intransitiv

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werther

Mitglied
Der Strick machte ein knartschendes Geräusch, als er zweimal kräftig an ihm zog. Der war fest. Das war sicher. Er konnte zwar auf dem großen Dachbalken etwas nach links und rechts rutschen, aber das pendelte sich schon ein, bestimmt, dachte er. Auch die Höhe passte. Es würde nicht schön sein, aber klappen, mit Sicherheit. Zufrieden setzte er sich auf die alte Holzkiste und zog den Brief aus der Tasche. Den wollte er auch schon vor sich auf den Boden legen, dann kamen ihm jedoch Zweifel. Er öffnete den Umschlag und las das Schreiben doch noch einmal durch. Fast ein Dutzend Male hatte er es bereits gelesen - lang war es ja nicht, aber wichtig. Er las nochmal, nur zur Sicherheit. Zufrieden blickte er auf das letzte Wort. Das war gut, das hallte nach. Es würde seine Wirkung mit Sicherheit nicht verfehlen. Er lächelte. Dann schob er das Schreiben zurück in den Umschlag, doch dabei sprang ihm ein anderer Begriff ins Auge. Für den Brief war dieses Wort nicht ausschlaggebend, deshalb hatte er beim Schreiben nicht weiter darüber nachgedacht, für den ganzen Vorgang jedoch, war es von zentraler Bedeutung. Mit zusammengekniffenen Augen sprach er es leise vor sich hin: „aufgehangen … aufgehangen…“ Das klang irgendwie falsch. Das klang irgendwie nach Wäsche, einem Handtuch oder einer Jacke. Passte das? Das konnte nicht stimmen, mit Sicherheit nicht. Er dachte nach, dachte „aufgehängt!“ – das musste es sein. Aber passt denn das wirklich besser? Das klang so nach einem Bild. Natürlich könnte man die Formulierung auch einfach umgehen, aber er müsste doch wohl dazu im Stande sein, diesen einen Satz richtig zu schreiben, so wie er war. Während er im Kopf Beispiele durchging, starrte er auf das Papier. Er fand es nicht. Wütend sprang er auf, knüllte den Brief zusammen und warf ihn mit Wucht in die nächste Ecke. Dann kam er wieder zu sich. „Und jetzt?“ Wortlos konnte er doch nicht gehen, ohne Erklärung war das nicht zu machen. Zu viele offene Fragen würden bleiben, zu viele Unsicherheiten würde er hinterlassen. So konnte er nicht abschließen. Der zerknüllte Zettel lag unweit von ihm in einer schmutzigen Ecke. Da er sich bücken musste, um ihn aufzuheben, stieß er sich den Kopf hörbar an einem Balken an. Er fluchte laut. Von unten drang eine fragende Stimme. Wie ertappt schaute er auf seine Uhr. Sie musste bereits nach Hause gekommen sein. Sein Blick fiel auf den Strick mit der verräterischen Schlinge, dann auf die alte Kiste darunter. Er hörte bereits ihre Schritte auf der knartschenden Treppe. Schnell trat er die Kiste weg, warf den Strick zurück über den Balken und versteckte ihn dort. Er setzte ein Lächeln auf, als sie die Tür öffnete. „Ich hab Geräusche gehört - was machst du denn eigentlich hier oben?“, fragte sie. „Mir den Kopf stoßen“, sagte er. Sie sah ihn wortlos an.
 

Paloma

Mitglied
Guten Morgen Werther,

zum Teil fühle ich mich erwischt. Wie oft überlegt ein Schreiberling, ob das Wort so oder so geschrieben wird, oder ob es gar überhaupt das richtige am richtigen Platz ist. Ob es genau das aussagt, was man meint … für mich gibt es keine Synonyme.

Hier haben die Tücken der deutschen Sprache dem Protagonisten (einstweilen) das Leben gerettet. Gerade bei den Verben kann man schon mal verzweifeln.

Der erste Satz. Müsste das Geräusch nicht im Plural stehen? Er zieht zweimal an dem Strick. Oder macht der Strick nur beim ersten Mal ein Geräusch – das wird nicht klar.

Ansonsten, gerne gelesen.

Liebe Grüße
Paloma
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Werther, das Wort "knartschen" ist mir nicht geläufig - ich finde es auch nirgends; kann es sein, dass du "knarzen" meinst? Davon abgesehen habe ich es sehr gerne gelesen, ein Schelmenstück :) Was mir fehlt, ist ein Fingerzeig, wie alt der Protagonist ist - ist er in der Pubertät? LG - herziblatti
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
ist er in der Pubertät?
Als ich das las, habe ich herzlich gelacht. Welch Pubertierender macht sich heutzutage wirklich Gedanken, ob er sich aufgehängt oder aufgehangen hat? Der weiß doch höchstens, wie man abhängt.

