nacherzähl-dichtung

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Cafe fatal

(Nacherzähl-dichtung einer Pantomime)

Sechzehn Uhr, Donnerstag, die Sonne lacht,
Cafe „Südstern“ hat gerade aufgemacht.
Mal sehn, was wohl an so einem Tag
in einem Cafehaus geschehen mag.

Da ist der Kellner, schon etwas senil,
fast jede Bewegung ist ihm zuviel.
Jedoch erfüllt er treu seine Pflicht.
Eine Fliege im Haus? Das gibt’s bei ihm nicht!
Da schleicht er sich wie ein Tiger an
und drückt sie so tot, wie er nur kann.
Mit Genugtuung blickt er auf seines Opfers Reste,
wischt sie dann achtlos an seine Weste.

Eine Frau betritt das Lokal, eine einsame Seele.
Der Kellner erwartet beflissen Befehle.
Doch die Frau kommt kaum mit sich und der Umwelt zurecht,
denn ohne Brille sieht sie so schlecht.
Mit Mühe hat sie platzgenommen.

Inzwischen ist ein Gast dazugekommen.
Er begegnet dem Kellner in der Mitte vom Raum
und sieht ihn an wie einen bösen Traum.
Auch er, der Musikliebende, ist sehr allein.
Sein Grammophon ist sein einzger Sonnenschein.

Die Frau bemerkt auf dem Tisch einen Fleck.
Mit dem Daumennagel kratzt sie ihn weg.
Das scheint eine unerhört wichtge Beschäftgung zu sein,
sosehr vertieft sie sich darein.

Der Mann stellt die Stühle so an einen Tisch,
daß ja niemand zu ihm setze sich.
Das kann und darf der Kellner nicht zulassen.
Würdig geht er, die Stühle zu fassen.
Energisch stellt er jeden an seinen Ort.
Dem Gast erscheint das fast wie Mord!
Heftig verschanzt er sich erneut in seiner Klause.
Zerknirscht und resigniert schleicht der Kellner zur Pause.
Er denkt: „Eh die zwei wissen, was sie bestellen,
gönn ich mir n Imbiss, einen schnellen.“
Der Gast putzt mit Liebe und Sorgfalt sein Grammophon
und entlockt ihm den vertrauten Ton . . .

Die Frau erschrickt: Da ist noch wer!
Nun muß schnell die Brille her.
Sie sieht einen Mann, nicht zu jung, nicht zu alt,
angenehm erscheint ihr Gesicht und Gestalt.
Und seine Musik ist auch zum Verlieben.
Sie denkt: Den möchte ich gerne kriegen!
Brille macht häßlich – zurück in die Tasche!
Lippenrot nachziehen, das ist die Masche!
Jetzt werf ich mich in Positur: So wirke ich lieblich, so wirke ich brav.
Ich mach doch lieber auf sexy, ich bin doch kein Schaf!

Der Mann ist inzwischen ganz versunken.
Von seiner Lieblingsmelodie fast trunken
vergaß er die Welt um sich her.
Als die Frau vor ihm steht, erschrickt er sehr.
Schnell bringt er sich und seine Musik in Sicherheit.
Die Frau empfindet schmerzhaft die Peinlichkeit
und wankt zurück an ihren Tisch,
setzt verzweifelt nieder sich.

Der Kellner kommt satt und zufrieden vom Essen –
fast hatte er seine Gäste vergessen!
Doch kaum erblickt er die bekümmerte Frau,
weiß er, was zu tun ist, ganz genau:
Ein großes Glas Schnaps wäre hier das Rechte.
Ihre Haltung zeigt, wie sehr sie es möchte,
doch schiebt sie das Glas trutzig zurück.
Sie weiß aus Erfahrung: Der Suff bringt kein Glück!
Sie hat oft schon die Stadien der Trunkenheit
durchlitten auf der Flucht vor der Einsamkeit.
Zuerst ist es lustig, dann möchte man alles wagen,
doch dann kommt das Jammern und das Wehklagen.

