wie sich die gedichte schrieben

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Walther

Mitglied
Moin nisavi,

mit dem Text habe ich einige Probleme. Zum Einen ist das kein Text, der sich wirklich reimt. Zum Anderen sind manche Bilder im Ungefähren. Es wird nicht klar, was die Protagonistin wirklich fühlt.

Auch steht der Titel in keinem wirklich sich erschließenden Bezug zum Werk selbst. Manches erinnert an die gewollte Versammlung von ahnenden Andeutungen. Bilder müssen sich erschließen lassen, Metaphern auch. Kryptisch bleibt ein Text, wenn der/die Autor/in den Schlüssel dazu absichtsvoll wegläßt (oder wegwirft, beides hat das Gleiche als Ergebnis).

Hier ist das Hängenbleiben am Text eher der Versuch zu verstehen. Weil das vergeblich bleiben muß, bleibt ein schaler Eindruck zurück, der zwischen Enttäuschung und einem etwas weniger netten Gefühl hin- und herschwankt.

Ich hoffe, Du entschuldigst diese klaren Worte, die ich nur wähle, weil ich das Gefühl nicht loswerde, daß Du etwas zu sagen hättest, wenn Du den direkteren Weg wählen würdest. So aber bleibe ich kopfschüttelnd am Wegrand zurück, um es einmal figurativ zu beschreiben.

Einen schönen Sonnenabend wünscht

der W., grüßend selbstverständlich
 

nisavi

Mitglied
lieber walther, danke, dass du versucht hast, das gedicht zu verstehen und danke für deine eindrücke.
eine frage vorab. wann reimt sich ein gedicht WIRKLICH? dann, wenn es paarreim, kreuzreim, haufenreim enthält?
ich kann den text gern ins ungereimte verschieben lassen, aber für mich ist er reimtechnisch strukturiert.
du meinst, die bilder des textes seien im ungefähren. gut, verstehe ich. könntest du deinen eindruck an einem textbeispiel festmachen?
ob jedes gedicht auskunft darüber gibt, wie sich das LYRICH fühlt, wage ich zu bezweifeln. in diesem falle ging es (für mich!) nicht vordergründig darum, seelenzustände widerzuspiegeln.

nisavi, selbstverständlich zurückgrüßend
 

Walther

Mitglied
Guten Abend,

was will uns dies sagen (exemplarisch):

blaue worte
in langen nächten
wachten sie an ihrer seite
Zu den Reimen: Metren und Strukturen bedingen einander. Reime sind nicht notwendige Bestandteile von Gedichten. Ich bin für klaren Satz und eindeutigen Reim. Alles Andere ist ein unnötiges Verwirrspiel und hilft nicht beim Verstehen des Texts.

Die hier angewandte Aufteilung der Lyrik in Gereimtes und Ungereimtes ist nicht glücklich. Da ich kein Forenmoderator bin, muß ich sie so hinnehmen.

Vom Satz und von den nicht klaren Metren her gesehen gehört dieses Gedicht nicht in die Rubrik, in der es steht. Aber das soll nicht heißen, daß man es deshalb verschieben muß.

Schöne Nachtruhe wünscht grüßend

W.
 

nisavi

Mitglied
lieber walther,
ich bin mir nicht sicher, ob es sinn macht, dir noch einmal zu antworten. mir scheint, dass wir völlig konträre positionen beziehen.
ich mag gedichte, die dem leser einen interpretationsspielraum lassen, was nun nicht bedeutet, dass dieser unendlich sein muss. jeder soll seine eigene lesart, sein textverständnis entwickeln können.verschiedene lesarten (die sich natürlich am text festmachen lassen müssen) machen den umgang mit lyrik für mich erst reizvoll und interessant.
ich halte weiterhin nicht viel davon, gedichte zu erklären. gedichte, die dieser krücke bedürfen, sind schlechte gedichte.
aber, ich habe dir satzzeichen gesetzt in der folgenden version und einen absatz gemacht. vielleicht kannst du so leichter rezipieren.
die versteckten reime sind ebenfalls markiert.
mir ist bekannt, dass strenge reimformen einerseits und reimlose lyrik andererseits gibt. es existieren aber auch mischformen, literaturwissenschaftlich anerkannte. :)
sie reizen mich zuweilen besonders, weil sie me geeignet sind, einem text eine melodie zu verleihen.
wenn DU für klaren reim und klar gekennzeichnete sätze bist, solltest du anderen schreiberlingen zugestehen,zb freie rhythmen zu präferieren.

ein ganzes leben
waren sie bei ihr gewesen,
libellenschillernd sommerwarm.
von zeit zu zeit, auf kühlem arm,
ein flügelschlagen:
zeichen hatte sie gelesen.
in ihren händen:
blaue worte.


in langen nächten
wachten sie an ihrer seite,
still wie zahme schattenpferde.
senkten bilder in die erde.
und ihre träume
suchten sich den weg ins weite.
nur eine ahnung
bewahrte sie.

erneut grüßend

nisavi
 
I

inken

Gast
Für mich ist das Gedicht so, wie es da steht
total in Ordnung und deshalb von mir die "9"

lg inken
 

Walther

Mitglied
Liebe nisavi,

danke für die ausführliche Antwort. Ich will es nicht zu lang machen. Jeder darf so schreiben, wie er mag. Das wäre ja noch schöner! Allerdings sind die Gedanken dann generell frei, also auch die des Kritisierenden.

