wichtig (gelöscht)

Dorothea

Mitglied
Lesen - mehr ist nicht wichtig

Liebe presque_rien,

was soll hier eine kritisierende Paraphrase? Einen solchen Text - wahr, sensibel, kein eitles Bauchnabelgeschaue, rhythmisch und in der Versstruktur einfach schön - findet man nicht nur in der LeLu selten, nein, er ist auch selten in der Lyrikszene, die sich professionell in Veröffentlichungen anbietet.

Liebe Grüße.
 

Montgelas

Mitglied
ich glaubte meinem Atem, meinen Augen,

fast nichts ist wichtiger, kaum zu trauen,

solche wunderbare poesie
hier lesen zu dürfen !


liebe presque_rien,

danke ! - nur ein tropfen ist der anteil
für dich, den ich an dir nehmen durfte.
für mich aber sind deine verse bestätigung.
bestätigen sie mir doch meinen blick für das
außergewöhnlich-poetische.

verzeih, mir diese kleine eitelkeit.

sie ist der hilflosigkeit meines
ausdrucks geschuldet, angesichts von kunst,
die mich zur bescheidenheit
zwingt.


alles liebe

montgelas






p.s. immer auf der suche nach guter lyrik...,
da würde ich es gern später einmal einstellen und bitte
hiermit um prokura ;)
für eine ausführliche rezension brauche ich noch etwas zeit.
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Dorothea, lieber Montgelas,

ich bin total überwältigt von euren lieben Worten und euren Wertungen, weiß gar nicht, was ich sagen soll, außer: vielen, vielen Dank!

Es grüßt ganz lieb
eine glückliche presque_rien :)
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Julia,

als ich heute Morgen aufwachte,dachte ich an Dich und zwar Folgendes:

Aber eines Tages, wenn sich sich dazu entschließt auf Anhieb Verständliches zu schreiben, wird es überwältigend sein.

Das war um 6.30 Uhr.

Und hier lese ich es nun um 10.20 Uhr

Hurraaa! Ich hatte schon befürchtet, dass es noch viel länger dauern würde.

Führe aber auch Deine Experimente bitte weiter, denn sie sind es, die Dich letztendlich voranbringen!:)

Ich bin so glücklich über diesen Text.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe Julia,

Du fängst ganz harmlos an mit den Nägeln in der Wand, und dann stellst Du die Dinge einfach nebeneinander, Diesseitiges und Jenseitiges,als gäbe es da keinen Bezug.
Aber es gibt einen Bezug, weil die Protagonistin das alles ständig in ihrem Inneren versammelt hat, und wiel es ihr gelingt, mit all diesen Dingen und trotz all dieser Dinge ihren Frieden zu bewahren. Und sie versteht es zu geben, ja das ist ihr wichtig.
Formal ist es wunderbar abgerundet durch die Reime und die gleichbleibende 8te Reimzeile jeder Strophe. Schon dadurch wird dieser Frieden ausgestrahlt, der auch inhaltlich ausgesagt wird.

Wie Du "Ich", "Man" und "Wir" benutzt, macht den Text auf eine fast trance-artige Weise überpersönlich. "Die Seele sucht sich ihren Gast" gehört natürlich auch dazu.

So lese ich Deinen Text, und er ist mir wichtig.

Schlaf gut!:)
Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Svalin

Mitglied
Hallo Julia,

Auch auf mich wirkt dein Text sehr durchkomponiert: Jede dieser Strophen ist wie eine Sequenz, die sich von einem Weitwinkelpanorama auf die innerste Wahrnehmung verengt und darin einem erkennbaren Schema folgt: Aus unbelebten Gegenständen (Nägel, Sonden, Wolken) werden Gleichnisse für menschliche Verhaltensweisen (eher Eigenarten) herausgelöst, die das lyrische Ich auf sich selbst überträgt und zu beantworten sucht. Dadurch wird man als Leser mit auf eine Reise von den peripheren zu den zentralen Motiven des Seins genommen: finden, suchen, zur Ruhe kommen ... mehr ist nicht wichtig.