Reflexhaft ergreift ihre Hand das Glas,
denn anfangs macht ja der Alkohol Spaß.
Das leere Glas entfällt ihrer Hand.
Schnell kommt da der Kellner gerannt
und fängt es auf, eh es zerbricht.
Er füllt es erneut, da strahlt ihr Gesicht.
Barfüßig erklimmt sie den Stuhl und zeigt entrückt,
wie sehr sie dieses Glas Schnaps entzückt:
Sie rollt es über ihre Brust,
dann zum Rücken und voller Lust
zum Schoß hinunter. Die Männer verfolgen mit großen Augen
das seltene Schauspiel. Wozu mag es taugen?

Das Glas entfällt ihr und es war noch voll!
Der Frau jetzt zu helfen, finden beide Männer toll.
Doch gehört schon ein dienstbarer Geist zum Haus,
scheidet des Gasts Hilfe aus.
Servil trocknet der Kellner die Dame ab.
Geduckt sinkt sie auf den Sitz herab.
Aber gleich springt sie wieder auf, den Stuhl anzuheben,
er soll kreisend sie umschweben.
So kommt es, wie es kommen muß –
sie liegt unter dem Tisch zum Schluß.
Sie erhebt sich gelassen. Den Ausspruch des Götz von Berlichingen
kann sie mit weiblicher Geste zum Ausdruck bringen.
Nun sitzt sie auf ihrem Platz, gekränkt und verbissen.

Der Gast fühlt sich hin- und hergerissen.
Er machte gern einen ehrbaren Annäherungsversuch,
doch seine Schüchternheit wird ihm zum Fluch.
Resigniert gibt er auf. Dann kommt ihm der Gedanke,
mit seiner zärtlichen Musik zu überwinden die Schranke.
Eifrig kurbelt er das Grammophon an und schwebt
zu der Frau hinüber, die die Musik allmählich belebt.
Sehnsucht und Hoffnung stehn in ihrem Gesicht.
Leider zwingt er auch mit Musik die Hürde nicht.
Er kennt da so viele Wenn und Aber
und wär doch so gern ein guter Liebhaber.
Endlich entschließt er sich, fällt vor ihr auf die Knie,
doch sie ist vor Anspannung blind wie nie,
wähnt ihn auf ihrer anderen Seite,
rutscht auf Knien ihm entgegen, welche Pleite!
Konsterniert geht der Mann an seinen Tisch zurück,
nachdenkend über das Mißgeschick.

Wie durch ein Wunder läuft ihm die Frau unter die Hand.
Jetzt geht er die Sache an mit Verstand!
Er fordert sie höflich-verlegen zum Tanz.
Ihr Aug erstrahlt in hoffnungsfrohem Glanz.
Leider sind beide ganz aus der Übung.
Wer übernimmt denn beim Tanz – und wie? – die Führung?
Und ehe diese Frage geklärt,
hat die Musik aufgehört.

Erst beim letzten Ton haben sie sich gefunden
und bleiben tanzend nun verbunden.
Die Frau geht aufs Ganze. Sie war zu lange allein.
Heut will sie endlich glücklich sein!
Sie umklammert den Mann mit Arm und Bein
und schlüpft gar in seine Jacke hinein.
Das geht ihm zu schnell, das geht ihm zu weit!
Kopflos verläßt er die anspruchsvolle Maid.

Während er hastig zur einen Tür entschwand,
ewrscheint in der anderen der Kellner, eine frische Serviette in der Hand.
Entsetzt erblickt er die Verwüstung umher
und stellt rasch die gewohnte Ordnung wieder her.
Den Tisch aufgehoben, die Frau setzt sich dran.
Die Jacke vom Fußboden – wo ist der Mann?
Er schnalzt ihm von der Türe her zu,
daß er ihm bringe die Jacke im Nu.
Geschwind eilt der Kellner, die Sachen zu raffen
Und zu ihrem Eigentümer zu schaffen.
Statt des Dankes bekommt er dafür
eins auf die Nase. Welch schlechte Manier!

