mitgehangen, mitgefangen

klaragabel

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„Mei Jesus und Maria! Wie sieht es denn hier aus?“
Eva Maier schlug die Hände zusammen und sah sich entsetzt in dem Gemeindesaal der katholischen Kirche St. Florian um. Ihr Sohn Manfred, der ihr beim Tragen der Dekoration behilflich sein musste, setzte die Kiste mit dem Weihnachtsschmuck ab. So schlimm hatte er es nicht in Erinnerung. Etwas zu schnell bemerkte er daher: „Mama, ich glaub, dass hier jemand eingebrochen ist. Schau mal, die Fensterscheibe ist kaputt.“
„Aber warum?“, Eva Maier lief durch den Raum und hob, da ihr nichts Besseres einfiel, einen der umgeworfenen Stühle auf. „Wieso? Wer kann denn das gewesen sein? Die Teller! Alle zerbrochen!? Was für ein Chaos? Was für eine Gemeinheit! Was … oh, Jesus im Himmel, das waren eindeutig Vandalen. Die müssen ein Tier reingelassen haben. Sieh nur, hier ist ein Kothaufen. Oh nein, wie schrecklich...“
„Ich hol mal eben den Pfarrer.“
Manfred wartete keine Antwort ab und schlüpfte aus dem Raum. Draußen war ein kalter, nebliger Tag. Die Luft tat gut. Ihm war immer noch flau. Tief atmete er ein. Es roch nach Schnee. Sollten sie doch noch weiße Weihnachten bekommen? Manfred wünschte es sich so sehr. Er wollte unbedingt Ski fahren. Aber nach dem heftigen Streit mit seinen Eltern, bezweifelte er, dass er jemals wieder Spaß am Leben haben durfte. Die Strafe stand zwar noch nicht fest, aber er hatte das Gefühl, dass sich der Hausarrest bis zu seiner Volljährigkeit hinziehen würde. Wütend dachte er an das schadenfrohe Gesicht seiner kleinen Schwester und trat gegen die Hauswand.
„Hej, das is ja der Manni! Alter, machst wohl Überstunden!“
Er hatte sie nicht gesehen. Sein Körper erstarrte und er schloss für ein paar Sekunden die Augen, um sich zu sammeln.
„Ach, der Joe und der Michi!“, seine Stimme zitterte leicht, was ihn ärgerte, denn er wollte die größeren Jungs mit Coolness beeindrucken. „Was macht ihr denn hier?“
„Na rumhängen halt“, erwiderte Michael „Wir...“
„Haste die Schweinerei gesehen?“, wurde er von Joe unterbrochen. „Schätze, die Weihnachtsfeier für die Zombies heute Nachmittag wird wohl ins Wasser fallen!“
„Ja, sieht schlimm aus. Ich will grad mal den Pfarrer Bäckermann holen, damit er sich das anschaut.“
„Pffff, der Bäckermann! Glaubste, der weiß, was hier abgeht?“
Joe stieß sich von der Mauer ab, an der er lässig gelehnt hatte und ging auf Manfred zu, ein böses Grinsen auf den Lippen.
„Der hat gestern nix gemerkt, und wenn du die Schnauze hältst, dann können wir heute wieder eine Aktion starten!“
Nur nicht zurückweichen und zeigen, dass du Angst hast, schoss es Manfred durch den Kopf, aber am liebsten hätte er sich umgedreht, wäre zu seine Mutter gelaufen, um sich dann schützend in in ihren Rock einzuwickeln, wie er es als kleiner Junge immer getan hatte.
„Was is?“, Joe legte kumpelhaft den Arm um Manfreds Hals. „Hat doch Spaß gemacht, den Messwein zu probieren, oder?“
„Du Joe“, mit Entsetzten merkte Manfred, dass der Griff fester wurde. Ängstlich blickte er in die Augen des größeren und vor allem kräftigeren Jungen. Aber es half nichts, er musste es ihm sagen.
„Ähm, ich glaub ich steig aus... Weißte, meine Eltern haben mich erwischt, als ich gestern besoffen nach Hause kam. Und... und jetzt ist halt dicke Luft!“
Joe verzog keine Mine. Starrte ihn nur eiskalt an.
„Das hättest du dir vorher überlegen sollen! Jetzt biste dabei!“
Er löste seinen Griff und tätschelte Manfreds Wange, was für diesen noch grauenhafter als der Würgegriff war.
„Wir haben übrigens eine Planänderung. Statt der Kollekte nehmen wir uns heute das Kreuz vor. Mein Onkel meint, dass is auf dem Markt einige Mille wert.“
„Aber...“ stammelte Manfred, „aber, das ist ja Diebstahl! Das ist... Ich weiß nicht, ob ich...!“
„Hej Mann, mitgehangen und mitgefangen!“, schaltete sich jetzt Michi ein.
„Umgekehrt wird ein Schuh draus, du Idiot!“, gereizt schaute Joe von einem zum anderen.
„Nein, so eine Freude. Die Messdiener sind da!“
Noch nie im Leben hatte Manfred den Pfarrer so gerne gesehen wie jetzt.
„Josef, Michael und Manfred sind angetreten, um den Saal für den Seniorennachmittag in einen Weihnachtstraum zu verwandeln!“