An zwei Stellen erscheint mir der (streng?) funktionale Aufbau durchbrochen zu sein:

> zuweilen klingt mein hartes deutsch
> schon ziemlich richtig
> die silbe findet ihren fuß

Die beiden anderen Strophen enthalten an dieser Stelle mit "lasst rippen heil" und "bedient euch" Formulierungen mit auffordernden Charakter, denen man sich als Leser kaum entziehen kann, weil man das subtile Gefühl hat, sie könnten auch an einen selbst gerichtet sein. Das gefällt mir gut und ich würde mir vielleicht auch für die 1. Strophe etwas Ähnliches wünschen.

> weil wir das können
> zuweilen schweben wir im schlaf
> man darf's uns gönnen

In den anderen Strophen dient diese 3. Zeile mit "entlang der straßen" und "in feuchten kissen" mehr einer Ortsbestimmung, was hier offenbar zugunsten des Reims unterbleibt. Wo(rin) wir schlafend schweben - ein zu Unrecht vorenthaltenes Bild, finde ich ;)

Viele Grüße
Martin
 

Montgelas

Mitglied
- eine wichtige einladung - so lese ich es

lieber martin,

meiner meinung nach ist der biografische einstieg "wichtig",
werden doch dadurch
die zentralen motive
stärker herausgehoben.

meint

montgelas

ps. vom fremden ich zum sein.
das ich ist angekommen
und ist nun offen !!

verzeih die kürze... ;)
 

presque_rien

Mitglied
So viele tolle Ideen...

Liebe Vera-Lena, lieber Martin, lieber Montgelas,

vielen Dank an euch alle für die spannende Diskussion! Da muss ich eine Nacht drüber schlafen, eine ausführliche Antwort kommt in Kürze ;-)!!!

Einen wunderschönen Tag wünscht
Julia/ presque_rien
 

Montgelas

Mitglied
eine wichtige einladung

liebe presque_rien,

ich erinnere mich noch sehr genau
an unsren disput in versen im lupanum.
auslöser dieses disputes war dein text
Mensch,geliebter.
wir hatten, du erinnerst dich, ein wunderbares missverständnis.
ich hatte deine zeilen rein dialektisch
kommentiert ohne sie ins allgemeine aufzulösen,
was notwendig gewesen wäre. das lag zum einem
an meinen mangelnden anatomiekenntnissen
und zum anderen an deinen hermetischen text,
dessen sinn schwer zu entschlüsseln war.
du wolltest das "menschenverbindende typische"
herausfinden. du hast es mir dann auch erklärt.

diese klärung, das ist ein enormer gewinn,
ist in dem text "wichtig" nicht mehr notwendig.

in klaren worten, lakonisch nahezu, bekennt die autorin
ihre tiefe menschenliebe, ohne die schwierigkeiten,
außer acht zu lassen, die das leben für einen
menschenliebenden zeitgenossen bereithält.
die nägel stecken in der wand
gewohntermaßen
man steckt die köpfe in den sand
entlang der straßen

alltagstrott, spiessertum hindern dein ICH
nicht, fremdheit zu überwinden
und die sprache des landes zu gehen.
sprache kann heimat und auch ein ICH schaffen.
die freude, ohne probleme kommunizieren
zu können, kommt ja zum ausdruck in den zeilen:
zuweilen klingt mein hartes deutsch
schon ziemlich richtig
die silbe findet ihren fuß

mehr ist nicht wichtig


kommunikation als voraussetzung
zur ich-werdung und als bedingung
für humanitas.

großartig, wie du in der nächsten strophe
ins allgemeine wechselst und dein ICH
mit warmen selbstbewußtsein verkündet:
...bin eurer doch
schon angesichtig
die seele sucht sich ihren gast

mehr ist nicht wichtig


um dann in der letzten strophe
mit, wie ich finde, großen bildern
ein grossherzige wichtige
einladung auszusprechen.

Im ganzen text hilft dir deine sprachmelodie
die bilder zu versachlichen.
damit gewinnt dieses gedicht an glaubwürdigkeit
und authentizität.
im gegensatz zu "Mensch, geliebter"
kann diesen text jeder verstehen.
er ist nicht hermetisch..

offen ist „wichtig“ !

lass mich deshalb mit Hölderlin schließen,

nicht mit „Komm ins Offene , Freund …“, was nahe läge,
sondern mit einem text von ihm,
als unser bruder scardanelli schon in ihm wohnte .

