was zusammenhält

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herziblatti

Mitglied
was zusammenhält

Sie sind schon so lange verheiratet, dass keiner mehr genau sagen könnte, wann es angefangen hat. Nicht das Verheiratet sein. Das Sekkieren. Wann das Verheiratet sein angefangen hat, ist klar. Das mit dem Sekkieren nicht. Das ist ein Wachstumsprozess, wie so vieles. Wie das Miteinander essen. Erst eine Notwendigkeit, Nahrungsaufnahme in den Pausen zwischen dem Sex, den man miteinander hat, ständig, wie das halt so ist, anfangs. Bis man ganz dünn ist. Später wird man wieder dicker, weil das Brot teilen das Bett teilen schleichend ablöst, und wenn sich das Teilen auf einem angemessenen Niveau eingepegelt hat, kann es geschehen, dass sich eine gewisse Leere breit macht.
Dann muss man miteinander reden, sagen die Psychologen.
Das tun sie auch. Sie redet über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, er über Fußball, und wenn Kinder oder Haustiere da sind, haben sie sogar ein gemeinsames Thema. Irgendwann sind die Kinder aus dem Haus und auch ansonsten ist bereits über alles geredet worden, dann beginnt das, was das Alter würzt: das Sekkieren. Schleichend, meistens sogar unabsichtlich.
Man lässt den anderen ein wenig auflaufen, einen Satz zwei, drei Mal sagen. Hm. Das sind zwei magische Buchstaben.
Hm.
Hm geht immer, mehrmals sogar. Und kurz vorm Siedepunkt entschuldigend hinzufügen: was hast gsagt? Ich war mit den Gedanken grad woanders.
Das ist die Basis, das lässt sich ausbauen. Nuscheln ist super, oder das Verschlucken von Satzteilen. Möglichst, während man gerade aus dem Raum hinausgeht. Der erste Teil des Satzes hängt noch als Fetzen im Zimmer, der restliche Abgesang verschwindet Richtung Toilette oder Keller.
Oder wenn man der im Zimmer Verbliebene ist, kann man, falls einem danach ist, den Spieß umdrehen, einen Stakkato-Satz durch die Tür hinterherwerfen: „Das hätt ich dir gleich sagen können!“ Dann zeigt sich, wie trainiert der andere bereits ist. Der Untrainierte kommt vielleicht nochmal zurück und wenn er fragendes Blickes auftaucht, geht locker: „War nicht so wichtig.“ Anschließend möglichst nicht weiter insistieren, vielleicht muss er ja wirklich auf die Toilette.
Als sicheres Eigentor, oder wenn man den anderen einmal gewinnen lassen will, ist zu empfehlen: „Was hast gsagt - ich versteh dich nicht!“ --- „Das ist nicht neu. Ich hab kalte Füß, hab ich gesagt.“
Vielen Dank für die Mitteilung.
Zu Hause darf man diesen Satz von Zeit zu Zeit auch aussprechen.
Zum weiteren Standardrepertoire gehört natürlich das Erzählen von alten Geschichten. An jedem Feiertag, passend zum Fest, zu jedem Kerzlein eine Jugenderinnerung.
Und stark bleiben, wenn sich die Verwandtschaft frühzeitig verabschiedet. Ein Zuhörer ist ja noch da, der bleibt auch, weil er da wohnt und weil es erst halb elf ist.
Die alten Geschichten, man kennt sie in allen Variationen, jedes Jahr werden sie ein wenig glorreicher. Und bevor es ganz fad wird, beginnt er ein, zwei Fehler einzubauen. Zack, wird zugebissen. Er grinst. Er wusste es.
Sie streitet sich mit ihm um seine Erinnerungen, was sich irgendwie ganz logisch daraus ergibt, dass man, wenn man so lange verheiratet ist, gar nicht mehr weiß, wo der eine anfängt und der andere aufhört.
Und sie kennt sich mittlerweile in seinen Erinnerungen besser aus als er.
„Du hast gesagt, die Tante Ernestine hat euch dabei erwischt, und du hast gesagt, es war die Fini, die Tochter vom Kappes, vom Bäcker schräg gegenüber, und sie hat sich das Höschen selber ausgezogen. Der Schmittes-Walter und der Rolfi waren dabei, und die Tante Ernestine hat euch ‚die gottlosen Gesellen‘ genannt und euch eingesperrt in die Werkstatt von Schmittes! Und euch den halben Heiligen Abend drinnen schmoren lassen.“
„Das hab ich doch grad gesagt.“
„Nein, hast du nicht. Du hast gesagt, es wär die Schröder-Oma gewesen, die euch eingesperrt hat.“
„Da hast du dich verhört. Die Schröder-Oma hat ja noch nicht bei uns gewohnt, die haben im alten Haus beim Steinbruch gewohnt, wo wir immer freitags zum Baden hingeschickt worden sind. Wie hätte die uns am vierten Advent in der Werkstatt erwischen können? Oma und Opa sind immer am Stefanietag bei uns zum Ganserl essen gewesen, das ist doch völlig unlogisch.“
„Na, du hast es so erzählt.“
„Hab ich nicht.“
„Hast du die Tabletten genommen?“
Jetzt ist es vorbei mit der fröhlichen Weihnacht, jetzt kommt: alle Jahre wieder.
„Und trink nicht so viel!“
Er holt sich eine Zigarre, das muss jetzt sein.
„Musst du jetzt rauchen?“ Sie geht zur Terrassentüre, schon steht der Hund wie hingezaubert neben ihr.
Paffend sagt er genüsslich: „Pass auf, dass der Hund nicht bellt, ist gleich Mitternacht.“
Sie macht kehrt, setzt sich, zufrieden seufzend, wieder in den Stressless-Sessel. Den Fernseher stellt sie lauter, sie will nicht mehr reden, es ist alles gesagt für heute.
 

