kahlschlag

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Perry

Mitglied
kahlschlag


die geräusche aus der küche hören sich an,
als würdest du gerade kaffee kochen.
ich eile durch den flur … aber da ist niemand.

die pappeln am bach blühten noch nicht, als du gingst.
spitz und hoch ragten sie in den himmel
wie lanzen ostalpiner krieger aus der hallstattzeit.

es gab immer viel zu reden, die neuesten kleidertrends,
wo das wasser am blausten, saubersten ist
oder was du gerade modelliert, gebrannt hast.

an der garderobe hängt dein buntgestreifter schal,
der beim rodeln lustig hinter dir herflatterte,
mit dem du mich an dich gezogen hast, damals.

ich schreibe einen leserbrief für den erhalt der pappeln,
auch wenn ihre pollen heuschnupfen verursachen,
gehören sie doch zum bach wie du zu mir.
 
H

Heidrun D.

Gast
Das gefällt mir sehr.

Eigentlich in einem sehr lakonischen Ton gehalten, so nebenher erzählt ... doch gerade deswegen wirkt es besonders aussagestark auf mich.

Liebe Grüße
Heidrun
 
B

bluefin

Gast
ich hör und seh schon wieder, wie gesagt wird, das sei kein gedicht, sondern "nur" formatierte prosa, bar jedweder lyrik.

ich finde das nicht - der schal und der leserbrief hindern mich daran.

wie, bitte, hört es sich an, wenn die mädelz in der küche kaffee "kochen"? die einzigen spezifika wären meiner meinung nach die geräusche einer mechanischen kaffeemühle (aber die zeit ist vorbei und wurde meist vom jüngling übernommen) oder sie surr-, schnapp- und grummelgeräusche einer modernen maschine. das pfeifen des wasserkessels allein lass ich nicht gelten: heißes wasser bräucht's auch für tee. vielleicht riecht man ihn ja, den kaffee?

und die "ostalpinen krieger aus der hallstadtzeit", die finde ich sprachlich ganz grauenvoll neben einem in wehmut versinkenden herzen. die hätten da meiner meinung nach nix verloren, jedenfalls nicht in dieser völkerkundlichen spezialausgabe. lässt sich da nicht was weniger pathetisches finden?

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Perry

Mitglied
Hallo Heidrun,
freut mich, dass dir die leise Melancholie in den Zeilen gefällt.
Danke fürs Hineinspüren und LG
Manfred

Hallo bluefin,
es sind verdichtete Bilder mit einer vergleichenden Aussage, was den Kahlschlag von Pappeln und Gefühlen anbelangt, gegen den sich das LI hier stemmt und somit für mich ein Stück weit auch Lyrik.
Die Geräusche beim Kaffeemachen können durchaus individuell erkennbar sein, wenn man diese Zeremonie viele Jahre lang gelebt hat. Da kann es schon sein, dass man glaubt, das leise Klirren des Löffels auf dem Unterteller oder das Klacken des Deckels auf der Zuckerdose in seiner Erinnerungsfantasie zu hören.
Wenn du schon einmal Bilder von Lanzen der ostalpinen Krieger in der Hallstattzeit gesehen hättest, würde es dich vielleicht nicht wundern, dass ich sie hier für den Pappelvergleich verwendet habe und pathetisch ist dieser Vergleich auf keinen Fall. Ansonsten ist es einfach ein Stilelement von mir, solche kleine Besonderheiten in meine Texte einzubauen. Sicher würden sich auch noch andere Anknüpfungspunkte finden wie, die Pappeln fungieren hier als Erinnerungswächter etc., aber da will ich jetzt gar nicht wieter rumfantasieren.
Jedenfalls danke ich dir für dein Interesse und die lyrische Fürsprache.
LG
Manfred
 
B

bluefin

Gast
deckel auf zuckerdose und löffel im teller haben nichts mit dem aufbrühen von kaffee zu tun. es hilft nichts - das "kaffe kochen hören" ist ein logischer fehler, über den man stolpert.

gegen deine lanzen und die krieger daneben hat niemand was - es gibt gotische, römische, griechische, persische und sonstwelche. "ostalpine hallstadtzeit" sagt vielleicht knochentrocken ein fremdenführer, kein eben von seiner liebe verlassener: das dichtet nicht, sondern zerspreißelt das feeling (jedenfalls das des walfisches). es klingt wie: "blind vor kummer aß ich eine öko-dinkel-kastenbrotschnitte."

muss doch nicht sein, oder?

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Perry

Mitglied
Hallo bluefin,
damit du dich nicht umsonst so ins Zeug gelegt hast, ändere ich das Kaffee kochen in Kaffe machen, dann ist genügend Spielraum für die Klapperfantasie.
Das Lanzenbild hat nichts mit "zerspreißeln" zu tun, sondern mit Blickwechsel, man lenkt das lesende Auge bewusst von den weiter entfernten Pappeln auf ein subjektives Detail des Erzählers, hier auf den Vergleich der Pappeln mit lanzentragenden Kriegern (Totenwächtern) und die verbindet das LI eben mit den ihm bekannten ostalpinen Kriegern. Solche Blick- bzw. Szenenwechsel kannst du bei einigen modernen Lyrikern finden. Natürlich ist das Geschmackssache, ich mag das eben.
LG
Manfred
 

Perry

Mitglied
kahlschlag


die geräusche aus der küche hören sich an,
als würdest du gerade kaffee machen.
ich eile durch den flur … aber da ist niemand.

die pappeln am bach blühten noch nicht, als du gingst.
spitz und hoch ragten sie in den himmel
wie lanzen ostalpiner krieger aus der hallstattzeit.

es gab immer viel zu reden, die neuesten kleidertrends,
wo das wasser am blausten, saubersten ist
oder was du gerade modelliert, gebrannt hast.

an der garderobe hängt dein buntgestreifter schal,
der beim rodeln lustig hinter dir herflatterte,
mit dem du mich an dich gezogen hast, damals.

ich schreibe einen leserbrief für den erhalt der pappeln,
auch wenn ihre pollen heuschnupfen verursachen,
gehören sie doch zum bach wie du zu mir.
 
