hochsitz

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auf der suche nach sonnenresten
reibt mir der tag raue müdigkeit
in die trockenen augen
schaue betoniert vom nachtbalkon
der jungen nachbarin zu
scherbenfrei wie jeden abend
räumt sie ihre spülmaschine aus

unbeobachtet auf der lauer
zwischen engen friedhofsmauern
berechne ich rechtzeitigkeiten zuliebe
abstände unbestätigter
geburts- und todesdaten
hege folgenlos mordgedanken

und wieder macht mir die nachbarin
das licht aus
 

revilo

Mitglied
Kalle sitzt auf´m Hochsitz und beguckt sich die Nachbarin......und das in Deinem Alter........nicht schlecht...
aber nun zu Deinem Gedicht:
eine sehr pointierte Beobachtung mit subtilem Witz........
in der zweiten Strophe ein bißchen zu viel des Guten:

" berechne ich rechtzeitigkeiten zuliebe
abstände unbestätigter
geburts- und todesdaten "

wirkt ein wenig überfrachtet.......

berechne ich rechtzeitigkeiten
vermesse abstände unbestätigter
geburts- und todesdaten
und hege folgenlos mordgedanken
während die nachbarin mir
wieder das licht ausmacht

nurnvorschlag von revilo
 
auf der suche nach sonnenresten
reibt mir der tag raue müdigkeit
in die trockenen augen
schaue betoniert vom nachtbalkon
der jungen nachbarin zu
scherbenfrei wie jeden abend
räumt sie ihre spülmaschine aus

zwischen engen friedhofsmauern
berechne ich rechtzeitigkeiten
vermesse abstände unbestätigter
geburts- und todesdaten und
hege folgenlos mordgedanken

und die nachbarin macht mir
wieder das licht aus
 
Hallo revilo,
danke für deinen Hinweis. Ich habe abgespeckt, konnte mich aber nicht von allem (wie von dir vorgeschlagen) trennen.
Herzliche Grüße
Karl
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Karl,

diese typisch deutsche Balkonszene, gepaart mit der harmlosen Revolution des kleinen Mannes, hast du sehr gut eingefangen.
Gefällt mir ausgezeichnet!

Liebe Grüße
Manfred
 

Perry

Mitglied
Hallo Karl,

ja tolles, typisch deutsches Balkongedicht.

"schaue betoniert vom nachtbalkon
der jungen nachbarin zu
scherbenfrei wie jeden abend
räumt sie ihre spülmaschine aus"

"betoniert" übersetzte ich mal mit starrem Blick, und denke mir, dass es wohl nicht das heil gebliebene Geschirr ist, dass hier den Blick fesselt.

Dass die Bildebene dann zum Friedhof abschwenkt ist ein (zu) harter Bruch, aber vermutlich wolltest du hier den Gegensatz "jung/dem Tod nahe" absichtlich polarisieren.

Im Schlussbild, könnte man sogar was Gemeinsames herauslesen, aber ich denke das liegt nur an der umgangasprachlichen Wendung (lächel).

Gern gelesen!
LG
Manfred
 
Lieber Manfred,
danke für deine Interpretation.
Aber ich denke, wer in einem Betonsilo wohnt, der wohnt in einem Gefängnis...
und der Balkon ist eine jener Betonkisten ohne Deckel. Hier die Assoziation zum eingefriedeten Friedhof...
Herzliche Grüße
Karl
 

HerbertH

Mitglied
lieber karl ,

am hintersinnigsten finde ich den titel, da ist zwischen adlerhorst, fenster zum hof und waidmannsheil (zur photosafari :)) alles drin.

Liebe grüße

herbert
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Karl,

Zuerst hatte ich etwas Probleme mit den Mordgedanken-

Naja, vielleicht gibt es solche Augenblicke, wenn man mit dem eigenen Leben nicht mehr zufrieden ist und statt an Selbstmord zu denken, lieber mit heimlichen Gedanken, alle Glücklichen seiner Umgebung mal eben ins Jenseits schickt.

Das unzertöpperte Geschirr der Nachbarin deutet für mich auf eine glückliche Person hin, der alles zu gelingen scheint.

Da sie "wieder" das Licht ausmacht, scheint das Lyri sie Abend für Abend zu beobachten und vielleicht gelten die Mordgedanken doch ihr, weil das Lyri in seiner Einbetoniertheit und seiner Müdigkeit nicht weiß, wie man lebendig und lebensfroh an sie herankommen könnte.

Es sitzt doch schon auf dem "Hochsitz" und der Jagdinstinkt ist allabendlich angefacht.

So lese ich diesen melancholischen Text.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 
Liebe Vera Lena,
danke für deine einfühlsamen Zeilen. Das LyrIch lebt schon beinahe wie in einem Sarg und gönnt deswegen auch anderen Menschen (vor allem den jungen) nicht mehr Leben und Lebendigkeit.
Es ging mir um den Neid der Alten auf die Jugend...
Herzliche Grüße
Karl
 
M

Marlene M.

Gast
die Nachbarin macht MIR wieder das Licht aus.
Wichtiger satz. da scheint der Ich-Protagonit als einzigen Lichtblick in seinem betonierten ( festgefügten) Leben die Jugend zu sehen. Mit dem Alter verliert sich meistens die Spontaneität der Jugendlichen.
Trauriger Blick(winkel) eines einsamen Menschen, wie es viele gibt in den Hochhausburgen. namenlose- lichtlose.
Bedrückend, lieber karl
LG von Marlene
 
Lieber Karl,
erfreue dich doch einfach an der jungen Nachbarin, dann hast du doch ein paar Sonnenreste gefunden.

Macht sie dir das Licht aus, sei nicht traurig, morgen erscheint doch wieder dieses schöne Bild.

Lächelnd grüßt
Marie-Luise

Ps. Im Alter bitte keinen Neid auf die Jugend!
 



 
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