im Baumarkt

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Hagen

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Nachdem ‘Baumarktgeschichten‘ irgendwie bei der Leselupe in Mode gekommen zu sein scheinen, erinnerte ich mich eines Praktikums, welches zwar Jahre zurück liegt, dessen ersten Tag ich dem geneigten Leser der Leselupe aber nicht vorenthalten möchte; - aus der Sicht eines Mitarbeiters.

Pünktlich um acht trabte ich am Montag im Baumarkt an und prallte erst mal vor des Markleiters Mundgeruch zurück, als der kurz nach meinem Eintreffen bemerkte: „Kommen sie mal mit ins Büro! Ich sag’ ihnen, was sie machen müssen!“
In seinem Büro hingen überall Bilder von Jürgen Möllemann, eins sogar mit Autogramm und Trauerflor. Ansonsten war alles unpersönlich aufgeräumt und fast klinisch sauber. Eine dicke Frau mit unleserlichem Namensschild saß mit ausdruckslosem Gesicht vor einem Computer, auf dem ein Bildschirmschoner lief, ein Hammer drosch permanent auf einen Nagel, zwischendurch erschien des Baumarkts Namen.
Ich stellte mich ordentlich vor.
„Jelinek“, sagte der Marktleiter, stellte sich mit dem Rücken zu mir breitbeinig und mit verschränkten Armen auf und ließ seine Blicke prüfend über die Milchglasbarriere hinweg über die Kassen bis hin zu den Malerartikeln schweifen, „dann wollen wir doch mal sehen, was mir vom Arbeitsamt heute wieder für ein Heini geschickt worden ist. Erzählen sie doch mal! Haben sie überhaupt mal was Vernünftiges gelernt?“
‘Schwimmen’, hätte ich fast gesagt, aber ich beließ es beim einfachen „Ja.“
„Was denn? Erzählen sie, ich höre zu.“
„Ich habe Elektriker gelernt“, sagte ich zu dem Rückenteil der Anzugjacke. War knitterfrei, die Jacke und sein Haaransatz endete sauber geschnitten zwei fingerbreit über dem Kragen.
„Und sind sie irgendwann mal weitergebildet worden?“
„Kontinuierlich. EDV, VDE, Akquise, Kostenrechnung, Angebotserstellung ...“
Die dicke Frau stand auf und ging weg.
„Und warum sind sie jetzt so lange arbeitslos? Sie haben sich wohl öfter mal verkalkuliert, was?“ Er ließ ein kehliges Lachen ab. Das klang in etwa so, wie ein Hund knurrt bevor er kotzt.
„Da war doch diese Geschichte mit dem Baulöwen, der sich nach Florida abgesetzt hat, mit mäßigem Erfolg, wie sie wissen. Meine damalige Firma ist mit einer halben Million in Vorleistung gegangen, und das war’s dann ...“
„Elektriker sind sie! Dann kann ja gleich mal an meiner Schreibtischlampe die Birne von ihnen gewechselt werden. Und dann lassen sie sich von Schließer einen Kittel geben.“
„Ja, ist gut. Soll ich die neue ‘Birne’ dem Sortiment entnehmen, oder gibt’s hier die obligate Kiste für den Eigenbedarf?“
Ich sah mir des Markleiters Schreibtischlampe an. Ein Designermodell mit fünf kleinen halogenen Lämpchen. Eine fehlte. Ich schaltete die Lampe an. Der Trafo begann gefährlich zu brummen, ein Zeichen dass er bereits auf Überlast lief.
„Habe ich gesagt, dass die Lampe von ihnen eingeschaltet werden soll? Seien sie vorsichtig damit, das ist ein Designermodell.“
„Wie das aussieht, sind in diese Leuchte 35-Watt-Lampen eingesetzt worden, und wie sich das anhört, ist der Trafo lediglich für 20-Watt-Lampen ausgelegt.“
„Natürlich sind da 35-Watt-Lampen drin! Glauben sie, ich will mir die Augen verderben?“
„Da nehmen die Herren Designer in den seltensten Fällen Rücksicht drauf.“
Ich legte meine Hand auf den Trafo, „ist jetzt schon mächtig heiß, das Teil. Normalerweise übergibt sich die Sicherung in solch einem Fall, aber auf diese hat der Herr Designer generös verzichtet, ebenso auf das VDE-Zeichen, ein Wunder, dass der Trafo noch nicht abgekokelt ist.“
„Solche Ausdrücke will ich hier nicht hören! Denken sie dran, dass sie es hier mit Kunden zu tun haben werden! - Kennen sie sich in diesem Baumarkt überhaupt aus?“
„Ein wenig, ich bin hier Stammkunde, Herr Jelinek.“
„Ja, das sagen sie alle!“
Er sprach noch immer gegen die Scheibe und riet mir dringendst, mich in der ersten Zeit nicht allzu häufig auf Gespräche mit Kunden einzulassen, bis sich meine Ausdrucksweise gebessert haben würde, und wenn, dann sollte ich mich etwas gewählter ausdrücken.
„Bei Verkaufsgesprächen müssen sie sich wie ein Adler emporschwingen“, sagte er bedeutungsvoll.
Den Gefallen wollte ich ihm gerne tun und ging ein Lämplein holen, 20 Watt. Die gab ich ihm, weil der Trafo inzwischen soweit war, dass man hätte problemlos eine Schinkensalami auf ihm grillen können.
„Worauf warten sie? Bauen sie die Birne ein! Ich habe ihnen doch eine klare Anweisung gegeben. Bin ich denn nicht verstanden worden?“
„Ich glaube kaum, dass der Trafo das überlebt. Noch mehr Last ...“
„Haben sie was mit den Ohren? Bauen sie endlich die Birne ein!“
„Na, gut. Auf ihre Verantwortung.“
Ich steckte die Lampe rein und der Trafo ächzte auf.
„Na sehen sie, geht doch!“
Ich sah zur Uhr.
„Sagen wir mal zehn Minuten.“ Der Trafo begann eine leichte Braunfärbung zu zeigen, „soll ich so lange warten?“
„Ich habe ihnen doch gesagt, sie sollen sich einen Kittel geben lassen!“
Ich war gerade im Vorraum zum Aufenthaltsraum, da dröhnte mir ein Lautsprecher ins Ohr:
„Herr von Wegen, sofort ins Büro!“
War offenbar doch etwas schneller gegangen als zunächst angenommen, das Ableben des Transformators in der Designerleuchte, aber der Marktleiter sah das etwas anders.
„Sehen sie sich mal an, was sie angerichtet haben! Und sie wollen Elektriker sein?“
Das Trafogehäuse war etwas zusammengeschmolzen, wenigstens hatte der Marktleiter den Stecker herausgezogen.
„Ich habe sie mehrfach drauf hingewiesen ...“
„Von wem ist denn die Birne eingebaut worden, von ihnen oder von mir? Sie führen sich hier ja bestens ein!“
„Ich hab’s ihnen mehrfach gesagt! - Ich kann ihnen nur anbieten, einen größeren Trafo einzubauen ...“
„Damit das Design von ihnen verunstaltet wird!“
„Eins geht nur. Ich bin nun mal der altmodischen Ansicht, dass die Form der Funktion zu folgen hat. Physikalische Gesetzmäßigkeiten lassen sich nicht wegen eines Designs vergewaltigen, daran hätte der Herr Designer denken müssen, er hätte zudem gut daran getan, sich der Leistungsformel des Ohmschen Gesetzes zu erinnern, welches da lautet: P gleich U mal I!“
„Der hat immerhin studiert! Haben sie auch studiert?“
„Nein, aber ich habe mein Handwerk ordentlich von der Picke auf gelernt.“
„Nun werden sie man nicht auch noch frech! Sie können sich jetzt mal einen Kittel geben lassen, und dann fragen sie Schließer, was sie machen sollen. Und denken sie dran, sich bei mir zu melden, wenn sie Pause machen!“
„Ich werde dran denken“, sagte ich.
„Das ist aber auch das Einzige, woran sie denken müssen, Herr Langzeitarbeitsloser! Sie sind nicht zum Denken, sondern um zu arbeiten! Oder haben sie Philosophie studiert?“
„Nein.“
„Und noch eins, mein lieber Herr Langzeitarbeitsloser: Ich musste leider den Elektromenschen kürzlich entlassen, aber glauben sie ja nicht, dass sie nach diesem blödsinnigen Praktikum und ihrer grandiosen Meisterleistung eben, hier eingestellt werden!“
Ich war froh, als ich wieder raus war, aus dem Büro. Am liebsten hätte ich diesem Asympathen die Klatten vor die Füße geworfen, aber der hätte es fertig gebracht, beim Arbeitsamt mächtig viele Kalte zu erzählen, oder noch schlimmer: Er hätte mich vorschnell freigesetzt.
Da die Wahrscheinlichkeit des Geschehens stets im umgekehrten Verhältnis zum Wunsch steht, blieb mir aus der Situation heraus nichts anderes übrig, als weiter zu machen, vielleicht waren die blöden Sprüche ja auch ein Test.
Als ich dann bei einer Tasse lausigem, magenfreundlichem, entkoffeiniertem Personalkaffee Herrn Schließer die Nummer mit der Designerlampe erzählte, grinste der bloß.
„Klar, ein ganz blöder Einstellungstest! Dabei kann man nur was falsch machen. Das macht er bei jedem. - Hier, probieren sie mal den Kittel hier an, ein anderer ist nicht da.“
Das Stück roch und sah aus, als hätte es jemand vor einigen Wochen wochenlang getragen und dann für immer an den obligaten Nagel gehängt, neben die Insektenvertilgungsmittel.
„Haben sie Lust, gleich ein paar Kleinmöbel zusammen zu schrauben?“
„Klar, wenn ich das in einer ruhigen Ecke machen kann.“
War etwas eng, der Kittel.
„Hat Herr Jelinek sie eigentlich über ihre Arbeitszeiten aufgeklärt?“, fragte Herr Schließer und goss mir noch mal Kaffee nach.
„Nein. Die Nummer mit der Lampe war wohl wichtiger.“
„Sie haben heute um acht angefangen, da haben sie um fünf Feierabend.“
„Aber der Baumarkt hat doch länger geöffnet.“
„Mann, sie machen hier ein Praktikum, da brauchen sie nicht so lange zu arbeiten. Ab fünf ist hier sowieso nichts mehr los, seit der Jelinek den Markt leitet.“
„Hört sich gut an“, sagte ich und trank einen Schluck Kaffee.
Herr Schließer wollte gerade etwas sagen, aber erst kam ein Duft aus Weihrauch und Hanf mit einer leichten Note Jasmin rein und dann Regine.
Regine. Ich hatte sie jahrelang aus den Augen verloren und nun traf ich sie im Baumarkt wieder. Die Welt ist doch eine Erbse.
„Mensch Hagen, was machst du denn hier?“
„Etwas rumpraktizieren! Regine, wie geht’s dir? Lange nicht mehr gesehen, da muss ich dich doch erst mal in den Arm nehmen!“
Das tat ich denn auch, und Regine drückte mich ihrerseits an ihren Busen.
Dunkelblaue Haare hatte sie inzwischen und etwas abgenommen seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten, und dann walzte des Marktleiters Mundgeruch Regines toughes Parfum nieder.
„Frau Grußvonderlinde, sie sind schon wieder eine halbe Stunde zu spät! Glauben sie, die Kunden kassieren sich alleine ab?“
„Ich glaube eigentlich nur noch an das Gute im Menschen“, sagte Regine und löste sich von mir, „aber das fällt mir von Tag zu Tag schwerer.“
„Glauben können sie nach Feierabend und rumschmusen auch. Und wechseln sie mal ihr Parfum, das stinkt ja furchtbar, da laufen mir ja die Kunden weg“, raunzte er, während Regine sich an ihrem Spind zu schaffen machte, „überhaupt sollten sie ihre Haare mal normal färben, das sieht ja furchtbar aus. Blond würde ihnen gut stehen, passt auch viel besser zu ihnen!“
