schnurgerade

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Montgelas

Mitglied
Rückzug , Absage und Offenheit ...

liebe venus,

sehr dicht und knapp
wird hier von dir eine absage
direkt – schnurgerade – formuliert,
und rückzug signalisiert.

eine absage des lyrischen ich’s
von forderungen an sich selbst
und aufforderungen anderer
wieder in die welt wieder einzutreten.

aber nichts ist legitimer,
als atmen, auch wenn der mund
manchmal überquillt
oder zu voll genommen wurde.

die unklarheit, wer eigentlich gemeint ist,
findet im „schweif lieber von mir ab verlier
mich fort und bleib gern
unbefangen",
ihren ausdruck.

die genialen verwechslungen von
reflektierenden lyrischen ich und
ansprachen nach draußen,
werden in allen worten deutlich.
der leser wird aufgefordert
den text in einem atemzug zu lesen.
ebenso kann er von dir in die freiheit
des sprachspiels entlassen,
die verse als noch nicht
entschiedenen rückzug aus der welt
der dinge und beziehungen deuten.


Nein, ich will mich nicht konzentrieren !
Nein, ich will mich nicht binden !
Geh weg von mir, verlier mich, lass ab.
Denn ich bleib gern unbefangen.
Ungefangen !
Atme frei die Luft.
So wird der Mund mir voll aus denen meine
Verse klingen.


spricht das lyrische ich
zu sich selbst und meint
auch die andren, die fordernden!

das ist eine lesart.
noch viele andere sind möglich,
weil dein text, der scheinbar dicht,
ein offenes spiel der worte,
der verse und der absätze wundersam
erlaubt. alles korespondiert miteinander.

poesie, die den "sarahkirschsound"
nicht braucht, weil sie einerseits
hermetische selbstverständigung,
andererseits im spiel der worte
kontakt zur außenwelt findet,

gefällt mir sehr !

komm bald wieder,
ich freue mich immer ;)

herzlich
und alles liebe

montgelas
 

Zarathustra

Mitglied
Gabriele ich bin sehr erstaunt

Bestimmt 10 x habe ich deine Verse gelesen,

sie werden immer runder.
ganz ungebündelt sind
deine Gedanken.

Ich finde keinen Anfang
und kein Ende.

Ich brauche auch keinen Anfang
und kein Ende.

Lesen alleine genügt!

Ich gratuliere!

L.G Hans
 

Montgelas

Mitglied
Rückzug in den Garten

liebe venus,

noch ein kleiner nachtrag:

wer tief in seinem garten gräbt,
ab und an ein verslein schreibt
blumen, bohnen, erbsen sät
der weiß, was den holunder treibt.


(montgelas als schnelldichter ;) )

aus dem netz:
Die Germanen brachten zu Ehren der Göttin Holda oder Holla (im Märchen der Brüder Grimm Frau Holle) ihre Opfer unter dem Holunderbaum dar. In den Bauerngärten finden wir heute noch oft den Holunderbaum als beschützenden Hausbaum. Oft wurden sie in direkter Nähe zum Haus gepflanzt. In Tirol zog man vor jedem Holunderbaum den Hut und es war früher in Deutschland unter Strafe verboten, einen "Hollerbusch" zu beschädigen oder gar zu fällen.

Man glaubte auch, wer einen Holunder fällt, wird krank. Die Göttin Holla (von hold oder huld) war eine milde und freundliche Göttin, die das Leben der Pflanzen und der Tiere beschützte. Die Germanen glaubten, zur Zeit der Wintersonnenwende ziehe die Göttin über die Erde, um mit dem Winter zu ringen und der Erde Fruchtbarkeit und neues Leben zu schenken.

Die weißen Schneeflocken verglichen sie mit der Helle der Holda. Sie glaubten, ein Mensch, der wie Holda den Weg des Lichtes geht, überschütten die Götter mit Erkenntnis und Weisheit (im Märchen der Brüder Grimm Goldtaler).



dir eine gute zeit

im garten und beim schreiben


montgelas


p.s. moderation achtung ! - der zusammenhang mit dem text ist gegeben, auch wenn es nicht so scheint.
 

Venus

Mitglied
Lieber montgelas,

was ist das nur immer eine Freude und Ehre dich anzutreffen; bei mir – hab Dank!

Individuum est ineffabile, lautet ein alter philosophischer Grundsatz.
Es ist, da mit nichts anderem vergleichbar, auf keinen Begriff zu bringen. Man kann nur mit dem Finger drauf zeigen. Auch in der bildenden Kunst und der Musik ist das, was die Werke bspw. eines Leonardo oder Mozart so großartig macht, unaussprechlich. Aber soll man deshalb darüber schweigen? Der Mensch ist seinem Wesen nach rational, d.h. er nimmt die Welt nicht in einem blinden Reiz-Reaktions-Schema wahr, sondern in Begriffen, er will sie begreifen; und er begreift sie, in dem er sie versprachlicht.

