die letzte Minute

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Thomas

Mitglied
Die letzte Minute (...in der wir nicht vergessen sollten, dass Zeit relativ ist.)
Er war gegen einen Felsen gefahren. Mit einem Mondauto, auf dem Mars. Schließlich hatte er drei Wünsche gehabt. Die ersten zwei verliefen glimpflicher ab. Nun saß er fest! Achtundsiebzig Jahre alt, bei bester Gesundheit (Wunsch Nummer eins)und einer hübschen Blondine auf dem Beifahrersitz (Wunsch Nummer zwei).

Von Pannen hatte die blöde Fee nichts gesagt. „Ist das die Anzeige für unseren Sauerstoffvorrat?“, fragte Tessa in etwas beleidigtem Ton. So klang sie schon die ganze Zeit. Darüber hatte die Fee auch kein Wort verloren. Tessa wies mit ihrem rot lackierten Zeigefinger auf eine digitale Anzeige im Cockpit. Die grüne Anzeige lief rückwärts ziemlich schnell in Richtung Null. „Ja, ich glaub schon“, sagte Pavel nachdenklich. „Scheiße, der ist bald alle!“

Sie schauten schweigend durch das Panzerglas des Mondfahrzeuges. Die Landschaft war rot. Der Himmel orange. Dazwischen wirbelte ungemütlicher, gelber Staub durch die Luft. Man konnte nicht weiter als zwanzig Meter voraus schauen. Kein Wunder, dass er den Felsen übersehen hatte. Die Blondine neben ihm atmete schwer, obwohl noch Sauerstoff im Tank war.

Er hatte eigentlich keine Ahnung von Mondfahrzeugen. Versicherungsagent war er gewesen, aber das war lange her. Eine Minute bevor sein Herz stehen bleiben sollte, erschien die Fee an seinem Bett. Völlig überraschend! Erst dachte Pavel, sie sei ein dicker Engel ohne Flügel. Er konnte ja noch nicht wissen, wie Engel in Wirklichkeit aussehen. Sie stellte sich aber überaus freundlich als Mariola vor, seine Glücksfee. Sie erklärte ihm, dass sie sehr viel zu tun habe und darum erst jetzt zu ihm kommen könne. Aber glücklich sei sie ja noch nicht zu spät.
Ihre Entschuldigung schloss sie mit einem höflichen Knicks ab. Sie redete sehr schnell und Pavel hatte Mühe ihr zu folgen, schließlich lag er in seinem eigenen Sterbebett. Er hatte mit seinem Leben schon abgeschlossen und schaute die dicke Dame im weißen Spitzennachthemd kraftlos an. Er wusste nicht ob Engel Witze machen. Er wurde unsicher, zweifelte ein wenig an seinem Verstand. Vielleicht war das Sterben so! Man verlor den Verstand.
Eigentlich ganz witzig und darum nur halb so wild. Der Sterbende trug ebenfalls nur ein weißes Nachthemd, das seine trauernden Verwandten ihm angezogen hatten. Sie lagen in ihren Betten, schliefen schlecht und hofften zum größten Teil, ihn noch einmal sehen zu dürfen. Die Fee schaute ihn lächelnd an. Ihr rosa Gesicht glänzte im Schein der Trauerkerzen.

„Ich fasse mich kurz! Viel Zeit haben wir ja nicht mehr“, sagte sie streng und schaute auf die Wanduhr. Pavel, der seinen Todeszeitpunkt bisher nur erahnen konnte, war sich auf einmal sicher, dass er seine Verwandten nicht mehr sehen würde. Tränen stiegen in ihm auf. „Na, na, keine Panik. Ich komme doch rechtzeitig“, fuhr Mariola fröhlich fort. „Heute ist Ihr Glückstag, Sie haben drei Wünsche frei! Sie wissen schon, so wie im Märchen“, dabei wedelte sie mit einem Zauberstab aus Glas in der Luft herum. „Aber Sie müssten sich etwas beeilen, sonst schaffen wir das nicht mehr.“ Pavel stoppte kurz mit Atmen. Die Fee zog ihn erschrocken am Ärmel seines Nachthemdes. „Hallo, hier bleiben, wir haben nur noch ein paar Sekunden. Also was wünschen Sie sich denn?“ Sie wurde etwas ungeduldig. „Die Antwort scheint mir doch auf der Hand zu liegen, da müssen Sie doch nicht lange nachdenken.“
Die Fee lehnte sich über das Bett, mit ihrem Ohr ganz dicht an Pavels Lippen. Und so geschah es. Pavel dachte nicht lange nach. Und auch nicht richtig. Er nahm all seine Kräfte zusammen und flüsterte ihr ins Ohr: „Verdammt, ich will gesund sein, mit einem Mondauto über dem Mars herum fahren und ne Blondine neben mir.“ Zack!

