die herzprinzessin - das ende.

zettelstraum

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Er hatte zwischenzeitlich zur Prinzessin ein besonderes Verhältnis aufgebaut und war sich sicher, daß sie die Beute seines Bussardauges werden könnte. Nicht böse schien ihm dieser Gedanke, sondern nur zielgerichtet. Er wollte sich einem neun Leben verschenken, wollte sich für jemanden öffnen, der ihm zuhören konnte, auch wenn diese Person sich ungern in den Mittelpunkt stellte. Auch wenn er wußte, daß ihr Leben dem seinen sehr fern stand, empfand er für das Leben der Prinzessin eine Achtung, die ihm stets den Wunsch bestehen ließ, sich dafür zu entscheiden.
So traf er sich am folgenden Tag erst abends mit ihr, um ihr dies mitzuteilen, da die Nachmittage nie den Rahmen besaßen, den er für diese wichtige Mitteilung benötigte.
„Prinzessin, mein Leben war bisher ausgefüllt mit schmerzlichen, wenn auch intensiven Genüssen, und sollte es möglich sein, dies ändern zu können, würde ich mich sehr gerne darauf einlassen."
Die Prinzessin erschrak bei jenem Satz und meinte dazu: „Florian, meine Meinung über sie ist eine sehr hohe, doch wüßte ich nicht, wie sie in der Welt, welche mich umgibt, einen Platz finden könnten, der ihnen auch die Erfüllung gibt, welche sie benötigen."
„Oh doch, seien sie sicher. Der Traum eines Künstlers ist nicht immer der Traum des Menschen in jenem Künstler."
„Das ist ein schöner Satz, doch überlegen sie einmal, wann sie das letzte Mal auf dem Markt waren. Dies zeigt mir, daß sie sich nicht mehr mit dem beschäftigen, was ihre besondere Art ausmacht. Für was geben sie ihre Kunst denn auf?"
Florian erwiderte mit glühenden Augen: „Für sie, Prinzessin!" und wollte seine Hand auf die ihre legen, doch die Prinzessin zog diese schnell beiseite.
„Nicht doch, der Moment ist zwar schön, doch lassen sie uns noch ein bißchen Zeit."
Florian war sehr erregt und fragte sich, was denn der Grund sei, warum sie nicht auf jenem Moment aufbauen sollten. Er war nicht mehr Herr seiner Gedanken, nachdem er die tiefliegende Wahrheit ihr offenbart hatte, als ihn dieses Bedürfnis überraschte und er begann nun wie wild auf sie einzureden.
Die Prinzessin jedoch wich ihm aus und meinte, er solle dies Spiel beenden und sie alleine lassen. Florian ging, doch sein Wunsch war stärker als je zuvor.
Am nächsten Tag nahm er sich frei und ging zum Bauern, um mit Marie zu sprechen.
Der Bauer ließ die beiden gerne gehen, um sich auf einem Spaziergang auszureden.
Marie hatte gleich bemerkt, daß Florians Augen glühten, daß in ihm eine Flamme loderte, die sie nicht entzündet hatte. Sie sprach ihn deshalb auch nach wenigen Metern darauf an und Florian begann sofort zu erzählen. Er erzählte von seiner Liebe für die Prinzessin, deren Grund so fern von Oberflächlichkeit war und die so unstillbar schien. Viel weiter als Gespräche und kleine Umarmungen sei man nicht gekommen und er wisse keinen Weg und keinen Menschen, der ihm helfen konnte. Natürlich wisse er, daß Marie dies treffen werde, was er da spräche, aber es müsse nun einmal gesagt werden. Marie erwiderte, daß sie schon lange eine Ahnung davon hatte, daß es nur sehr traurig sei, daß er dies nun erst jetzt gestehe.
Florian merkte, daß dieser Ausspruch ein Beleg für die Zwecklosigkeit dieses Gesprächs sei und senkte die Emotionalität desselbigen, indem er von der Hoffnung redete, am Abend sich durch die Schnitzerei mit dem Bauern von seinen Gedanken und Gefühlswirrungen ablenken zu können.
So kamen sie denn auch früh wieder und Marie ging sofort wieder ihrer Arbeit nach, denn auch sie benötigte nun Ablenkung, das sie eine Traurigkeit überkam, deren sie nicht Herr werden konnte.
