dokumentation 0815

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Ingwer

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dokumentation 0815
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tagsüber. strand.
sonne und sonnencreme. könntest du bitte..?
unerträgliche höflichkeit. die finger auf dem rücken noch unerträglicher.

kugelmantelgespräche. flach und umfassend; anschneiden genügt, der mittelpunkt ist ohnehin zu heiß.
ohne das wäre es ganz stilles nebeneinander-liegen oder einander-gegenüber-sitzen; vielleicht ab und zu ein nicken und hm, wie immer. du weißt schon.
also wenigstens viele worte, wenn schon nichts zu sagen ist.

o-ton:
ganz schön kalt das wasser, oder?
ja, aber wenn man ein weilchen drin war, ist es ganz angenehm.

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abends. hotel.
tanzen gehen? eigentlich nur schlafen wollen oder trinken.
minibar ausräumen. lunge schwarzrauchen.
vom bett aus türkische folklore-sendung schauen.
schon wieder dieses rumgetrommel mit dem zeigefinger. diesmal auf dem nachttisch.
sich 27 zubereitungsarten für finger ausdenken.


o-ton hormone:
ähm, also wir sind dann mal weg. nächste baustelle. anderswo baggern.

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nachts. immer noch hotel.

unten noch bier geholt.
auf dem balkon sitzen im warmen wollpulli. schön so was. da friert man nicht.
fäden ziehen. vorsicht, dabei kann alles aufriffeln.
lieber an den händen rumknibbeln.

o-ton:
schön hier. so entspannend, nicht?
mh, find ich auch.

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tage später. wieder zuhause.
urlaubs-dia-abend mit befreundetem paar; mit viel bier geht das.
landschaftsbewunderung. nicht jeder kann sich so was leisten.

oh-ton befreundete-sie: zweigestrichenes c und viel vibrato (so ein blaues meer!)
oh-ton befreundeter-er: einige oktaven tiefer, nur eine achtelnote lang, dafür plus „-làlà, heiße schneckchen da, haha“


viel gelächel und gelache und schnittchen. gehört dazu.
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nachts nach dem dia-abend.
zahnpastastreit , eifersuchtsstreit, dann grundsatzdiskussion.
kaffee statt bier. elementarteilchen sind unzerlegbar- es trotzdem versuchen.
rumgeflenne und beziehungsgerette

o-ton:
ganz normal, so ne krise, wir schaffen das, jeder braucht freiraum für persönliche entwicklung, wir dürfen uns nicht einengen, müssen uns neu kennenlernen, wir lieben uns doch, wir schaffen das schon, ist noch kaffee da? das ist doch das wichtigste, ne, wir lieben uns doch!!!

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jahre später.

(viele junge frauen, kleinstadtcasanovas, kaffees, offene-beziehungs-definitionen, taschentücher, urlaube später)
offenes grab und monatsgehalts-blumengesteck und weinen um die bessere hälfte.

o-ton:
ich werde niemals vergessen, wie wir uns kennenlernten, diese funken, diese nähe, diese reine schönheit der liebe, dieses umfassende leuchten.
niemand kann mir meine erinnerung nehmen, nichts und niemand.

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Quelle:
Tonbandaufzeichnungen, erstellt im Rahmen einer Studie
zur Erfassung der ganz normalen Wahrheit.



o-ton projektleiter:
ja, so ist das. hypothesen bestätigt. wärme entsteht durch reibung, und reibung ist anstrengend. wie gut ist es da, dass kälte erinnerung konserviert.
(sagt das leben , lehnt sich zurück und stößt mit gott auf das pack an.)
 
Hallo Ingwer,

dein Experiment finde ich geglückt und sehr interessant.

Der, wie ich finde, schönste Abschnitt:

abends. hotel.
tanzen gehen? eigentlich nur schlafen wollen oder trinken.
minibar ausräumen. lunge schwarzrauchen.
vom bett aus türkische folklore-sendung schauen.
schon wieder dieses rumgetrommel mit dem zeigefinger. diesmal auf dem nachttisch.
sich 27 zubereitungsarten für finger ausdenken .


Vor allem die 27 Zubereitungsarten sind toll.

Auch die Brechung mit dem O-Ton ist im Prinzip sehr gut und eine Bereicherung.
Hier und da streift der O-Ton (wohl weil er als O-Ton angesehen wird) ein wenig das Vertraut-Banale. Ausgezeichnet finde ich ihn dort (wie beim Abend), wo der Umgangston gut durchkommt. Etwas schwieriger gestaltet es sich dort, wo es eher ins Allgemeine geht, etwa hier:

ganz normal, so ne krise, wir schaffen das, jeder braucht freiraum für persönliche entwicklung, wir dürfen uns nicht einengen, müssen uns neu kennenlernen, wir lieben uns doch, wir schaffen das schon, ist noch kaffee da? das ist doch das wichtigste, ne, wir lieben uns doch!!!

Ein wirklich schönes Experiment, das für mich auch sehr spannend zu lesen war.

Beste Grüße

Monfou
 
J

jester

Gast
hallo ingwer,
jaja, die sozialwissenschaften... ;)
nicht nur einen interessanten untersuchungsansatz stellt das geglückte "experiment" dar, sondern auch - wie monfou schon hervorhob - schöne literarische zubereitungsarten.
mir gefällt auch besonders das spiel mit "oh-ton".

das "0815" im titel empfinde ich allerdings als ein bisschen zu wertend für eine "dokumentation". ebenso das "pack" am ende. meiner meinung nach lassen sich die beabsichtigten tendenzen sehr schön zwischen den zeilen herauslesen, da wäre diese klare sprache nicht nötig gewesen.

insgesamt eine "runde" sache, sehr lesenswert und mit guten einfällen garniert!

lg, jester
 



 
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