Du hast meine Gründe für dieses Gedicht ganz trefflich aufgelegt!
<Rückzug, Absage, Offenheit, Wut, Vorwärtsdrang, Lachen, Denken, Überdenken…>
Alte Strukturen knacken – verlieren; und dabei gewinnen! Mit einer gewaltigen Portion Selbstsicherheit und gesunder Gleichgültigkeit.

Mit vollem Mund zu sprechen - ! – ich höre meine Mutter…!
Ja – bittschön – aber wann denn dann?
Wenn mir die Silben schon aus dem Mund tröpfeln, dann – in Herrgottsnamen – fließt!
Unbefangen –

Ja, mein lieber Montgelas und wo geht das besser, als im Garten, draußen in der Natur?!
Die macht es uns ja vor – mit jeder Jahreszeit aufs Neue bricht sie ungehindert aus sich selbst hervor; treibt neu, voraus – und aus.

Das erkennende Versprachlichen eines intensiven ästhetischen Erlebnisses wird diesem immer etwas von seinem ursprünglichem Glanz und seiner Wirkung nehmen. Differenzierung macht aus Intensität nuancenreiche Fülle.
Ich habs versucht.
Ich schwöre.

Dank dir sehr!
Recht herzlich,
Gabi
 

Venus

Mitglied
recht herzlichen Dank!

Lieber Hans,

Ich werde gerne kritisiert, weil meine Zeilen oft so differenziert wirken; eigentlich unrund und entgegen jedem Gesetz des Zeilenumbruchs.
Dabei bemühe ich mich aufrichtig gerade um das Gegenteil!
Dass sie runder werden dürfen, für dich, ehrt mich – freut mich!

Hier möchte eigentlich am liebsten jede Zeile für sich stehen. Und dann am besten die nächste und vorhergehende wieder abholen; neu aufzeigen, anders lesbar sein.
Oder nur die erste und die letzte zusammen?
Die möchten doch schon Gedicht genug sein. Oder?
Jedenfalls sind sie eine klare Ansage.

Wenn man halt so will ;o)

Hab Dank, lieber Hans, dass du dich darauf eingelassen hast!

Liebe Grüße,
Gabi
 

Zarathustra

Mitglied
Hallo Gabi,

leider kenn ich für ein "rundes Gedicht" das differenziert ist, keinen Fachausdruck.

Bin auch kein Lyriker.
Aber mir hat es wunderbar gefallen (auch dank montelas´s Einstiegshilfe.

Hier möchte eigentlich am liebsten jede Zeile für sich stehen. Und dann am besten die nächste und vorhergehende wieder abholen; neu aufzeigen, anders lesbar sein.
Oder nur die erste und die letzte zusammen?
Die möchten doch schon Gedicht genug sein. Oder?
Jedenfalls sind sie eine klare Ansage.


So wie du es geschrieben hast, habe ich es gelesen, mehrmals - und jedesmal öffnete sich eine neue Türe..

Die Muse ist allso doch ein lebendiger Geist ..

Schönes Wochenende..
Hans
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Venus,

"eine handvoll Leben" wäre das Gegenstück.

Schön, dass Du diesen "Mundvoll" entdeckt hast und damit für die Fülle schlechthin plädierst!

Ja, beides ist möglich: In sich zentriert sein und die ganze Weltenfülle zu sich kommen lassen, oder aber aus sich hinausgehen und die Weltenfülle erfahren, um sie einzubringen wieder in das Selbst, sortiert und heilsam dosiert.

Das macht froh, so viel Tiefe in so wenigen Zeilen zu finden.

Dir ganz liebe Grüße!
Vera-Lena
 

Venus

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

dein Besuch freut mich sehr; danke!

Das Leben in die Hand nehmen, würde das dann wohl bedeuten.
Es im Mund zu schmecken, mag beinahe eine Steigerung sein. Eine lyrische - vielleicht. In der Konsequenz jedenfalls hieße es, dass man etwas <von der Hand bereits weitergeführt hat> – zum Mund – sich etwas einverleibt…
Sich selbst gar?

Weißt du, liebe Vera-Lena, der Vorsatz: <ich werde mein Leben in die Hand nehmen> oder die Feststellung: <ich weiß, wie mein Leben schmeckt> ist im Vergleich beinahe ein Quantensprung.

Mit den Gedanken abschweifen.
Von sich selbst wegdriften – freiwillig auf eine andere Spur. Meinetwegen verlieren.
Oder – besser sich <fortverlieren>. Dorthin halt, wo das Leben schmeckt. Mit vollem Mund. Genießen. Das darf man.
Und –
wer muss da letztendlich dann auch noch drüber sprechen…?!

Froh.
Das ist ein feiner Ausdruck.
So fühl ich mich.
<(ich) will meine Gedanken>

Dank dir nochmal, Vera-Lena!
Recht liebe Grüße an dich zurück,
Gabi
 
G

Gelöschtes Mitglied 7299

Gast
eine "10" ohne Kommentar mag ich nicht mehr vergeben. Textarbeit hin oder her...