Vagant

Mitglied
hallo herziblatti, im ersten Absatz musste ich mich erst ein bisschen an deinen Ton gewöhnen (das lag vielleicht auch daran, dass ich nach 'sekkieren' googeln musste), aber danach flutschte es nur noch so weg, und war leider schon viel zu früh vorbei. Ein Gedanke jagt den nächsten, und du dreht da herrlich an der Schraube. Wunderbar beobachtet, gut geschrieben und hart an der Realität.
LG Vagant
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Herziblatti

Gut beobachtet, gut beschrieben. Sekkieren kannte ich auch nicht, als Norddeutscher.
Sekkieren ist offenbar nach innen gerichtet, in einer Familie/Partnerschaft sticheln. Und die Schmäh ist wahrscheinlich nach draußen gerichtet, stärker kränkend.
Oder? Dann verbessere mich bitte.
Gruß, Thomas
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Sehr gut aufs Korn genommen, Herziblatti. Du hast trotz allem das liebevolle Augenzwinkern nicht vergessen.

Auf die Frage, weshalb man geheiratet hat, kann man ja nur antworten: Weil man tausend Jahre zusammen auf der Couch sitzen und Fernsehen gucken will. So isses. :)

Sekkieren kannte ich auch nicht, aber passt hier.

LG Doc, very amused
 

herziblatti

Mitglied
Hallo Thomas, der Duden engt das Wort "sekkieren" auf eine unangenehme Ausrichtung ein, für die ich das Verb "nerven" gebrauchen würde.
Im umgangssprachlichen Gebrauch ist das Sekkieren eine Art mutwilligen oder beiläufigen Neckens/Triezens, das immer eine wohlwollende Komponente hat.
Das Wort "Schmäh" kann ich nicht einmal umreißen, so vielfältig ist es anwendbar/deutbar. Das kann nur ein gelernter Wiener, ich bin eine Salzburgerin und somit diesbezüglich völlig inkompetent :)
LG - herziblatti
 

herziblatti

Mitglied
Liebe Doc, danke, freut mich, dass es dir gefällt :) aber tausend Jahre? genügt nicht lebenslänglich :D "Sekkieren" bedingt eine Zuneigung im Hintergrund; es ist ein Paarsport, wobei es auch ein Kind oder ein Kätzchen sein darf, das man ein wenig sekkiert. LG - herziblatti
 