Regine zog sich einen Kittel über und knallte ihren Spind zu, „jetzt gehe ich mal etwas Umsatz machen, irgendjemand muss es ja tun!“
Sie lächelte mir zu, „wir sehen uns dann später!“
„Auf jeden Fall! - Äh, kannst du mir mit ein wenig von deinem tollen Parfum aushelfen? Der Kittel, den ich soeben empfangen habe, müffelt ein wenig, das hinterlässt bei der Kundschaft einen denkbar schlechten Gesamteindruck, was letztlich auf das gesamte Team hier zurückfällt ...“
„Dann müssen sie den mal mit nach Hause nehmen und waschen, Herr Langzeitarbeitsloser, das machen hier alle so!“
„Herzlich gerne, Herr Jelinek, aber es ist lediglich für den heutigen Tag ...“
„Werden sie nicht frech! Kommen sie mit, ich zeige ihnen, was gemacht werden muss! Ein paar Regale müssen eingeräumt werden, hoffentlich schaffen sie das!“
Er raste los, ich hinterher, er warf Regine noch die Order: „Hoffentlich sind sie bald an der Kasse!“, zu und war verschwunden, sicherlich in Richtung Lager.
Als ich ihm folgen wollte, hielt mich eine junge Dame an und fragte nach Dübeln oder Nägeln, mit denen sie am besten ein Regal aufhängen könnte, und sie freute sich mächtig, dass es ihr in diesem Baumarkt endlich mal gelungen war, jemanden zu finden, der ihr Auskunft erteilen konnte.
Das tat ich dann auch sehr gerne, und sie bekam ganz energische Augen und markante Mundwinkel, als ich ihr eine Schlagbohrmaschine aus dem Angebot in die Hand drücke und erklärte, wie damit Dübel einzubringen sind. Sie war richtig heiß darauf, so was auch mal selber zu machen, aber in dem Moment, in dem sie sich anschickte, die Maschine nebst Steinbohrer und einem Paket Dübel sowie Haken in den Einkaufswagen zu legen, kam Herr Jelinek entlang, brach rücksichtslos in unser trauliches Gespräch ein, befahl mir, den Kittel zu schließen und empfahl der jungen Dame eine andere, größere, schwerere und natürlich teurere Maschine. Das führte dazu, dass die junge Dame zögerte und es sich noch mal überlegen wollte.
Herr Jelinek wartete nicht bis die junge Dame außer Hörweite war und ließ ein Donnerwetter auf mich einprasseln, in der Richtung, dass ich ihm ein Verkaufsgespräch vermasselt hatte, dass ich doch wissen müsste, das Sonderangebote nur Lockartikel ohne Verdienstspanne seien und dass es bei der Kundschaft einen schlechten Eindruck macht, wenn der Kittel offen ist.
Ich sagte nichts, während ich ihm, von seinem Mundgeruch umweht, ins Lager folgte.
Dort duftete es nach frischem Kaffee, und Herr Jelinek motzte den Mann im Lager fürchterlich an, weil er ihm nicht erlaubt hatte, eine private Kaffeemaschine auf dem winzigen Schreibtisch zu betreiben, verwies auf die ohnehin schon hohen Energiekosten, deutete auf zwei große Kartons auf zwei Paletten, murmelte: „die Artikel müssen bis Mittag von ihnen eingeräumt worden sein! Und lassen sie sich ja nicht einfallen, hier faul rum zu sitzen und Kaffee zu trinken!“
Weg war er, ich öffnete meinen Kittel.
„Eines Tages bringe ich den um!“, sagte der Mann und stellte sich vor: „Hans-Peter Ohlinger. Ich bin hier der Lagermann, wollen sie einen Kaffee?“
„Danke, gerne. Hagen, ich versuche hier ein Praktikum zu absolvieren.“
„Höhöhö! Viel Spaß!“
Er goss mir Kaffee in einen Becher und wandte sich wieder seinem Computer zu, „’muss noch eben die Klodeckel einlisten. Mann oh Mann, Klodeckel mit Zebramuster! Hat der Jelinek selbst bestellt, eine seiner brillanten Ideen! Und nachher können wir die in den Container werfen, weil die kein Mensch haben will! Was ich von dem seinen brillanten Ideen schon in den Container gekloppt habe, davon hätte sich jeder von uns einen guten Gebrauchtwagen kaufen können! - Oder guck dir mal die Nummer mit den Schutzgas-Schweißgeräten an! Er wollte, kaum dass er hier war, groß einsteigen und hat ein Gerät gekauft.“
Herr Ohlinger tippte sich an die Stirn, „ein einziges!“
„Ja, da vorne steht son Ding“, sagte ich und nahm einen Schluck Kaffee, „keine Gasflasche, keine Drahtspulen, nix, null Zubehör. Nicht mal der unverzichtbare Augen- und Gesichtsschutz. Kein Wunder, dass kein Mensch das Ding kauft.“
„Ebend!“ Herr Ohlinger nahm auch einen Schluck Kaffee.
„Nicht, dass sie hier Ärger kriegen, von wegen Kaffee trinken ...“
Ein trauliches Gespräch über Schweißen entwickelte sich beim Kaffeetrinken, wir waren uns darüber einig, dass Schweißen etwas männlich-archaisches hat, aber ich sollte gelegentlich die Sachen einräumen.
„Was ist denn da überhaupt drin?“
„Besen und son Zeugs. Dann räumen sie die doch ein“, murmelte Herr Ohlinger.
„Ja, äh, wie kriege ich die da hin?“
„Tja“, er zuckte die Achseln.
„Gibt’s denn hier keinen Hubwagen oder so?“ Ich nahm einen Schluck Kaffee. War wirklich gut, der Kaffee, nicht wie die Personalplörre aus der Maschine im Pausenraum.
„Sogar zwei.“
„Kann ich einen haben?“
„Der eine steht auf dem Hof und hat ein Rad ab. Ich wollte ihn reparieren, aber ich darf keine Schrauben aus dem Sortiment nehmen, zu teuer. Anweisung vom Jelinek.“
„Hm, und der andere?“
„Den hat Hubert.“
„Wer ist Hubert?“
„Der Kollege von den Gartenartikeln, da sind vorhin Primeln oder so gekommen. Er bringt den Hubwagen aber gleich wieder.“
„Als ich hier früher mal eingekauft habe, habe ich eine Ameise gesehen.“
„Richtig. Die steht auf Anweisung vom Jelinek im Außenlager. Aber mach’ dir keine Hoffnung, die Batterien sind leer.“
„Da wäre aufladen ganz angebracht.“
„Dazu braucht man Drehstrom, und den gibt’s nicht im Außenlager. Hat Jelinek nicht dran gedacht und nun steht sie da. Du kannst das schwere Ding natürlich so rüber zerren, viel Spaß!“
„Naja, muss ja nicht sein“, ich trank meinen Kaffee aus, „dann gehe ich doch mal in die Gartenabteilung und schaue nach, kann ja nicht schaden. Danke für den Kaffee.“
Draußen in der Gartenabteilung, wo hübsche, kleine Putten und badende Jungfrauen sowie debile Zwerge rum standen, war einer unter des Marktleiters persönlicher Anleitung dabei, viele bunte Blumen von einem Hubwagen in wackelige Regale zu stapeln.
Ich legte keinen Wert darauf, in dieses Geschehen einbezogen zu werden und ging in Richtung Pausenraum um eine zu rauchen, wurde aber in Höhe der Gardinenabteilung aufgehalten.
„Ah, ein neuer Kollege! Lindemann. Alexander Lindemann! Kennen sie mich?“ Der Mann trug auch so einen hübschen bunten Baumarktkittel wie ich.
„Äh, nein. Von Wegen“, sagte ich, „Hagen von Wegen. Ich absolviere hier ein Praktikum.“
„Ah, ja. Kennen sie mich wirklich nicht?“
„Nein. Tut mir leid, Herr Lindemann.“
„Entschuldigung“, eine ältere Dame mit einer Gardinenstange in der Hand, „könnte mir bitte mal jemand ...“
„Ich komme sofort“, sagte Herr Lindemann ohne die Dame anzusehen, „aber sie müssen mich doch kennen!“ - er zeigte mir sein Profil - „aus dem Fernsehen!“
Ich dachte an ‘Freddy the Brain’, einen weitläufigen Bekannten, und das der in einer Talk-Show gewesen war.
„Ich gucke eigentlich nie Talk-Shows“, sagte ich, „tut mir leid.“
„Talk-Show!“, er schnappte nach Luft, „Die tägliche Vorabendserie! Leider haben mich die Schweine rausgeschrieben.“
„Dann sind sie ja Schauspieler! - Was machen sie denn dann hier?“
„Naja, bis zum nächsten Engagement ...“, er kramte eine Autogrammkarte aus der Tasche und zückte einen Filzschreiber, „wie heißen sie nochmal?“
„Entschuldigung“, die Dame mit der Gardinenstange, „haben sie für diese Stange auch die passenden Ringe?“
„Sicher“, antwortete ich, „mein Kollege zeigt sie ihnen gerne.“
Es half nichts, Herr Lindemann musste sich um die Kundin kümmern, auf dem Weg zum Pausenraum sah ich mir das Schweißgerät an. Ein Sonderposten Abschleppseile lag daneben. Eine feine Staubschicht hatte sich auf des Schweißgerätes blauem Gehäuse niedergelassen. Wieder stiegen in mir Sentimentalitäten hoch, zu früheren Zeiten hatte ich manche Schweißnaht mit dem MIG 155/4/A gezogen, meine Nähte waren nie wieder aufgegangen.
Na gut, ich ging weiter in Richtung Pausenraum.
Aber nur in die Richtung, in der Farbenabteilung fing mich ein Ehepaar mittleren Alters ab: „Entschuldigung, kann ich das mischen?“
Die beiden hatten den Wagen voller Markenfarben, die Sorte, für die im Fernsehen gnadenlos Werbung gemacht wurde, „wir haben uns für diesen Farbton entschieden.“
Die Frau zeigte mir auf einer Musterkarte ein gedecktes Grün.
„Ja, das können sie, drei Tuben Abtönfarbe pro Eimer. - Es wäre allerdings schade darum, wenn sie die abtönen möchten.“
„Wieso?“
„Naja, diese Farbe ist optimal, wenn sie ein absolut weißes Weiß haben wollen. Wenn sie die abtönen möchten, genügt auch die preiswerte Farbe.“
„Ja, das leuchtet ein. Warum bist du da nicht drauf gekommen, Karl?“
Der Mann zuckte die Achseln und schickte sich an, die fünf Eimer Farbe wieder ins Regal zu stellen. Ich half ihm dabei und stellte ihm auch die preiswerteren Farben in den Wagen.
„Da wir gerade dabei sind“, fuhr ich fort, „die Farbroller! Wir haben gerade welche im Angebot vorne, steht allerdings kein Markenname drauf, dafür kosten sie die Hälfte.“
Ich machte noch eine Weile so weiter, vom Farbrührer bis zum Pinselreiniger. Zum Schluss hatte ich fast den gesamten Inhalt des Wagens ausgetauscht und die beiden waren hoch erfreut.
Leider kam Herr Jelinek entlang und war gar nicht erbaut, als das Paar ihm ebenso freudestrahlend wie arglos erzählten, dass sie dank meiner fachmännischen Beratung fast fünfzig Euro gespart hatten. Ich entging geschickt einem weiteren Donnerwetter, indem ich den Herrschaften anbot, ihnen den Wagen zur Kasse und zum Auto zu schieben, um ihnen sodann liebenswürdiger Weise beim Einladen behilflich zu sein.
„So stelle ich mir einen guten Service vor“, strahlte die Frau, und wir setzten uns heiteren Gemütes in Bewegung, einen etwas grimmig dreinblickenden Marktleiter zurücklassend.