Als Florian den Bauern wieder traf, fragte ihn jener, ob er Zeit habe, mit ihm zur Bäckerin zu gehen, Besorgungen zu machen. Florian begleitete ihn gern und teilte dem Bauern auch sogleich mit, daß er sich nun mit Marie ausgesprochen habe. Bei der Bäckerin traf Florian die Frau, welche die Prinzessin oftmals begleitete. Ihm kam der Gedanke, daß wenn jemand den Weg zur Prinzessin kennen sollte, dies doch nur dieser Mensch sein könne.
So nahm er sie denn beiseite und unterhielt sich ein wenig mit ihr über die Dinge im Dorf und im Schloß, bis daß er einen geeigneten Moment fand, um sie nach dem Geheimnis, welches die Prinzessin umgeben würde, zu fragen.
Es sei ganz einfach, meinte diese, man müsse nur in ihr Herz schauen, um den wahren Weg zu finden. Das Problem sei natürlich, daß sie ihr Herz an den Fürsten verloren habe und deswegen nicht bei sich trage.
Der Bussard in ihm wachte auf und fragte zielstrebig, wo es denn nun sei, ob es der Fürst gar mit sich genommen habe. Nein, das Herz befände sich in einem Zimmer, welches aber abgeschlossen sei. Die Lage des Zimmers könne sie ihm zwar beschreiben, mehr aber nicht.
Und, so fügte sie an, sie tue das nur, weil sie ihn bisher als netten jungen Mann kennengelernt hatte, und nicht als herrschsüchtigen Abenteurer, für welche ihn die anderen Männer im Schloß hielten.
Florian bedankte sich und bat sie, der Prinzessin nichts von jenem Gespräch zu erzählen.
Getragen von der Hoffnung, nun des Rätsels Schlüssel gefunden zu haben, wollte er nicht viel Zeit mit dem Schnitzen verbringen und unterbrach die Arbeit, indem er den Bauern darauf verwies, daß man noch die Farbe benötige, um die Figuren zu färben, bevor man an das Schachbrett gehen solle. Der Bauer meinte hämisch darauf, daß ihm schiene, er wolle das Brett alleine gestalten. Florian nutzte diesen nicht böse gemeinten Gedanken und gab an, wirklich lieber das Brett selber herstellen zu wollen, da dies eine schwere Aufgabe sei und besser alleine zu lösen wäre. Aber sicher würde er bald mit den Farbtöpfen vorbeikommen und dann könnte man ja weitersehen. Der Bauer gab sich ein bißchen enttäuscht, lud ihn aber selbstverständlich noch auf ein Bier ein und wirkte sehr zufrieden, als Florian sich von ihm verabschiedete.
Thomas hatte ihn schon erwartet, als er wieder ins Schloß zurückgekehrt war. Er wollte mit ihm über seine Arbeitseinstellung reden. Florian machte sich Gedanken, welchen Fehler er denn begangen habe und fand aber keinen. Doch Thomas erklärte ihm, daß es nicht darum gehe, daß er etwas zerstört oder vergessen habe; es sei nur die Art, welche man an den Schnittstellen der Rosen erkennen könne. Er wolle wissen, warum diese so eigenartig gekürzt wurden bzw. teilweise abgebrochen.
Florian beschwichtigte ihm, daß dies keine Absicht oder gar Unkontrolliertheit gewesen sei, er sei bloß von einem großen Vogel abgelenkt worden, den er fürchtete, weswegen er dann versucht hatte, seine Arbeit so schnell wie möglich zu verrichten. Thomas schenkte dieser Ausrede seinen Glauben, doch müsse Florian wissen, daß Geduld als die höchste Tugend auf dem Schloß gelte. Florian nickte kurz und damit war das Gespräch beendet.
In seiner Kammer begann er sofort auf dem Lageplan das gesuchte Zimmer ausfindig zu machen. Sei es wie es wolle, aber die Person hatte sich einen gut versteckten Raum ausgesucht. Es lag in einem der drei Türme, zu dem es keinen Schlüssel gab, nicht in seinen Händen und auch nicht für ihn erreichbar. Was er jedoch erreichen könnte, war das Fenster, durch welches man vielleicht in das Zimmer blicken könnte. Und da das Zimmer von der Größe eher einer Kammer entsprach, müsse man das Herz doch sehen können. Und sollte dies nicht so sein, könnte man ja zumindest versuchen, in das Zimmer einzusteigen. Aber daran wollte er jetzt nicht denken.
