paprika und fledermäuse

nannaog

Mitglied
Den letzten Auslöser, endlich alles aufzuschreiben, bekam sie durch eine... Geschichte. Und zwar eine, wie sie fand, ziemlich schlechte.
„Mannmannmann“, dachte sie beim Lesen während der ersten 70 Seiten dieses Buches. „Mannmannmann, das kann ich besser. Meine Story ist besser und ich schreibe besser.“
Arrogant? Finden Sie? Nun, damit stehen sie nicht alleine da. Arroganz musste sie sich schon einmal vorwerfen lassen, wegen Arroganz hat sie ihren Job verloren. Ihren tollen Job, auf den sie soooooo stolz war. Ja, es gibt Menschen, die sie für arrogant halten. Und es gibt Menschen, speziell einen Menschen, der ihr vorwarf, selbstsüchtig zu sein. Und zickig. Ja, und das sie ständig Streit sucht, provoziert, krankhaft eifersüchtig ist und (aufgepasst: Jetzt kommt’s) für ihn, diesen Menschen, nur eine Paprikaschote kocht.
Nein, ich möchte nicht, dass das jemand falsch versteht. Sie hat natürlich nicht nur eine einzelne Paprikaschote gekocht (in dem Fall sagt man vielleicht gebraten, das weiß ich leider nicht so genau)
Es waren insgesamt fünf Paprikaschoten, für drei Personen, rote Paprika mittlerer Größe, gefüllt mit einem halben Pfund Hackfleisch. Dazu Kartoffeln und Soße. Aber es geht nicht um die Kartoffeln. Leider. Auch nicht um die Soße.
Sie wollen wissen, wie es geschmeckt hat?
Nun. Schwer zu sagen. Sie sagt, IHR habe es geschmeckt.
Die Geschichte um diese Mahlzeit spielte sich folgendermaßen ab (Ich versuche, so gut wie möglich alles wiederzugeben, was ich darüber gelesen habe; mit genauen Uhrzeiten, also mit ganz exakten Uhrzeiten, kann ich leider nicht dienen, in ihrem Tagebuch standen einfach keine):

Ort der Handlung: die Wohnung dieses Menschen, nennen wir ihn Voss.
Anwesende Personen: Voss (natürlich), sie, die Köchin, nennen wir sie... nun einfach Köchin, und der Köchin Sohn.
Zeitpunkt: Freitag, abends, im Juli, vielleicht gegen 20:00 Uhr.
Wetter: Einfachtraumhafteswetterwieimkatalog
Wirklich, ich sag´s Ihnen, romantischstes Großstadtsommerabendwetter.
Es wird noch eine ganze Weile hell sein, aber in ungefähr zwei Stunden kann man vom Balkon aus Fledermäuse beobachten, die wie UFO´ s am Himmel fliegen und sich ihr Abendbrot auf elegante Art und Weise aus der Luft schnappen.
Doch werfen wir wieder einen Blick in die Wohnung: die drei Personen, das Essen fix und fertig auf dem Tisch.
Kurz zuvor spielten Voss und der Sohn der Köchin noch am Computer, besser gesagt an einer Spielkonsole... ich habe von so was einfach keine Ahnung, ich denke Sie wissen besser als ich, was die beiden da gemacht haben.
Okay, alle begeben sich an den Tisch. Auf jedem Teller eine rote Paprikaschote, Kartoffeln und, ja, sie haben es erraten: natürlich Soße.
Die Anwesenden beginnen zu essen, die Unterhaltung ist entspannt, zwanglos und nicht wichtig, der Sohn ist zuerst fertig, und Mama Köchin sagt: „Es ist noch was da, nimm dir.“
Gott, der Junge ist mitten im Wachstum, fünfzehn Jahre, Schuhgröße 44! Der MUSS essen.