‘Es ist schwierig, sich wie ein Adler in die Luft zu erheben,
wenn man mit Mastgänsen arbeitet’,
dachte ich als ich die Farbeimer in den Kofferraum des Autos
der Kunden stellte, aber ich meinte diese nicht.

Vor einer der Gartenhütten in der Sonne neben dem Parkplatz traf ich Regine. Sie hatte sich offensichtlich auch entschlossen ihre Pause nicht in des Marktleiters unmittelbarer Nähe zu absolvieren. Sie hatte ihren Kittel an den Türgriff der Hütte gehängt, sich auf eine Gartenliege gegossen und blies mächtige Rauchwolken in die frische Luft.
„Na Hagen, hast du denn viel Spaß gehabt bis jetzt?“, sagte sie ohne die Augen auch nur andeutungsweise zu öffnen.
„Doch ja“, ich setzte mich neben sie und zündete mir auch eine Zigarette an, „Herr Jelinek macht mir viel Freude.“
„Ja, mir auch. Da müssen wir uns beeilen, mit dem Freude haben. Eines Tages bringe ich den um, und dann ist Schluss mit lustig. - Kennst du den Unterschied zwischen einem Geräteschuppen und der Gartenlaube Florida?“
„Nein.“
„Die Gartenlaube Florida brennt länger.“
„Lass das nicht Herrn Jelinek hören.“
„Hab’ ich ihm gesagt. Die Dinger stehen zu eng zusammen und zu dicht an den Hölzern von der Gartenabteilung. Dahinter ist nur ein Fenster und dahinter stehen die Türen und Spanplatten von der Holzabteilung. Wenn hier einer des Nachts ein Streichholz über den Zaun wirft, steht der Baumarkt Ruck-Zuck in Flammen. Das wäre ein hübscher Feuerzauber, würde ich gerne miterleben, denn unser lieber Marktleiter muss sich ja über alle bestehenden Vorschriften, was Brandschutz betrifft, hinwegsetzen!“
Sicherlich hätte sie sich gerne weiterhin ein Wenig aufgeregt, aber eine extrem kurzhaarige, flachbrüstige Frau kam entlang und begann Regine ohne Vorwarnung mit Fußtritten und Faustschlägen zu traktieren, während die ihr unterstellte, mit einer Rita in die Kiste gehüpft zu sein.
Regine reagierte äußerst gelassen, hielt die Kurzhaarige mit einem Arm auf Distanz und bemerkte beiläufig, dass sie lieber mit dem ersten besten Kerl in die Kiste steigen würde, als noch mal mit ihr oder dieser Rita.
„Entschuldigung“, fragte ich vorsichtig, „würden die Damen ihre Tätlichkeiten bitte nach Feierabend erledigen? Die Pause ist zeitlich begrenzt, und ich möchte in dieser Kraft schöpfen, um anschließend weiterhin volle Leistung bringen zu können.“
„Halte dich da raus!“, keuchte die kurzhaarige und versuchte Regine in den Unterleib zu treten. Dabei glitt sie aus und setzte sich recht unsanft auf den Hintern. Ich wollte ihr hoch helfen, aber sie schickte sich an, mir in die Hand zu beißen. War nicht uneingeschränkt nachahmenswert und der Situation in keinster Weise angemessen, die Vorgehensweise der kurzhaarigen Dame, ebenso ihr Vokabular, als sie sich die linke Hüfte haltend, entfernte.
„Puh“, seufzte Regine und zündete sich eine neue Zigarette an, „nie wieder eine emanzipierte Kampflesbe! Dann schon lieber ein Mann. Weißt du, hin und wieder habe ich auch ganz gerne mal einen Orgasmus, aber eine feste Beziehung möchte ich noch nicht wieder eingehen.“
„Kann ich verstehen, ich hör mich mal um“, sagte ich und blinzelte in die Sonne, „jetzt hätte ich allerdings gerne ein Stück Käse und ein Glas Rotwein.“
„Ja“, seufzte Regine, „wir sollten unbedingt mal wieder einen zusammen trinken. - Spätestens am Wochenende bei dieser ‘Betriebsfeier’“.
Das Wort ‘Betriebsfeier’ sprach sie mit einer Prise Gehässigkeit aus.
„Ich höre zum ersten Mal davon! Klärst du mich bitte auf?“
„Da müssen alle hin und am Sonntag begeistert zugucken, wenn der Chef und unser Marktleiter mit dem Fallschirm aus einem Flugzeug springen. Ich jedenfalls kann das nur betrunken ertragen, wie alle anderen auch.“
„Ah, ja, ich verstehe. - Ist das Buffet wenigsten gut?“
Regine grinste, „vom allerbesten, sonst würde ja keiner kommen! Letztes Mal hatten die sogar Champagner dabei. Den schüttet sich die Chefin immer flaschenweise rein und fängt dann an rumzugrölen. Letztes Mal ist sie rumgelaufen und hat alle Werbejingles der Konkurrenz gegrölt, ich kann dir sagen! – Alles bei OBI! Und so.“
„Meinst du, die Chefin ist Alkoholikerin?“
„Weiß ich nicht, aber wenn die was getrunken hat, quasselt und grölt die ohne Ende. - So, und jetzt gehe ich die Elke an der Kasse ablösen, die hat ihre Pause auch verdient.“
Ich ging zunächst mit, kaufte mir noch schnell ein paar Schokoriegel aus dem Regal der Spontanartikel neben der Kasse und dann zur Gartenabteilung, mal schauen, ob der Hubwagen frei war.
Er war, und ich bekam mit, wie der Mann im bunten Baumarktkittel ein Fläschchen unter einer apart angemoosten Venusskulptur verschwinden ließ.
„Moin“, sagte ich, „von Wegen. Praktikant. Kann ich mal bitte den Hubwagen haben? Der von uns allen so heiß geliebte und gleichermaßen hoch geschätzte Marktleiter hat mich beauftragt, einige Waren einzuräumen.“
„Ach so. Krämer. Ja, nehmen sie man mit.“
Er wandte sich wieder dem schaukelnden Regal mit den Blumentöpfen darin zu.
„Ist das nicht ein bisschen zu wackelig?“, fragte ich, „ich meine, wenn da eine dicke Frau gegen läuft, fällt das um und erschlägt sie.“
„Habe ich Jelinek ja auch gesagt, aber der meint, ich soll das so machen. - Naja, wenn es den erschlägt, wär’s mir recht!“
„Vielleicht sollten wir mal eben eine Verstrebung ...“
„Ach, wissen sie, Eigeninitiative ist hier nicht gefragt! Der macht ihnen da gleich Sabotage draus. Nee mein Lieber nicht mehr mit mir! Ich reibe mich hier nicht mehr auf. Wenn Feierabend ist, gehe ich in meinen Garten und kümmere mich um meinen Spitzkohl, da habe ich meine Ruhe und keiner redet mir rein. - Haben sie auch einen Garten?“
„Nein, habe ich nicht.“
„Sollten sie aber! Was meinen sie, wie gut das Gemüse aus dem eigenen Garten schmeckt.“
„Ich kann sie verstehen, Herr Krämer, aber Gartenarbeit ist wirklich nicht mein Ding. Freiwillig fasse ich keinen Spaten mehr an. Ich hab noch nicht mal einen Blumenkasten am Balkon.“
„Ja aber man muss doch einen gesunden Ausgleich haben! Was machen sie denn nach Feierabend? Immer nur Fernsehen, das geht doch auch nicht.“
„Bestimmt nicht, da haben sie Recht, Herr Krämer. Ich bin zurzeit leider arbeitslos, da habe ich mich an der Uni als Gasthörer eingetragen, Kunstgeschichte. - Es wäre ja schrecklich, wenn alle Menschen gleich wären.“
„Da haben sie Recht! Aber vielleicht besuchen sie mich mal in meinem Garten.“
„Natürlich gerne, Herr Krämer, solange ich nicht mit einem Spaten in der Erde rum wühlen muss!“
Ich wollte Herrn Krämer gerade eine Zigarette anbieten, da kam einer in buntem Kittel entlang und wollte den Hubwagen haben.
„Dahse“, stellte sich ordentlich vor. Auszubildender war er und meinte, ich könnte Gernod zu ihm sagen, und er fragte mich, was ich denn wohl meinte, was die Damen dieses Baumarktes lieber hätten, einen Penis oder einen Arbeitstag unter der Führung des Herrn Jelinek.
„Mensch“, sagte Herr Krämer, „lass dich nicht erwischen!“
„Ist doch ganz klar“, grinste Herr Dahse, „ein Tag hier im Baumarkt! - Der ist länger und härter.“
Während Herr Krämer sich ausschütten wollte vor Lachen, knallte die Order, dass Herr Dahse sich umgehend im Büro zu melden hatte, aus den Lautsprechern.
„Mensch, der hört uns ab!“, flüsterte Herr Krämer.
„Das kann der nicht“, meinte Herr Dahse, „dazu ist der auch zu dämlich! Der kommt wieder mit der Web-Side nicht klar! Ich habe ihm die Page so eingerichtet, dass jeder DAU damit umgehen kann; - er natürlich nicht!“
„Was ist denn ein DAU?“, fragte Herr Krämer.
„Der Dümmste Anzunehmende User. - So, ich geh da mal eben hin. Sagen sie mir bitte Bescheid, wenn sie den Hubwagen nicht mehr brauchen.“
„Ja natürlich. Ich geh dann auch mal, ‘möchte nicht gleich am ersten Tag einen schlechten Eindruck hinterlassen“, sagte ich, packte den Hubwagen, zog zuerst meiner Wege, die beiden großen Kartons mit dem Hubwagen vor die einzuräumenden Regale, stellte sie ab und ging Herrn Dahse Bescheid sagen.
Der saß neben Herrn Jelinek am Computer und schwelgte in imponierenden Fachausdrücken. Ich kaufte mir an der Kasse schnell noch ein paar Schokoriegel und begann diese kauend die Besen einzusortieren. Stubenbesen, Stubenbesen-Luxus, Saalbessen und Hofbesen, und was es sonst noch so alles auf der Besenszene gibt, war schon eindrucksvoll, das alles. Und dann kam ein junges Paar vorbei geschlendert, die hatten schon einen Eimer nebst Feudel im Wagen, und die Frau fragte: „Brauchen wir einen Besen?“
Der Mann überlegte kurz und antwortete: „Noch nicht.“
Ich räumte und grübelte weiter, und als ich gerade Besenstiele unterschiedlicher Längen an die dafür vorgesehenen Haken hängte, schlug mir einer auf die Schulter und wollte wissen, was ich denn hier so machen würde.
Erich Tönjes, der Mann, der Hühner züchtete, sie anschließend umbrachte und genussvoll ausnahm. Ich kannte ihn flüchtig. Warum trafen sich eigentlich alle Typen, die ich flüchtig kannte, in diesem Baumarkt?
Egal. Wir plauderten ein Weilchen über Perlhühner und Deutschlands Kandidatur für die nächste WM, wobei er ständig ein Schächtelchen Schloßschrauben 6 x 30 in die Luft warf und wieder auffing.