Er beschloß am nächsten Abend einen ersten Versuch zu wagen. Er nächste Tag schien sehr günstig zu sein, da an jenem Tag der Markt stattfand und da mußten viele bis spät am Abend arbeiten und würden sicherlich sehr müde sein.
Er hatte sich außerdem vorgenommen, am Markt einen Stand zu besetzen, weswegen er sich auch bei der Bäckerin eine Marke besorgt hatte.
Am Markttag waren alle von ihren eigentlichen Arbeiten befreit und konnten sich entweder direkt am Marktgeschehen beteiligen oder mußten in der Küche aushelfen. Jedenfalls vormittags. Florian hatte sich einen Schemel besorgt und saß hinter seinem Stand, in seinen Händen ein Papier, auf welchem er eine Skizze für das Schachbrett aufzeichnete.
Händler kamen und sahen seine Waren an, fanden aber größtenteils den Preis zu hoch und Florian hatte an jenem Tag nicht die Laune, um diesbezüglich mit sich handeln zu lassen.
Auch die Prinzessin kam vorbei und betrachtete die Werke.
„Florian, sie sind wieder einmal als Aussteller zu sehen. Schön."
„Es schient mich etwas an die Geschäftigkeit erinnert zu haben, aber die Motivation geht verloren, wenn niemand etwas kauft."
„Lassen sie den Kopf nicht hängen, wenn ich sie heute auch nicht motivieren kann, aber es scheint mir im Moment nicht alles zu gefallen."
„Hätten sie etwas dagegen, wenn ich heute mittag meine Tätigkeit beende und statt dessen mit ihnen mich zum Schwimmen begebe? Auf ein Stündchen vielleicht?"
Der Prinzessin Antwort war wortlos, der Glanz ihrer Augen gab schon zu verstehen, daß sie sich darauf freue.
„Gut. Dann holen sie mich nach dem Mittagsvesper ab."
Der Nachmittag war sonnenüberflutet, Florian und die Prinzessin saßen auf einem Steg am Waldsee und nahmen die Ruhe der Natur in sich auf, während sie sich unterhielten.
„Wer war ihr Fürst? War er ein guter Mensch oder ein zugeheirater Adeliger?"
„Der Fürst war ein junger Mann wie sie, der sich der Kunst verschrieben hatte. Er malte die Natur und interessierte sich für ihre Wesen. Selbst eine Ameise mußte ihm Modell stehen. Sie können sich vorstellen, welch Geduld dies verlangt."
„Hat er sie geliebt? Wo haben sie sich kennengelernt?"
„Der Fürst hat mich neben der Malerei geliebt. Ich saß ihm zwar nur selten Modell, doch ich wußte stets, daß er mir das Gefühl gab, wertvoll für ihn zu sein. Ihre zweite Frage möchte ich nicht beantworten."
„Warum mögen sie mir keine Hilfe geben? Wie lange dauert es, bis wir einander ehrlich gegenüber sein dürfen?"
„Was ist für sie Ehrlichkeit? Ist es nicht nur ein Wunschbild, welches in ihnen entworfen wurde, welchem sie aber gar nicht einmal selbst entsprechen können?"
Florian sah sich an einer wunden Stelle getroffen. Durch die Position des Fragestellers hatte er Antworten erreichen können auf die vielen noch ungestellten Fragen, als Befragter könnte er sich verraten oder gar versprechen.
„Ehrlichkeit heißt, dem nachzugeben, was man empfindet, denn nur in den Empfindungen unterscheiden sich die Menschen. Vielleicht hat die Ehrlichkeit darin einen Schatten, daß man Empfindungen nur schwer darzustellen vermag."