Zum Henker - vielleicht schreibt er lieber: "Ich werde mich gehenkt haben?" Auf die Idee, dass man sich vielleicht auch einfach nur "erhängen" kann, ist der Prot nicht gekommen. Vielleicht doch ein Pubertierender?
Ein Schreiberling kann der Prot wohl nicht gewesen sein.

Scheißegal! Den Text fand ich gut. Und das ist ja wohl die Hauptsache.

Gruß Ralph
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Ja, die Schönheit und Macht der Sprache wird erst im Angesicht des Todes sichtbar. Drum haben es sich die großen Dramatiker der Antike auch nicht nehmen lassen, ihre Helden und Protagonisten am Ende irgendwie erdolchen, erschlagen, ersaufen oder sonst irgendwie ihres Kopfes verlustig werden zu lassen. Da ist kaum mal ein Recke friedlich im Bett gestorben.

Begeistert wollte ich mir bei Wikipedia noch etwas Hintergrundwissen über Transitivität und Intransitivität anlesen, habe dieses Vorhaben aber sogleich abgebrochen – das ist ja richtig fettig, was da steht! Ich bleibe dabei – ich kann beide Formen erkennen und anwenden, muss aber nicht unbedingt wissen, warum ich das kann.

Eine nette Geschichte mit Pointe, die durch gliedernde Absätze allerdings etwas leichter zu lesen gewesen wäre. Aber sei’s drum:

Well done … Ironbiber
 

Vagant

Mitglied
Hallo Werther, sehr schöner Plot, sauber geschrieben. Das hat mir gut gefallen.
Vielleicht zwei, drei Anmerkungen: Im letzten Absatz (bzw. irgendwo in den letzten 7 Zeilen) gefällt mir die "fragende Stimmen" nicht. "Stimme" würde hier reichen.
Der Satz "Wie ertappt schaute er auf die Uhr" flutscht irgendwie auch nicht so recht. Vielleicht wäre hier ein Sprung hinaus aus dem Erzählbericht in die Gedankenrede besser. "Ertappt!"; einfach so.
Die Pointe (nur Kopf gestoßen...) könnte man vielleicht mit einem Stammeln (äh...äh...) und irgendeinem verlegenes Fummeln an sonst was einleiten. Auf der Bühne würde man dies wohl Timing nennen. Aber alles nur Kleinigkeiten.
Vagant.
 

werther

Mitglied
Der Strick knartschte, als er zweimal kräftig an ihm zog. Der war fest. Das war sicher. Er konnte zwar auf dem großen Dachbalken etwas nach links und rechts rutschen, aber das pendelte sich schon ein, bestimmt, dachte er. Auch die Höhe passte. Es würde nicht schön sein, aber klappen, mit Sicherheit. Zufrieden setzte er sich auf die alte Holzkiste und zog den Brief aus der Tasche. Den wollte er auch schon vor sich auf den Boden legen, dann kamen ihm jedoch Zweifel. Er öffnete den Umschlag und las das Schreiben doch noch einmal durch. Fast ein Dutzend Male hatte er es bereits gelesen - lang war es ja nicht, aber wichtig. Er las nochmal, nur zur Sicherheit. Zufrieden blickte er auf das letzte Wort. Das war gut, das hallte nach. Es würde seine Wirkung mit Sicherheit nicht verfehlen. Er lächelte. Dann schob er das Schreiben zurück in den Umschlag, doch dabei sprang ihm ein anderer Begriff ins Auge. Für den Brief war dieses Wort nicht ausschlaggebend, deshalb hatte er beim Schreiben nicht weiter darüber nachgedacht, für den ganzen Vorgang jedoch, war es von zentraler Bedeutung. Mit zusammengekniffenen Augen sprach er es leise vor sich hin: „aufgehangen … aufgehangen…“ Das klang irgendwie falsch. Das klang irgendwie nach Wäsche, einem Handtuch oder einer Jacke. Passte das? Das konnte nicht stimmen, mit Sicherheit nicht. Er dachte nach, dachte „aufgehängt!“ – das musste es sein. Aber passt denn das wirklich besser? Das klang so nach einem Bild. Natürlich könnte man die Formulierung auch einfach umgehen, aber er müsste doch wohl dazu im Stande sein, diesen einen Satz richtig zu schreiben, so wie er war. Während er im Kopf Beispiele durchging, starrte er auf das Papier. Er fand es nicht. Wütend sprang er auf, knüllte den Brief zusammen und warf ihn mit Wucht in die nächste Ecke.
Dann kam er wieder zu sich. „Und jetzt?“ Wortlos konnte er doch nicht gehen, ohne Erklärung war das nicht zu machen. Zu viele offene Fragen würden bleiben, zu viele Unsicherheiten würde er hinterlassen. So konnte er nicht abschließen. Der zerknüllte Zettel lag unweit von ihm in einer schmutzigen Ecke. Da er sich bücken musste, um ihn aufzuheben, stieß er sich den Kopf hörbar an einem Balken an. Er fluchte laut. Von unten drang eine fragende Stimme. Wie ertappt schaute er auf seine Uhr. Sie musste bereits nach Hause gekommen sein. Sein Blick fiel auf den Strick mit der verräterischen Schlinge, dann auf die alte Kiste darunter. Er hörte bereits ihre Schritte auf der knartschenden Treppe. Schnell trat er die Kiste weg, warf den Strick zurück über den Balken und versteckte ihn dort. Er setzte ein Lächeln auf, als sie die Tür öffnete. „Ich hab Geräusche gehört - was machst du denn eigentlich hier oben?“, fragte sie. „Mir den Kopf stoßen“, sagte er. Sie sah ihn wortlos an.
 