Herr Jelinek tauchte auf, ich zwischen den Malerartikeln unter und wurde dort umgehend von einem älteren Herren, der einen Standhahnmutterschlüssel suchte, abgefangen und in die Sanitärabteilung gezerrt. Dort verwickelte er mich in ein Fachgespräch über Waschbecken, während ich mit wachsender Verzweiflung einen Standhahnmutterschlüssel für die Armaturen suchte. Je länger ich suchte, desto ungehaltener wurde der Mann und bemerkte etwas abfällig, dass ich lieber den Parkplatz fegen sollte, wenn ich keine Ahnung hätte. Ich bat den Mann um Verständnis, von wegen erster Tag, und Praktikum, aber der ging weg und kam mit Herrn Jelinek wieder, und Herr Jelinek behauptete, ich hätte behauptet, dass ich mich hier auskennen würde, und warum ich nicht mal einen einfachen - wie heißt der Artikel noch gleich? - finden würde, ob ich denn blind sei, begann selber zu suchen, und ich sollte gefälligst Kleid holen wenn ich mal wieder überfordert wäre und endlich meinen Kittel zu machen.
Ich nahm an, dass es sich bei ‘Kleid’ um einen Mitarbeiter, möglicherweise den Mann aus der Sanitärabteilung handelte, eilte in den Pausenraum und fragte die anwesenden Mitarbeiter wer denn wohl wüsste, wo ich einen sogenannten Standhahnmutterschlüssel finden würde.
„Zweitunterste links, neben den Doppelspindeleckventilen“, scholl es hinter einer Zeitung hervor. Ich wetzte wieder los und traf Herrn Jelinek und den Kunden vor den Doppelspindeleckventilen an, griff neben diese und zog einen massiven Standhahnmutterschlüssel hervor.
„Bitte schön“, sagte ich und hielt Herrn Jelinek den Standhahnmutterschlüssel hin.
„Was soll ich damit?“, fragte Herr Jelinek, „was ist denn das?“
„Das“, sagte der Kunde, „ist ein Standhahnmutterschlüssel! Genau den brauche ich.“
„Na, da haben wir’s ja“, Herr Jelinek nahm mir den Schlüssel weg, „den hätten sie aber schneller finden müssen! - Sind die Haushaltsartikel schon eingeordnet worden?“
„Ich bin noch dabei. Es gebrach mir ein wenig an Zeit.“
„Dann stehen sie hier nicht so dumm rum! Von ihnen muss mal effizienter gearbeitet werden! Und eignen sie sich mal ein bisschen mehr Produktkenntnis an.“
„Sehr gerne, bevor mir Unmut entgegenschlägt.“
Ich ging wieder Besen einräumen, mit offenem Kittel, weil ich mir in dem albernen, bunten Janker wie eine Wurst in der Pelle vorkam, aber da kam der Kunde mit dem Standhahnmutterschlüssel zurück und entschuldigte sich, weil er vorhin etwas schroff gewesen war, und ich sollte den Kopf man nicht hängen lassen, ich würde schon wieder Arbeit finden, denn von mangelnder Leistungsbereitschaft hätte er bei mir nichts festgestellt.
Da musste Herr Jelinek gewaltig gequatscht und Dinge erzählt haben, die sonst niemanden etwas angehen!
Ich blieb trotzdem freundlich aber ‘Freddy the Brain’ kam entlang, den kannte ich, wie gesagt, auch von irgendwoher, und der legte feinsinnigen Humor an den Tag, indem er mich fragte, was das denn sei, während er auf einen Stubenbesen deutete.
„Das“, sagte ich, „ist ein Besen.“
„So so, das ist also ein Besen. Wofür braucht man den?“
„Zum fegen“, sagte ich mit bedeutsamem Gesicht.
‘Freddy the Brain’ lächelte mich an und fragte: „Kannst du mir das mal zeigen?“
„Herzlich gerne!“ Ich hielt ihm einen ähnlich prägnanten Vortrag wie ihn dereinst mein Ausbilder bei der Bundeswehr mit todernster Mine vor mir und den anderen Soldaten, die gerade eine gnadenlose Nahkampfausbildung erfolgreich absolviert hatten, gehalten hatte und bat ihn, das ‘Zurückzittern’ der Borsten zu beachten, nachdem ich mit der Hand über diese gestrichen war.
Freddy schenkte dem Vortrag wenig Beachtung, eher mir, und war dann der Ansicht, dass ich den Kittel irgendwo hin hängen und mit ihm ein Bier trinken gehen sollte.
„Unter den gegebenen Umständen kann eine derartige Vorgehensweise zu einer vorzeitigen Kündigung führen“, meinte ich entschuldigend, „ich brauch’ den Job, jedenfalls vorläufig noch. Ein Bier können wir ja später mal trinken.“
„Entschuldigen sie“, ein junger Mann hielt mir einen etwas zerknautschten Karton Umleimer vors Gesicht, „der ist beschädigt! Kann ich den preiswerter bekommen?“
„Das darf ich nicht entscheiden. Möglicherweise gibt ihnen unser Marktleiter Nachlass. Seien sie bitte so nett, und sagen sie an der Kasse Bescheid.“
„Ja, danke“, der Mann ging mit dem Umleimer weg und ‘Freddy the Brain’ war der Ansicht, dass ich, wenn ich ein richtiger Kerl wäre, Baumarkt Baumarkt sein lassen und jetzt mit ihm Bier trinken gehen würde.
Bevor ich das ausdiskutieren musste, kam glücklicherweise einer entlang und erkundigte sich nach dem Preis des Schweißgerätes, seins sei ihm leider kaputt gegangen, dabei steckte er mitten in der Restauration seines Oldtimers.
„Weil es das letzte ist, bekommen sie es zum Aktionspreis von 299 Euro“, sagte ich mit treuherzigem Gesicht während wir zu dem Schweißgerät gingen.
„Das geht. - Bekomme ich bei ihnen auch den passenden Draht? Kann ich bei ihnen auch die Gasflaschen tauschen?“
„Leider nein. - Es ist wie gesagt das letzte Gerät. Mit dem MIG 155/4/A lassen sich allerdings nur Bleche bis etwa 0,8 mm problemlos schweißen. Bei Rohren oder dicken Flacheisen ist die Leistung nicht ganz ausreichend.“
„Das reicht aus. Das Zubehör besorge ich mir gegebenenfalls bei der Konkurrenz. Danke für die Beratung.“
Als ich dabei war, ihm das Schweißgerät auf einen Wagen zu hieven, während er mir mit leuchtenden Augen von seinem Ovali-Käfer, Baujahr ’56 erzählte, an dem noch einige Schweißarbeiten zu erledigen seien, knallten alle verfügbaren Lautsprecher den Befehl, dass ich sofort im Büro zu erscheinen hatte, in die Halle.
„Tja, das bin ich“, sagte ich, „tut mir leid. Vielleicht sehen wir uns ja mal wieder, und dann schaue ich mir ihren Oldtimer an.“
„Gerne! Wir machen dann eine schöne Ausfahrt.“
Menschen, die einen Oldtimer restaurieren, sind irgendwie liebenswert. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dieser Mann seine Leute derart schikanieren würde wie mein momentaner Boss.
Als ich die Klinke der Bürotür in der Hand hatte, kam mir die dicke Frau, die sonst unablässig den Bildschirmschoner betrachtete, entgegen, murmelte: „Hat der wieder eine Scheißlaune!“, und entschwand.
Herr Jelinek parkte mich erst mal eine Weile ab, befahl mir, den Kittel zu schließen, wollte dann wissen, wieso ich so lange gebraucht hatte, zu ihm zu kommen und unterstellte mir dann, einem Kunden eigenmächtig einen Preisnachlass gewährt zu haben.
„Hab’ gerade das Schweißgerät verkauft“, sagte ich.
„Wurde aber auch langsam Zeit, dass das mal verkauft wird“, grummelte Jelinek und ließ, ohne mich anzusehen, etliche Vorwürfe wegen des Umleimers ab, während er viele Geldscheine zählte.
„’Möglicherweise’, habe ich zu dem Kunden mit dem Umleimer gesagt, Herr Jelinek. Ich habe noch keine Einweisung bekommen.“
„Sie werden morgen eingewiesen...“, fuhr Herr Jelinek fort und hielt mir einen Vortrag bis einer in buntem Kittel rein kam und meinte, dass irgendwo irgendein Vertreter für irgendwas stünde und den Marktleiter wegen irgendwelcher Artikel sprechen wollte.
„Um alles muss man sich hier selber kümmern!“, knurrte Herr Jelinek, kritzelte etwas auf einen Zettel, legte den zusammen mit den Scheinen in die Kassette, schloss die sorgfältig ab, steckte ebenso sorgfältig den Schlüssel ein, murmelte: „sie warten hier und fassen ja nichts an!“, und ging raus.
Die Geldkassette lachte mich an.
Über die Milchglasscheibe hinweg konnte ich sehen, wie Herr Jelinek sich in Richtung Gartenabteilung entfernte.
Und die Geldkassette lag auf dem Tisch vor mir und forderte mich auf, doch mal meine Fingerfertigkeit an ihr zu überprüfen. Aber ich erlag der Versuchung nicht, bog mir nicht eine Büroklammer zurecht und öffnete die Kassette nicht; - aber ich hätte es gekonnt!
Das geht nicht nur in guten Filmen, diese Dinger sind mit etwas Übung relativ leicht zu öffnen und wieder zu verschließen, sogar ohne sie anzufassen, wegen der Fingerabdrücke. Man sollte sie nur mit einem Lineal auf den Tisch drücken.
Ich griff mir einen Katalog. Als Herr Jelinek wieder kam, traf er mich einen Artikelkatalog des Baumarkts gewissenhaft studierend an.
„Was machen sie denn noch hier?“
„Ich eigne mir gerade Produktkenntnisse an. Sie haben doch gesagt, dass ich warten soll. - Außerdem habe ich auf die Geldkassette aufgepasst. Nicht, dass irgendwelche Spitzbuben entlang kommen und einer gewissen Versuchung nicht widerstehen können.“
„Was habe ich? Sind die Haushaltsartikel schon von ihnen eingeräumt worden?“
„Noch nicht ganz. Einige Kunden, die mich um Fachinformationen baten, hinderten mich an der Vollendung dieser Aufgabe. Und dann habe ich, wie gesagt, das Schweißgerät verkauft.“
„Beeilen sie sich gefälligst und trödeln sie nicht rum! Nichts als Ärger hat man mit diesen Langzeitarbeitslosen. - Und machen sie mal ihren Kittel zu! Das habe ich ihnen schon so oft gesagt! Bin ich denn nicht verstanden worden?“
„Doch, aber dieser hübsche Kittel ist ein wenig eng, ich kann mich darin nicht bewegen. Könnte ich einen größeren bekommen?“, fragte ich mit treuherzigem Gesicht.
„Soll ich etwa extra wegen ihnen einen maßschneidern lassen? Für die begrenzte Zeit, die ich sie ertragen muss? Da müssen sie mal weniger fressen und abnehmen.“
„Ich arbeite daran, aber wie sie sicher wissen, geht das nicht von heute auf morgen“, sagte ich.
„Sie müssen sich mal ernsthaft überlegen, ob ein Baumarkt die richtige Berufsperspektive für sie ist. Diese Langzeitarbeitslosen sollte man im Straßenbau einsetzen, aber nicht bei mir! Vielleicht treffen wir uns ja mal, wenn sie Teer in die Straßenritzen schmieren.“
„Vielleicht treffen wir uns ja mal in der Donnerkuppel!“, sagte ich und ging schnell weiter einräumen.
Dieser Baumarkt war mit Sicherheit nicht das Richtige für mich. Wenn es schon nicht zu einer Festanstellung kommen würde, wollte ich doch wenigstens meinen Spaß haben. Zur Not könnte ich ja noch Taxi fahren, zur Ortskundeprüfung sollte ich mich gelegentlich anmelden.