Nachdem beide lange Zeit auf die glatte Fläche des leuchtenden Wassers gestarrt hatten, wandte die Prinzessin nun ihre Augen Florian zu:
„Ja, wenn sie hier doch eine ähnliche Meinung haben, verstehen sie sicher das nächste Erlebnis. Wenn der Fürst früher abends zurück kam, war ich sehr oft gewollt, mit ihm noch einen Spaziergang durch den Park zu machen, in welchem sie nun arbeiten. Man hätte sich auf eine Bank setzen können, ein schönes Gespräch führen und sich dann später im Kaminzimmer aufwärmen lassen können. Stattdessen ergab es sich aber sehr oft, daß der Fürst nach Hause kam, sich einen großen Trog voll Wasser machen ließ, sich dort hinein setzte und sich daraufhin sogleich ins Kaminzimmer begab, um sich aufzuwärmen, während ich eine Sehnsucht nach frischer Abendluft hatte. Anstatt ihm dies zu gestehen, die Ehrlichkeit an den Tag zu legen, wurde ich gereizt, da er meinte, daß ich für seine Art der Romantik nicht fähig sei. Schließlich setzte ich mich widerwillig in einen Sessel und er laß aus einem Buch vor. Die Unehrlichkeit beherrschte den Raum, in welchem solch eine wunderschöne Ehrlichkeit hätte die Herzen erwärmen können."
„Ach Prinzessin, hören sie bitte auf mir solche Situationen vorzuschwärmen. Es tut mir im Herzen so weh und ich möchte lieber fliehen, als unter solchem Gedankenhimmel ihre Nähe, die doch noch so fern ist, zu ertragen."
„Florian, machen sie sich keine Sorgen. Einem jeden wird sein Glück zuteil."
„Auch uns?", fragte er recht provokant und ging zurück auf die Wiese um sich wieder anzukleiden.
Die Prinzessin folgte ihm, als er den Weg zum Schloß antrat und versuchte ihm zu erklären, daß seine Freundschaft eine sehr wertvolle für sie sei.

Florian aber tröstete sich nur mit dem Gedanken, daß er in einigen Stunden ihr Herz vielleicht sehen können werde und damit die Möglichkeit finden, sie dort zu erreichen wo sie bisher nur versteinert schien.
So ging er denn nach dem Abendbrot gleich auf sein Zimmer und tat als ob er schlief. Stattdessen saß er hellwach am Tisch und ging seinen Plan durch, denn er hatte vor, kein Kerzenlicht zu verwenden, aus Angst, ertappt zu werden.
Als er denn ein emsiges Schnarchen aus dem Gang vernahm, sah er seine Zeit gekommen. Er ging aus dem Haus, schlich sich an der Hofwache vorbei und entschlüpfte deren Blickfeld, indem er durch den Gang ging, welcher ihn jeden Tag an seinen Arbeitsplatz führte. Er konnte nämlich nur über den kleinen Park zu jenem Turmzimmer gelangen, es gab keinen anderen Weg.
Die letzten Tage waren sehr trocken gewesen und so mußte er keine Angst haben, daß man seine Spuren hätte am nächsten Tag entdecken können.
Da er den Park jeden Tag zu hegen und pflegen hatte, kannte er alle Wege und Büsche, jedenfalls bis zu jenem Punkt, wo es darum ging, eine niedrige Mauer zu übersteigen. Diese Mauer war der Grund, warum er es tagsüber nicht wagen wollte, zu jenem Fenster zu gelangen. Würde man ihn hinter der Mauer entdecken, so täte er sich strafbar machen. Nun in der Dunkelheit war er sich sicher, nicht entdeckt zu werden, falls er nicht zu laut sein würde. Er wollte sich an der Turmmauer entlang tasten, doch ziemlich schnell spürte er Buschwerk, daß ihn zu einem großen Abstand zwang. Trotz aller Umstände fand er sich bald vor jenem Zimmer, in welchem das Herz aufbewahrt sein müsse. Allein ein Blick hineinzuwerfen schien unmöglich, da sich zwischen ihm und dem Fenster ein sehr dichter Busch befand. Er machte sich daran, mit den Händen einen Weg durch das Dickicht zu schlagen, doch war das Gezweig sehr widerspenstig und die Stacheln schmerzten ihn empfindlich. Trotz aller Unruhe und allem Eifer, gelang es ihm nicht, weiter als einen Meter vorzudringen, ohne das Buschwerk auffällig zu verändern. Er stampfte ein Mal kräftig mit den Stiefeln auf den Boden, um seinem Ärger Ausdruck zu verleihen und ging dann wieder zurück in den Park, um vorbei an den Schloßwachen wieder in seine Kammer zu gelangen.
Die nächsten Tage verbrachte er wie gewohnt, traf sich jedoch nicht mit der Prinzessin, da er Angst davor hatte, daß sie ihn vielleicht auf die nächtliche Aktion ansprechen würde. Er hatte das Gefühl, daß man nichts was auf dem Schloß geschah vor der Prinzessin verbergen könnte. Trotz dieser Angst, sah er sie dann nach einer gewissen Zeit wieder. Sie schien sich ein bißchen zurückhaltender zu geben, doch Florian machte dies an den wenigen Ereignissen der Zeit, welche zwischen ihnen gelegen hatte, fest.
