Ich schrie, so laut ich konnte.
Doch die einzige Reaktion darauf waren Floskeln von fremden Stimmen.
\"Alles wird gut, keine Sorge!\"
\"Ganz ruhig, es sieht schlimmer aus, als es ist!\"
Achja, sah es das? Ich kann es nicht sagen, da ich nichts sehen konnte.

Ich roch Desinfektion. Scharf brannte sie in meiner Nase.
Wo war ich?
Im Krankenhaus. Natürlich. Wo wohl fast jeder landet, der einen Unfall hat. Hatte ich einen? Ja, sagte mir eine Frau, welche sich als meine Ärztin vorstellte.
Man nahm mir die Vorfahrt an der Ampel, sagte sie. Ich hatte grün. ER hatte rot. Und er fuhr trotzdem... Warum? Weil er es eilig hatte, er wollte das Spiel nicht verpassen.
Das Spiel, das nur fünf Minuten entfernt im Stadion ausgetragen wurde.
Die Gründe sind mir letztenendes auch egal.
Was zählt ist, das ich die Augen öffnete, nachdem mir der Verband abgenommen wurde. Und das sie nicht vorhatten, das mir vertraute Licht einzulassen.
Es blieb dunkel. Schwarz.

Die Folgen?

Man nahm mir meine Schwester.
Ich kann mich ja nicht einmal um mich selbst kümmern, wurde mir gesagt.
Ich solle zuerst lernen, zurecht zu kommen, so, wie ich bin.
Aha, wie bin ich denn? Blind. Das wusste ich bereits. Und allein.
Zuerst nahm man mir mein Augenlicht, dann meine Schwester.
Und das alles nur wegen eines Spieles, das ER nicht verpassen durfte.
Genau, das ist gerecht?

Alles, was bleibt, ist die Erkenntnis, das ich mit meinen anderen Sinnen ausgleichen muss, was mir früher das Augenlicht gegeben hat.

Ich kann nicht sehen, wenn die Sonne aufgeht. Aber ich kann es spüren.
Ich kann nicht sehen, welcher Vogel das Morgenlied singt. Aber ich kann ihn hören.
Ich kann nicht sehen, wann Winter ist. Aber ich kann es riechen.
Ich kann nicht sehen, wie der Löwenzahn aussieht. Aber ich kann ihn schmecken.
Und vielleicht kommt irgendwann doch ein kleiner Lichtstrahl zurück...
Meine Schwester...?
 



 
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