freitag

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ENachtigall

Mitglied
freitag


jeder tisch ist eine insel
ich sitze mit
mir zu gast
reiche
mir selbst
das wasser
zerteile mein
brot und spiele
mit weinen und fisch



© elke nachtigall
juni 2011
 
R

Rose

Gast
Liebe Elke,

ein sehr zum Nachdenken anregendes Bild. Hab gern an deinem Tisch verweilt ...

Ganz liebe Grüße
Manuela
 

ENachtigall

Mitglied
Danke, Manuela. Ich mag diese kleinen Texte, die mehrere Lesarten anbieten; grammatikalisch und im Sinne der Wortmehrdeutigkeit.

Lieben Gruß,

Elke
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo elke,
kleine assoziationskette zu "insel"

lat. insula, wahrscheinlich ethymologisch
als begriff in sulum " das ins wasser geworfene"

so ist jeder tisch auch etwas geworfenes,
und vielleicht auch eine art "treibholz"

gefällt mir gut diese auseinandersetzung

mit dem altchristlichen gedankengut

lg
ralf
 

ENachtigall

Mitglied
Danke, Ralf, für Deine ergänzende Erklärung, die mir als Nicht-Lateinerin neu ist.

Jeder Tisch ist eine Insel, des Friedens, der Geselligkeit. Selbst in Zeiten von Zwist und Streitigkeiten, in Zeiten des Alleinseins hilft sie, zu einen, zu teilen; diese Mitte, die auch unsere eigene ist, zu stabilisieren.

Lieben Gruß,

Elke
 

Hannah Rieth

Mitglied
Hallo Elke,

das gefällt mir _richtig_ gut!

An einer Stelle würde ich noch kürzen:

jeder tisch ist eine insel
ich sitze mit
mir zu gast
reiche
mir [red][strike]selbst
das [/strike][/red]wasser
zerteile mein
brot und spiele
mit weinen und fisch

Ich finde, so wirkt es zwar auf den ersten Blick harmloser, hallt aber stärker nach.

Viele liebe Grüße

Hannah
 

Thylda

Mitglied
Liebe Hannah

Der Ausdruck "sich selbst das Wasser reichen" gibt dem Text noch eine Tiefe, die er ohne "selbst das" nicht hätte. Jemandem das Wasser reichen zu können und mit ihm auf gleicher Stufe zu sein, fehlt gerade am insulären Tisch, dem Floß auf dem Ozean der Einsamkeit in der Masse. Indem Lyri sich selbst das Wasser reicht, wird gezeigt, daß sich das nicht ändern wird. Lyri ist vereinzelt, hat sich selbst emotional ausgesondert, alienized.

Ich finde den Text genauso gut, wie er ist.

Liebe Grüße
Thylda
 

ENachtigall

Mitglied
Danke, Hannah. Ich finde Deinen Vorschlag gut! Für mich bleibt die Andeutung der Redewendung latent erhalten und das reicht vollkommen aus.

Liebe Label,

es ist hier ja eine Aufspaltung/Teilung der Persönlichkeit angedeutet - gab es Freitag wirklich oder war er Robinsons Fiktion - um die Vereinzelung zu relativieren. Es ist eine bekannte Überlebensstrategie, dass z.B. Leute in Einzelhaft gegen sich selbst Schach spielen. Das Wesentliche, worum es mir geht, ist das Sich-nicht allein-fühlen, Festhalten an Ritualen, Sich-selbst-es-wert-sein.
Auch Dir einen herzlichen Dank für Deine Ansicht.

Euch beiden liebe Grüße,

Elke
 

ENachtigall

Mitglied
freitag


jeder tisch ist eine insel
ich sitze mit
mir zu gast
reiche mir
wasser
zerteile mein
brot und spiele
mit weinen und fisch



© elke nachtigall
juni 2011
 
"reiche mir selbst das Wasser": Ich gehe mit Thylda konform. Die wunderbare Doppeldeutigkeit wirkt m.E. nur, wenn die Redewendung nicht zur Unkenntlichkeit verkürzt wird.
Ist jetzt wohl zu spät. ;-) Was soll's.

Serge
 

ENachtigall

Mitglied
freitag


jeder tisch ist eine insel
ich sitze mit
mir zu gast
reiche
mir selbst
das wasser
zerteile mein
brot und spiele
mit weinen und fisch



© elke nachtigall
juni 2011
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo elke,

ein experiment:


jeder tisch
ist eine insel
ich sitze mit mir
zu gast
reiche mir selbst
das wasser
bis zum Hals
zerteile ich
mein brot und spiele
mit weinen und fisch

lg
ralf
 

HerbertH

Mitglied
lustigerweise zeichnen die zeilenenden die küste der insel nach - oder ist es der kopf R oder F ?

Liebe Grüße

Herbert
 

ENachtigall

Mitglied
Wahrscheinlich ein Schatzkarte, Herbert. In jedem Fall aber Elfenwerk, wie Lap sagen würde :).

Liebe Grüße und Danke für den Besuch,

Elke
 
A

Architheutis

Gast
Hallo Elke,

dein Gedicht ist grandios. Es ist handwerklich einwandfrei. Du adaptiertst biblische Themen und lateinische Redewendungen, aber wie du sie in den verschiedenen Zeilen ohne Bruch verwebst, finde ich mehr als gelungen. Mein Kompliment. Die (meiner Ansicht nach) verdiente Bewertung habe ich im deutlich oberen Bereich getroffen.

Ich mag nicht das oftmals herrschende "Chaos" bei Ungereimtem. Ein flüssiges Gedicht schreiben können ohne starres Reimen und Silben zählen, das halte ich für eine ganz große Kunst. Ist aber wohl nur den Hochgeborenen vorbehalten, aber dein Gedicht kann sich wahrlich sehen lassen.

Ich kann sowas gar nicht und flüchte mich daher darin, meine Gedanken in eine Ordnung zu gießen. Ich war mal so frei, dein Gedicht in mein Muster zu pressen. Einzige Änderung am Text: Aus "das wasser" habe ich "ein glas wasser" gemacht, damit die Silben bei meinem Vorschlag hinkommen. Ich bin aber verblüfft, wie leicht ich es in "meine Ordnung" umstellen konnte. Spricht klar dafür, das wir es hier mit etwas zu tun haben, das den Namen Lyrik verdient. Es singt sich quasi von selbst. Es ist dir einfach gelungen.

Einzige Irritation:
"ich sitze mit mir zu gast". Ein Anflug von Schizophrenie? *kicher*

Dein Gedicht in mein Korsett gepresst; Silbenzahl in () gesetzt:

jeder tisch ist eine insel (8)
ich sitze mit mir (5)
zu gast, reiche (4)
mir selbst (2)
ein glas wasser, (4)
zerteile mein brot (5)
und spiele mit weinen und fisch (8)

Mir gefällt es so einen klitzekleinen Tacken besser.

Gruß,
Archi
 



 
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