trinlied auf die blattläuse melkenden ameisen

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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
[ 4]trinklied auf die blattläuse melkenden ameisen


was schleuderst du für texte durch die winde
ich finde im subjekt vom prädikat wein
des läuse honigs ausgeschwitzte sünde
a meisen trommel molk die madeln schad rein

am boden klebt mein schuh die schritte squatschen
verploppte tänze aufgemoppt zu blödsinn
platanen blattern schinken mir palatschen
ich tappse in den silben-silber-löt-zinn

nun tret ich deine kelter mit den füßen
die jener schmelze grad mal noch entkamen
das salz des fleißes wird dein schandmaul grüßen
wenn du dies schnallst magst du dich blutrot schamen
 
Guten Abend, Hansz!

Ertappe mich dabei, wie ich in einer Art Endlosschleife durch diese Verse scanne.

Ameisen, die Blattläuse betrommeln, um dann den abgesonderten Honig einzuheimsen – das ist für mich ein zwiespältiges Bild: Es zeugt von Raffinesse, hat aber auch etwas Dreistes, Schmarotzendes; so als würde man etwas ernten, was einem nicht zusteht oder sich etwas nehmen, was sich andere hart erarbeitet haben.

Hebt man dieses interessante Naturphänomen auf eine höhere Ebene, so stellt sich mir die Frage, ob der Titel ironisch gemeint ist.

Das lyrische Ich tritt in Opposition zu einem Du. Offensichtlich geht es ums Schreiben („was schleuderst du für texte durch die winde“) – wird Kritik am Kritiker geübt? Steht der Literaturbetrieb im Fokus? Werden schreibende Kolleginnen und Kollegen kritisiert, die von der Arbeit anderer profitieren, sich aufspielen und ihre Tänzchen aufführen, Plagiate verfassen…?

Nicht leicht zu fassen. Ich kann nur spekulieren…

Ein Indiz für diese Wahrnehmung könnte der Vers „verploppte tänze aufgemoppt zu blödsinn“ zu sein. Das lyrische Ich scheint sich zunächst darüber zu ärgern, dass es vom Literaturbetrieb betrommelt (ausgenutzt?) wird („ich tappse in den silben-silber-löt-zinn“), geht aber in der dritten Strophe zum Angriff über, bietet den zuvor kritisierten Schreibern („deine Kelter“, die Ameisen, wer auch immer?) jetzt die Stirn.

Qualität („das salz des fleißes“) wird sich letztlich durchsetzen und- so blitzt am Ende die Hoffnung des lyrischen Ichs auf – Kritiker beschämen, zum Schweigen bringen.
Vielleicht berührt dieses Gedicht grundsätzlich die Frage, wie weit Kritik gehen darf.

Bestechend finde ich die vielen Gleichklänge und Alliterationen, besonders in der mittleren Strophe (die pp-Laute), die den ernsten Inhalt mit ihrer Verspieltheit reizvoll konterkarieren.

Gruß,
Artbeck
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
thanx

Ja, Artbeck,

Du hast eine gute Fährte durch den Text gefunden. Eine, wo Nachbarwege im spitzen Winkel den von Dir gewählten schneiden oder verdoppeln, und Du ahnst gewiß auch noch andere Varianten der Pfadsuche. "Der Leser gibt dem Gedicht erst Sinn."

"Ich" und "Du" sind in meinen Strophen oft nur die Polaritäten im Selbstgespräch, ich pflege dann etwas flegelhaft mit mir umzugehen.
Ich denke, auch sonst spricht ein Mensch mit sich selbst so, als spräche er mit einem Freund, einem Gegner, einem Fremden oder seinem freudschen Überich, und gerade wir Dichter zielen auf die Lektoren, Verleger, Kritiker und anderen Dichter, - und haben in erster Linie doch nur uns selbst vor der Nase.

Wenn ich das Getappse im "silben-silber-löt-zinn" (mit dem alten Handwerker-Kalauer-Reim auf "blödsinn") in das Treten einer Kelter verwandle, habe ich gleich meine salzigen Schweißquanten im Sinn, die dem Wein ein geheimes hintergründiges Qualitätsmerkmal verleihen - hoffentlich beklagt sich kein Winzer, daß man heutzutage die Kelter nicht mehr mit nackten Füßen tritt, sonst müßte ich ihm dann antworten, daß wir Dichter noch immer fleißig Hand- und Fußarbeit leisten, so als schöpferische Blattläusemelker oder als lesende Pfadfinder.

Wenn der "Du" dem "Ich" fremd wird, mag man bedenken, daß kein anderer Mensch einem einen Menschen so fremd sein kann wie der sich selbst fremd ist. Aber das ist natürlich so ein Philosophen- oder Rhetoriker-Kniff, ein Stilmittel Hegels oder des alten Gorgias, irgendsoein ipsoflexives Oxymoron, ein - nennen wirs mal - "Rumpelstilzchen".

grusz, hansz
 
Hallo, Hansz!

Vielen Dank für deine ausführliche Antwort!

Das lyrische Ich geht also mit sich selbst in den Diskurs! Da war ich wohl mit meiner Wahrnehmung und Deutung eher auf einem kleineren Feldweg denn auf einer mehrspurigen Autobahn unterwegs. Aber schön, dass die eine oder andere Abzweigung zumindest nicht als Geisterfahrt von dir wahrgenommen wurde.
"Der Leser gibt dem Gedicht erst Sinn"
.Ja, der Konstruktivismus lässt grüßen – mit diesem Prinzip kann ich mich gut anfreunden. Interessant bleibt, was die Leser aus dem Text machen und wie sie ihn, je nach ihrer individuellen Prägung, wahrnehmen.

Das Konzept mit dem Ich und dem Du im Zwiegespräch finde ich spannend, vor allem, wenn es dabei manchmal auch etwas ruppiger oder „flegelhaft“ zuzugehen scheint.

Und was die Vorzüge des mit „salzigen Schweißquanten“ gekelterten Weins betrifft, da kann ich nur zustimmen, schließlich schmeckt doch ein „dreckiger“ Single Malt viel
interessanter und komplexer als ein glattgefilterter Bourbon. So ist wohl auch mit dem Schreiben.

Gruß,
Artbeck
 



 
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