Das war´s. Die Fee war weg! Sein Krankenzimmer auch, mitsamt dem Bett und dem beschissenen Kreuz darüber. Er hatte nie wirklich an Gott oder die Kirche geglaubt, aber an die Existenz einer Fee eigentlich auch nicht. Nur einen Bruchteil einer Sekunde später hätte er sterben sollen, aber stattdessen fand er sich am Steuer eines Mondmobiles wieder, das über den Mars raste. Jedenfalls ging Pavel davon aus, dass es sich um den Mars handelte, unter anderem weil die Frau neben ihm tatsächlich blond war. Aber auch weil er sich gesund und überaus vital fühlte. Ein lebendiges Gefühl, das er schon seit mindestens fünfzig Jahren nicht mehr gefühlt hatte. Es floss durch seine Adern, angetrieben von einem neuen Motor.

„Wow, was ein Trip!“ Pavel schrie ein paarmal vor Freude in die Luft. „Müssen wir den so rasen?“, fragte die Blondine etwas beleidigt. „Haha ... naja, warum nicht?“, rief Pavel viel zu laut. Seine Stimme klang jung und kräftig. „Ich heiße Pavel und Sie?“ „Tess oder Tessa, wie Sie wollen.“ Sie blies gelangweilt eine Kaugummiblase zwischen ihren verführerischen Lippen auf. Pavel schaute ihr begeistert dabei zu. Sie entsprach genau seinen Wünschen. Bamm! Leider war er etwas zu begeistert von seiner Mitfahrerin gewesen. Hätte er sich mehr auf die Mars-Landschaft konzentriert, wäre er vielleicht an dem Felsen rechtzeitig vorbei gefahren. „Und was jetzt?“ „Keine Ahnung!“ Er wusste es wirklich nicht. Wie auch? Er versuchte Tessa in ruhigem Ton zu erklären, was ihm in den letzten paar Minuten, die eigentlich seine letzten gewesen sein sollten, geschehen war. Der Blick der Blondine wurde immer hohler. „Und was hab ich damit zu tun?“, fragte sie mit großen Augen, als Pavel seinen Bericht beendete. Eine gute Frage, denn eigentlich war Tessa Bedienung in einem Schnellimbiss und machte gerade Mittagspause, die genau in diesem Moment vorbei war. „Keine Ahnung!“ „Ich will aber nicht sterben!“ Ihre Stimme zitterte ein wenig. „Das verstehe ich, ich kann auch nichts dafür“, sagte Pavel hilflos. Tessa begann zu weinen. „Aber, aber, machen Sie sich keine Sorgen. Hatten Sie in Ihrem Leben schon einmal Besuch von Ihrer Glücksfee?“, fragte er väterlich, auch wenn er sich dafür eigentlich zu jung fühlte. „Sieht das hier so aus, als ob meine Glücksfee da gewesen wäre?“ „Tut mir leid.“ Pavel schwieg verlegen. In sechzig Sekunden würde ihnen die Luft ausgehen. Jedenfalls zeigte das Display der Sauerstoffanzeige dies an. So hatte er sich die letzte Minute seines Lebens nicht vorgestellt. Eine fremde Frau wollte er nicht mit in den Tod nehmen, auch wenn sie sehr gut aussah. Die Luft in dem Fahrzeug wurde immer dünner. Tessa begann zu husten. Um sie zu trösten sagte Pavel mit letzter Kraft: „Machen Sie sich keine Sorgen, die Glücksfee kommt zu jedem einmal!“ Er konnte kaum noch atmen. „Sie wird gleich da sein. Überlegen Sie sich schon mal, was Sie sich wünschen, die Zeit wird knapp. Sie hat immer viel zu tun.“ Pavel starb mit einem Lächeln im Gesicht. Als seine Verwandten ihn am nächsten Morgen fanden, waren sie sich sicher, dass er gut irgendwo angekommen war.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Thomas, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq

Eine trotz des Themas witzige Geschichte. Dass es der letzte Wunsch eines Mannes ist, mit einer Blondine! über den Mars zu fahren, ist sehr aufschlussreich. :)


Viele Grüße von DocSchneider

Redakteur in diesem Forum
 

Thomas

Mitglied
Die letzte Minute (...in der wir nicht vergessen sollten, dass Zeit relativ ist.)
Er war gegen einen Felsen gefahren. Mit einem Mondauto, auf dem Mars. Schließlich hatte er drei Wünsche gehabt. Die ersten zwei verliefen glimpflicher ab. Nun saß er fest! Achtundsiebzig Jahre alt, bei bester Gesundheit (Wunsch Nummer eins)und einer hübschen Blondine auf dem Beifahrersitz (Wunsch Nummer zwei).

