Haremsdame
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Für Pete
gerecht - gerächt
Ferdinand war ein kleiner Junge, dessen viele Wirbel sich kaum bändigen ließen. Schon früh entwickelte der Blondschopf einen sehr eigenen Willen. Diejenigen, die näher mit ihm zu tun hatten, konnten ihm nichts übel nehmen.
Seine erste Brille hatte er sich mit drei Jahren zur Kleidung passend ausgewählt. Dabei gewann er mit seinem Charme die Sympathie der Optikerin für immer. Beim Abschied fehlte ihm ein Handschuh.
„Vielleicht hat der liebe Gott den anderen weggenommen?“, überlegte er laut.
„Der liebe Gott nimmt nichts weg, der hat selbst genug“, erläuterte die Mutter.
„Hat er auch Jacken?“
„Die braucht er nicht.“
„Wenn er runterfällt, dann braucht er sie schon. Dann braucht er auch Schuhe und eine Mütze.“
Sein herzhaftes Kinderlachen wurde nur durch einen fehlenden Schneidezahn getrübt. Den hatte er sich bereits als Einjähriger beim Spiel mit den Geschwistern ausgeschlagen. Die im Laufe der Jahre mehrfach geflickten Knochen fielen nicht auf, sie waren ja gut versteckt.
Als Kleinkind verließ der ‚Puzzlekönig’ noch fröhlich sein Bett. „Guten Morgen, Mami! Wollen wir mit mir spielen?“ Das änderte sich aber mit Schulbeginn sehr schnell. Plötzlich fiel das Aufstehen schwer, die gute Laune verschob sich auf den Abend.
Oft kam Ferdinand weinend aus der Schule heim und beklagte sich bitterlich über die Kameraden. Die hatten ihn in der Pause wieder einmal mit Ausdrücken wie „Brillenschlange“ oder „Träumer“ auf die Palme getrieben. Von dort oben warf er mit Kokosnüssen um sich. Im Klartext gesprochen: er schubste, kratzte und schrie. Anders wusste er sich nicht zu helfen; mit Worten zu verletzen hatte er nie geübt. Ganz im Gegenteil: er hatte seine Emotionen immer direkt gezeigt. Hatte gezürnt, wenn er sich ungerecht behandelt gefühlt hatte, sich dann aber auch schnell wieder den positiven Seiten zugewendet: „Komisch, wenn man weint und dann etwas Schönes sieht, muss man noch viel mehr weinen...“
Der Spruch „Ein Junge weint doch nicht“ war ihm fremd. Seine Gefühle trug er offen zur Schau. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass andere damit spielen könnten. Aber das taten sie. Auf dem Pausenhof und bei vielen anderen Gelegenheiten nahmen sie ihm die Freude an der Gemeinschaft. Er schaffte es einfach nicht, sich an die gegebenen Umstände anzupassen und sich einzufügen.
Sein Sinn für Gerechtigkeit ließ ihn Partei für die Schwachen ergreifen und lehnte die sogenannten Starken ab. Er lebte seinen eigenen Rhythmus, dem er so stark unterworfen war, dass er die Lehrerinnen zur Verzweiflung treiben konnte.
Beim Fußball stolperte der Achtjährige über die eigenen Beine ebenso, wie über die aufgestellten Regeln. Die Klassenkameraden dagegen konnten sein Interesse am Computer noch nicht nachvollziehen und genossen es, ihn in seiner Ruhe zu stören. Weil er am liebsten mit der kleinen Fiona, einem 'doofen Mädchen', den Heimweg antrat, verlor er den Respekt seiner Altersgenossen.
Eines Mittags war sein Schulranzen verschwunden. Er fand ihn weder im Klassenzimmer noch in der Garderobe. Statt beim Suchen zu helfen, gingen die Mitschüler nach Hause. Nur Simon und Ferdinand blieben in der Garderobe zurück.
„Wo ist mein Schulranzen?“ Ferdinands Stimme wurde immer lauter und Simons Grinsen immer breiter.
„Such ihn doch!“ Dem Tonfall war deutlich zu entnehmen, wie sehr der Rivale Ferdinands Verzweiflung genoss.
„Ich habe schon überall gesucht! Und ich weiß, dass du ihn versteckt hast!“ Ferdinands Stimme überschlug sich. Er war schrecklich wütend und es gelang ihm nicht, die Tränen länger zurückzuhalten.
„Jetzt fängt er auch noch zu heulen an! Heulsuse, Heulsuse!“
„Wo ist mein Schulranzen?“ Ferdinand ging drohend auf Simon zu. Begann ihn zu schubsen. Unbeeindruckt höhnte der weiter: „Heulsuse, Heulsuse!“
Schlagen, so hatte Ferdinand oft gehört, ist kein Mittel, sich zu wehren. Außerdem wusste er, dass Simon stärker war. Kurzentschlossen öffnete er die Hose.
„Wenn du mir nicht gleich sagst, wo mein Schulranzen ist, dann wird dein Schulranzen nass!“
„Das traust du dich nie!“
Doch da hatte sich Simon getäuscht... Unter seinen ungläubigen Blicken rieselte die Rache auf sein Statussymbol.
Angesichts der Pfütze begann der Herausforderer lautes Wehklagen. Das hörte die Lehrerin und – wie immer – bekam Ferdinand 'seine gerechte Strafe'.