Wie sagt der Philosoph noch gleich:
Lasse deine Vorgesetzten nie wissen, dass du besser bist als sie.

Nach dem Einräumen der Besen schloss ich den Kittel und schlenderte mit wichtigem Gesicht ein wenig im Baumarkt umher, wie Heinz Rühmann durch seine Filme, die in einer Zeit gedreht worden waren, als alle Welt ’unter Druck von Oben’ marschierte.
Nachdem ich schätzungsweise fünf Minuten geschlendert war und den Kittel wieder geöffnet hatte, zog mich ein netter Mann zu den Dübeln und stellte mir schwere Fragen.
„Machen sie mal ihnen Kittel zu und gehen sie zu Fräulein Klotzke, sie haben doch gesehen, das die wieder mal nicht alleine klar kommt!“, brach Herr Jelinek in unser trautes Gespräch, als ich dem netten Mann die Funktion der Spreizdübel erklärte, „ich übernehme das hier! Anschließend können sie die leeren Kartons in den Container bringen. Aber werfen sie die nicht wieder so rein, die müssen vorher klein gemacht werden!“
„Ich habe noch nie ganze Kartons in Container geworfen“, sagte ich und ging schnell los, Fräulein Klotzke suchen.
Eine junge Dame im Baumarktkittel, die aussah wie Fräulein Klotzke, fand ich bei der Auslegeware, wie sie sich in Anwesenheit eines ständig auf die Uhr blickenden Mannes in Latzhose verzweifelt abmühte, mit einem offensichtlich stumpfen Schneider einige Meter Teppichboden von der Rolle abzuschneiden.
„Fräulein Klotzke?“
„Ja?“
„Darf ich ihnen helfen?“
„Ja, gerne. Halten sie bitte mal fest.“
„Natürlich. - Geben sie bitte mal her, den Schneider. Das kann man ja nicht mit ansehen, da gehört eine neue Klinge rein!“
„Ja, ich weiß, aber Herr Jelinek hat gesagt, die geht noch“, sie warf eine kurzen Blick auf den wartenden Mann in der Latzhose und fügte leise hinzu: „Ich könnte den Jelinek mit dieser stumpfen Klinge erstechen!“
„Sagen sie das bitte nicht zu laut. Moment mal.“
Ich holte eine neue Klinge aus dem Sortiment und setzte sie ein. Danach ging das Schneiden flugs von der Hand, und der Kunde war ausgesprochen angetan von dem ausgezeichneten Service, nachdem ich ihm geholfen hatte, die schwere Rolle Teppichboden im Auto zu verstauen. Sowas hatte er in diesem Baumarkt noch nie erlebt.
Für mich hatte diese Vorgehensweise den Vorteil, dass ich mich unauffällig zu der Gartenlaube Florida ab- und vor diese setzen konnte, um in Ruhe eine zu rauchen.
Hatte sich was mit Ruhe, nach etwa einer halben Zigarette kam Regine dazu, schüttelte ihre Haare in der Sonne, zündete sich auch eine Zigarette an und schnipste ein brennendes Streichholz von sich, „ach Hagen, lass uns mal wieder einen trinken, wie zu den guten, alten Zeiten ... Billard spielen und, wenn wir zünftig betrunken sind, ‘Red Roses for a blue Lady’ singen!“
„Klar, gerne, ich bin allzeit bereit.“
„Wo sind unsere Jungs und Mädels von früher eigentlich alle geblieben?“, wälzte sich Regine in Sentimentalität, „Nicole, Gerlinde, Edmund, Volker, Thomas ... die Typen heutzutage können alle nur noch saufen, da stehe ich nicht so drauf. - Komm’ doch heute Abend bei mir vorbei, wir teilen uns ein Fläschchen Teacher’s Highland Cream, wie zu guten, alten Zeiten. Du kannst dann auch bei mir pennen.“
„Das hört sich gut an. Wir werden sehen.“
„Vielleicht sollten wir die Mädels und Jungs von früher kontaktieren, und mal wieder richtig einen drauf machen.“
„Da habe ich auch schon dran gedacht.“
Regine begann nachdenklich den Rand des Preisschildes von der Gartenhütte Florida mit ihrem Feuerzeug anzubrennen.
„Ich denke, das wird sich machen lassen“, sagte ich und drückte meine Zigarette aus, „ich geh’ denn mal wieder. Der von uns allen so sehr geliebte und hoch geschätzte Marktleiter hat sicher wieder eine interessante Aufgabe für mich.“
„Davon bin ich überzeugt. - Warum machst du das hier eigentlich alles mit? Das war so ein toller Laden, ein tolles Betriebsklima, hat richtig Spaß gemacht, hier zu arbeiten, bevor der Jelinek hier ankam.“
„Aus ethischen Gründen. Konnte ich ja nicht wissen, vorher. Nachher heißt es wieder, die Arbeitslosen wollen alle nicht ... vielleicht bin ich auch Masochist. - Wir sehen uns dann nachher.“
Regine nickte nachdenklich und gab eine gewaltige Rauchwolke von sich.
Als ich dann eine Weile später am Altpapiercontainer stand und von niemandem belästigt zahlreiche Kartons klein riss, kam Herr Dahse entlang, zündete sich eine Zigarette an und fragte: „Hey Hagen. Kennst du den schon? Also, da liegt ein Döner beim Jelinek im Magen. Kommt ein Bier zum Döner. Fragt der Döner: „Wo kommst du denn her?“ Sagt das Bier: „Mich hat der Detlef spendiert.“ Kommt ein Ouzo dazu. Fragt der Döner: „Wo kommst du denn her?“ Sagt der Ouzo: „Mich hat der Detlef spendiert.“ Dann kommt ein Klarer in den Magen. Fragt der Döner: „Wo kommst du denn her?“ Sagt der Klare: Mich hat der Detlef spendiert.“ Kommt ein Weinbrand dazu. Fragt der Döner: „Wo kommst du denn her?“ Sagt der Weinbrand: „Mich hat der Detlef spendiert.“ Darauf der Döner: „Jungs, macht mal Platz, ich will mir diesen Detlef mal ansehen!“
Mitten in meinen Lacher knallte mir wieder die Order, sofort ins Büro zu kommen, ins Ohr.
Die dicke Frau, saß wie üblich Herrn Jelinek mit ausdruckslosem Gesicht gegenüber vor dem Computer, auf dem der obligate Bildschirmschoner lief.
„Was ich noch sagen wollte: Hier sind seltsame Gerüchte aufgetaucht. Lassen sie sich nicht einfallen, am Wochenende zu unserer Betriebsfeier zu kommen! Noch gehören sie nicht dazu und werden es auch nicht.“
„Natürlich nicht. Mein Stickclub trifft so ohnehin am Wochenende, ich habe noch etwas nachzuholen. - Aber ich möchte noch mal eben schnell die Kartons zuende entsorgen.“
„Ja, das müssen sie auch! Frau Kuchenbäcker wird ihnen später alles Nötige erklären, wenn sie damit fertig sind. - Ich möchte es auch mal so gut haben wie sie und die anderen Schmarotzer, die sich ‘Arbeitslose’ nennen. Wahrscheinlich komme ich hier wieder nicht vor zwei Uhr morgens vom Schreibtisch weg, aber das sieht ja keiner. Und machen sie den Kittel zu und schwirren sie endlich ab, ich habe hier noch zu tun!“
„Herzlich gerne.“ Ich lächelte der dicken Frau zu und ging wieder, um die Kartons weiter klein zu machen.
Einige Kartons später kam Herr Lindemann zu mir und erwähnte, dass er gerade acht Meter Gardinen verkauft hatte.
„Eine beachtliche Leistung“, sagte ich, zündete mir eine Zigarette an und hielt ihm das Päckchen hin.
„Mein Gott, wir dürfen doch hier nicht bei dem Altpapier rauchen!“
„Stimmt“, sagte ich und nahm einen tiefen Zug.
„Ich soll gucken, ob du die Kartons auch ordentlich klein machst“, sagte Herr Lindemann, „dabei kommt der jeden Abend selber kontrollieren.“
„Wie, der Chef persönlich kontrolliert das Altpapier?“
„Nicht nur das! Der kontrolliert alles! Der kontrolliert sogar die Spinde. Bestimmt hat der für alle einen Schlüssel. - Damals, bei der Vorabendserie hatten wir auch einen ...“
Herr Lindemann war mal kurzzeitig Schauspieler in irgendeiner längst vergessenen Serie, vor vielen, vielen Jahren, aber er zehrt heute noch davon.
Ich dachte an Regine während Herr Lindemann von irgendwelchen Episoden während der Drehs erzählte, wie toll und künstlerisch anspruchsvoll das gewesen war, im Gegensatz zu seiner jetzigen Situation.
„Kann ich natürlich verstehen, dass es schmerzt, als gestandener Schauspieler im Baumarkt jobben zu müssen“, sagte ich nachdenklich.
„Das kann man wohl sagen“, seufzte Herr Lindemann, „aber ich kriege bestimmt mal wieder eine Rolle in einer Serie.“
„Vielleicht sollten sie nicht darauf warten und selber mal was in Gang bringen.“
„Wie denn?“
„Arbeiten sie doch selber mal das Konzept für eine Serie aus! Vielleicht eine Serie, die in einem Baumarkt spielt.“
„Gute Idee, vielleicht sollte ich das machen.“
„Klar sollten sie das machen. Betrachten sie doch ihre Arbeit hier lediglich als Studie. Hier haben sie die perfekte Grundlage für Kabale, Intrigen und der Mätzchen, von denen jede Daily Soap lebt.“
„Das sind keine Daily Soaps, das sind Vorabendserien.“
„Entschuldigung, konnte ich ja nicht wissen. Aber das ist doch mal eine Überlegung wert.“
Herr Lindemann nickte nachdenklich, ich konnte förmlich sehen, wie der Vorspann vor seinem geistigen Auge ablief, von Idee über Buch und Regie bis hin zum Hauptdarsteller: Alexander Lindemann.
„Sie können natürlich noch den Typen mit der Baumarktmacke einsetzen“, setzte ich noch einen drauf.
„Wie? Baumarktmacke?“
„Naja, da ist einer, der wollte schon immer im Baumarkt arbeiten, wie andere Lokomotivführer werden wollen. Aber keiner will ihn einstellen. Da lässt er sich einen lustigen, bunten Kittel schneidern, läuft im Baumarkt rum, räumt Regale ein und berät die Kunden.“
„Aber das fällt doch auf.“
„Wieso soll das auffallen? Es fällt erst auf, als er zum Marktleiter avanciert, weil er seinen Job so gut macht.“
„Das ist doch völlig unglaubwürdig.“
„Stimmt. Es ist unglaubwürdig, dass einer Marktleiter wird, wenn er seinen Job gut macht, in der Tat. Sieht man ja hier.“
Ich trat meine Zigarette aus und wandte mich demonstrativ den Kartons zu.
„Naja, eigentlich wäre Herr Schließer dran gewesen, mit Marktleiter werden. Aber wenn die Order vom Chef persönlich kommt, kannst du nix machen. Wir Schauspieler können uns ja auch nicht gegen die Anweisung des Regisseurs sperren“, sagte Herr Lindemann nachdenklich und trat seine Zigarette sehr sorgsam aus.
„Möglicherweise stellt sich später heraus, dass der Baumarkt nur eine Abteilung der Irrenanstalt ist, die finanzieren die Anstalt damit“, setzte ich noch einen drauf. „In England haben die ja früher auch die Leute gegen Eintritt durch die Irrenanstalten geführt und die Einrichtung damit finanziert. Das ist hier allerdings verboten. In den Wahrendorfschen Anstalten haben die ja auch eine Gärtnerei. Warum nicht eine Anstalt mit Baumarkt?“
„Ich glaube nicht, dass das Quote bringt“, sagte Herr Lindemann.
„Oder eine Krimiserie in einem Baumarkt“, bemerkte ich, „eines Tages sitzt der Marktleiter tot in der Gartenlaube Florida, erstochen mit einem Nagel aus der Werkzeugabteilung, oder erwürgt mit einer Kordel aus der Gardinenabteilung. Aber keiner sagt Bescheid, weil sie alle froh sind, dass der nicht rumläuft und nervt.“
„Ist doch völlig unglaubwürdig. Seine Frau würde doch ...“
„Er ist geschieden. - Die anfallenden Arbeiten werden von den jeweiligen Mitarbeitern erledigt. Die nageln die Gartenlaube Florida zu, fahren sein Auto in die heimische Garage und schließen ab. - Die Sache fliegt erst auf, als der Laden viel besser läuft als vorher.“
„Ich kann’s mir ja mal überlegen. - Ach, ehe ich es vergesse“, er gab mir eine Autogrammkarte. „Hier Hagen, die wolltest du ja haben, aber wir sind ja ganz davon abgekommen.“
„Ja, in der Tat“, ich steckte die Karte ein, um ihn nicht zu kränken.
„Möchtest du vielleicht heute Abend zu mir kommen?“, fuhr er fort, „die anderen kommen auch, wir wollen mal wieder einen trinken.“
„Frust ersäufen, ja? Weiß ich noch nicht, ich sag’ noch Bescheid.“
Die letzten platten Kartons passten nicht mehr in den Papiercontainer, absolut voll, nicht mal mit der guten alten Konstruktionsregel der Kollegen vom Bau: ‘Mach’s etwas größer und hau solange drauf, bis es passt’, war etwas zu machen. Ich schmiss die Pappen in den Holzcontainer daneben und ging ins Lager, Bescheid sagen und Kaffee trinken. Herr Lindemann kam mit.
„Ich weiß, die Pappe sollte gestern schon abgeholt werden“, sagte Herr Ohlinger, „aber jetzt kommt er am Freitag. Ist ihm wohl was dazwischen gekommen. - Willst du einen Kaffee und einen Negerkuss?“, er klappte einen Karton auf und hielt mir die Negerküsse vors Gesicht, „die hat mir vorhin der Fahrer von Monde Delikat geschenkt, ‘waren ihm sozusagen ‘runtergefallen’.“
„Gerne“, ich nahm einen Negerkuss und aß ihn mit Genuss, Herr Lindemann auch.
„Ist sowieso Blödsinn, die Sache mit dem Recycling“, sagte Herr Ohlinger und beugte sich wieder über die Tastatur seines Computers, „die Hölzer hauen die sowieso gleich in die Verbrennungsanlage, es lohnt sich nicht, da groß zu trennen. Papier geht ja noch an, da machen die Tapeten und sowas draus.“
„Wie Tapeten?“
„Naja, so Raufaser und so. Erst mal einen Papierbrei, aus recyceltem Papier, und dann kommen Fichtenholzkrümel dazu“, glänzte Herr Ohlinger mit seinem Fachwissen.
„Ich geh’ denn mal“, sagte Herr Lindemann, „wir sehen uns dann heute Abend bei mir.“
Er ging weg, kam gleich wieder rein, rief: „Jelinek kommt!“ und war blitzartig verschwunden.
„Scheiße“, sagte Herr Ohlinger, stellte die Negerküsse weg und professionell einen Fuß auf eine Palette voller Schokoladentäfelchen, Gummibärchen, Lakritztaler und bunten Bonbons, „das Zeugs hier müsste eigentlich neben die Kasse, ‘bin gerade fertig mit Einlisten.“
„Dann bringe ich die doch mal eben hin“, sagte ich, „wo ist der Hubwagen?“
„Warum sind die Süßigkeiten noch nicht nach vorne gebracht worden?“ Herr Jelinek war wieder da.
„Mach’ ich mal eben, Herr Ohlinger hat mich gerade darum gebeten“, sagte ich und ging los, den Hubwagen suchen. Den fand ich bei den Bauhölzern und einem Mann, der emsig dabei war, schwere Arbeitsplatten für die Küche umzuschichten.
„Moment, ich fass’ mal mit an, zu zweit geht’s besser.“
„Oh, danke.“ Wir asteten die schweren Platten durch die Gegend.
„Idiotisch“, knurrte der Mann anschließend, „kein Mensch vermutet die Arbeitsplatten bei den Türen. Wieder eine Schnapsidee vom Jelinek, und ich darf schleppen wie ein Blöder, als wenn ich nichts anderes zu tun hätte. Die Kunden suchen sich dann tot.“
„Stimmt“, sagte ich, „dadurch stiehlt er ihnen etwas, was nicht mehr wiederzubringen ist: Ihre Zeit!“
„Ah, ein kleiner Philosoph.“
„Nein, ich bin hier nur der Praktikant.“
„Ah, ja. Hab’ davon gehört, dass hier ein Praktikant sein soll. Mergenkuhl, ich bin hier für die Holzabteilung zuständig.“
„Von Wegen. Ich brauche den Hubwagen mal eben.“
„Bitte schön! Und wenn sie den Jelinek sehen, hauen sie ihm bitte den Hubwagen auf den Kopf!“
„Warum machen sie das nicht selber?“
„Es dauert nicht mehr lange.“
„Dann beeilen sie sich bitte, ich habe so das dumpfe Gefühl, als ob jeder hier unheimlich heiß darauf ist, den von uns allen so sehr geliebten und hoch geschätzten Marktleiter mit einem Doch im Rücken zu sehen.“
Bevor wir weiterhin in Phantasien schwelgen konnten, näherte sich eine bleiche junge Dame. Schlabberpullover, Rucksack, birkenverstockt, und wollte wissen, ob die Tischlerplatten auch garantiert nicht aus genmanipulierten Hölzern gefertigt seien.
Der arme Herr Mergenkuhl, ich entfernte mich unauffällig mit dem Hubwagen und karrte sodann die Süßigkeiten neben die Kasse. Dort fing mich Herr Jelinek ab, bevor ich mit Regine etwas plaudern konnte, drückte mir einen Schlüssel in die Hand und bemerkte, dass die Ameise aus dem Außenlager geholt werden müsse.
Na gut, ich brachte den Hubwagen ins Lager, setzte mich auf den Gabelstapler, diesen in Gang und fuhr damit über den Parkplatz ins Außenlager. Dort band ich die Ameise an den Stapler und zerrte sie ins Lager. Die Batterien seufzten glücklich auf, als ich den Stecker der Ameise in die passende Dose steckte.
Ich brachte den Schlüssel zurück und räumte diverse Kleber, Montagebänder und Klebestreifen ein.

Zwischendurch stellte ich fest, dass kaum jemand etwas aufhob,
wenn es ihm runtergefallen war.
Vielmehr kickte er solange damit rum,
bis es unerreichbar unter einem Regal lag.