Durch diese Freude angetrieben, nicht erwischt worden zu sein, und trotzdem noch zur Prinzessin Kontakt haben zu dürfen, hielt ihn nichts davon ab, sie bald wieder zu einem Kuß zu drängen. Doch die Prinzessin hielt ihn zurück: „Nein, Florian, verzeihen sie mir, aber noch ist der Wunsch nicht erfüllt, den zu erfüllen sie in der Lage sind. Lassen sie sich das Trost sein. Bitte."
„Welchen Wunsch soll ich ihnen erfüllen, Prinzessin? Nennen sie ihn mir und ich werde mein Leben auf`s Spiel setzen!"
„Sie können den Wunsch nicht durch Anstrengungen körperlicher Art erfüllen. Nein, so leicht ist das nicht. Aber ich glaube an sie."
„Ach, ist es das was man bei uns so locker die Liebe nennt? Soll ich ihnen die Liebe schenken?"
„Nein, die Liebe schenken, das kann kein einzelner Mensch, dazu bedarf es stets zweier Menschen. Aber um meinen Wunsch zu erfüllen, müssen sie die Regeln der Liebe kennen, sonst werden sie allzu schnell am Ziel vorbeischießen."
„Das höchste Ziel am Schloß ist die Geduld. Ich weiß."
Nicht in bester Laune verließ der junge Mann an diesem Tag die Prinzessin. `Sollte es noch mehr Barrieren denn dieses Herz geben?´
Im Dorf hörte man den Bauern flüstern, daß der fremde junge Mann die Absicht besäße, das Herz der jungen Prinzessin zu erobern.
„Er hat bei mir gewohnt und mir versprochen, mir das Schnitzen beizubringen, doch er kommt nicht mehr!"
„Bist wohl sauer, daß er dich sitzen läßt?"
„Schmarrn, er kriegt halt nicht genug von seiner Prinzessin, so daß er sein Versprechen vergißt, und dabei hat ihn die Marie so gern."
„Ja, die Marie ist schon ein fesches Weibsbild. Das versteh ich auch nicht. Aber vielleicht ist er ja gar kein echter Dorfbursch. Vielleicht hat er dich nur genarrt!"
Der Bauer, welcher schon einiges getrunken hatte, konnte sich dies nicht gefallen lassen und schmetterte seine Fäuste auf den Tisch: „Sag das nicht noch einmal, sonst landen diese Hände an einer anderen Stelle, an einer viel weicheren!"
Kurze Zeit später verließ der Bauer dann auch die Gastwirtschaft und grübelte nach, ob er Florian zur Rede stellen sollte.
Die Prinzessin ward in den nächsten Tagen auf dem Schloß nicht gesehen, da sie ausgeritten war, und so fand Florian zufällig die Zeit, den Bauern aufzusuchen, zwecks des Schachspiels. Allein der Bauer schien überhaupt nicht bei Laune, um mit ihm zusammen etwas zu Schnitzen oder gar ihn alleine in die Werkstatt zu lassen. Es gab einen kurzen Umtrunk und eine steife Unterhaltung und dann mußten die Bauersleut wieder an die Arbeit. Florian versuchte sich nicht einschüchtern zu lassen und ging in den nahegelegenen Wald, um sich bei einem Spaziergang Gedanken zu machen.
Was war geschehen in den letzten Tagen? Traf ihn die Schuld? War das alles sein Leben oder waren es die Umstände? Wie sollte es weitergehen und wenn nicht - wie sollte es zurückgehen? Wer sollte ihm die Prinzessin zuführen, wenn nicht er selbst? Aber warum nahmen sie ihm alle weg? Die Menschen mit den Rätseln, die mit dem schlechten Gewissen?
Er fand keine Antworten und nur wenig Ruhe. Und als er dann auch noch am Himmel einen Bussard erblickte, wußte er, daß es wieder Zeit war, den Kampf gegen den Busch aufzunehmen. Wenn es ein Orakel geben könnte, dann das Herz.