[ 4][ 4][ 4]Freundschafft

[ 4][ 4]Wenn Menschen sich aus innrem Werthe kennen,
[ 4][ 4]So können sie sich freudig Freunde nennen,
[ 4][ 4]Das Leben ist den Menschen so bekannter,
[ 4][ 4]Sie finden es im Geist interessanter.

[ 4][ 4]Der hohe Geist ist nicht der Freundschafft ferne,
[ 4][ 4]Die Menschen sind den Harmonien gerne
[ 4][ 4]Und der Vertrautheit hold, daß sie der Bildung leben,
[ 4][ 4]Auch dieses ist der Menschheit so gegeben.

[ 4][ 4]Mit Unterthänigkeit
[ 4][ 4]Scardanelli




herzlich

montgelas
 

presque_rien

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

dass du um 6:30 über meine Gedichte nachdenkst, ehrt mich sehr ;-)...

- ehrlich, ich bin sehr glücklich über deine Begeisterung für diesen Text :)))))))! Ich mag das Gedicht auch gerne :) - auch wenn ich mich dazu überwinden musste, ein Wort wie "Seele" und die Redewendung "Den Kopf in den Sand stecken" so unverdreht zu benutzen. Ich habe beim Dichten immer einen großen Bammel davor, ins Ordinäre abzugleiten - deshalb manchmal die übermäßige Ecperimentierfreude ;-). Hier hat sich Klarheit anscheinend wirklich gelohnt: schöne Erfahrung *freu*.

Auch sehr schön: wie du deine Lesart des Gedichtes darlegst :) (ich komm ja aus dem Smilie-Setzen gar nicht mehr raus *g*)... das trifft sehr, sehr gut das Gefühl, dass ich ausdrücken wollte! Deine Interpretation könnte ich an dieser Stelle komplett paraphrasieren :) - mach ich aber nicht - mit Analyse werde ich mich lieber in meiner Antwort an Martin beschäftigen.

An dieser Stelle lieber noch ein :)!

So lese ich Deinen Text, und er ist mir wichtig.
Danke. Für beides.

Liebe Grüße
von Julia
 

presque_rien

Mitglied
Lieber Martin,

vielen Dank für deine differenzierte Kritik!

Vorab: Das ist eines dieser Gedichte, die meinem eigenen Verstand beim Schreiben nicht zugänglich sind. Es ist oft so, dass ich Gedichte wirklich streng durchkomponiere, d.h., eine Idee von einer Form habe, die ich fülle, o.ä. "Wichtig" hört sich durchkomponiert an, aber in Wirklichkeit habe ich die Bruchstücke, die mir in den Sinn kamen, erst spät in eine Form gebracht, die ich mochte, und nicht viel darüber nachgedacht. Ich könnte für keines meiner Bilder sagen, warum ich es benutzte - nur im Nachhinein versuchen, es zu verstehen ;-); umso mehr freue ich mich, dass ihr mir dabei helft, und dass eure Interpretationen so gut das Gefühl aufgreifen, dass ich beim Schreiben hatte! :))

Rückblickend kann ich sagen, dass Montgelas mit seiner Erwähnung des biographischen Kontextes sehr Recht hat (In meinen Abi-Kommentaren stand, ich spräche wie eine Kalaschnikoff - und das nach 12 Jahren in Deutschland ;-); irgendwie war er mir wichtig, dieser Vers...), und auch sonst die Entwicklung so beschreibt, wie ich sie vermutlich auch beschrieben hätte ;-). Ich möchte folgendes ergänzen:

An zwei Stellen erscheint mir der (streng?) funktionale Aufbau durchbrochen zu sein:

> zuweilen klingt mein hartes deutsch
> schon ziemlich richtig
> die silbe findet ihren fuß