Ich hatte gerade mal fünf Minuten geräumt, da kam Herr Schließer entlang und sagte: „Sie sollen mal eben zu Herrn Jelinek rein kommen!“
„Was will der denn?“ fragte ich.
„Keine Ahnung“, sagte Herr Schließer mit einfühlendem Gesichtsausdruck, „lassen sie sich nicht unter kriegen.“
„Vernahm ich soeben einen Hauch von Sarkasmus?“
„Nein, ganz gewiss nicht, Herr von Wegen. Ich möchte nur nicht in ihrer Haut stecken.“
„Da müssen wir durch!“, sagte ich und fügte noch an: „Das Ende ist bereits abzusehen!“
Wie gut, dass Herr Schließer den Umfang dieser Bemerkung nicht erkannte, mir auf die Schulter klopfte und sagte: „Sie machen das schon!“
Den Mundgeruch des Herrn Jelinek hatte ich für kaum noch steigerungsfähig gehalten, doch ich täuschte mich aufs Allerbrutalste und bedauerte die dicke Frau, die mit ihm in einem Raum weilte.
„Was meinen sie wohl, was das hier ist, Herr Langzeitarbeitsloser?“, Herr Jelinek mit drohendem Unterton. Er meinte wahrscheinlich die Pappstücke, die vor ihm auf dem Tisch lagen.
„Sieht aus wie die Rudimente des einen Kartons, die ich ordnungsgemäß entsorgte.“
„Und wie, meinen sie, Herr Langzeitarbeitsloser, sind die in den Altholzcontainer gelangt?“
„Kann ich mir nicht erklären; - vielleicht der Mossad?“
„Was heißt ‘der Mossad’?“
„Der Mossad ist so was wie der israelische Geheimdienst.“
Die dicke Frau verließ den Raum etwas überstürzt.
Herr Jelinek sah mich an, wie ein Heckenschütze im Hinterhalt, der seine potentielle Zielperson erkannt hat und im Begriff ist, den Haltepunkt genau zwischen den Augen anzuvisieren. Er sagte einige Atemzüge lang nichts, kniff nur die Augen zusammen und bewies sodann tiefgründigen Humor, indem er mir mit feistem Grinsen einen Fuchsschwanz in die Hand drückte. Darauffolgend trug er mir auf, den Kittel zu schließen um sogleich das alte Regal auf dem Hof derart zu zerkleinern, dass es in dem Altholzcontainer so wenig Raum wie möglich einnahm.
Die kleine Säge war derart stumpf, dass ich etwa eine halbe Stunde gebraucht hätte, ihm damit den Kopf abzusägen. Als ich vorsichtig anfragte, ob ich mir wenigstens eine Bügelsäge nehmen dürfte, lief er dunkelrot an und ging auf mich los wie eine Speinatter auf ihr potenzielles Futtertier, so von Wegen, ich sollte mir ja nicht einfallen lassen, mir in die Hand zu sägen, als Langzeitarbeitsloser hätte ich es ohnehin verlernt, schnell und effizient zu arbeiten, das könnte er mir im Endeffekt nicht auch noch beibringen, er hätte Wichtigeres zu tun, bei ihm sei die Nacht eingebrochen worden, während er hier gesessen hatte, um die Feier am Wochenende zu organisieren.
Zog sich ein Weilchen hin, dieser Vortrag.
Strenggenommen müsse er eigentlich Zuhause sein, fuhr Herr Jelinek gnadenlos fort, aber er könne den Laden hier ja nicht alleine lassen, mit all diesen Stümpern. Er müsste dringend die Liste der gestohlenen Gegenstände anfertigen, aber das könnte ich mir sicherlich nicht vorstellen, wahrscheinlich hätte ich als Langzeitarbeitsloser sowieso nichts, was einen Einbruch lohnen würde.
„Ich hab’ mal Synchronschwimmen gemacht“, sagte ich, „aus der Zeit habe ich noch ein paar Pokale. Meine geschiedene Großtante hat mal gesagt, dass die wertvoll sind, die versteht was von Pokalen, sie hat früher mal Rhythmische Sportgymnastik gemacht, so mit dem Ribbon und so, wissen sie, dann wurde sie schwanger und hat mal kurze Zeit Radball gespielt. Seit ihrer Schwangerschaft hat sie allerdings eine gewaltige Oberweite, was ihr ein paar Rückenprobleme eingebracht hat, war auch nichts mehr mit Radball. Jetzt ist sie Geherin. Neulich habe ich sie mal getroffen, sie möchte gerne Rhönrad turnen. Wissen sie, wo man hier Rhönrad turnen kann?“
Aus Herrn Jelinek löste sich ein Geräusch, das ein Gärbottich von sich gibt, bevor er platzt. Ich flüchtete ins Lager und trank dort mit Herrn Ohlinger wunderbaren Kaffee. Leider hatte der auch keine ordentliche Säge, und wir unterhielten uns ein wenig über Altpapier, und darüber, dass es im Grunde egal ist, ob man altes Holz ins Altpapier wirft und umgekehrt.
„Die schmeißen das sowieso gleich in die Verbrennungsanlage, das juckt keinen toten Hamster“, meinte Herr Ohlinger, und dann kam einer rein und erkundigte sich nach den Kabeltrommeln.
„Wäre ja eigentlich Geishas Job“, sagte der, „aber Jelinek musste Geisha ja freisetzen und mir ‘Elektro’ auch noch aufdrücken. Scheiße, wie soll ich das alles schaffen?“
„Weiß ich auch nicht. Bin gerade am Einlisten“, sagte Herr Ohlinger und stellte uns vor: „Herr Michaelis, Baustoffe. - Herr von Wegen, Praktikant.“
Zu dritt lästerten wir ein wenig über unseren geliebten Marktleiter, und Herr Michaelis erzählte, dass Herr Jelinek groß und breit erzählt hatte, dass bei ihm die Nacht eingebrochen worden sei; - alle Möbel im Chippendalestil weg und der Rest verwüstet. Es fiel nicht auf, dass ich so breit grinste wie eine Kanalratte im Klärbecken einer Schnapsbrennerei. Das taten wir alle, und Herr Michaelis erzählte von seinem Plan, dem Jelinek Frischhaltefolie auf das Klo zu spannen und dieses unter Hochspannung zu setzen.
„Nicht schlecht“, sagte ich, „aber um ihn umzubringen, brauchen wir eine etwas höhere Spannung. Vielleicht kriegen wir ihn ja an die Fahrleitungen der Bundesbahn ...“ ‘hätte ein wenig Cognac gefehlt bei diesem Brainstorming unter Männern, aber wir hatten nur Kaffee bei der Ausarbeitung dieses Plans.
„Vielleicht schwebt er ja am Wochenende mit seinem Fallschirm in eine Überlandleitung“, sagte Herr Michaelis, „die hat 765 000 Volt, das dürfte reichen.“
„Wie kriegen wir ihn da rein?“, fragte Herr Ohlinger.
„Tja“, grübelte ich laut vor mich hin, „hier stehen doch jetzt überall diese Windkraftanlagen rum, die aus Wind elektrische Energie machen. Nach dem Gesetz der Erhaltung der Energie, kann man aus elektrischer Energie auch Wind machen. Wenn wir ein Paar von den Dingern umpolen, können wir ihn mit diesen Propellern in die Überlandleitung pusten.“
Wir nickten nachdenklich und ich erklärte den Herren Michaelis und Ohlinger dass sich die Propeller drehen und Wind erzeugen, wenn man aus dem Stromnetz Leistung entnimmt, bis sich der Lautsprecher meldete und Herrn Michaelis in die Elektroabteilung rief. Der zuckte bedauernd die Achseln, trank seinen Becher aus, murmelte: „Da sollten wir dran bleiben!“, und entschwand mit wehendem Kittel.
Als ich mich anschickte, meinen Kaffeebecher auszuwaschen, kam Herr Dahse entlang, fragte nach irgendwelchen Tapeten und gab bei der Gelegenheit einen zum Besten: „Jelinek sitzt im Wohnzimmer und liest gemütlich die Zeitung, als seine Frau von hinten rankommt und ihm das für eine derartige Story unabdingbare Nudelholz über den Schädel drischt. ‘Aua, was soll denn das?’ fragt Jelinek. ‘Das’, sagt seine Frau, ‘war für den Zettel in deiner Hosentasche, auf dem der Name Regine stand!’ - ‘Vor zwei Wochen war ich beim Pferderennen’, sagt Jelinek, ‘und Regine hieß der Gaul, auf den ich gewettet habe.’ - ‘Oh, das tut mir aber leid’, sagt seine Frau, ‘das hätte ich wissen müssen.’ - Drei Tage später, als Jelinek vorm Fernseher sitzt und sich das Spiel Werder gegen Schalke anguckt, drischt sie ihm wieder das Nudelholz über den Schädel, diesmal etwas stärker, was ihn sofort umhaut. Als Jelinek wieder zu sich kommt, fragt er: ‘Was soll das denn schon wieder?’ Ihre Antwort: ‘Dein Gaul hat eben angerufen!’
Herr Dahse schien irgendwie Begeisterung zu erwarten.
„Wie?“, fragte ich, „hat unsere Regine etwa ein Verhältnis mit Herrn Jelinek? - Das kann ich mir ja überhaupt nicht vorstellen!“
„Ich denke, ihm seine Frau ist ihm weg“, sagte Herr Ohlinger, „wie ist denn das Spiel Werder gegen Schalke ausgegangen?“
Herr Dahse schlug sich mit der Hand an die Stirn und murmelte: „Mein Gott! Ihr begreift auch gar nichts! - Ich habe von einer Studie gelesen, die in den letzten Jahren durchgeführt wurde. Die besagt, dass mehr Geld für Brustimplantate und Viagra ausgegeben wird als zur Verhütung von Alzheimer! Was schließen wir daraus?“
Wir zuckten die Achseln.
„Erzähl!“ sagte Herr Ohlinger.
„Ist doch logisch! In zwanzig Jahren laufen eine ganze Menge alter Leute mit riesigen Titten und hammerharten Erektionen in der Gegend rum, die sich nicht erinnern können, was sie damit anfangen sollen."
Leuchtete irgendwie ein.
„Aber Alzheimer hat auch Vorteile“, sagte ich, „man lernt jeden Tag neue Leute kennen. - Wer bist du denn?“