Ich habe Deine Reime gesehen und auch die unreinen dazu, die man ja, das ist alte germanische Lyriktradition, ebenfalls immer schon genutzt hat. Darum ging es mir nicht.

Für mich ist das lyrische Poesie mit Reimen und Alliterationen und allem, was dazu gehört, aber eben kein Gedicht. Ich habe auch nichts gegen Interpretationsspielräume, aber ein Sprachwerk, das sich nur als Projektsfläche für Lesermeinungen und -gefühle sieht, ist nichts Originäres. Es ist eigentlich nutzlos.

Da sind wir in der Tat unterschiedlicher Ansicht. Texte ohne Widerhaken und ohne eigenen eigentlichen Inhalt sind für mich Zeit- und Energieverschwendung, und zwar gleich im doppelten Sinne: dessen, der schreibt, und dessen, der das liest. Das mag heute kritikergerecht und damit erfolgversprechend sein. Siehe Leipziger Schule und Bachmann-Preise. Inzwischen kapiert die Methode sogar schon das Feuilleton. Wow!

Ich lege solche Lyrik weg und fasse von diesem Autor gewöhnlich nachher nichts mehr an. Hier in der LL sind wir in einer anderen Umgebung, die diese Härte nicht verträgt und wo sie auch überzogen wäre. Dennoch sage ich hier immer dann meine Ansicht, wenn ich eine Begabung sehe, die sich so wegwerfen würde, wenn man ihr nicht einmal die Spiegel vorhält. Du hast diese Begabung, also habe ich Dir den Spiegel vorgehalten. Nichts für ungut also.

Liebe Inken,

wenn zwei Damen sich verbünden, hat ein Mann schlechte Karten. Daher "trolle" ich mich hier jetzt lieber - im doppelten Sinn des Worts.

Liebe Sonnengrüße den Damen und den anderen Lesenden und Lupenden

W.
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
ein ganzes leben
waren sie bei ihr gewesen,
libellenschillernd[blue]*[/blue] sommerwarm. [blue]*Kitsch![/blue]
von zeit zu zeit, auf kühlem arm, [blue]Ein kühler Arm? Eine schwachbrüstige Metapher um des Reimes willen![/blue]
ein flügelschlagen:
zeichen hatte sie gelesen.
in ihren händen:
blaue worte. [blue]Blaue Worte. Blau, Farbe der Kühle, hockte vorher noch "sommerwarm" auf den oberen Extremitäten....[/blue]

in langen nächten
wachten sie an ihrer seite,
still wie zahme schattenpferde[blue]*[/blue]. [blue]Wieder Kitsch.[/blue]
senkten bilder in die erde. [blue]Beerdigt für alle Zeiten. Passt nicht ins Bild.[/blue]
und ihre träume
suchten sich den weg ins weite.
nur eine ahnung
bewahrte sie. [blue]Aha, die schattigen Pferdetraumbilder ruhen in Frieden aber die Träume wabern als Ahnung in der Ferne...[/blue]

Kurzum: Ich kann Walters Unverständnis durchaus nachvollziehen. Ich habe zwar stilistisch gegen den Text nicht einzuwenden und sehe ihn durchaus als Gedicht an; die sich aufdrängenden Aussagen empfinde ich jedoch als (das Wort ist gerade "in") Bullshit.

Eine wirklich objektive Textkritik ist bei einem derartigen Text natürlich kaum möglich aber ich vertrete nun mal die Meinung, dass auch oder gerade etwas abstraktere Texte stimmig sein sollten - insbesondere was die verwendeten Metaphern anbetrifft. Das Gegenteil habe ich hier vorgefunden.

LG

Jürgen
 

ENachtigall

Mitglied
...auch mich haben die Reime beim ersten Lesen nicht gleich angesprungen und die Metaphern sprechen eine eher leise Sprache:

in langen nächten
wachten sie an ihrer seite
still wie zahme schattenpferde
senkten bilder in die erde
Etwas "in die Erde Gesenktes" ist in meinen Augen genauso gut ein Samenkorn, das aufgehen kann, wie ein vergrabener Schatz und nicht notwendiger Weise: begraben für immer.
Dass es sich hier um das Wachsen der Gedichte (wie sie sich schrieben, wie sie zu Wort wurden) handelt, liegt auf der Hand. Daher steht auch der Bezug zum Titel (der mir persönlich nicht gefällt) außer Frage.
Formal erschwert die Kleinschreibung unnötig den Zugang zu diesen feinen Versen, der schon durch die Verwendung des doppelten "sie" (das Lyrische Singular-sie und das Plural-sie für die Gedichte) belastet ist. Wen solche Hindernisse nicht verprellen, der findet hier ein Gedicht, das in seinen Tiefen Schönheit enthält.

So, das war dann noch mein (süßer) Senf dazu.

Viele Grüße von

Elke
 



 
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