Haben Sie schon mal versucht, in völliger Ruhe, ohne Ablenkung, ohne Störung, etwas schriftlich auszuarbeiten. Irgendetwas. Vielleicht einen wahnsinnig wichtigen Brief an die Lehrerin ihres Kindes. Eigentlich wollen Sie der Dame mitteilen, dass sie eine blöde Tussi ist, die keine Ahnung von Kindern, geschweige den von Ihrem Spross hat.
So was können Sie natürlich nicht tun. Sie müssen jetzt gut überlegen, wie sie formulieren, sich an die Fakten halten. Zum Beispiel Fakten wie vollgesogene Zellstofftaschentücher, die in Massen den Luftraum des Klassenzimmers der 6 a durchquert haben, nicht annährend so elegant wie Fledermäuse, dafür aber viel lustiger. Und ihr braves Kind hat mitten im Januar einen klitschnassen Pulli unter seinem Anorak und soll bei so was auch noch die treibende Kraft gewesen sein? ! Nie im Leben!
Wenn ich also solche Dinge, wie einen wichtigen Brief, in Angriff nehme und gerade eine treffende Formulierung im Kopf habe, klingelt genau kurz bevor ich diese interlligente Aneinanderreihung von Wörtern zu Papier bringen kann, das Telefon.
Ich bin dann leicht genervt, stoße mir beim Aufstehen den Oberschenkel an der Tischkante, stolpere über meine eigenen Füße und erreiche fluchend das Telefon.
Am anderen Ende der Leitung ist dann die allerbeste Freundin von der ganzen Welt. Und sie ist hörbar aufgelöst und leicht außer Atem. Sie ruft an, um ihnen quasi eine Live-Übertragung dessen, was gerade bei ihr geschieht, zukommen zu lassen.
Neugierig? Na gut. Ein Mal zum Beispiel hat die entzückende Katze meiner allerbesten Freundin eine lebendige Maus nach Hause gebracht und spielte damit Fangen, während der besten aller Freundinnen eine Gänsehaut nach der anderen über den Rücken jagte. Sie stand filmreif auf ihrem Sessel, angelte sich das Telefon um mich nach Rat zu fragen, und unterbrach so auf recht ausgefallene Art und Weise meine Gedankengänge.
Ich war per Ferndiagnose doch etwas überfordert, eine schnelle Lösung zu finden, bin aber katzennärrisch genug, als dass ich nie vergesse unsere Lieblinge nach einer solchen oder ähnlichen Aktion ( bei einer meiner Katzen stehen momentan Vögel ganz hoch im Kurs, denn sie ist Mutter von ganz reizenden Vierlingen) hingebungsvoll ob ihrer erbrachten Glanzleistung als Jägerinnen zu loben.
Während ich also telefonisch Zeugin der Episode „Hilfe, Shila hat eine lebende Maus nach Hause gebracht! Ihhhhh!!“ wurde, fiel mir ein, das einige Jahre zuvor in meiner Wohnung eine Fledermaus (was, sie sehen da ein Muster?) notlanden musste.
Mit der Geschichte könnte ich auch drei bis vier Seiten füllen, und ich sage ihnen: Ich bin kein Fan von Mäusen, noch nicht mal von Mickey Mouse, auch wenn Sie mich jetzt nicht mehr leiden können.
Gut, Shila hat die Maus dann doch selber erledigt, nach dem sie gemerkt hat, das ihre zweibeinige Mitbewohnerin (meine Freundin) überhaupt keine Anstalten machte, sich an dem Spiel: „Wo ist das Mäuschen?“ auch nur ansatzweise zu beteiligen, sondern stattdessen Stehenderweise den Sessel bevorzugte.
Genaugenommen sah meine allerbeste Freundin nur noch einen Ausweg: „Ich schließ mich gleich im Bad ein!“
Nachdem die Maus im Mausehimmel war, ließ Shila die sterblichen Überreste einfach liegen. Bezeichnenderweise unter eben jenem Sessel, der meiner Freundin als „Rettungsboot“ diente.
Augenblicklich wurde aus „Shila, die Jägerin“ „Shila, die Sanftmütige“ und sie schritt erhobenen Hauptes von dannen.
(Nein, das hat mir meine Freundin nicht erzählen müssen. Ich hab´s gesehen, auch wenn ich nur am Telefon war, ich hab´s gesehen!)
Die anschließende Krisenbesprechung mit dem Thema: „Was mach ich jetzt mit der Maus unterm Sessel? !“ brachte schnell die Lösung. Lebendige Probleme sind schwer zu fassen, tote bringt man weg. Die Maus wurde mit Hilfe eines Kehrblechs zurück in den Schoß von Mutter Natur befördert.

Klingelnde Telefone können einen um den Nobelpreis bringen, gefüllte Paprikaschoten um den Verstand.

Nun, der Sohn der Köchin ist manchmal etwas widersprüchlich und hielt im gegebenen Fall nicht viel von noch mehr essen damit er wächst.
Voss selber war auch satt. Der Tisch wurde abgeräumt.
Etwas später machte sich Voss ein Sandwicht.
Jetzt denken Sie: Na ja, wird nicht so geschmeckt haben, was die Köchin da auf den Tisch gestellt hat.
Warten Sie ab, da kommt noch was!

Für die Köchin war das Sandwich jedenfalls kein Grund sauer zu sein. Stattdessen aß sie eine von den übriggebliebenen Paprikaschoten. Und eine Banane. Dann ein paar Chips. Mittlerweile war es dunkel, die Fledermäuse nicht mehr zu sehen und die letzte Schote verschwand kalt im Magen der Köchin.
Wir sehen: der Sohn aß eine, Voss ebenfalls und Frau Köchin drei rote gefüllte Paprikaschoten. ( Nervt sie das Wort Paprikaschote auch so wie mich? )


Eine Woche später wurde die Köchin der Selbstsüchtigkeit bezichtigt.
Voss war derjenige, der ihr das vorwarf und Voss war wütend.
Die beiden hatte einen bösen Streit und die Köchin wollte ein Beispiel für ihre Selbstsüchtigkeit genannt haben.
Oh! Hätte sie doch nur nicht gefragt! Hätte sie doch nur nicht auf ein Beispiel bestanden! Sie könnte bis heute eine glückliche und zufriedene Frau sein.
Aber in ihrer Wut hat sie nicht richtig nachgedacht. Und so brachte Voss ein Beispiel. Einen unumstößlichen Beweis für ihre Selbstsüchtigkeit! Einen Beweis für diese niedere und verwerfliche Charaktereigenschaft: Sie habe für ihn nur eine einzige Paprikaschote gekocht, das beweise ihre Selbstsüchtigkeit doch wohl zur Genüge!!!

Die Tagebücher der Köchin sind kitschig. Aber Tagebücher dürfen das. Teilweise sind sie unleserlich, was für Tagebücher selten ein Nachteil ist. Manchmal sind sie verwirrend. Die der Köchin enden abrupt mit den Aufzeichnungen über die Erleuchtung, die ihr eine Woche nach den Paprikaschoten zuteil wurde.

Ich frage mich oft, was aus ihr geworden ist. Ob sie auf den rechten Pfad zurückgefunden hat und von nun an alle Paprikaschoten aufhebt, bis Voss sie entweder isst oder eben diese reif für die Schweinchentonne sind.
Vielleicht, aber nur vielleicht, hat sie ganz einfach aufgehört zu kochen.
 



 
Oben Unten