ins schwarze - haiku

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B

Beba

Gast
Hallo Rhea,

dein Text gefällt mir, auch von der Idee her. Nur ein Problemchen habe ich damit. Ein Haiku sollte immer einen Moment, einen Augenblick, das Jetzt abbilden. Du schilderst hier einen Verlauf und wanderst ggf. gar noch durch die Jahreszeiten, wobei eine bestimmte Jahreszeit auch ein typisches Merkmal des Haiku ist (siehe kigo). Nur deshalb und nicht, weil mir dein Text nicht gefällt, jetzt mal ganz frech eine Variante:

zweige im mondlicht
die blüten verweht -
kirschbaum, wo bist du?


Würde aber niemals behaupten, dass der Text dadurch besser wird. ;) Nachhall haben beide allemal nach meinem Geschmack.

LG
BeBa
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Da ich mir beim Haiku nicht völlig über die Form sicher bin, eine Frage:

Der letzte Satz: "Kirschbaum, wo bist du?" ist formal eine Frage, eigentlich aber bedeutet es: Der Kirschbaum ist nicht mehr da (nicht mehr zu erkennen, versteckt.) Ist das genügend konkret? Es ist ja eine Betrachtung von außen. Ich sehe den Kirschbaum nicht mehr.

Ist das zulässig oder verstößt es formal gegen die Form?

Im übrigen gefällt mir das Gedicht.
 
B

Beba

Gast
Hallo Bernd,

ich verstehe deine Frage. Und sie ist durchaus berechtigt. Ich würde hier auch eher zu Senryu tendieren. Der Baum steht ja noch da. Es ist allerdings kein Kirschbaum mehr in dem Sinne, wie der Mensch ihn sich vorstellt. "Kirschbaum" ist ja eh nur eine Vorstellung, ihn gibt es sowieso nicht (wenn man es zu Ende spinnt), und da sehe ich den enormen Nachhall dieses Textes.
Allerdings werden die Grenzen zwischen Haiku und Senryu immer weiter verwischt. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob nicht selbst die alten Haiku-Meister solche Fragen in ihren Haikus hatten. Wäre mal eine Nachforschung wert.
Ich habe mir abgewöhnt, zu akribisch und streng zu urteilen, wenn gewisse Regeln noch eingehalten werden. Ist vielleicht wirklich nicht mehr zeitgemäß.

LG
BeBa
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich hatte gerade erst angefangen, es etwas genauer zu nehmen ... :)

Erst durch unsere Diskussionen kam ich überhaupt auf diese Frage.
 

Rhea_Gift

Mitglied
Hallo,

um die Fragen zu klären - etwas, das leuchtet, kann zugleich verwehen - Kontrast zum Kirschbaum, der still steht, aber ins Scharze, nicht Sichtbare entschwindet - Blüte durch Leuchten im Mondlich trotz Verwehen immer noch da... hier ist ein Moment geschildert, kein Verlauf.

Fragen sind wie Imperative (horch, ...)erlaubt in Hailkus, die alten Meister haben solches ebenfalls verwendet - denn wer fängt denn den Moment ein? Genau, der Mensch... dennoch: es geht um ein Naturphänomen, das Menschen, aber auch Tiere erfahren - in nur einem Moment... der Mensch als Naturwesen - das bleibt er hier...

LG und lieben Dank für die rege Auseinandersetzung! :)

Rhea
 
B

Beba

Gast
Hallo Rhea,

um die Fragen zu klären - etwas, das leuchtet, kann zugleich verwehen - Kontrast zum Kirschbaum, der still steht, aber ins Scharze, nicht Sichtbare entschwindet - Blüte durch Leuchten im Mondlich trotz Verwehen immer noch da... hier ist ein Moment geschildert, kein Verlauf.
nun, diese Gedankengänge kommen durch den Text bei mir nicht an. Und sie sind in meinen Augen für ein Haiku auch viel zu kompliziert. Das Haiku selbst sollte immer klar und natürlich sein, die Gedanken danach und der Nachhall dürfen natürlich komplizierter werden.

Und was die Frage angeht: es ist schon klar, dass der Mensch die Situation einfängt, er bringt aber beim Haiku in der Regel nichts Persönliches hinein, sondern bleibt als Beobachter ganz außen vor. Daher ist Bernds Einwand nach meiner Ansicht durchaus berechtigt.

Ist aber, wie immer, allein meine Ansicht.

LG
BeBa
 

Rhea_Gift

Mitglied
Hallo beba,

Beispiele für meine Behauptung:

Ja, Schnecke, besteig den Fuji,
aber langsam, langsam! (Issa)

Auch wohlwollend betrachtet:
das Gesicht im Spiegel
zeigt kalte Züge. (Issa)

In Kyoto bin ich
doch beim Schrei des Kuckucks
sehn ich mich nach Kyoto.