„Soso, Ingrid hat also eine Grippe?“
Kommissar Maus konnte es seiner Frau nicht verdenken, dass sie sich heute lieber auskurieren wollte, anstatt mit ihm und seiner Mutter zum Seniorennachmittag zu fahren.
„Ja, Mutter“, mehr sagte er nicht, denn er musste sich konzentrieren, da er jetzt in die schmale Straße einbog, die den Hügel zu der idyllisch im Bergpanorama eingebetteten Barockkirche hinaufführte.
„Ich fühle mich ja auch nicht so wohl, weißt du? Aber trotzdem muss ich zu dieser langweiligen Veranstaltung mit diesen uralten Leuten. Schrecklich! Ich sag dir genau, wie das abläuft. Es gibt dünnen Kaffee, schlechte Plätzchen und grauenhaft gesungene Weihnachtslieder. Dann kommt der Diakon als Nikolaus verkleidet und wir sollen uns dann auch noch wie dumme, kleine Kinder freuen. Nicht zu vergessen diesen aufgeblasenen Pfarrer, der es sich nicht nehmen lässt, salbungsvoll dumm daher zu reden.“
Maus nahm die letzte Kurve und hatte den Parkplatz erreicht.
„Da hilft auch nicht der pappig süße Glühwein, um das ertragen zu können!“, fuhr seine Mutter unbeirrt fort. „Und ich prophezeie dir, dass mir als erstes entweder Isabel Wagner – diese alte Meckerziege mit ihrem schrecklichen Köter – oder die schusselige Elisabeth Hofmann – und unter uns, die ist eindeutig demenz! - über den Weg läuft!“
„Tja Mutter, das klingt spannend! Können wir jetzt aussteigen, oder sollen wir erst eine Wette abschließen?“
Bevor Frau Maus Senior etwas erwidern konnte, klopfte auch schon jemand an die Scheibe. Gleichzeitig ertönte ein hohes, hysterisches Hundegebell.

Für Manfred war dies der schrecklichste Tag in seinem ganzen dreizehnjährigen Leben. Er hatte Stunden damit verbracht, den Raum wieder auf Vordermann zu bringen, und jetzt stellten sich auch noch schreckliche Kopfschmerzen ein. Das war vermutlich der Kater, von dem er schon so viel gehört hatte. Es war keine schöne Erfahrung. Am schlimmsten war aber, dass er jetzt alles zutiefst bereute. Zuerst war es natürlich ein gutes Gefühl gewesen, von den großen Jungen endlich ernst genommen zu werden und es hatte Spaß gemacht, Alkohol zu trinken und sich so erwachsen zu fühlen. Auch seine Idee, das Schwein von Bauer Huber im Gemeindesaal laufen zu lassen, schien ihm gestern mehr als genial. Das Tier war in Panik herumgerast und die Jungen hatten Tränen gelacht. Jetzt im Nachhinein merkte er jedoch, dass sie großes Glück gehabt hatten, denn die Kirche war durch ihre Lage zu weit von dem Ort entfernt und niemand hatte offenbar etwas von dem nächtlichen Radau mitbekommen. Auch Pfarrer Bäckermanns fortschreitende Taubheit und dessen Eitelkeit keine Hörhilfe in Anspruch zu nehmen, war zumindest gestern Abend ein Vorteil. Ach, wären sie doch erwischt worden! Es war ihm egal, ob vom Pfarrer oder dem Bauern. Das hätte er schon überlebt und der Albtraum hätte ein Ende. Es wäre nur ein dummer Jungenstreich gewesen und er müsste sich jetzt nicht mit Joe und Michi treffen, um eine wirklich schlimme Sache zu machen. Nervös blickte er in dem immer voller werdenden Saal. Am besten machte er sich hier unentbehrlich. Er stellte sich neben seine Mutter und Fräulein Dürr – eine ältliche Jungfrau, die dem Pfarrer sehr ergeben war und trotz ihrer Jahre auf die Anrede „Fräulein“ bestand – und half ihnen Plätzchen auf die Pappteller zu verteilen.

