niemand meer, novembernah

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Paul

Mitglied
niemand meer, novembernah



schwer fallen diese abende,
wie guillotinen,
fallbeile surren durch die luft,
schon blutet der tag,
zappelt noch ein wenig,
zittert,
dunkle nacht –

keine amsel zwitschert mehr,
keine grille frohlockt,
die flaneure sind längst eingekehrt,
in sich und
ihren düsteren kammern,
gedankenleer wie
die schleimigen strassen –

nur einer fand beizeiten keine ruh,
kein heim,
steht dort immer noch am hafen,
allein, die einsame silhouette,
den blick in die ferne,
ins leere,
krakra, die raben lästern schon über ihn –

bald schon, bald,
das weiß nur er,
wird niemand mehr dort stehen,
am hafen, allein,
bald schon, bald,
wird auch er ziehen, hinfort,
übers ewge meer...
 
P

penelope

Gast
lieber paul,

poesie ist für mich schon immer präzise und vage zugleich gewesen. präzision der beobachtung drängt den weitschweifigen kontext von subjektiven projektionen beiseite, während ungewohnte metaphern oder montagen neue (sicht-)felder eröffnen. das eine scheint ohne das andere poetisch nicht denkbar, denn je penibler ein eindruck von etwas beschrieben würde, desto mehr verflüchtigte er sich. der umkehrschluß allerdings, große unscharfe worte schafften große gefühlsfelder ist auch falsch. deshalb: dichtung schwebt, genau gewichtet, im spannungsfeld aus präzision und öffnungen ins weite.
deine lyrik übersetzt diesen umstand aus einer eindeutigen haltung, einer beobachtungs- und empfindungswelt ins wort, löst diese hochpoetischen verkettungen, übertritte und damit einen besonders gewollten affekt aus: die begegnung mit der welt liegt deinen zeilen zugrunde (schwer fallen diese abende), aber sie tritt auch gleichzeitig immer wieder aus dem schatten des wirklichen (fallbeile surren durch die luft, /schon blutet der tag). dein gedicht zeigt, wie sich poesie eine eigene welt erschaffen kann. wirklich erstklassig!

liebe grüße
p.
 

Paul

Mitglied
oh, das nenn ich mal einen kommentar, hut ab!
ich mach artig und ehrfurchtsvoll nen knicks und sag DANKE!
 
P

penelope

Gast
oh, nein, lieber paul,

bedanke dich lieber bei hendrik jackson... seine worte, die er über die "tendenzen zeitgenössischer deutschsprachiger lyrik" zu sagen hat, haben so schön zu deinem gedicht gepasst, weshalb ich ihn hier zitiert habe... nachzusehen unter lyrikkritik.de...
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo paul,

schönes gedicht, grandioser titel, sehnsuchtsvolles ende. penelopes kommentar triffts ganz gut. trotzdem ein paar anmerkungen, weils mich beim lesen irritiert hat. die fauna war für mich nicht ganz stimmig. amsel ging noch durch, grille m spätherbst - na gut-, aber "krakra" fand ich nicht so gelungen, hat mich regelrecht aus der stimmung gefloskelt. "...über ihn" muss vielleicht auch nicht zwingend.

wieauchimmer
schönes gedicht

liebe grüße
nofrank
 



 
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