(Basho)

Sommergras ist alles,
was geblieben ist,
vom Traum des Kriegers.

(Basho)

Ein Frosch springt ins Wasser,
horch, der Laut! (Basho)

Er sieht mich an, der Frosch -
doch was macht er für ein Gesicht?

(issa)

Tiefer Herbst,
mein Nachbar -
wie mag's ihm gehen?

(Basho)

Soviel zu den Regeln.... ;)

Mit der schweren Vorstellbarkeit hast du vielleicht Recht -

vielleicht:

blüten im mondlicht,
sie wirbeln, leuchten, fallen -
wo ist der kirschbaum?​
>> so wären die blüten im Vordergrund und erst die Frage führt zum Baum (die Zweige machten ihn vielleicht vorher zu sichtbar?)


LG, Rhea
 

Rhea_Gift

Mitglied
zweige im mondlicht
die blüte leuchtet, verweht - -
kirschbaum - wo bist du?



oder so deutlicher?

blüten im mondlicht,
sie wirbeln, leuchten, fallen -
wo ist der kirschbaum?​



>> ich bitte um Meinungen...
 
B

Beba

Gast
Hallo Rhea,

solche Beispiele der alten Meister hatte ich bei meiner Antwort an Bernd auch im Sinn. Daher gilt ja: keine Regel ohne Ausnahmen. Jedoch ich halte es für gewöhnlich damit: zunächst einmal regelkonforme Haiku schreiben, bevor man den Ausnahmen der alten Meister nacheifert.

LG
BeBa
 

Rhea_Gift

Mitglied
ach, ich halte nichts von erzwungener lern-chronologie - ich hab schon einige haikus geschrieben, sicher nicht meisterhaft - dennoch treibt die spielfreude weiter :)

lg, rhea
 
B

Beba

Gast
Hallo Rhea,

ach, ich halte nichts von erzwungener lern-chronologie - ich hab schon einige haikus geschrieben, sicher nicht meisterhaft - dennoch treibt die spielfreude weiter
das muss gewiss jeder selbst wissen. ;) Hauptsache ist doch, man versteht die Materie und weiß daher Kritik richtig einzuschätzen. Leider führt, wie man auch hier immer wieder lesen kann, die Spielfreude allein nicht zu wirklichen Haikus.

LG
BeBa

p.s. Ich habe ein wenig den Eindruck, dass du mir meine Kritik übelnimmst. Sorry dafür, ich werde mich mäßigen. ;)
 

Rhea_Gift

Mitglied
Nö, nehm ich dir nicht übel... man darf doch gern verschiedener Meinung sein :)
...aber Haikus wie diese sind genauso Lernfelder wie regelkonforme - und der Ausnahmen sind so viele (das hier ja nur ne Auswahl der Ausnahmen), dass die Frage nach den Regeln nicht so abhält, sich an solchen Ausnahmen zu versuchen ;)

LG, Rhea
 
B

Beba

Gast
Hallo Rhea,

mein Problem mit dem Text habe ich ja schon im ersten Kommentar genannt. Das Problem der Frage am Schluss ist für mich nebensächlich, und damit auch deine Beispiele.
Für mich bleibt es dabei, dass der Text einen Verlauf und keinen Moment schildert (daher habe ich mir den Gegenvorschlag erlaubt). Deine Erklärungen überzeugen mich hier nicht.
Ich möchte noch mal betonen, dass mir deine erste Version gut gefällt bis eben auf das Manko, dass es keinen Moment festhält. Deine zusätzliche Version, die du hier eingestellt hast, ist einfach nur schlecht. Sie klingt nicht mehr und kommt auch nicht wirklich an.

LG
BeBa
 
H

Heidrun D.

Gast
Bernd hat Recht, liebe Rhea.

Es handelt sich in beiden Fällen nicht um ein Haiku, wobei die erste Version deutlich besser ist.
Andererseits ist das "verwehte Leuchten" schon zu bildhaft, also gegen die geforderte emotionslose Darstellung einer Momentaufnahme.

Denkst du dir den Titel noch weg (der ja nicht "erlaubt" ist), bleibt nicht viel. - Nicht verstimmt sein ... ;)

Heidrun
 

Rhea_Gift

Mitglied
nun, ich verstehe zwar nicht ganz euer Problem, da ich nicht verstehe, das ein Moment nicht leuchten und verwehen kann (eben beim verwehen die Blüte aufleuchtet im Mondlicht), da das anscheinend nicht verstanden wird, nochmal geändert...

LG, Rhea
 

Rhea_Gift

Mitglied
ps - der Titel steht ja mit Absicht nicht drüber, ist mir schon klar, dass Haikus keinen Titel haben... ist nur ne Thread-Bezeichnung.

Ich hab halt das Bild vor Augen - hoffe, jetzt kommt es besser rüber...

LG, Rhea
 



 
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