Herr Dahse schüttelte den Kopf und trollte sich. Ich wusch noch schnell die Becher aus, enterte den Gabelstapler, fuhr mit diesem auf den Hof und dort mit dem Stapler das Regal klein. Machte richtig Spaß, die Aktion, zumal ich mir vorstellte, die Einrichtungsgegenstände des Herrn Jelinek klein zu machen. Dauerte nicht lange, bis ich das Regal auf Frühstücksbrettchengröße zerkleinert und in den Altholzcontainer geworfen hatte.
Ich brachte den Gabelstapler zu Herrn Mergenkuhl zurück. Da saß Herr Dahse und sagte: „Hey Hagen. - Ich fang noch mal an.“ Offenbar hatte er gerade begonnen, einen Witz von sich zu geben. „Jelinek geht in eine Bar, packt sich einen Hocker und sieht am anderen Ende der Theke eine ganz heiße Schnecke, die dort alleine sitzt. Er bestellt ein Bier für sich und einen Drink für die Braut. Da sagt der Barkeeper zu ihm: „Vergiss es, sie ist eine Lesbierin!“ - „Scheißegal“, antwortet Jelinek, „stell den Drink hier hin, ich bringe ihn selber rüber.“ Das macht der Barkeeper, Jelinek nimmt den Drink und sein Bier, steht auf, geht zu der Braut, setzt sich neben sie und sagt: „So, Baby, aus welchem Teil von Lesbien kommst du denn?““
Wir lachten etwas gequält und diskutierten einen Becher Kaffee lang, in welcher Kneipe sich das abgespielt haben könnte. Zu einem definitiven Ergebnis kamen wir nicht, und ich wollte mich in den Pausenraum setzen, um in Ruhe eine Zigarette zu rauchen und über Wichtigeres nachdenken, zum Beispiel, ob ich zu Regine gehen sollte oder nicht, weil ich von dem Rumgelaufe ziemlich platt war, oder doch lieber Taxifahrer werden sollte, weil man da überhaupt nicht rumlaufen muss.
Ich schaffte es anschließend tatsächlich in den Pausenraum, rauchte eine Zigarette, trank einen Becher lausigen, magenfreundlichen, entkoffeinierten Kaffee, aß einen Schokoriegel und wollte mich gerade wieder auf den Hof begeben, da kam Herr Jelinek rein und wollte wissen, was ich denn hier triebe, ohne mich bei ihm abgemeldet zu haben.
„Ich war soeben im Begriff, dieses zu tun“, sagte ich. „Anschließend möchte ich gerne Kartons weiter entsorgen. Das ist ja enorm, was hier so an Altpapier anfällt!“
„Das Entsorgen kann später vom ihnen gemacht werden. Sie haben doch gesehen, dass zurzeit viele Kunden im Markt sind. Da müssen sie mal hingehen und fragen, ob sie ihnen helfen können. Ist doch logisch! Aber benehmen sie sich ordentlich und machen sie ihren Kittel zu!“
„Natürlich“, sagte ich, verkniff mir die Bemerkung: ‘Derartiges ist mir in diesem Baumarkt noch nie passiert, aber wenn es sie freut, mach ich das gerne.’ und zog los.
„Und denken sie dran, die Kunden sind wichtiger als alles andere“, rief er mir noch nach, „und machen sie endlich ihren Kittel zu! Danach können sie den Hof fegen!“
Tatsächlich fing mich einer, der mit ratlosem Gesicht vor dem Regal mit Tapeten gestanden hatte, ab und wollte wissen, wie viele Rollen Raufasertapete er für sein Schlafzimmer brauchte.
„Wie groß ist denn ihr Schlafzimmer?“, fragte ich.
„Ja, so normal.“
Eine gute Antwort, ich wollte gerade die Quadratmeter überschlägig ausrechnen, da kam er mit der nächsten Frage raus, was für Holz in Raufaser sei.
„Fichtenholz“, sagte ich, Herr Ohlinger hatte es erzählt, als wir bei ihm gesessen und Kaffee getrunken hatten, schien Ewigkeiten her zu sein.
„Haben sie denn auch so einen Apparat, die Tapete einzukleistern?“
„Sie meinen ein Kleistergerät mit Dosiereinrichtung? Selbstverständlich.“
Dauerte eine Weile, ihm das Gerät zu erklären. Schließlich legte er es in den Wagen und suchte sich noch Kleister aus während er ständig irgendwelche Fragen stellte, aber nie eine Antwort abwartete.
Ich machte mir weiter keine Gedanken und zog mich anschließend auf den Hof zurück, eine Zigarette rauchen.
Da wurde nichts draus. Kaum hatte mir eine Zigarette angezündet und den Besen zur Hand genommen, kam einer mit einem Lastkraftwagen auf den Hof gefahren.
„Hey“, rief der Mann, nachdem er den Motor abgestellt und ausgestiegen war, „wo ist denn Hans-Peter?“
„Herr Ohlinger? Der ist im Außenlager, glaube ich.“
„Hab’ hier drei Paletten Rigips für euch. Muss gleich weiter. Es fängt gleich an zu regnen, wie es aussieht. - Kannst du mir die mal eben abnehmen?“
„Von Herzen gerne“, sagte ich, holte, weil Herr Ohlinger nicht da war, den Gabelstapler aus dem Lager und fuhr damit die Gipsplatten hinein. Ich unterschrieb ein paar Zettel und wir rauchten noch eine Zigarette zusammen, während derer mir der Fahrer eine kleine Geschichte vom Stau zwischen Hämelerwald und der Autobahnabfahrt Lehrte Ost erzählte. War aus meiner momentanen Gemütslage heraus ungefähr so interessant wie Binderfarbe beim Trocknen zu beobachten. Erst als der Trucker wissen wollte, wie es den ‘dem Arschloch Jelinek’ ginge, und ob den endlich jemand totgeschlagen hätte, wurde ich ein wenig hellhörig.
„Wieso dieses?“, fragte ich mit treuherzigem Gesichtsausdruck, „was hast du denn gegen unseren von uns allen über alle Maßen geliebten und hochgeschätzten Marktleiter?“
„Das Arsch? Das letzte Mal hatte er aus irgendeinem Grunde keine Zeit gehabt und hat gesagt, ich soll in einer Stunde wiederkommen. Als wenn ich nichts anderes zu tun hätte! Scheiße, mein nächster Stop war in Ilsede! Hin und zurück in einer Stunde einschließlich abladen, das mach’ mir mal vor! Hab’ ich ihm gesagt, aber das juckte den gar nicht. Ich bin dann hin, abladen, und wieder zurück, eineinhalb Stunden, und das blöde Arschloch beschwert sich bei meinem Chef, weil ich nie pünktlich bin. Das waren eineinhalb Stunden für’n Arsch, und wie ich dann in Ronnenberg bin, haben die schon Feierabend gemacht, und ich sitz da mit fünfzig Sack Schnellzement. - Scheiße!“
„Das würde mir aber auch stinken“, sagte ich lakonisch.
„So, mein Lieber, ich muss weiter! Grüß Ohlinger schön und hau rein!“
„Mach ich. - Und denk dran: Wer später bremst, ist länger schnell!“
„Was?“
„Egal. Möge die Straße vor dir frei und eben sein!“
Der gute Mann guckte etwas irritiert und fuhr vom Hof. Ich fegte noch ein Weilchen vor mich hin. Als ich meiner Ansicht nach genug gefegt hatte, besah ich mir den Hubwagen, der in der hintersten Ecke des Hofes stand und still vor sich hinrostete. Ihm fehlten wirklich nur zwei Schrauben um das Rad, welches neben ihm lag, wieder anzuschrauben. Die Schrauben holte ich mir nebst Muttern und Zahnkränzen aus dem Regal mit den Schrauben und schraubte das Rad wieder an.
Als Herr Ohlinger wiederkam, wollte er, nachdem wir uns auf die Rigipsplatten gesetzt und jeder einen Becher Kaffee in den Händen hatte, wissen, wie denn besagte Platten in sein Lager gelangt waren.
„War einer da, der hat die gebracht“, sagte ich und nahm einen Schluck Kaffee, „ich soll dich schön grüßen.“
„Von Lothar?“
„Der hat sich nicht vorgestellt. War ein blauer LKW. Der Mann hat sich ein wenig blasphemisch über unseren hoch geschätzten Herrn Jelinek ausgelassen.“
„Kann nur Lothar gewesen sein! - Sag mal, wie hast du das Zeug überhaupt hier rein gekriegt?“
„Mit Jenem dort!“ Ich deutete mit dem Kopf auf den Gabelstapler.
„Hast du überhaupt einen Staplerschein?“
„Was ist das denn, ein Staplerschein?“
„Mensch, lass dich nicht erwischen, sonst gehst du ab!“
Wir blödelten noch einen Becher Kaffee lang vor uns hin, Herr Dahse kam auch dazu, trank einen Kaffee und erzählte uns derweil einen Hoffnungsträger: „Also, nachdem es Jelinek endlich erwischt hat, steht er im Himmel vor Petrus. Der ist total erstaunt: „Sie hier? Wie haben sie denn das Tor gefunden?“ “
Nach einem herzlichen Ablacher ging ich zu Herrn Jelinek und meldete Vollzug, was die Reinigung des Hofes betraf. Der kam gucken, sah zur Uhr, stellte fest, dass ich ja wohl sehr lange gebraucht hatte und wollte wissen, wer denn den Hubwagen repariert hatte. Als ich kurz erwähnte, dass ich mir erlaubt hatte, dieses zu tun, ließ er sich mit abscheulichem Vokabular über den Rest der Belegschaft aus, die noch nicht mal in der Lage ist, einen simplen Hubwagen in Ordnung zu bringen.
So konnte es kommen, ich sah auch zur Uhr, stellte fest, dass ich schon längst Feierabend gemacht haben müsste, aber Jelinek meinte, ich sollte mich nicht so haben und da meine Faulheit zum Himmel stinken würde, könnte ich ruhig noch ein Weilchen bleiben und irgendwelchen Kram einsortieren.
Unter normalen Umständen wäre ich ja auch noch geblieben, aber für meinen ersten Tag, so glaubte ich, hatte ich als Praktikant, der kein Geld kriegt, genug geleistet.
Jelinek sah das anders, aber das ist eine andere Geschichte.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Ja der Baumarkt