B

bluefin

Gast
ja schon, lieber @perry. mag ja sein, dass dein lührisches ich mit ostalpin und hallstadt was anfangen kann - die leser nicht. die haben schon ein problem, sich eine kahle silbepappel als krieger mitsamt lanze zu denken. aber gleich noch randalpin und hallstädtisch? wie soll das gehen? denk doch: ich bin ein doofer walfisch! ich weiß vielleicht was von pelagischen kopffüßlern und von harpunen und harpunieren, aber selbst wenn ich meine kurzsichtigen äuglein schließe, vermag ich mit hallstadt und ostalpin nichts rechtes anzufangen...*bubbles*...

kaffe machen ist cool.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

Perry

Mitglied
Hallo bluefin,
als Leser muss man ja auch nicht alles wissen, es genügt doch sich die Lanzen vorzustellen und über den Detailspleen des Dichters zu schmunzeln. Für die Neugierigen bietet sich dann immer noch das Internet an, mit seinem unerschöpflichen Bilder- und Informationsreichtum. Es lebe der Mut zur Lücke!
LG
Manfred
 
B

bluefin

Gast
mein lieber @perry - ich wette, ein hellenischer speerwerfer gäbe eine tausendmal bessere figur ab als dein randalpiner sichelfußhallodri. nö, da google ich lieber nicht nach. und überhaupt - wer beim gedichtelesen nachschlagen muss, um weiterzukommen, ist wie einer, der mitten im schäferstündchen die gebrauchsanweisung auf dem kondompackerl liest: das törnt ab, und selbst die sehnsüchtigste muse verflüchtigt sich.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

revilo

Mitglied
Hallo Perry,

das Interpretieren überlasse ich den lieben Mitlesern und - innen, die davon mehr verstehen als ich. Du inzsenierst die perfekte Melancholie und vermeidest dabei jeglichen Rückgriff auf Herz- Schmerz - Lyrik. Du spielst sehr gekonnt mit trüben Bildern, verbreitest dabei aber eine Hoffnung, die zumindest mir sehr gut tut. Das ist einfach klasse! Sehr beeindruckt von revilo
 

Perry

Mitglied
Hallo Revilo,
ich denke auch, dass es genauso wichtig ist, einen Text zu fühlen, wie ihn zu verstehen.
Danke für deine Reflexion und LG
Manfred
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Perry,
na ja, warum damit hinter dem Berge halten, wenn es was zu loben gibt?
Dachte ich mir, denn dein Gedicht hat mich gleich beim ersten Lesen ziemlich gepackt.
Ich bin wohl eher der Leser, der nicht so sehr hirngesteuert liest. Ich lass es auf mich wirken, und dein Gedicht wirkt stark und ich lese es von Anfang bis Ende und stolpere nirgends, auch nicht über ostalpine Krieger..., das passt, das eine reiht sich ans andere, irgendwas fängt an zu schwingen, das ist für mich das Entscheidende.
Natürlich hat jeder seinen eigenen Geschmack. Aber bei mir ist das eher selten, dass ich ein Gedicht lese und direkt spüre: da schwingt was, da kommt gleich was rüber.
Oder anders ausgedrückt: Da stehen nicht nur die Worte, da steht was zwischen den Worten. Bei mir kommt das an, ein absolut gelungenes Gedicht!
LG wüstenrose
 

Pola Lilith

Mitglied
lanzen ostalpiner krieger aus der hallstattzeit.

Hallo Perry,

auch mich hat dein Gedicht berührt, schließe mich hier aber dem Münchner an, was die lanzen ostalpiner krieger aus der hallstattzeit angeht. Das wirkt für mich hier aufgesetzt und stört daher, denn der Rhythmus des "Mitschwingens" wird dadurch unterbrochen, weil man an dieser Stelle nachdenken, wenn nicht gar darüber "grübeln" muß. Liebe Grüße, Pola
http://www.pola-lilith.de
 
Hallo Perry,

als ich deinen Text "erfühlte", spürte ich die Wehmut in den Zeilen, die das Vergangene beleuchten. Wundervoll!

Lieber Gruß,
Estrella
 

Perry

Mitglied
Hallo Pola,
danke, dass du den Text noch einmal hervorholst.
Natürlich sind die Lanzen ostalpiner Krieger ein etwas ungewöhnliches Bild, aber Lyrik darf auch mal anspruchsvoll in dr Wahl von Vergleichen sein. Mir ging es hier darum die Pappeln als eine Art Wächter darzustellen.
LG
Manfred

Hallo Estrella,
danke fürs Hineinfühlen und LG
Manfred
 

Vivi

Mitglied
Hallo Perry,
möchte für Deinen Kahlschlag eine "Lanze brechen"!
Mir gefällt Dein "gemischter Text". Und meinen Kaffe schütte ich öfters mit der Hand, also ohne Maschine und mit kochendem Wasser,wie auch den Tee, auf.
Lieben WE-Gruß, Vivi
 

Perry

Mitglied
Hallo Vivi,

"Kaffee machen" kann vieles umschreiben, vom Hantieren mit der Maschine bis zum Selberaufbrühen (lächel).
Danke fürs Lanze brechen und LG
Manfred
 



 
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