Die beiden anderen Strophen enthalten an dieser Stelle mit "lasst rippen heil" und "bedient euch" Formulierungen mit auffordernden Charakter, denen man sich als Leser kaum entziehen kann, weil man das subtile Gefühl hat, sie könnten auch an einen selbst gerichtet sein. Das gefällt mir gut und ich würde mir vielleicht auch für die 1. Strophe etwas Ähnliches wünschen.
Genau betrachtet sind die zwei letzten Strophen in ihren Aufforderungen ja auch nicht gleich! Man könnte eine Entwicklung beschreiben: In der ersten Strophe ist das Lyri noch größtenteils mit sich selbst beschäftigt, mit der eigenen Integration, mit einer distanziert-kritischen Schauung der Gesellschaft, mit Erkenntnis (denn so könnte man das "schon ziemlich richtig" auch deuten) und dem Rückzug in die Ästhetik.
Das ist aber nicht das einzige, was für das Lyri wichtig ist! In der zweiten Strophe kommt eine Annäherung an die anderen Menschen - von der Anschauung zur direkten Ansprache, von dem Betrachten der äusseren Verhaltensweisen zur beschäftigung mit den Träumen, der Seele, dem wirklich Menschlichen! Aber auch hier bleibt das Lyri noch auf Distanz.
Insofern hat die Aufforderung "lasst Rippen heil" mit ihrem sogar fast zynischen Unterton eine ganz andere Metapher, als "bedient euch" - in der letzten Strophe geht es um absolute Nähe, das Lyri möchte mit der Welt verschmelzen; und nicht nur mit einem Menschen - mit allen, allen! Die Formulierung "Noch strömt man aufeinander zu" zeigt, dass absolute Annäherung - nicht nur metaphorisch mit körperlicher Liebe umschrieben ;-) - eine Art "Lösung" ist!
Wenn man das auf diese Weise verfolgt - vom weniger wichtigen zum wichtigsten, vom persönlichen zum alle Menschen umfassenden - könnte man erklären, warum in der ersten Strophe keine Aufforderung auftaucht.

Was du über die Ortsbestimmung in den Strophen 1 und 3 sagst, stimmt, und ich kann leider keine Erklärung herleiten - bzw., es wäre zu bemüht ;-). Dieser Punkt ist mir (im Gegensatz zu dem ersten, den du nennst) selbst überhaupt nicht aufgefallen, es hat also nichts mit dem Reim zu tun ;-)! Man könnte es als einen Fehler in der Struktur sehen, ich persönlich empfinde es als nicht sooooo wichtig - eine Art "Ortsbestimmung" der beschriebenen Phänomene spielt für das Gedicht keine große Rolle, denke ich, die Übereinstimmung in den Strophen 1 & 3 ist eher zufällig...

Ich hoffe, meine Antwort wird deinen Ausführungen gerecht...

Liebe Grüße,
Julia
 

presque_rien

Mitglied
Lieber Montgelas,

wie wichtig der Autorin diese deine beiden Kommentare sind, hat sie dir ja bereits auf anderem Wege mitgeteilt ;-)!

Aber ich wiederhole mich gerne: Vielen Dank, dass du so viel Zeit investiert hast, um eine Interpretation zu schreiben, die mir beweist, dass Lyrik tatsächlich eine der wahren Lösungen ist :).

Lieben Gruß,
presque_rien
 

R. Herder

Mitglied
Wahnsinn. Durch Ottos Empfehlun in "Die LL empfiehlt" darauf gekommen, und nicht enttäuscht worden. Das Beste, was ich bisher von dir gelesen hab.


Grüße,
René.
 

presque_rien

Mitglied
Lieber René, liebe(r?) Epkachan,

jetzt, nachdem der Wettbewerb vorbei ist, kann ich euch endlich für euer Lob danken, das mich sehr gefreut hat! Danke auch an alle, die dieses persönliche Gedicht so gut bewertet und gewählt haben. :)

Lg presque
 
I

inken

Gast
also der text ist - obwohl schon etwas bejahrt - richtig gut
und zwischendurch dachte ich, na hoppla, was kommt da jetzt wohl zum schluss. der ist dann aber die krönung. frisch und originell. passt. gern gelesen. lg inken
 
T

Traube

Gast
Dieses hier, ist ein Großod, Meisterlich geschrieben.

Las in Online Foren selten etwas besseres.


Hut ab.

Traube
 
Wer kennt ein schöneres Gedicht?
Ich nicht. Noch nicht und ich glaube der Rest der Lebenszeit wird auch nicht reichen um eines zu finden.

T.
 



 
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