Das streitauslösende Objekt fand sich anschließend unbeschädigt im Keller unter der Treppe. Dass damit das innere Chaos noch nicht beseitigt war, sahen nur diejenigen, die Ferdinand wieder aufbauen mussten...
gerecht - gerächt
Ferdinand war ein kleiner Junge, dessen viele Wirbel sich kaum bändigen ließen. Schon früh entwickelte der Blondschopf einen sehr eigenen Willen. Diejenigen, die näher mit ihm zu tun hatten, konnten ihm nichts übel nehmen.
Seine erste Brille hatte er sich mit drei Jahren zur Kleidung passend ausgewählt. Dabei gewann er mit seinem Charme die Sympathie der Optikerin für immer. Beim Abschied fehlte ihm ein Handschuh.
„Vielleicht hat der liebe Gott den anderen weggenommen?“, überlegte er laut.
„Der liebe Gott nimmt nichts weg, der hat selbst genug“, erläuterte die Mutter.
„Hat er auch Jacken?“
„Die braucht er nicht.“
„Wenn er runterfällt, dann braucht er sie schon. Dann braucht er auch Schuhe und eine Mütze.“
Sein herzhaftes Kinderlachen wurde nur durch einen fehlenden Schneidezahn getrübt. Den hatte er sich bereits als Einjähriger beim Spiel mit den Geschwistern ausgeschlagen. Die im Laufe der Jahre mehrfach geflickten Knochen fielen nicht auf, sie waren ja gut versteckt.
Als Kleinkind verließ der ‚Puzzlekönig’ noch fröhlich sein Bett. „Guten Morgen, Mami! Wollen wir mit mir spielen?“ Das änderte sich aber mit Schulbeginn sehr schnell. Plötzlich fiel das Aufstehen schwer, die gute Laune verschob sich auf den Abend.
Oft kam Ferdinand weinend aus der Schule heim und beklagte sich bitterlich über die Kameraden. Die hatten ihn in der Pause wieder einmal mit Ausdrücken wie „Brillenschlange“ oder „Träumer“ auf die Palme getrieben. Von dort oben warf er mit Kokosnüssen um sich. Im Klartext gesprochen: er schubste, kratzte und schrie. Anders wusste er sich nicht zu helfen; mit Worten zu verletzen hatte er nie geübt. Ganz im Gegenteil: er hatte seine Emotionen immer direkt gezeigt. Hatte gezürnt, wenn er sich ungerecht behandelt gefühlt hatte, sich dann aber auch schnell wieder den positiven Seiten zugewendet: „Komisch, wenn man weint und dann etwas Schönes sieht, muss man noch viel mehr weinen...“
Der Spruch „Ein Junge weint doch nicht“ war ihm fremd. Seine Gefühle trug er offen zur Schau. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass andere damit spielen könnten. Aber das taten sie. Auf dem Pausenhof und bei vielen anderen Gelegenheiten nahmen sie ihm die Freude an der Gemeinschaft. Er schaffte es einfach nicht, sich an die gegebenen Umstände anzupassen und sich einzufügen.
Sein Sinn für Gerechtigkeit ließ ihn Partei für die Schwachen ergreifen und lehnte die sogenannten Starken ab. Er lebte seinen eigenen Rhythmus, dem er so stark unterworfen war, dass er die Lehrerinnen zur Verzweiflung treiben konnte.
Beim Fußball stolperte der Achtjährige über die eigenen Beine ebenso, wie über die aufgestellten Regeln. Die Klassenkameraden dagegen konnten sein Interesse am Computer noch nicht nachvollziehen und genossen es, ihn in seiner Ruhe zu stören. Weil er am liebsten mit der kleinen Fiona, einem 'doofen Mädchen', den Heimweg antrat, verlor er den Respekt seiner Altersgenossen.
Eines Mittags war sein Schulranzen verschwunden. Er fand ihn weder im Klassenzimmer noch in der Garderobe. Statt beim Suchen zu helfen, gingen die Mitschüler nach Hause. Nur Simon und Ferdinand blieben in der Garderobe zurück.
„Wo ist mein Schulranzen?“ Ferdinands Stimme wurde immer lauter und Simons Grinsen immer breiter.
„Such ihn doch!“ Dem Tonfall war deutlich zu entnehmen, wie sehr der Rivale Ferdinands Verzweiflung genoss.
„Ich habe schon überall gesucht! Und ich weiß, dass du ihn versteckt hast!“ Ferdinands Stimme überschlug sich. Er war schrecklich wütend und es gelang ihm nicht, die Tränen länger zurückzuhalten.
„Jetzt fängt er auch noch zu heulen an! Heulsuse, Heulsuse!“
„Wo ist mein Schulranzen?“ Ferdinand ging drohend auf Simon zu. Begann ihn zu schubsen. Unbeeindruckt höhnte der weiter: „Heulsuse, Heulsuse!“
Schlagen, so hatte Ferdinand oft gehört, ist kein Mittel, sich zu wehren. Außerdem wusste er, dass Simon stärker war. Kurzentschlossen öffnete er die Hose.
„Wenn du mir nicht gleich sagst, wo mein Schulranzen ist, dann wird dein Schulranzen nass!“
„Das traust du dich nie!“
Doch da hatte sich Simon getäuscht... Unter seinen ungläubigen Blicken rieselte die Rache auf sein Statussymbol.
Angesichts der Pfütze begann der Herausforderer lautes Wehklagen. Das hörte die Lehrerin und – wie immer – bekam Ferdinand 'seine gerechte Strafe'.
Das streitauslösende Objekt fand sich anschließend unbeschädigt im Keller unter der Treppe. Dass damit das innere Chaos noch nicht beseitigt war, sahen nur diejenigen, die Ferdinand wieder aufbauen mussten...