Da man die Tage frei hatte, an welchen die Prinzessin nicht zugegen war, sah man die meisten Männer nicht auf dem Schloß. Sie saßen in der Gastwirtschaft und zechten bis am nächsten Morgen.
So hatte es Florian denn leicht, im Schatten der Nacht, sich an das bestimmte Fenster zu schleichen. Er hatte Handschuhe dabei, mit denen er versuchen wollte, sich einen Weg zu schaffen.
Zuerst schob er noch beiseite, als die Dornen an den zurückschnellenden Zweigen aber zu unangenehm wurden, nahm er sein Messer und zerschlug die Zweige. So kam er dem Fenster Schritt für Schritt näher. Es vermischten sich viele Gefühle und Absichten, als er jene zornige Tat vollbrachte. Der Bussard, die Rätselhaftigkeit der Prinzessin und sein Haß gegen alles, was sich ihm den Weg stellte.
Die Äste wurden dicker und dicker und er tat sich wirklich schwer, seinen Feind zu schlagen. Hätte er eine Pause eingelegt, so wäre ihm die Idee gekommen, den Baum, der neben ihm stand zu erklimmen, um so einen Blick ins Fenster zu erlangen. So aber knickte er die letzten Äste mit bloßen Händen ab und ging damit so arg zu Werke, daß es ihm, vor dem Fenster stehend, die Augen verschlug und es der angerückte Thomas leicht hatte, ihn in seine Gewalt zu bekommen.
Dunkel war es in der Kammer, in welcher Florian am nächsten Tag erwachte. Er konnte sich nicht mehr an viel erinnern und wußte sich gefangen, in aussichtsloser Lage, wenn nicht die Prinzessin ein Gnadenwort für ihn einreichen würde.
Eine Reihe finstrer Gedanken überkamen ihn zusammen mit dem Verlust seiner Kraft und seines Willens. Zweifel ob der Prinzessin überkamen ihn genauso wie Angst vor der Strafe. Er sah Träume platzen, sah sich einer Ungerechtigkeit ausgeliefert, dessen Ursache er nicht kannte. Seine Gefühle entschwanden in die Gedankenwelt und offenbarten sich dort. Die Kellerwände spiegelten seine Herzenswände und so gerne hätte er sie gereinigt von dem Schimmelbefall und den vielen Spinnen, die sicherlich abschreckend auf die Gefangenen wirken sollten. Aber was kann einen Verliebten abhalten? Sicherlich nicht die Vernunft und um Spinnen zu erkennen war man als Verliebter meist doch zu blind. Das Interesse eines Verliebten war zentriert und so stets geschwächt.
Wasser und Brot wurden ihm durch ein Fenster gereicht und er ließ es fallen, da er sich im gleichen Moment Gewahr wurde, daß Thomas ihn verraten hatte. Warum gerade Thomas? Er hatte ihn zu seinen Möglichkeiten verholfen, er hatte in ihm den Eindruck geweckt, daß die Prinzessin sich für ihn interessieren könnte, er war ihm ein Freund geworden. Alles schien sich gegen ihn gewandt zu haben. Der Kummer fraß und der Haß begann zu wachsen, um die Angst zu löchern, während der Schlaf langsam nun begann ihn zu beruhigen. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, streckte seine Knie durch und versuchte zu träumen.
Das Leben erschien ihm wie ein finsterer Ball, den sich Kinder zuwarfen. Ständig hatte er Angst, daß ein Kind den Ball fallen lassen würde, denn er konnte nicht erkennen, aus welchem Material der Ball bestand. Es spielte ein kleines Mädchen mit, daß den Ball bisher noch nie bekommen hatte. Er wünschte sich aus einem gewissen Denken heraus, daß dieses Mädchen nie den Ball bekommen sollte, denn entweder würde sie ihn fallen lassen oder aber keinem mehr richtig zuspielen können. Doch als sie dann den Ball zugespielt bekam, fragte er sich plötzlich was denn so schlimm daran sei, wenn das Leben zerbrechen würde. Das Leben schwamm in den letzten Wochen so an ihm vorbei, er würde nichts vermissen.
Plötzlich klopfte es an der Tür und Florian bat herein, wobei dies doch in seinem Zustand eine merkwürdige Höflichkeit erschien. Aber es half ihm, sich lebendig zu fühlen, als einen Teil der Menschheit.
