lautlos

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S

scarda

Gast
Zitat: „Anfängerlein bittet um Meinung“

Und meine Meinung dazu: so ein Kommentar unter den eigenen Zeilen zerstört doch alles. Wer sich selbst so in’s kindisch Kleine zieht, kann doch nicht mit einer ernsthaften Beschäftigung mit dem darüber stehenden rechnen. Oder doch?

Die x-te Variation der Unmöglichkeit eines „lautlosen Schreis“. Als Bild kommt da bei mir zuerst Munch hervor, verfängt sich aber bereits in den ersten Versuchen das Gedicht laut zu lesen. Betone ich nun in der ersten Zeile das Adjektiv oder das Verb? Betonung auf „lautlos“ wäre zwar „gewöhnlicher“ will aber inhaltlich nicht so passen. Beim zweiten Anlauf also das „schreie“ stimmlich hervorgehoben.
Die zweite Zeile passt im Sprachstil meiner Meinung nach nicht zur ersten. Eine Formulierung „auf dass du“ klingt altbacken und so gar nicht dynamisch und aggressiv, wie die erste Zeile angefangen hast. Und dann gleich noch mal die die nächste Unmöglichkeit: „auf dass du mich nicht hörst“. Weiß dass lyrische Ich eigentlich, was es will?
Ich entschließe mich die mir gestellte Frage mit einem „offensichtlich nicht“ zu beantworten, schließlich geht es im folgenden weiter, dass das LI eine Frage an eine zweite Person stellt, diese aber auch wieder nur eine Verklausulierung einer Fragestellung an sich selbst darstellt. „errate mich“ fährt das LI fort wie ein kleines Kind, befiehlt dem Gegenüber zu sprechen und ist sich doch bewusst, dass das Gegenüber keine Chance hat gegen das ständige Schreien des LI anzukämpfen. Und wie soll ich mir erklären, was mit „kann nicht fort und doch nicht bleiben“ gemeint sein soll?
Spätestens jetzt ist mein Lesen flach und ich wundere mich nicht mehr, dass das Gegenüber die eigene Seele sein soll. Munch hat sich verflüchtigt, und ich ordne nun das Gedicht in die Schublade „psychotisches Selbstgespräch“ ein.

Soweit Scarda’s Meinung
 

Kasper

Mitglied
Hallo Scarda –

Ich danke dir.
Die Fußzeile habe ich selbstverständlich sofort entfernt und schäme mich derselben ob meiner offen gelegten Naivität. ;-)

Ich glaube nicht an die Unmöglichkeit eines lautlosen Schreis. Wer mit offenen Augen durchs Leben geht, wird zahllose dieser Schreie sehen.
Es gibt auch keine greifbare „Ungerechtigkeit, die zum Himmel schreit“. Und trotzdem könnte jeder, wenn auch unterschiedlich, sie als solche empfinden.

Zum Text:

Eine zwanghafte Dynamik oder Aggression in den Text zu interpretieren, ist nicht beabsichtigt. Vielmehr erfolgt der lautlose Schrei in den ersten beiden Zeilen resignativ, ein kaum erträglicher und seit langer Zeit bestehender Gemütszustand des betroffenen Menschen durch Mangel an Kommunikationsfähigkeit in einer zwischenmenschlichen Beziehung . Erst der vorwurfsvolle Mittelteil lässt einen Keim von aggressivem Vorwurf aufkommen, um gleich darauf wieder in die alte, sicherlich selbstmitleidige Depression und Verwirrtheit abzugleiten.
Nicht eine Minute dachte ich beim Schreiben an Munch. Doch auch wenn man den Schrei auf Munchs Bild nur sehen kann, so wird man, wenn man ihn lange genug betrachtet, nahezu hören können.

Eine Abänderung und „Modernisierung“ der „altbackenen“ zweiten Zeile werde ich ins Auge fassen.
Dir noch einen schönen Tag wünschend grüßt dich
Kasper
 
S

scarda

Gast
Hallo Kasper,
da du ob meiner Meinung (du siehst grundsätzlich habe ich nichts gegen altbackene Formulierungen) nicht verschnupft zu sein scheinst, will ich nochmals darauf eingehen.
Die Dynamik und Aggression, die ich in die erste Zeile interpretiert habe, stammt ja aus der Betonung her, die ich letztlich auf das „schreie“ gelegt habe. Anders wäre für mich, wenn die Zeilenumbrüche so gesetzt wären: „lautlos / schreie ich dich an“. Dann kommt für mich in das Lautlose auch das Kraftlose einer Depression in die erste Zeile aus der sich die anderen abzuleiten haben. Insgesamt könnte ich mir auch an anderen Stellen eine andere Zeilenumbruchgestaltung vorstellen.