„Pappteller!?“, entrüstet deutete Frau Maus auf die Objekte des Anstoßes. Pfarrer Bäckermann lächelte entschuldigend.
„Ja, meine Liebe, leider, leider. Wir sind heute Nacht Opfer eines dummen Unfugs geworden. Irgendwelche Kinder fanden es wohl komisch, hier einzubrechen und sich ein bisschen auszutoben.“
„Einbruch, Herr Pfarrer? Das würde ich aber nicht so auf die leichte Schulter nehmen! Gut, dass mein Sohn hier bei der Polizei ist. Gerhard, hast du das gehört?“
Maus, der der fröhlich plappernden Elisabeth Hofmann beim Gehen behilflich war, blickte irritiert auf.
„Mutter, du weißt doch, dass ich beim Morddezernat bin. Einbruch fällt nicht in meinen Bereich. Außerdem möchte der Herr Pfarrer offensichtlich keine Anzeige erstatten.“
„Jaja, die Polizei ist immer so schneidig. Aber auch die Wehrmacht gefällt mir sehr gut. Nur in Russland werden die Uniformen immer so schmutzig. Finden Sie nicht auch?“
Kommissar Maus seufzte und begleitete seine Mutter und Frau Hofmann an den Tisch.

„Junger Mann!“, Manfred reagierte nicht sofort, deshalb wurde die Stimme energischer, „Junger Mann! Hallo! Ja du! Komm mal her!“
Isabel Wagner vollbrachte das Unvorstellbare, gleichzeitig grazil einen Plastikbecher mit Glühwein dem Mund zuführen, den Plätzchenteller an ihren Nachbarn mit Parkinson weiterzureichen und den enervierend kläffenden Hund auf ihren Schoß zu ignorieren. Manfred fühlte den Druck einer Hand im Rücken und, als er sich halb umdrehte, flüsterte seine Mutter, „Geh hin! Sie und ihr Hund rauben uns allen noch den letzten Nerv,“ und noch leiser hörte er: „Du bist ein guter Bub!“
Manfred spürte einen Kloß im Hals, so dankbar war er über die versöhnlichen Worte seiner Mutter.
„Na, da bist du ja.“ missbilligend hob die alte Dame eine dünngezupfte Augenbraue, „Hier, nimm Pupsischätzchen und geh mal mit ihr raus. Sie muss Häufchen machen!“, und bevor der Junge etwas sagen konnte, hatte sie ihm auch schon den Yorkshire Terrier in den Arm gedrückt. Sofort setzte ein wütendes Knurren ein.
„Äh, Frau Wagner, beißt der?“
„Junger Mann, meine Pupsi ist zum einen eine Dame und zum anderen ist sie das liebste Schätzchen der Welt.“
Manfred war nicht sehr überzeugt, außerdem wollte er auf keinen Fall den Schutz des Saales verlassen, denn draußen warteten Joe und Michi bestimmt schon auf ihn. Verzweifelt sann er nach einer Ausrede, aber als er den Blick seiner Mutter auffing, die ihn aufmunternd zulächelte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit hängenden Schultern Richtung Ausgang zu gehen. Er ging am Kinderchor vorbei, der für die musikalische Darbietung Aufstellung nahm: die Kleinen vorne, die Großen hinten, die Musiker überprüften ihre Instrumente. Er ging an Fräulein Dürr vorbei, die eifersüchtig den Pfarrer beobachtete. Er ging am Pfarrer vorbei, der rechts und links von den betagten Schwestern Resi und Hanni flankiert an der Kaffeestation stand. „Hochwürdn, I sog´s erna. Da Toni hot kreiz un quer noch dera Sau gsucht.“ „Mei Resi, des is a Schmarrn. Des woar do neda so...“ Der Pfarrer lächelte nur milde und nickte Manfred freundlich zu. Im Foyer stand der als Nikolaus verkleidete Diakon. Seine Frau zupfte ungeduldig an seinem Mantel. „Ich sag dir doch, du hast zugenommen. Letztes Jahr saß der besser!“ schimpfte sie. „Ach Marie, es geht doch noch. Ich darf mich halt nicht so rasch bewegen. Passt auch besser zum würdigen Sankt Nikolaus, oder? Und jetzt muss ich mich sammeln und mich auf meine Rolle konzentrieren. Also hör auf, an mir rumzuzerren!“ „Klar, du willst ja nur eine Zigarette rauchen!“ „Aber....!“