Von Pannen hatte die blöde Fee nichts gesagt. „Ist das die Anzeige für unseren Sauerstoffvorrat?“, fragte Tessa in etwas beleidigtem Ton. So klang sie schon die ganze Zeit. Darüber hatte die Fee auch kein Wort verloren. Tessa wies mit ihrem rot lackierten Zeigefinger auf eine digitale Anzeige im Cockpit. Die grüne Anzeige lief rückwärts ziemlich schnell in Richtung Null. „Ja, ich glaub schon“, sagte Pavel nachdenklich. „Scheiße, der ist bald alle!“

Sie schauten schweigend durch das Panzerglas des Mondfahrzeuges. Die Landschaft war rot. Der Himmel orange. Dazwischen wirbelte ungemütlicher, gelber Staub durch die Luft. Man konnte nicht weiter als zwanzig Meter voraus schauen. Kein Wunder, dass er den Felsen übersehen hatte. Die Blondine neben ihm atmete schwer, obwohl noch Sauerstoff im Tank war.

Er hatte eigentlich keine Ahnung von Mondfahrzeugen. Versicherungsagent war er gewesen, aber das war lange her. Eine Minute bevor sein Herz stehen bleiben sollte, erschien die Fee an seinem Bett. Völlig überraschend! Erst dachte Pavel, sie sei ein dicker Engel ohne Flügel. Er konnte ja noch nicht wissen, wie Engel in Wirklichkeit aussehen. Sie stellte sich aber überaus freundlich als Mariola vor, seine Glücksfee. Sie erklärte ihm, dass sie sehr viel zu tun habe und darum erst jetzt zu ihm kommen könne. Aber glücklicherweise sei sie ja noch nicht zu spät.
Ihre Entschuldigung schloss sie mit einem höflichen Knicks ab. Sie redete sehr schnell und Pavel hatte Mühe ihr zu folgen, schließlich lag er in seinem eigenen Sterbebett. Er hatte mit seinem Leben schon abgeschlossen und schaute die dicke Dame im weißen Spitzennachthemd kraftlos an. Er wusste nicht ob Engel Witze machen. Er wurde unsicher, zweifelte ein wenig an seinem Verstand. Vielleicht war das Sterben so! Man verlor den Verstand.
Eigentlich ganz witzig und darum nur halb so wild. Der Sterbende trug ebenfalls nur ein weißes Nachthemd, das seine trauernden Verwandten ihm angezogen hatten. Sie lagen in ihren Betten, schliefen schlecht und hofften zum größten Teil, ihn noch einmal sehen zu dürfen. Die Fee schaute ihn lächelnd an. Ihr rosa Gesicht glänzte im Schein der Trauerkerzen.

„Ich fasse mich kurz! Viel Zeit haben wir ja nicht mehr“, sagte sie streng und schaute auf die Wanduhr. Pavel, der seinen Todeszeitpunkt bisher nur erahnen konnte, war sich auf einmal sicher, dass er seine Verwandten nicht mehr sehen würde. Tränen stiegen in ihm auf. „Na, na, keine Panik. Ich komme doch rechtzeitig“, fuhr Mariola fröhlich fort. „Heute ist Ihr Glückstag, Sie haben drei Wünsche frei! Sie wissen schon, so wie im Märchen“, dabei wedelte sie mit einem Zauberstab aus Glas in der Luft herum. „Aber Sie müssten sich etwas beeilen, sonst schaffen wir das nicht mehr.“ Pavel stoppte kurz mit Atmen. Die Fee zog ihn erschrocken am Ärmel seines Nachthemdes. „Hallo, hier bleiben, wir haben nur noch ein paar Sekunden. Also was wünschen Sie sich denn?“ Sie wurde etwas ungeduldig. „Die Antwort scheint mir doch auf der Hand zu liegen, da müssen Sie doch nicht lange nachdenken.“
Die Fee lehnte sich über das Bett, mit ihrem Ohr ganz dicht an Pavels Lippen. Und so geschah es. Pavel dachte nicht lange nach. Und auch nicht richtig. Er nahm all seine Kräfte zusammen und flüsterte ihr ins Ohr: „Verdammt, ich will gesund sein, mit einem Mondauto über dem Mars herum fahren und ne Blondine neben mir.“ Zack!

