unbedingtheit des abschieds

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Walther

Mitglied
unbedingtheit des abschieds


wenn sich welten trennen
wiegt sich wenigstens eine im schmerz
denn scheiden ist bescheiden

wahrheit wird zu erwägungen
ganzes vergeht in halbheiten
ein eins bricht entzwei

unabwendbares macht sich notwendig
d.r.inglichkeiten entleiben sich
umdeuter bemächtigen sich des vergangenen

wer abscheidet scheidet aus
ein gutes wort wird vom verrat gebeugt
ein du schrumpft ins es

das erkämpfte wir verliert sich
in den zwischenzeilenräumen
eines geschichteten glaubenssatzes

so erwächst und gedeiht
die fehlinterpretation des gewesenen zur
unbedingtheit des abschieds

unaufdringliche sterbetafeln
referenzieren sich aufeinander
durch blutbuchen verschattet
 
Hallo Walther.


das erkämpfte wir verliert sich
in den zwischenzeilenräumen
eines geschichteten glaubenssatzes


Gefällt mir sehr.


lg
Serge
 
Kleiner Nachtrag:

wenn sich welten trennen
wiegt sich wenigstens eine im schmerz
denn scheiden ist bescheiden

wahrheit wird zu erwägungen [das Wort Erwägungen finde ich zu abstrakt]
ganzes vergeht in halbheiten
ein eins bricht entzwei


unabwendbares macht sich notwendig [ist das Unabwendbare nicht ohnehin notwendig?

...

unaufdringliche sterbetafeln
referenzieren sich aufeinander
durch blutbuchen verschattet

[Ich finde die Konstruktion zwar ziemlich schräg, mag sie aber trotzdem.]
 

Label

Mitglied
Lieber Walther

ein spannendes Thema - Abschied/Trennung und wie Betroffene das er- und durchleben.
Jeder Scheidungsanwalt kennt x Variationen wie das bewältigt wird und Testamentsvollstrecker oder Pfarrer kennen weitere Variationen.
Ich finde es gut und wichtig, dass du dich mit diesem Thema auseinandergesetzt hast, denn es ist eine der elementaren Ereignisse im Leben der Menschen.
Was mir bei deinem Gedicht auffällt ist die Durchmischung der unterschiedlichsten Abschiedsvarianten, was es mir schwer macht eine konkrete Situation zu erkennen.
Sehr gelungen finde ich die beiden ersten Strophen die Abschied allgemein beschreiben.
Danach gehst du in konkretere Szenarien, die aber vermischt sind und für mich nicht konkret (fassbar) werden.

Aus meiner Sicht: du spielst einzelne Abschiedsvarianten allgemein durch, wobei du an einigen Stellen relativ konkret wirst, hältst aber die konkreten Beispiele dann sehr allgemein. Dadurch wirkt es schwammig oder als würdest du etwas andeuten ohne es direkt sagen zu wollen.

mit einem lieben Gruß für dich
Label
 

Walther

Mitglied
Hallo serge & Label,

heißt das, Ihr würdet eine Kürzung vorschlagen? z.B. so:
wenn sich welten trennen
wiegt sich wenigstens eine im schmerz
denn scheiden ist bescheiden

wahrheit wird zu erwägungen
ganzes vergeht in halbheiten
ein eins bricht entzwei

das erkämpfte wir verliert sich
in den zwischenzeilenräumen
eines geschichteten glaubenssatzes

so erwächst und gedeiht
die fehlinterpretation des gewesenen zur
unbedingtheit des abschieds
Danke für die Rückmeldung!

LG W.
 

Vera-Lena

Mitglied
Ach nein,

ich bin einfach gegen Kürzungen bei diesem Text, denn


hier wird geschieden von A bis Z und ohne Unterlass, hier wird durchlitten hier wird sich hindurchgequält, hier kann einer nichts Anderes mehr denken, hier wird mitfühlbar und miterlebbbar gemacht, wie sich scheiden durch einen hindurchnudelt 24 Stunden des Tages. Hier will nichts mitgeteilt werden, und wenn es noch so nüchtern klingt, hier will miterlebt werden.

Dieser Text will auf einen Blick erfasst und umfasst werden. Hier muss man sich nicht die Details auf der Zunge zergehen lassen, obgleich das natürlich auch möglich ist.

So sehe ich das auf meine eigensinnige Weise. Sorry!

Liebe Grüß, Dir, lieber Walther!
Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
Lb. Serge,

ich stecke in der Zwickmühle!

LG W.

Lb. Vera-Lena,

so war es geplant, aber nicht in Gänze vermittelbar. Ich lasse mal beide Versionen stehen und bitte um weitere Stellungnahmen, da ich schwanke.

Lieben Dank für Deinen Eintrag!

LG W.
 

Thylda

Mitglied
Lieber Walther

Die Auswahl, die Du in Deiner gekürzten Version getroffen hast, ist in sich stimmig, sind es doch die Strophen, die den Abschied als allgemeines Phänomen betreffen. Die anderen Strophen beschreiben meines Erachtens eher die Auswirkungen des Abschieds einer oder für eine Einzelperson.
Nun könntest Du Dich für entweder die vier allgemeinen Strophen oder die persönlichen Strophen entscheiden. Wenn Du jedoch Beides behalten möchtest, empfiehlt sich eine thematische Trennung. So etwas wie These – Antithese oder These – Synthese. Letztlich weißt nur Du, was Du mit Deinem Gedicht aussagen wolltest.
Mir persönlich gefällt allerdings Dein Kürzungsvorschlag gut.