Manfred hatte die Eingangstür erreicht. Tief atmete er ein. Jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Selbst Pupsi schien den Ernst der Lage zu verstehen und fing an zu winseln.
Es hatte tatsächlich angefangen zu schneien. Normalerweise hätte sich der Junge gefreut. Kleine Flocken fielen vom Himmel und nahmen der winterlichen Dunkelheit ihre Tiefe. Alles wirkte viel freundlicher. Die orangen Lichter des Neubaus, in dem sich der Gemeindesaal befand, fielen auf den kleinen Weg, der zur Kirche führte, die finster auf dem Hügel thronend ins winterliche Tal blickte. Manfred setzte Pupsi ab. Das Tier blickte erschrocken zu dem Jungen auf und begann dann angeekelt die Pfötchen einzeln zu heben. Sie hatte offensichtlich keinen Sinn für die winterliche Schönheit, denn es war ihr eindeutig zu nass und zu kalt. Manfred konnte das verstehen, denn er hatte seine Jacke vergessen. Die Arme um seinen Oberkörper geschlungen, feuerte er das Tier an: „Los jetzt Pupsi! Mach Häufchen. Jetzt komm schon! Je schneller du bist, umso schneller können wir wieder rein.“
„Ach nee, der Manni hat ne kleine Freundin. Wie süß!“
Pupsi fing an zu knurren, aber die Warnung kam zu spät. Michi hatte Manfred bereits am Arm gepackt und zog den entsetzten Jungen mitsamt dem angeleinten Hund den Hügel hinauf. „Mensch, wird aber auch langsam Zeit,“ wurden sie oben gereizt von Joe begrüßt. Er hielt eine große Stablampe in der Hand, die er ungeduldig an- und ausknipste.
„Können wir jetzt?!“
„Von mir aus schon. Fragt sich nur, was dieser Hosenscheißer da vorhat.“ schnaufte Michi. Pupsi fiel in ihr schönstes Stakkatogebell.
„Scheiße, was macht die Töle hier?“ Joe hob die Lampe und es sah so aus, als wollte er den kleinen Hund damit schlagen. Schnell hob Manfred das Tier auf und hielt ihm die winzige Schnauze zu.
„Die macht nix, ehrlich. Tu ihr nicht weh. Ich pass auf, dass sie ganz still ist.“
Irgendwie beruhigte es den Jungen, Pupsi bei sich zu haben. Sie war sein kleiner Trost, seine Partnerin, ein unschuldiges Opfer wie er und seine letzte Verbindung in die normale, sorgenfreie Welt.
„Na gut,“ knurrte Joe, „Dann lasst uns mal loslegen. Ich und der Michi gehen jetzt in die Kirche und holen das Kreuz. Manni, du stehst Schmiere. Wenn jemand kommt, gibste Zeichen!“
„Klar!“ Manfred war froh, dass er nicht direkt an dem Diebstahl beteiligt sein musste. Vor der Tür zu warten, schien ihm nicht ganz so verwerflich.
„Sag mal, hörste überhaupt zu?“ misstrauisch blickte Joe den kleineren Jungen an.
„Ja, klar!“ Manfred biss sich nervös auf die Unterlippe. Hatte er jetzt etwas nicht mitbekommen?
„Blöder Depp, du sollst „Stille Nacht“ pfeifen, wenn jemand kommt!“ kam ihm Michi unfreiwillig zu Hilfe.
„Äh ja, geht klar!“
Wer war denn auf diese dumme Idee gekommen? Ein Junge mit einem Hund in der Dunkelheit auf dem Friedhof, der vor der alten Kirche lag, pfeift ausgerechnet „Stille Nacht“, weil er sonst nichts Besseres zu tun hatte? In Manfred keimte langsam der Verdacht auf, dass Joe nicht ganz so schlau war, wie er immer tat.
„Und wehe, du versaust es! Wir machen dich alle! Haste verstanden?!“
Manfred wurde blass und nickte. Vielleicht war Joe nicht gerade der Intelligenteste, aber er war stärker, und hatte die ganzen Messdienerlobby hinter sich, von denen fünf seine großen Brüder waren. Manfreds Chancen einmal eine eigene Seniorenweihnachtsfeier erleben zu können, waren bei Null, wenn er jetzt nicht mitspielte.