Hagen, eine hübsche Geschichte, die sich wohltuend von der Baumarktserie in der Leselupe abhebt (das gilt auch für meinen eigenen Beitrag irgendwann mal).

Beim Lesen habe ich aber für die Schlusspointe fast erwartet, dass du beim Gehen achtlos deine Kippe in eines der Gartenhäuschen geschnippt hättest.

Gern gelesen und mich amüsiert … Gruß vom Ironbiber
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Hagen, sollte ich Dich etwas inspiriert haben?!? Ironbiber spricht gar von einer "Serie". Wo ist die zu finden? Auf jeden Fall ist Dein Beitrag sehr amüsant, leider wieder zu lang, weshalb ich erstmal eine Lesepause einlegen muss.
Du solltest die Anrede "Sie" aber groß schreiben, sonst kommt man leicht ins Schleudern. Und den Namen Jelinek willst Du beibehalten? Den Namen einer Nobelpreisträgerin im Baumarkt? Naja, dort gibt es ja nichts, was es nicht gibt und geht nicht, gibt es dort auch nicht. ;-)
(Übrigens, wo gehen alle Männer an einem Brückentag und an einem Samstag hin? - Genau.)
LG Doc (den Praktikanten hast Du bei mir geklaut, gib's zu ;-)
 

Hagen

Mitglied
Hallo mein Eisenbiber,

Danke fürs Lob, ich bin ganz gespannt auf Deine Baumarktgeschichte.
Eine Schusspointe habe bewusst nicht vorgesehen, da diese Geschichte ausnahmsweise hart an der Realität vorbeischrammt.
Nur bei den etwas frechen Antworten habe ich mir etwas ‘dichterische Freiheit‘ gestattet, weil mir diese Antworten immer erst hinterher eingefallen sind.
Ich bin dann doch lieber Taxifahrer geworden; - zum Arbeiten zu alt, für die Rente zu jung, was bleibt ist Taxifahrer.
Davon habe ich lang und breit in der LL berichtet.

Es grüßt Dich
Hagen

____________
nichts endet wie geplant!
 

Hagen

Mitglied
Hallo Doc,

Natürlich hast Du mich auch inspiriert, durch Deine ‘Baumarktgeschichte‘. Seltsamerweise findet man solche in der letzten Zeit gehäuft überall in der LL.
Diese Story bewegt sich hart an der Grenze der Realität, wie fast alle meine Geschichten; - ich muss somit den Vorwurf des Plagiats hart zurückweisen!
Aber was den Jelinek betrifft; - der Bursche hieß wirklich so!
Ich habe ihn einige Tage später mal auf Elfriede Jelinek, die österreichische Schriftstellerin, angesprochen, speziell auf den Literaturnobelpreis für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen.
Die Reaktion Jelineks war: „So, so Schriftstellerin. Nie gehört. Die sollte lieber arbeiten als irgendwelches Zeugs zu schreiben. Ich brauche dringend noch eine Schreibkraft!“
Leider bin ich nicht mehr dazu gekommen, hätte es aber gerne noch gebracht.

Aber meine Geschichte beschreibt nur den ersten Tag, war auch schon lang genug, aber lieber ein langer, als mehrere kleine Texte.

Nun ja, wenn man viele Männer mit ratlosen Gesichtern an einem Brückentag und an einem Samstag sehen möchte, geht man wohin? – Genau!

Küss die Hand, gnädige Frau.
Es grüßt Dich
Hagen

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nichts endet wie geplant!
 



 
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