Also, liebe Venus, ich lese enorme Tiefe in Deinem 'schnurgerade' und solange der (Dein) Mund nicht voller Schweigen ist...
 

Venus

Mitglied
vergelts Gott,

Thomas!

Es ist m.M. nach eine schwere Gratwanderung.
Der Versuch schlichten Worten Tiefe zu geben; ohne überschwenglichen Pathos. Nichts liegt mir ferner als Kitsch.

Ich danke dir!

Lieben Gruß,
Gabi
 

Venus

Mitglied
hungrig nach mir selbst


will meine gedanken nicht
bündeln schweif lieber
von mir ab verlier
mich fort und bleib gern
unbefangen nichts
ist doch legal
nur atmen
mundvoll laut mit leben


© gabriele schmiegelt
 

revilo

Mitglied
....wunderschön.....verspielt und voll positiver Schnörkel...........ich setz Dich auf die Hitliste, weil ich auf MEHR hoffe.......meer..........
LG revilo
 

Venus

Mitglied
Du kriegst gleich den Hintern versohlt, revilo, wenn du nicht Ruh gibst. So ein Weib schämt sich vielleicht auch mal. Ernsthaft!

Gabriele ;o)
 

Venus

Mitglied
schnurgerade


will meine gedanken nicht
bündeln schweif lieber
von mir ab verlier

mich fort und bleib gern
unbefangen nichts
ist doch legal
nur atmen

mundvoll laut mit leben


© gabriele schmiegelt
 
A

AchterZwerg

Gast
Kein Grund zum "Schämen" Venus, vielmehr zur reinen Freude.
Wie gut es tut, dieses ältere Werk von dir zu lesen (kommentiert ist es zureichend und interessant) und sich zu freuen, dass offenbar wieder eine Zeit angebrochen ist, in der gepflegte und dennoch kurzweilige Dialoge zu Texten möglich sind.
Das wäre ohne dich in dieser charmanten Form nicht denkbar.
Der Schönen einen schönen Tag
Heidrun
 

Thylda

Mitglied
Liebe Venus

Die Urversion gefällt mir besonders gut. Sie hat noch mehr Kraft. Die aktelle Version ist runder und gefeilter, aber leider auch gezähmter. Toller Text, egal in welcher Version ;)

Liebe Grüße
Thylda
 

Venus

Mitglied
Ihr Lieben,
Thylda, Heidrun und erneut revilo,

ein bisschen fühle ich mich überfordert, das mein ich ganz ehrlich.
Sehr sogar bedanke ich mich für eure offenen Eindrücke und revilo, dir dank ich noch einmal ohne Lapsus fürs Ausgraben.

Ich hab ganz bewusst meine alten Werke hier gelassen. So man sich die Mühe machen möchte kann man erlesen, dass ich hier in der Lupe lernen durfte. Mir begegneten so viele wunderbare Autorenkollegen, welche mir zweifelsohne den Schubs gaben, dass Lyrik auch gelernt sein muss. Dass es Regeln gilt zu beachten und dass, allem vor, der Menschschreiber sich oftmals nicht zu ernst nehmen sollte. Es geht um seine Worte und wie sie Gestalt erhalten. Sehr, sehr oft durch kluge Hilfestellung; freilich, keine Regel ohne Ausnahme -

Selbst lerne ich heute noch. Und hoffentlich für stets. „Der Kopf ist rund damit das Denken seine Richtung wechseln kann“ und „erhalte ich neue Informationen, kann sich auch meine Meinung ändern“.

An den verschiedenen Versionen erkenne ich selbst, dass sich manch Denken geändert hat und oftmals nach Jahren erneut und wieder. Ob das gut ist? Ich weiß es nicht. Vielleicht, so in ein paar Jahren wieder ein feiner Kollege ein Werk ausgräbt? Ja, vielleicht geb ich dann irgendwann mal Ruh und denke, dass es gut sein darf.

Eure Meinungen sind mir immer wichtig. Ihr helft mir vorwärts,

herzlich,
eure Gabriele
 

revilo

Mitglied
Hallo Venus........ich habe mein Ziel erreicht:
ich wollte eine gute Dichterin " reaktivieren " und anspornen, wieder Gedichte einzustellen..........mein Job ist erledigt....jetzt bist Du dran.....ich freu mich....
LG revilo
 

gareth

Mitglied
So ein klein wenig, liebe Venus,

tendiere ich ja zu der ersten Fassung (schon wg dem Begriff legaler), bin aber zufrieden, dass sich in allen drei Versionen der Ausdruck:

verlier mich fort

erhalten hat.

Ein Merkmal von wirklicher Lyrik ist ja, dass wir an sich bekannte Bilder sehen, die aber um ein Kleines abweichen von dem was wir kennen und von dem was wir selbst denken und von dem, was wir selbst sagen würden.

Respektvolle Grüße
gareth
 



 
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