Das war´s. Die Fee war weg! Sein Krankenzimmer auch, mitsamt dem Bett und dem beschissenen Kreuz darüber. Er hatte nie wirklich an Gott oder die Kirche geglaubt, aber an die Existenz einer Fee eigentlich auch nicht. Nur einen Bruchteil einer Sekunde später hätte er sterben sollen, aber stattdessen fand er sich am Steuer eines Mondmobiles wieder, das über den Mars raste. Jedenfalls ging Pavel davon aus, dass es sich um den Mars handelte, unter anderem weil die Frau neben ihm tatsächlich blond war. Aber auch weil er sich gesund und überaus vital fühlte. Ein lebendiges Gefühl, das er schon seit mindestens fünfzig Jahren nicht mehr gefühlt hatte. Es floss durch seine Adern, angetrieben von einem neuen Motor.

„Wow, was ein Trip!“ Pavel schrie ein paar mal vor Freude in die Luft. „Müssen wir denn so rasen?“, fragte die Blondine etwas beleidigt. „Haha ... naja, warum nicht?“, rief Pavel viel zu laut. Seine Stimme klang jung und kräftig. „Ich heiße Pavel und Sie?“ „Tess oder Tessa, wie Sie wollen.“ Sie blies gelangweilt eine Kaugummiblase zwischen ihren verführerischen Lippen auf. Pavel schaute ihr begeistert dabei zu. Sie entsprach genau seinen Wünschen. Bamm! Leider war er etwas zu begeistert von seiner Mitfahrerin gewesen. Hätte er sich mehr auf die Mars-Landschaft konzentriert, wäre er vielleicht an dem Felsen rechtzeitig vorbei gefahren. „Und was jetzt?“ „Keine Ahnung!“ Er wusste es wirklich nicht. Wie auch? Er versuchte Tessa in ruhigem Ton zu erklären, was ihm in den letzten paar Minuten, die eigentlich seine letzten gewesen sein sollten, geschehen war. Der Blick der Blondine wurde immer hohler. „Und was hab ich damit zu tun?“, fragte sie mit großen Augen, als Pavel seinen Bericht beendete. Eine gute Frage, denn eigentlich war Tessa Bedienung in einem Schnellimbiss und machte gerade Mittagspause, die genau in diesem Moment vorbei war. „Keine Ahnung!“ „Ich will aber nicht sterben!“ Ihre Stimme zitterte ein wenig. „Das verstehe ich, ich kann auch nichts dafür“, sagte Pavel hilflos. Tessa begann zu weinen. „Aber, aber, machen Sie sich keine Sorgen. Hatten Sie in Ihrem Leben schon einmal Besuch von Ihrer Glücksfee?“, fragte er väterlich, auch wenn er sich dafür eigentlich zu jung fühlte. „Sieht das hier so aus, als ob meine Glücksfee da gewesen wäre?“ „Tut mir leid.“ Pavel schwieg verlegen. In sechzig Sekunden würde ihnen die Luft ausgehen. Jedenfalls zeigte das Display der Sauerstoffanzeige dies an. So hatte er sich die letzte Minute seines Lebens nicht vorgestellt. Eine fremde Frau wollte er nicht mit in den Tod nehmen, auch wenn sie sehr gut aussah. Die Luft in dem Fahrzeug wurde immer dünner. Tessa begann zu husten. Um sie zu trösten sagte Pavel mit letzter Kraft: „Machen Sie sich keine Sorgen, die Glücksfee kommt zu jedem einmal!“ Er konnte kaum noch atmen. „Sie wird gleich da sein. Überlegen Sie sich schon mal, was Sie sich wünschen, die Zeit wird knapp. Sie hat immer viel zu tun.“ Pavel starb mit einem Lächeln im Gesicht. Als seine Verwandten ihn am nächsten Morgen fanden, waren sie sich sicher, dass er gut irgendwo angekommen war.
 
Hallo Thomas,

das ist einfach klasse! Mitreißend und unterhaltsam geschrieben.
Da gibt es nichts zu meckern, außer vielleicht, dass die Dialoge nicht im Fließtext stehen sollten.

LG SilberneDelfine
 



 
Oben Unten