Doch zum Ärgern bleibt ihm keine Zeit –
das nächste Malheur kommt hereingeschneit.
Eine bildschöne Braut mit Kranz und Schleier
verließ zornig ihre Hochzeitsfeier.
Auf nur einem Schuh kommt sie hereingehinkt,
in ihren Händen noch das Eßbesteck blinkt.
Kaum hat sie das Metall gesichtet,
als sie es auch schon gegen sich richtet.
Vehement will sie sich die Adern aufschneiden,
doch auf diesem Messer könnte man reiten!
Erbost wirft sie das Unnütze weg
und steht heulend vor Wut auf ihrem Fleck.
Der Kellner hebt Messer und Gabel auf.
In seiner Jacke erstickt sie der Tränen Lauf.
Ohnmächtig fällt sie ihm dann vor die Füße.
Er denkt: Heiße Musik wird wecken die Süße!
Kaum erklingt der steile Beat,
die Braut man schon beim Tanzen sieht.
Heftig reißt sie den Schleier herunter
und zeigt sich auch ansonsten recht munter.
Mit Mühe bugsiert sie der Kellner auf einen Platz.

Die Frau hat inzwischen den Schleier an sich gedrückt wie einen Schatz.
Reumütig kehrt jetzt der Gast zurück,
denn er will auch ein bißchen Glück.
Energisch weist ihm der Kellner einen Sitzplatz zu.
Er will manierliche Gäste und seine Ruh.
Zärtliche Blicke tauschen der Mann und die Frau.
Der Braut in der Mitte wird bei diesem Kreuzfeuer flau.
Sie glaubt, der Mann könne sie nur meinen
und denkt: Na warte, dir werd ichs zeigen!
Erst greift sie ihn bei der Krawatte,
dann hüpft sie auf die Tischplatte
und zwängt seinen Kopf in ihren Schoß.
Jetzt sind seine Nöte groß!
Bald darf er wieder atmen, doch gehn darf er nicht,
weil die junge Braut jetzt der Hafer sticht.
Daß sie schön ist, weiß sie seit langem genau
und der Mann unterliegt gern dem Zauber der Frau.
Weshalb er gekommen, das hat er vergessen.
Er ist auf das süße Sexgirl versessen.
Sie tanzt auf dem Tisch und stellt sich zur Schau –
dem Mann scheint das Leben gar nicht mehr grau.
Begeistert tut er, was sie nur will.
Davon hat sie bald genug und entfernt sich still.

Weiß vor Enttäuschung hat die Frau all das erblickt,
bis eine Ohnmacht sie zu Boden drückt.
Hilfreich steht ihr der Kellner bei.
Und sie merkt erst jetzt: Der Männer sind zwei!
Sie zieht dem wehrlosen alten Mann
flink die Jacke des Gastes an,
setzt ihm den Brautschleier auf den Kopf
und fesselt mit der Serviette den armen Tropf.

Im ersten Moment fühlte er sich geehrt,
doch nun wird es Zeit, daß er sich wehrt.
Während sie noch selig vom Brautstand träumt,
hätte er gern fluchtartig das Feld geräumt.
Aber Vorsicht ist hier angebracht,
wer weiß, was sie sonst noch mit ihm macht!
Und richtig – kaum, daß er sich bewegt,
sie ihm schon auf die Hände schlägt.
Nun hat er genug, das läßt er sich nicht bieten!
Er befreit sich und beginnt zu wüten.
Jeder Gast flüchtet an einen anderen Tisch.
Der Kellner tobt ganz fürchterlich!
Seiner krampfenden Hand entfällt das Tablett
und – bums! – liegt gar er selbst am Parkett.
Sein Gesicht wird freundlich. Er sieht im Traum
zum Bessern sich wenden Zeit und Raum.
Zuerst scheint es, als geschähe alles noch mal,
doch er verhindert, was vorher fatal.
Nichts fällt zu Boden, die Ordnung bleibt,
der einsame Gast wird endlich beweibt.
Leider ist er schrecklich ungeschickt.
Der Kellner zeigt ihm, wie man ein Mädchen drückt
und schickt die zwei dann ihrer Wege.
Dabei kommen sie einander ins Gehege
und stürzen. Die Frau rasch an den hintersten Tisch sich setzt,
der Mann starrt auf seine beschmutzten Hände entsetzt.
Er wischt und putzt die Hände manisch,
denn seine Furcht vor Schmutz ist panisch.
Der Kellner hilft mit einem Tuch, es ist schon peinlich,
daß dieser Gast so unheimlich reinlich.