Liebe Grüße
Thylda
 

Walther

Mitglied
Lb. Thylda,

danke für Deine Überlegungen. In der Tat werden in diesem Gedicht beide Bereiche bearbeitet. Das ist vielleicht zu viel des Guten gewesen.

Ich werde daher die kürzere Version als neuen Eintrag einstellen. Die alte Version behalte ich hier einfach bei.

LG W.
 

Mara Krovecs

Mitglied
....mir gefällt die erste Variante besser, vielleicht, weil Du in beiden Gedichten distanziert schreibst; dich in der ersten Version jedoch wie in immer wieder kreisenden Gedanken dem Leser mehr "zeigst" - so fällt meiner Meinung nach die zweite Version, natürlich verbal gut ausformuliert, recht kühl aus.
Hier ist natürlich die Frage (erneut) was soll der Leser von Dir erfahren?

Alles Liebe

Mara
 

Walther

Mitglied
Lb Mara,

danke für Deinen Kommentar. In der Tat schwanke ich zwischen beiden Versionen. Deine Einschätzung, daß die längere tiefer in das Thema führen könnte, teile ich, ebenso wie Vera-Lena, durchaus.

Nun zum Ziel des Gedichts. In der Tat betrachte ich den Abschied in veschiedensten Facetten. Allerdings gibt es, wie bei allen meinen Vers libre Texten, auch in diesem Gedicht wieder die Idee, Verse und Sprache eher als Anstoß für eigene Assoziationen beim Leser zu verstehen und weniger als Gedicht, das eine feste, quasi "fertige", Aussage in Form einer Message hat.

Daher sind absichtsvoll Mehrdeutigkeiten in Wörtern und Worten aktiviert und auch gegeneinander gestellt worden. Diese zusätzlichen Varianzbreiten habe ich im Text bewußt als "zwischenzeilenräume eines geschichteten glaubenssatzes" tituliert. Das ist der eine Teil des Schlüssels zum Gedicht. Der andere Teil ist im Titel und in "d.r.inglichkeiten entleiben sich" enthalten. Mehr möchte ich nicht sagen, weil sonst der Charme des Texts m.E. koppheister ginge.

Letztlich ist das das Haikuelement, das meine Vers libre Texte immer enthalten: Weniger sagen, dem Leser den Raum zur eigenständigen und durchaus individuellen Vervollständigung und zur eigenen Erkenntnis und -findung der übermittelten Nachricht zu geben. Vera-Lena und andere Kommentaroen haben das gut mitgespielt, sehr zu meiner Freude.

Man mag diese Strategie der Informationsvermittlung "Signposting" nennen. Eine bessere deutsche Formulierung ist mir für diesen Kunstkniff bis dato nicht eingefallen. Nun kann solche ein Text auch schiefgehen, ohne Frage. Aber dieses Risiko ist bei Sprach- und Gedankenexperimenten nicht zur verhindern (= unabdingbar eben.).

Danke und lieber Gruß W.
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Walther,

meine erste Assoziation bei Deinem Gedicht war "Schmerzbewältigung durch Sublimation" und eine sehr persönliche Betroffenheit. Nun lese ich eine ganze Literaturtheorie :).

Ich denke, es ist ein "echter Walther"

Mitfühlende, mitdenkende und wie immer liebe Grüße

Herbert

PS: Ich sehe da ein "]" am Anfang des Titels. Wenn das keine Absicht war, solltest Du das vielleicht ändern lassen... H.
 

wirena

Mitglied
Lieber Walther

hmmmm - ich habe immer wieder erneut Mühe mit der konsequenten Kleinschreibung - würde diese Lyrik unter "Experimentelles" veröffentlichen - dort hätte ich nichts zu mekern oder fände das Werk spitze :)

lg wirena
 

Walther

Mitglied
Lb. Herbert,

danke. :) Ich habe für meinen Vers libre eine Poetologie entwickelt, die ich ausprobiere und verbessere. Diese wende ich zunehmend auch auf andere Gedichtformen an. Beispiel z.B. hier: http://www.leselupe.de/lw/titel-schwarze-sonne-104410.htm, einem Sonettexperiment mit dem Titel "schwarze sonne" (Vorsicht: Eigenwerbung!!!).

Da ich wieder mit Wortspielen und Bedeutungsebenen arbeite, ist das so gesehen schon ein echter Walther. :) Nur sagt er eben nicht recht zu.

Lieber Gruß W.

Lb. wirena,

in der Tat sind meine Vers libre Versuche immer an der Grenze zwischen Experiment, Wahnsinn und Absturz. :D Daher widerspreche ich Deinem Kritik am Text nicht.

Jetzt steht er aber nun einmal hier. ;) Und kann so besehen nicht anders.

Danke für Deinen Hinweis und Deine Einschätzung. Das nächste Mal also in die Experimentierstube, wenn's mich dergestalt überkommt!

LG W.
 

Walther

Mitglied
Lb. revilo,

auch wenn der Text vielleicht nicht in jeder Hinsicht befriedigt und als lyrische Prosa hier grenzwertig steht, hat er doch ein paar gute Seiten. Danke, daß Du mir eine gezeigt hast!

LG W.
 



 
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