ich will nicht ständig an dich denken

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Tula

Mitglied
Ich will nicht ständig an dich denken

nicht nur wenn ich dich seh'

gleich früh beim ersten Lidschlag
jetzt im Kaffee (schon wieder kalt)
im Regen an der Haltestelle
im Bus auf einem leeren Sitz
auf einer Treppe im Gedränge
und schließlich im Büro

wenn ich dich endlich seh'

Ich will auch nicht mehr blöde grinsen
gehst du an mir vorbei
dein kurzer Gruß stört mich schon lange
und dein Begleiter

der Knecht
fährt das brennende Eisen mit einem Stoß
senkrecht aus der Magengrube raus bis
an die Schädeldecke
wühlt und
hämmert nach

von oben stürzt dann Eis
würgt immer

Wie viele Sterne hat die Nacht?
Ich weiß es jetzt
hab' sie alle gezählt

bevor ich von dir träumte
 

HerbertH

Mitglied
Hi Tula,

ich würde die beiden Strophen mit Knecht und Eis weglassen.
Das sind zuviele disjunkte Bilder - nach meinem Geschmack.

Weniger wäre so mehr.

Ein eigenes starkes Gedicht wären auch die Zeilen

Wie viele Sterne hat die Nacht?
Ich weiß es jetzt
hab' sie alle gezählt

bevor ich von dir träumte

LG

Herbert
 

Tula

Mitglied
Moin Herbert

Wer nie sein Brot mit Tränen aß ...

Nun gut, der alte Meister dachte da vielleicht nicht unbedingt an die heimliche, unerwiderte, unmögliche Liebe.

Oder an den alternden Dichter, der sich freut, wenn der Knecht noch Lebenszeichen von sich gibt, auch wenn der heute etwas gutmütiger ist.

Mir ging es hier wirklich um die Stärke der Gefühle, um die Hilflosigkeit in der Verzweiflung. Wer's kennt, der weiß.

LG
Tula
 

HerbertH

Mitglied
will man das dichterisch umsetzen, muss man einen schritt zurücktreten und filtern.

Die reine emotion kann man nie direkt lyrisch transportieren, nur die gefühle der leserInnen als deren erinnerung wecken.
 

Tula

Mitglied
Hallo Herbert

Ich denke, das Gedicht beschreibt keine reine Emotion, sonst schriebe es von Herzklopfen und Schweißausbruch, Knoten im Hals usw.

Das Problem hier ist, dass dir das Gleichnis als pathetisch erscheint, viel zu dick aufgetragen und unglaubwürdig, das soll verhaltener sein. Akzeptiere ich, da werden nicht wenige zustimmen.

Kann auch sein, dass eine gewisse Übertreibung hier in meiner Absicht liegt. Man kann auch dieses mit einem Augenzwinkern lesen wenn man dazu bereit ist.

Bleibt die Frage, wie 'man' starke Gefühle beschreiben 'darf' oder gar 'muss'. Die Ästhetik der verhaltenen Sprache in der Lyrik hat mMn auch den Nebeneffekt, dass sie schnell langweilt, mich jedenfalls. Es 'passiert nichts'.

LG
Tula
 
P

paulus

Gast
Gefällt mir sehr gut!
Sehr gerne gelesen!

Liebe Grüße
Paul
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Tula,

vielleicht habe ich zuviel kurze Gedichte geschrieben, wodurch ich für mich entdeckt habe, was ein einziges Wort für einen Umschwung beim Lesen auslösen kann, wenn man es ändert.

Wahrscheinlich ist es also nur meine Lesart, und andere Leser mögen ganz andere Eindrücke haben, wenn sie Dein Gedicht lesen.

Es ist vielleicht wie in der Malerei: Der eine malt expressiv, mit kräftigen Farben und energischen Pinselstrichen. Der andere zieht Aquarelle vor, der nächste asiatisch geprägte Kalligraphien.

Und doch hat alles seinen eigenen Reiz und eine eigene Ästhetik.

Was ich schrieb, war eher als Anregung gedacht, noch mal einen Schritt zurückzutreten, und das Gedicht noch einmal zu durchdenken und neu zu entdecken. Wenn es für Dich passt, ist es OK.

LG

Herbert
 

Tula

Mitglied
Hallo Herbert
keine Sorge, Kommentare und konstruktive Kritik deinerseits sind bei mir wohlwollend und mit Interesse aufgenommen worden.

Nun trifft es auch zu, dass Dichterlein hin und wieder versucht, sprachliches Neuland zu beschreiten, auch wenn er sich damit 'blamiert'. Gehört dazu; nicht ist langweiliger als immer dasselbe zu schreiben oder zu lesen . In dieser Hinsicht wäre eine Diskussion um die gesunde Grenze des Pathos' genauso interessant wie die um die umittelbare Verständlichkeit der lyrischen Sprache.

Kurios dein Kommentar zur Malerei, ich habe da eins auf Lager, seit einer Woche, überlegte noch ob dieses hier zuerst oder das andere … Ich stell's mal ein.

LG
Tula
 



 
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