Vor ihm stand Thomas. Er sagte ihm, daß er frei sei und gehen können wohin er wolle, doch solle er nie mehr auf`s Schloß zurückkehren. Kein Wort mehr der Freundschaft, sondern nur noch das Geleit ins Freie.
Nichts hatte er als er ging, kein Pferd, keine Kunst, keinen Willen. Ziellos steuerte er seine Schritte durch den Wald. Nirgends hielt er an, um zu verweilen. Nirgends erblickte er Menschen, auch wenn sie in seiner nächsten Nähe standen. Die Bäume spürte er nur im Vorbeigehen und den Vögeln gegenüber war sein Ohr taub. Nirgends nichts. Nur Florian. Der Wald. Die Dunkelheit. Der Himmel über ihm und die Wolken, die er nicht sah. Der Schlaf.
Als er erwachte, war es Tag geworden. Er mußte einen halben Tag lang geschlafen haben. Der Hunger nagte an ihm und er machte sich auf die Suche nach Früchten. Als er einen Kirschbaum entdeckte, machte er sich daran, ihn zu besteigen, doch ihm fehlte die Kraft. So nahm er nur von den Kirschen, welche auf dem Boden lagen. Diese jedoch waren von Würmern befallen und so dauerte es nicht lange, bis Florian sich übergeben mußte. Er legte sich ins Gras, schlug die Hände über dem Kopf zusammen und verharrte der Dinge.
Es war nicht sein Tag, es war nicht sein Leben. Er zählte Ameisen, die den Weg seiner Augen kreuzten, schob ihnen kleine Steine in den Weg, um sie arbeiten zu sehen. Eine Lausbubentat, die ihn früher als Kind erfreut hatte. Er machte es stundenlang, doch er empfand nichts dabei. Er blickte zum Himmel und sah, daß es zu Regnen begann und blieb liegen.
Naß bis auf die Haut fand sie ihn denn, die alte Frau, die auf der Suche nach Waldbeeren Florian auf der Wiese liegen sah.
„Was machen sie hier, junger Mann?"
„Was soll ich einen anderen Ort aufsuchen, um dort dasselbe zu machen?"
„Sind sie fremd hier, haben sie kein Zuhause?"
„Ich schätze, daß ich das Tagesgespräch sein werde und ein Zuhause hatte, ein wunderbares."
„Ich bin eine alte Frau , aber ängstige mich nicht vor fremden Menschen, deshalb bitte ich sie, kommen sie mit zu mir und wärmen sie sich dort auf. Der Tod wird sie sicher holen, doch bitte nicht im jungen Alter."
Sie nahm Florian bei den Armen und half ihm aufstehen. Florian folgte ihr schweigend und schlotternd vor Kälte.
Die alte Frau machte ihm einen warmen Tee und schickte ihn daraufhin schlafen und obwohl er die letzte Zeit nichts anderes als dem Schlaf gefrönt hatte, schlief er sofort ein.
„Na, gut geschlafen? Dies ist zwar nur eine Notunterkunft, keine Pension und keine Gaststätte, aber ich habe in der Zwischenzeit versucht, etwas warmes für sie herzurichten. Es hängt draußen über dem Feuer. Die Sonne scheint, wir könnten uns ohne Bedenken auch nach draußen setzen."
Florian war noch ganz erschlagen, aber seine Nase roch das Zubereitete und es schien ihr zu gefallen. Es schmeckte auch wunderbar.
„Wie haben sie das angerichtet? Wo haben sie das gelernt?"
„Schmeckt es ihnen?"
„Sicher. Wunderbar. Noch nie habe ich so etwas gegessen."
„Ich lerne von der Natur Geschenke anzunehmen, welche die Menschen in den Häusern übersehen."
Florian schaute sich um, nahm die Hütte gewahr, in der er geschlafen hatte, die Bäume, die Büsche, ja, er gewahrte sogar die Stimme eines Vogels wieder.
„Warum kümmern sie sich um mich? Warum haben sie mich nicht liegen gelassen?"
„Sie schienen mir so verzweifelt. Erzählen sie mir den Grund?"
„Ach, was hat ein junger Mann wohl für einen Grund verzweifelt zu sein?"
„Eine Frau, eine Liebe, die nicht erwidert wurde?"
„Ja. Ich werde es ihnen erzählen."
Und er begann von seinem Aufbruch, seiner Unterkunft beim Bauern und von all den Dingen aus den letzten Tagen zu berichten. Die alte Frau unterbrach ihn selten.