Kommissar Maus sah auf die Uhr. Es war schon Viertel nach sechs. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass die Veranstaltung dieses Jahr besonders lange dauern würde.
„Und ich hab es dir doch gesagt. Einfach grauenhaft!“ seine Mutter dachte nicht daran, ihre Stimme diskret zu senken, „Diesen Kindern fehlt jeder Sinn für Musikalität! Dünner Gesang und eindeutig eine Oktave zu hoch!“
„Na hören Sie mal!“ empört drehte sich eine Frau am Nebentisch um, „Da vorne steht meine Enkelin!“
„Wie schön für sie. Trotzdem singt sie nicht besser als die anderen. Ich kann das beurteilen, denn ich bin schließlich Musiklehrerin!“
„Hör nicht auf sie Frieda,“ schaltete sich die Nachbarin der gekränkten Oma ein, „Die war schon immer eine arrogante...“
Mehr war nicht zu verstehen, denn die Freundinnen begannen zu tuscheln. Frau Maus nahm den Fehdehandschuh nur zu gerne auf und zischte giftig, sodass es alle am Tisch hören konnten:
„Die sollte sich mal Gedanken über ihre Haarfarbe machen! Schwarz! In ihrem Alter! Und habt ihr den Ansatz gesehen?“
Kommissar Maus stöhnte. Es war mal wieder so weit. Seine Mutter schaffte es abermals, alle gegen sich aufzubringen. Selbst Elisabeth Hofmann hatte aufgehört laut mitzusingen und sah neugierig in die Runde. Aber bevor Frau Maus durch das Einschreiten ihres Sohnes in die Schranken gewiesen werden konnte, wurde sie vom Pfarrer gerettet, der an den Tisch getreten war und laut verkündetet: „Meine Damen und Herren, ich habe nun die Ehre unsere beliebte Musikpädagogin Gertrud Maus anzukündigen, die uns wie jedes Jahr auf dem Harmonium mit ihrer Kunst erfreuen wird.“
Nur Elisabeth Hofmann begann laut zu klatschen.

Manfred zitterte wie der kleine Hund zu seinen Füßen. Warum dauerte das denn so lang?
„Was meinst du Pupsi, sollen wir mal ein bisschen rumlaufen?“
Pupsi schien jedoch festgefroren zu sein. Mit tauben Fingern musste der Junge an der Leine zerren. Es war dunkel auf dem Friedhof. Dunkel und unheimlich. Durch das Glasfenster der Kirche konnte man das Aufflackern der Stablampe sehen.

Schon Viertel vor sieben. Kommissar Maus beschloss, jetzt doch einen Glühwein zu trinken. Das hier war eindeutig ein Härtefall. Und bei dem dünnen Gebräu konnte man immer noch verantwortungsbewusst Auto fahren. Außerdem war er bei der Polizei. In einem Zug leerte er den Becher und griff nach dem zweiten, der ihm von dem geziert lächelnden Fräulein Dürr gereicht wurde.

Manfred stolperte und schlug der Länge nach hin. Das tat weh. Stöhnend rieb er sich das Knie. Ein kurzes „Wiff“ war zu hören. War er auf Pupsi gefallen? Erschrocken tastete er nach der Leine. Wieder hörte er ein „Wiff“, nur leider klang es viel weiter entfernt. „Pupsi?“ Jetzt setzte das vertraute Gekläffe wieder ein. Schadenfroh ertönte es auf der anderen Seite der Kirche. Verdammt, der Hund war entkommen. Manfred sprang auf und rannte Pupsi hinterher.