werther

Mitglied
Der Strick knartschte, als er zweimal kräftig an ihm zog. Der war fest. Das war sicher. Er konnte zwar auf dem großen Dachbalken etwas nach links und rechts rutschen, aber das pendelte sich schon ein, bestimmt, dachte er. Auch die Höhe passte. Es würde nicht schön sein, aber klappen, mit Sicherheit. Zufrieden setzte er sich auf die alte Holzkiste und zog den Brief aus der Tasche. Den wollte er auch schon vor sich auf den Boden legen, dann kamen ihm jedoch Zweifel. Er öffnete den Umschlag und las das Schreiben doch noch einmal durch. Fast ein Dutzend Male hatte er es bereits gelesen - lang war es ja nicht, aber wichtig. Er las nochmal, nur zur Sicherheit. Zufrieden blickte er auf das letzte Wort. Das war gut, das hallte nach. Es würde seine Wirkung mit Sicherheit nicht verfehlen. Er lächelte. Dann schob er das Schreiben zurück in den Umschlag, doch dabei sprang ihm ein anderer Begriff ins Auge. Für den Brief war dieses Wort nicht ausschlaggebend, deshalb hatte er beim Schreiben nicht weiter darüber nachgedacht, für den ganzen Vorgang jedoch, war es von zentraler Bedeutung. Mit zusammengekniffenen Augen sprach er es leise vor sich hin: „aufgehangen … aufgehangen…“ Das klang irgendwie falsch. Das klang irgendwie nach Wäsche, einem Handtuch oder einer Jacke. Passte das? Das konnte nicht stimmen, mit Sicherheit nicht. Er dachte nach, dachte „aufgehängt!“ – das musste es sein. Aber passt denn das wirklich besser? Das klang so nach einem Bild. Natürlich könnte man die Formulierung auch einfach umgehen, aber er müsste doch wohl dazu im Stande sein, diesen einen Satz richtig zu schreiben, so wie er war. Während er im Kopf Beispiele durchging, starrte er auf das Papier. Er fand es nicht. Wütend sprang er auf, knüllte den Brief zusammen und warf ihn mit Wucht in die nächste Ecke. Dann kam er wieder zu sich.
„Und jetzt?“ Wortlos konnte er doch nicht gehen, ohne Erklärung war das nicht zu machen. Zu viele offene Fragen würden bleiben, zu viele Unsicherheiten würde er hinterlassen. So konnte er nicht abschließen. Der zerknüllte Zettel lag unweit von ihm in einer schmutzigen Ecke. Da er sich bücken musste, um ihn aufzuheben, stieß er sich den Kopf hörbar an einem Balken an. Er fluchte laut. Von unten drang eine fragende Stimme. Wie ertappt schaute er auf seine Uhr. Sie musste bereits nach Hause gekommen sein. Sein Blick fiel auf den Strick mit der verräterischen Schlinge, dann auf die alte Kiste darunter. Er hörte bereits ihre Schritte auf der knartschenden Treppe. Schnell trat er die Kiste weg, warf den Strick zurück über den Balken und versteckte ihn dort. Er setzte ein Lächeln auf, als sie die Tür öffnete. „Ich hab Geräusche gehört - was machst du denn eigentlich hier oben?“, fragte sie. „Mir den Kopf stoßen“, sagte er. Sie sah ihn wortlos an.
 



 
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