„Seitdem ich begonnen hatte an jenem Buschwerk Hand anzulegen, seit dieser Zeit wurde alles anders."
„Was wollten sie mit dieser Gewalttat erreichen?"
„Ich wollte um ihr Geheimnis erfahren, da mir sonst kein anderer Weg möglich schien, ihr Herz zu erobern."
„Warum wollten sie denn ihr Herz erobern? Es schien mir doch so, daß sie ihnen ihr Herz schenken wollte, wenn der Zeitpunkt gekommen wäre."
„Ich glaube es ist nicht die Stärke eines Mannes zu warten, der Mann wartet nicht, er will bekommen. Das Warten versuchte ich ja damit zu umgehen, daß ich ihr den Hof machte, daß wir uns einander näher kamen und ich mir also Hoffnung machen durfte."
„Ist das Liebe?"
„Wer kennt schon die Liebe? Sie ist überall anders. Da ist der Kammerdiener, der von ihr schmeckt, wenn er Lust hat, das ist Thomas, der nur aus dem Herzen zu lieben schien, ohne den Körper, da ist der König, der sich seine Geliebten aussuchen kann wie seine Kleider. Der eine verhält sich wie ein Ritter, der andere wie ein Minnesänger, der andere wie ein Dieb. Wer schreibt uns also die Regeln der Liebe? Ich habe sie noch nie zu lesen bekommen."
„Die Regeln der Liebe setzt das Paar selbst auf. Hat ihnen denn die Prinzessin nie mitgeteilt was damals geschah?"
„Die Prinzessin redete immer in einem sehr traurigen Ton über diese Zeit. Sehr oft sprach sie auch nicht davon. Was interessiert einen jungen Mann wie mich auch die Vergangenheit in Gegenwart einer so hübschen Frau? Es tut mir leid ihnen gestehen zu müssen, daß ich die Liebe noch nicht oft genießen durfte, mich also in diesen Dingen noch etwas stümperhaft verhalte."
„Ich bin nicht die Prinzessin, bei mir müssen sie sich nicht entschuldigen."
Die alte Frau stand auf und entschuldigte sich damit, daß sie zum nächsten Bauernhof gehen müsse, um Eier zu holen.
Florian blieb also alleine zurück und sammelte seine Gedanken. Solch ein Gespräch hatte er schon lange nicht führen müsse. Er spürte ein Gefühl der Erniedrigung, aber merkte auch, daß es ihm besser ging als am Tag davor. Er meinte plötzlich erkennen zu können, hatte den Bussard weggeschickt, ließ eine Seite an ihm nach vorne dringen, die er bisher noch nicht selbst erkannt hatte. Warum hatte er es nicht während seines Aufenthaltes im Schloß bemerken können, daß das Zerstören des Busches solch schlechte Auswirkungen auf die Prinzessin gehabt hatte? War es wirklich die Liebe oder einfach nur Blindheit oder gar Eroberungswahn? War es am Anfang noch Interesse an ihr, so stellte sich ziemlich bald doch das ein, was man bösartiges Spiel nennen könnte. Was war dieses Spiel? Warum plötzlich ein Spiel spielen und dabei die Gefühle zur bloßen Technik verkommen lassen? Hielt er die Prinzessin für zu dumm, verlor er den Respekt vor ihr?
Ermattet von den vielen Gedanken, legte er sich schlafen.
Geweckt von zarter Hand, schreckte er auf. Ein sanfter Arm legte seinen Kopf auf einen weichen Schoß und streichelte ihm dabei sanft über die Haare. Zwei Augen ergossen sich in ihrem verliebten Blick über seinem Gesicht und ihre Haare glänzten gegen die Sonne.
„All das was du für mich empfindest ist von so einer Herzensgüte, daß es mein Herz erweichte. Das Schloß, welches mich bindet, ist zusammengestürzt, und ich bin frei geworden. Diese Freiheit ist so sonderbar für mich, daß ich es nicht auszudrücken weiß, als in diesem Kuß, der dich wieder in deinen Schlaf versetzen soll, auf daß du die Augen erst dann wieder öffnest, wenn ich zum neuen Leben erwache."
Sie gab ihm einen Kuß, wie er noch nie einen Kuß gespürt hatte und wenn er nicht verschlafen hat, dann lieben sie sich noch heute.

E N D E
 



 
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