Michi gab es auf, an dem Altarkreuz zu zerren und zu ziehen.
„Weiß auch nicht Joe, is zwar jetzt ein bisschen gelockert, aber ohne Brechstange kriegen wir das Ding nie ab. Die haben das in den Stein angeschraubt oder so!“
Joe war wütend. „Scheiße! Halt deine Klappe und mach weiter! Wir haben es fast geschafft! Los jetzt du Blödhammel. Mach weiter!“

Manfred rannte, den dunklen Fleck - der eindeutig Pupsi auf der Flucht war - verfolgend, den Hügel hinunter. „Pupsi! Pupsi! Aus! Bleib stehen! Komm sofort her! PUUUUUPSI!“

Der Diakon riss die Tür auf und stampfte eilig in den Raum. Alle Köpfe drehten sich um. Endlich! Der Höhepunkt der Feier war da. Der heilige Sankt Nikolaus trat auf.

Alles ging zu schnell. Wie aus dem Nichts erschienen zwei Streifenwagen. Bremsen quietschten, mehrere Beamte sprangen aus den Fahrzeugen und stürmten an dem Jungen vorbei, der wie ein paralysiertes Reh im Scheinwerferlicht stand.

„Guten Abend Kommissar Maus!“
„Oh, Hauptwachtmeister Krautschneider! Was machen Sie denn hier?“ verstohlen schob der Kommissar seinen fünften Glühwein hinter sich auf den Tisch.
„Einsatz, Herr Kollege. Wir hatten hier einen Einbruch in der Kirche. Zwei jugendliche Halbstarke haben versucht, das Kreuz vom Altar zu stehlen.“

„Hochwürden, ich hab gleich gemerkt, dass da was nicht stimmt,“ berichtete der Diakon lautstark dem schwerhörigen Pfarrer, „Der Schlüssel zum Seiteneingang war nicht mehr da und als ich mal frische Luft geschnappt habe, habe ich dieses eigenartige Licht gesehen. Zuerst auf dem Friedhof und dann in der Kirche. Höchst verdächtig, sagte ich da so zu mir und hab nicht lange gezögert und die Polizei gerufen.“
Stolz auf seinen heldenhaften Einsatz warf sich der Mann in die Brust. Das war aber leider doch etwas zu viel für das zu eng sitzende Kostüm und ein hässliches „Ratsch“ verhieß nichts Gutes.
Ein Tumult brach aus. Was für eine Sensation! Alle, die noch halbwegs gut zu Fuß waren, watschelten nach draußen, um nahe am Geschehen zu sein. Ganz vorne dabei: Frau Maus. Manfred ergriff sofort die Gelegenheit, sich unbemerkt zu seiner Mutter zurückzuschleichen.
„Manfred! Wo bist du denn so lange gewesen? Hast du gehört, was passiert ist? Oh Bub, du hast doch hoffentlich nichts mit der Sache zu tun?“
„Nein, Mama, bestimmt nicht,“ am liebsten hätte er jetzt seine Mutter umarmt, so froh war er, dass alles überstanden war. Aber das wäre nur verdächtig gewesen.
„Dann ist ja gut!“ sie strich im durchs Haar. Doch plötzlich fiel ihr etwas ein, „Sag mal, wo ist denn der Hund?“

Ein markerschütternder Schrei ertönte. Dann folgte ein lautes Krachen. Isabel Wagner war ohnmächtig zusammengebrochen und mitsamt dem Stuhl umgefallen. Ihr Nachbar blickte hilflos zitternd auf sie hinab. Gleichzeitig eilte Frau Maus zu ihrem Sohn und zerrte ungeduldig an seinem Ärmel: „Was stehst du noch hier herum? Es gibt Arbeit für dich! MORD! Der Terrier ist überfahren worden!“
 

jon

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Schöne Struktur, netter Plot, hübsche „Pointe". Warum werde ich trotzdem nicht recht warm mit dem Text? Er fließt nicht so recht, wirkt wie das zwar detaillierte aber dennoch noch nicht ausgearbeitete Storyboard einer Geschichte. Du hast dich wahrscheinlich zu sehr auf die Dialoge konzentriert und dabei hat das andere den Charakter von Info-Füllern angenommen – „Atmosphäre findet nicht statt“ oder so.
 



 
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