Und was den lautlosen Schrei angeht: ich denke ich verstehe sehr wohl, was du meinst, würde es aber anders formulieren. Was ich sehe ist kein lautloser Schrei sondern ein Schrei der in der Kehle stecken bleibt, der Schrei sein will aber nicht die Kraft dazu hat sich zu ihm zu entwickeln, ein Schrei der von Anfang an zu einem Seufzern degeneriert, etwas Missgebildetes.

Apropos den Schrei sehen: den Fettdruck des Gedichts sehe ich tatsächlich so, dass das Gedicht geschrieen werden will – vielleicht auch deshalb mein Ansatz die erste Zeile aggressiv zu werten. Und trotzdem würde ich den Fettdruck als deplaziert bewerten und mich (wenn ich mich schon mit der Kleinschreibung abfinden muss) über ein paar Satzzeichen zur Gliederung freuen.
 

Kasper

Mitglied
hi scarda

Keineswegs bin ich verschnupft, sondern dankbar für deine Zeilen. Ich habe deine Vorschläge herangezogen und verschiedene Versionen in puncto Umbrüche und Satzzeichen ausprobiert. Es ist nur so - ich habe keine andere Version gefunden, die das, was ich ausdrücken wollte, für mein Gefühl besser dargestellt hätte.

Der Fettdruck stellt für mich in diesem Fall die Rivalität des dem Schrei in seinem ureigensten Motiv anheimen Kraftausdruckes mit der deutlich weinerlich ausgeprägten Kraftlosigkeit des seelischen Zerwürfnisses dar.
Lieben Gruß
Kasper
 
S

Stoffel

Gast
Hi Kasper,

hatte es gestern schon mal gelesen, aber da fiel mir nix ein. Wirken lassen:)
Fett bedeutet nicht laut schrein, das ist, wenn man alles in groß schreiben würde,übrigens. Fett ist doch eher, wenn man betonen möchte:)

Nur mal so Gedanken kurz dazu....
Meinst Du wirklich "erwarte" oder eher "erhoffe"? Erwartungen bergen Enttäuschungen.
Und nicht eher die Seele des andren "anschrein"?

wortlos schreie ich dich an
aber ich fürchte,
du hörst mich nicht.
Warum bist du nicht
wie ich erwarte, dass du bist
errate mich
sprich mit mir
nicht trost, nicht achtung kommt von dir
hörst mein stilles schreien nicht
kann nicht fort und doch nicht bleiben

so schrei´ ich weiter einsam lautlos meine seele an !

lG
Stoffel
 

Kasper

Mitglied
hai sanna!

Danke für die Vorschläge.
Eine Änderung auf wortlos würde die Introvertiertheit des/der "Denkenden" - bewusst nicht des/der "Handelnden" - nicht mehr in der von mir gewünschten Intensität hervorheben.
Aber ich fürchte birgt für mich die begründete Erwartung einer Antwort, welche in Rücksicht auf den Rest des Textes jedoch kaum erwartet werden kann.
:) :) :)

lg
Kasper
 
F

Fitzberry

Gast
Hallo Kasper,

warum bist du nicht
wie ich erwarte, dass du bist
Solange das Ich seiner Idealisierung vergeblich nachhechelt, muss es unglücklich bleiben. Diese harten Selbstanklagen kenne ich auch irgendwoher und bin sehr erleichtert, wenn sie - immer öfter - ausbleiben.


Grüße
Robert
 
M

Melusine

Gast
Hallo Kasper,
das gefällt mir sehr gut! Vor allem die Zeilen
"warum bist du nicht
wie ich erwarte, dass du bist
errate mich"
haben es mir angetan.

Vorschlag zur Komprimierung (bitte nicht böse sein, falls dir das zu weit geht):

lautlos schreie ich dich an
du hörst mich nicht
warum bist du nicht
wie ich erwarte, dass du bist
errate mich
sprich mit mir
tröste mich
achte mich
warum hörst du mich nicht
wenn ich einsam und lautlos
meine seele anschreie !


LG Mel
 

Kasper

Mitglied
Hallo Mel!

Auf keinen Fall bin ich böse, im Gegentum, freue ich mich über deine Zeilen und Vorschläge.
Der Text zielt in seiner Gesamtheit darauf ab, dass vom betreffenden Gegenüber unbedingt und ohne Kompromiss erwartet wird, Bedürfnisse, Wünsche und Gefühle zu erraten. Ich werde deinen Vorschlag weiter auf mich wirken lassen..das braucht bei mir immer etwas länger.
Ganz lieben Gruß,
Kasper
 



 
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