Allmählich kommt er nur zur Ruh
und wendet sich dem Kellner zu.
Er hatte seit dem Sturz die Augen geschlossen
und meint, wer ihn da reinigt so unverdrossen,
könnte die junge Frau nur sein.
Drum schürzet er die Lippen fein
und begehrt einen Kuß.
Der Kellner denkt: Nun ist aber Schluß!
Das Tablett wird zum Spiegel, damit winket er
das zauberhafte Bräutchen her.
Sie hatte abgewendet unterdessen
regungslos in der Ecke gesessen.
Kaum sieht sie den Spiegel blinken,
beginnt sie auch schon, sich zu schminken.
Schrittweise lockt sie der Kellner zum Gast,
zu sehen, ob sie zu ihm paßt.
Nach kleinen Anfangsschwierigkeiten
Wird endlich ein Pärchen aus den beiden.
Der Kellner jubelt – er hat es vollbracht!
Nun wird wohl endlich Hochzeit gemacht.

Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt –
Welche Frau hat wohl je einen Mann verschenkt?
Die Frau erhebt sich flink und munter
und haut der Braut eine Ohrfeige runter,
daß sie ohnmächtig sinkt in des Kellners Arm.
Nun nähert sie sich dem Mann ganz ohne Charme,
beißt in seinen Schlips und zieht ihn so hinter sich her,
als ob er ein kleines Hündlein wär.
Dann springt sie auf den Tisch und zeigt dem Mann
was sie so alles hat und kann.
Er ist entzückt, was er entdeckt.

Der Kellner hat inzwischen die Braut aus der Ohnmacht erweckt.
Kaum spürt sie, daß sie ja noch lebt,
als sie auch schon an dem Kellner klebt.
Das findet der Gast nun gar nicht gut
und hat auch gleich zum Partnertausch Mut.
Freizügig probiert nun jeder jeden.
Nein, so wars nicht im Garten Eden!

Das Alter des Kellners gebiett ihm Moral
und er räumt wieder auf im Lokal.
Mit dem Spiegeltablett fixiert er die Gäste
jeden auf sich selbst, das erscheint ihm das Beste.
Jeder befäßt sich nun mit sich.
Jeder geht an seinen Tisch.
Die Braut besinnt sich, nimmt ihren Schleier
und geht zurück zu ihrer Hochzeitsfeier.
Auch der Gast will mit seinem Grammophon nach Hause gehen,
da sieht er die einsame Frau im Hintergrund stehn.
Sie sucht wie er Liebe und Geborgenheit
und so erlöst er sie und sich aus der Einsamkeit.
Gemeinsam schreiten sie, den Blick ineinandergesenkt,
hoffend, daß der Partner das große Glück nun schenkt.
Der Kellner rückt müde die Stühle zurecht.
Er tut seine Arbeit und fragt nicht nach gut oder schlecht.

Die gleichnamige pantomime von christoph posselt hat mich 1987 zu diesem werk hingerissen. Ich hoffe, ihr hattet spaß beim lesen, obwohl mancher reim dem prinzip „reim dich oder ich fress dich“ folgt. Lieben gruß
 
J

josipeters

Gast
Klasse

und schneller zu lesen, als Deine Geschichten, obwohl diese mir auch sehr gut gefallen.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ja, dieses "reim dich - beiß dich - Problem an einigen Stellen hast Du ja selbst erkannt. Aber es ist eine unerhörte Fleißarbeit. Hut ab.

Gruß Ralph
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
danke,

ihr lieben. ja, damals hatte ich noch kraft und schwung. heute habe ich das gefühl, ich jammere nur noch, wenn ich schreibe. lg
 



 
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