herziblatti

Mitglied
was zusammenhält

Sie sind schon so lange verheiratet, dass keiner mehr genau sagen könnte, wann es angefangen hat. Nicht das Verheiratet sein. Das Sekkieren. Wann das Verheiratet sein angefangen hat, ist klar. Das mit dem Sekkieren nicht. Das ist ein Wachstumsprozess, wie so vieles. Wie das Miteinander essen. Erst eine Notwendigkeit, Nahrungsaufnahme in den Pausen zwischen dem Sex, den man miteinander hat, ständig, wie das halt so ist, anfangs. Bis man ganz dünn ist. Später wird man wieder dicker, weil das Brot teilen das Bett teilen schleichend ablöst, und wenn sich das Teilen auf einem angemessenen Niveau eingepegelt hat, kann es geschehen, dass sich eine gewisse Leere breit macht.
Dann muss man miteinander reden, sagen die Psychologen.
Das tun sie auch. Sie redet über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, er über Fußball, und wenn Kinder oder Haustiere da sind, haben sie sogar ein gemeinsames Thema. Irgendwann sind die Kinder aus dem Haus und auch ansonsten ist bereits über alles geredet worden, dann beginnt das, was das Alter würzt: das Sekkieren. Schleichend, meistens sogar unabsichtlich.
Man lässt den anderen ein wenig auflaufen, einen Satz zwei, drei Mal sagen. Hm. Das sind zwei magische Buchstaben.
Hm.
Hm geht immer, mehrmals sogar. Und kurz vorm Siedepunkt entschuldigend hinzufügen: was hast gsagt? Ich war mit den Gedanken grad woanders.
Das ist die Basis, das lässt sich ausbauen. Nuscheln ist super, oder das Verschlucken von Satzteilen. Möglichst, während man gerade aus dem Raum hinausgeht. Der erste Teil des Satzes hängt noch als Fetzen im Zimmer, der restliche Abgesang verschwindet Richtung Toilette oder Keller.
Oder wenn man der im Zimmer Verbliebene ist, kann man, falls einem danach ist, den Spieß umdrehen, einen Stakkato-Satz durch die Tür hinterherwerfen: „Das hätt ich dir gleich sagen können!“ Dann zeigt sich, wie trainiert der andere bereits ist. Der Untrainierte kommt vielleicht nochmal zurück und wenn er fragendes Blickes auftaucht, geht locker: „War nicht so wichtig.“ Anschließend möglichst nicht weiter insistieren, vielleicht muss er ja wirklich auf die Toilette.
Als sicheres Eigentor, oder wenn man den anderen einmal gewinnen lassen will, ist zu empfehlen: „Was hast gsagt - ich versteh dich nicht!“ --- „Das ist nicht neu. Ich hab kalte Füß, hab ich gesagt.“
Vielen Dank für die Mitteilung.
Zu Hause darf man diesen Satz von Zeit zu Zeit auch aussprechen.
Zum weiteren Standardrepertoire gehört natürlich das Erzählen von alten Geschichten. An jedem Feiertag, passend zum Fest, zu jedem Kerzlein eine Jugenderinnerung.
Und stark bleiben, wenn sich die Verwandtschaft frühzeitig verabschiedet. Ein Zuhörer ist ja noch da, der bleibt auch, weil er da wohnt und weil es erst halb elf ist.
Die alten Geschichten, man kennt sie in allen Variationen, jedes Jahr werden sie ein wenig glorreicher. Und bevor es ganz fad wird, beginnt er ein, zwei Fehler einzubauen. Zack, wird zugebissen. Er grinst. Er wusste es.
Sie streitet sich mit ihm um seine Erinnerungen, was sich irgendwie ganz logisch daraus ergibt, dass man, wenn man so lange verheiratet ist, gar nicht mehr weiß, wo der eine anfängt und der andere aufhört.
Und sie kennt sich mittlerweile in seinen Erinnerungen besser aus als er.
„Du hast gesagt, die Tante Ernestine hat euch dabei erwischt, und du hast gesagt, es war die Fini, die Tochter vom Kappes, vom Bäcker schräg gegenüber, und sie hat sich das Höschen selber ausgezogen. Der Schmittes-Walter und der Rolfi waren dabei, und die Tante Ernestine hat euch ‚die gottlosen Gesellen‘ genannt und euch eingesperrt in die Werkstatt von Schmittes! Und euch den halben Heiligen Abend drinnen schmoren lassen.“
„Das hab ich doch grad gesagt.“
„Nein, hast du nicht. Du hast gesagt, es wär die Schröder-Oma gewesen, die euch eingesperrt hat.“
„Da hast du dich verhört. Die Schröder-Oma hat ja noch nicht bei uns gewohnt, die haben im alten Haus beim Steinbruch gewohnt, wo wir immer freitags zum Baden hingeschickt worden sind. Wie hätte die uns am vierten Advent in der Werkstatt erwischen können? Oma und Opa sind immer am Stefanietag bei uns zum Ganserl essen gewesen, das ist doch völlig unlogisch.“
„Na, du hast es so erzählt.“
„Hab ich nicht.“
„Hast du die Tabletten genommen?“
Jetzt ist es vorbei mit der fröhlichen Weihnacht, jetzt kommt: alle Jahre wieder.
„Und trink nicht so viel!“
Er holt sich eine Zigarre, das muss jetzt sein.
„Musst du jetzt rauchen?“ Sie geht zur Terrassentüre, schon steht der Hund wie hingezaubert neben ihr.
Paffend sagt er genüsslich: „Pass auf, dass der Hund nicht bellt, ist gleich Mitternacht.“
Sie macht kehrt, setzt sich, zufrieden seufzend, wieder in den Stressless-Sessel. Den Fernseher stellt sie lauter, sie will nicht mehr reden, es ist alles gesagt für heute.

© Heidi Merkel
 



 
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